Archiv: Dezember 31, 2021

Umfallerpartei FDP: Mit der Ampelkoalition haben die Liberalen ihre jungen Wähler verraten

Von Jonas Kürsch | „Wir haben den Wert der Freiheit ins Zentrum gestellt“, erklärte der FDP-Parteivorsitzende Lindner am Tag nach der Bundestagswahl voller Selbstbewusstsein, „Wir haben also für unsere politischen Grundwerte (…) geworben und sind für diese auch gewählt worden.“ Diese Aussage ist absolut richtig, denn die FDP hat im Rahmen des vergangenen Bundestagswahlkampfes ihr Kernthema der Freiheit wiederentdeckt und zum Dreh- und Angelpunkt ihrer gesamten Wahlkampagne gemacht. Krisen, wie die andauernde Pandemie, den Klimawandel oder auch die steigende Armut innerhalb Deutschlands, wolle man nicht mit Verboten, höheren Steuern oder aggressiven Notstandseinschränkungen entgegentreten, sondern effektiv durch Wettbewerbsfähigkeit und kreative Innovationen bekämpfen. Kurz gesagt: die Partei bekannte sich zum selbstverantwortlichen Bürger und sprach sich gegen die paternalistischen Allmachtsphantasien von Rot-Grün-Links aus.


Diese demokratiebejahende Haltung kam bei den Wählern überaus gut an: die FDP erreichte mit 11,5 % eines ihrer historisch besten Wahlergebnisse und konnte den seit 2019 andauernden Abwärtstrend (5,4% bei den letzten Europawahlen) endgültig von sich abschütteln. Doch nicht nur das hervorragende Allgemeinergebnis sorgte für große Begeisterung, denn besonders bei jungen Wählern (den 18 bis 24-Jährigen) schnitt die FDP mit mehr als 20% fast so gut ab wie die Grünen. Bei den Erstwählern wurde sie sogar zur stärksten Kraft.


In meinen Augen ist dieses Ergebnis kaum verwunderlich. Gerade junge Menschen wurden während der pandemischen Notlage mit einem politischen System konfrontiert, wie sie es zuvor nur aus Büchern und Filmen kennen konnten: Quaräntepflichten und Lockdowns, Schul- und Ausgehverbote, totale Isolation und die allgemeine Unsicherheit über die eigene Zukunft. Nach beinahe drei Infektionswellen, die durch die radikalen Lebenseinschnitte der einfallslosen Krisenmanager allesamt nicht verhindert werden konnten, und anderthalb (für viele Menschen) völlig verschwendeten Jahren, war die Sehnsucht nach einem deutlichen Zeitenwechsel besonders groß. Man wollte endlich wieder die Lust am Leben zurückgewinnen und sich nicht länger durch den lähmenden Nihilismus der deutschen Politik auffressen lassen. Man sehnte sich nach den alten Freiheiten, nicht aber nach der neuen Normalität.


Die FDP versprach, die Grundrechte des Bürgers vor einem übergriffigen Staatssystem zu bewahren und eine nachhaltige Wirtschafts- und Finanzpolitik mitzugestalten, um den Jugendlichen eine schuldenfreie und finanziell sichere Zukunft zu ermöglichen. Krisen würde man nicht über staatliche Zwangsmaßnahmen, sondern durch Kreativität und Erfindergeist lösen. Das bedeutete, wer zugunsten des Umweltschutzes nicht auf Flugreisen verzichten wollte, der fand seine politische Heimat in der FDP. Wer zum Infektionsschutz der Allgemeinheit flächendeckende Lockdowns oder gar eine Impfpflicht ablehnte, der wählte die FDP. Auch wer eine sozialistische Neuausrichtung unseres Landes verhindern wollte, der konnte seine Stimme guten Gewissens der FDP geben.


Nach der Bundestagswahl dauerte es nicht lange, bis die Freien Demokraten sich in den medialen Lobliedern auf eine linksgeführte Ampelkoalition völlig verloren hatten und die Sondierungsgespräche zwischen SPD, Grünen und FDP begannen. Es folgten einige Monate der (mehr oder weniger) zähen Koalitionsverhandlungen. Als dann die Infektionszahlen stiegen, kippte die liberale Aufbruchsstimmung endgültig: die im Wahlkampf noch ausdrücklich ausgeschlossene Impfpflicht galt plötzlich nicht länger als verfassungswidrig und wurde (zunächst nur partiell) mit großer Unterstützung der FDP-Fraktion im Bundestag verabschiedet. Auch an der Schuldenbremse hält Christian Lindner (inzwischen Finanzminister) nur noch offiziell fest. Mit seinem dubiosen Nachtragshaushalt und der damit verbundenen Aufnahme von 60 Milliarden Euro de facto Schulden, hat die FDP dieses Wahlversprechen ebenfalls im Keim erstickt. Ein Wortbruch folgt auf den nächsten.


Viele Jugendliche haben der FDP ihr Vertrauen geschenkt, weil sie in ihr die Möglichkeit auf eine ganzheitliche Erneuerung unseres maroden Landes gesehen haben. Der von Christian Lindner geführte Wahlkampf machte Lust auf ein Deutschland, in dem Freiheit und bürgerliche Selbstbestimmung wieder großgeschrieben werden würden. Schaut man sich heute hingegen die praktische Umsetzung dieser ‚liberalen’ Politik an, stellt man schnell fest, dass die Freien Demokraten ihrem Ruf als Umfallerpartei einmal mehr gerecht geworden sind. Das Bedürfnis nach innovativer Politik hat die Partei inzwischen weitestgehend eingestellt. Die wichtigsten Wahlziele sind vergessen, stattdessen versucht man öffentlichkeitswirksam kleine Pyrrhussiege wie die kommende Legalisierung von Cannabis als große Erfolge der ‚Fortschrittskoalition‘ zu verkaufen. Wer glaubt, dass er mit solchen Taschenspielertricks die junge Wählerschaft langfristig an sich binden kann, der irrt gewaltig. Wenn die FDP in diesem Tempo weiter von ihrem Kurs abkommt, dann wird sie in vier Jahren vor dem gleichen Scherbenhaufen stehen, den sie schon 2013 mit ihrer Regierungsarbeit verursacht hatte. Nur wage ich zu bezweifeln, dass ihr vom Wähler die Chance auf einen weiteren Erneuerungsprozess gegeben wird.


Meinungsfreiheit in der Schule – warum unterdrücken Lehrer kritische Fragen?

Von Johanna Beckmann, 15 Jahre | Ich gehe mit tausend weiteren Schülern auf ein ganz normales Gymnasium in einer Stadt in Mitteldeutschland. Bei dieser großen Anzahl von Schülern ist es nichts Besonderes, dass nicht jeder die gleiche Meinung hat. Jedoch werden Meinungen abseits vom linken Mainstream von Lehrkräften nur ungern hingenommen.

Auf einer an meiner Schule stattfindenden Pflichtexkursion des Geographieunterrichts besuchten wir einen Film, der sich um das Thema Erdöl drehte. Am Ende des Films gab es eine Besprechung. Es wurde gesagt, dass jeder, wenn er ein Auto sieht, darüber nachdenken sollte, welche Rohstoffe es braucht, damit es fahren kann. Am besten sollte man das Autofahren ganz sein lassen. „Gibt es eine Alternative zu Erdöl und müsste man, bevor man auf den Stoff verzichtet, nicht warten, bis er zu hundert Prozent ersetzt werden kann?“, fragte ein Schüler und wurde dafür von der Leiterin der Besprechung  mit bösen Blicken angeguckt. Eine Antwort bekam er nicht.

Im weiteren Verlauf der Besprechung wurde nach den politischen Organisationen, denen wir angehören, gefragt. Außer ein paar Fridays for Future- Anhängern sagte niemand ein Wort. Die Disskusionsleiterin erklärte uns dann: „Ich finde es sehr schön, wenn sich so junge Menschen wie ihr schon bei Fridays for Future und Co engagieren. Greenpeace und Fridays for Future gibt es auch in unserer Stadt. Ich würde jedem von euch empfehlen, sich dort zu engagieren.“ Was wohl passiert wäre, wenn jemand sich zu einer rechten Organisation bekannt hätte? Später wurde uns erklärt: „Die älteren Generationen haben unseren Planeten zerstört und es ist eure Aufgabe ihn zu retten.“  Die Schuld der Umweltverschmutzung wurde also einer gesamten Generation zugeschoben. Wäre es nicht sinnvoller, Lösungen für ein Problem zusammen zu suchen, anstatt die Schuld bei jemandem zu suchen?

Jedem von uns Schülern war bewusst, dass die Benutzung von Erdöl keine dauerhafte Lösung sein kann. Aber warum geht man mit der Schule, welche eigentlich politisch neutral sein sollte, zu einem Film mit einer Nachbesprechung, die Schüler dazu animiert, links orientierten Vereinen beizutreten? Jeder Schüler mit einer Meinung abseits des linken „Ideals“ begegnet in seiner Schulzeit immer wieder Ablehnung. Auch im Sozialkunde-Unterricht muss jedes Wort genau ausgewählt werden. Als ein Schüler meiner Klasse fragte, warum der arbeitenden Bevölkerung ihr erwirtschaftetes Geld in Form von sehr hohen Steuern wieder weggenommen werden soll, erklärte ihm unsere Lehrerin, dass er egoistisch sei und wie wichtig es sei, sich für die Allgemeinheit einzusetzen. Einerseits hatte sie recht, andererseits sind fast 50 Prozent Steuern auf das erwirtschaftete Geld einer Bürgers eine Menge.

Es ist schade, dass in der Schule häufig keine Diskussionen zustande kommen und Argumente nicht anerkannt werden.  Kontroverse Themen wie die Nutzung von Erdöl zu diskutieren, hätte uns inhaltlich weiter gebracht, als die Abweisung der Lehrkraft. Sollte man den Schülern nicht die Möglichkeit geben, zu lernen, für ihre Ansichten einzustehen?


In Deutschland herrscht ein literarischer Kulturkampf!

Von Jonas Kürsch | Vor nicht allzu langer Zeit war Deutschland noch gemeinhin als „Land der Dichter und Denker“ bekannt. Nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass kaum ein anderes Land die Weltliteratur mit geistreichen Persönlichkeiten wie Immanuel Kant, Johann Wolfgang von Goethe oder Friedrich Nietzsche so sehr geprägt hat wie unseres. 

Heutzutage wirkt es so, als habe sich dieses Credo gewandelt. Das Gros der deutschen „Pop-Literaten“ setzt sich nicht mehr mit den entscheidenden politischen und philosophischen Sinnfragen unserer Zeit auseinander. Der radikale Abbau der Meinungsfreiheit, das schleichende Aussterben liberaler Grundwerte innerhalb Europas oder die voranschreitende Unzufriedenheit der Bürger in einem überpolitisierten Staatsgefüge: wichtige Kernfragen werden im Antlitz der woken Trivialliteratur um narzisstische Mitleidsorgien und elitäre Identitätsdebatten auf unverzeihliche Art und Weise vernachlässigt. Jedoch gibt es in Anbetracht der vielen falschen Propheten in diesem größenwahnsinnigen Kulturkampf auch noch Lichtblicke, die auf eine bessere Zukunft hoffen lassen. 

„Von der Pflicht“ heißt das jüngste Schriftwerk von Richard David Precht, dem medialen Aushängeschild des deutschen Feuilletons. Wer in das Buch hineinliest, wird schnell feststellen, dass die scheinliberale Fassade seiner Philosophie überaus bröckelig ist: kantische Ideale wie Autonomie und bürgerlicher Emanzipation werden dämonisiert, unterwürfige Staatstreue hingegen wird zum absoluten Ideal verklärt. Ein gefundenes Fressen für diejenigen, denen Grundrechtseinschränkungen und staatliche Monopolisierung gar nicht weit genug gehen könnten. Was Precht hier als Vernunft und Freiheit anpreist, ist ein gefährlicher Appel an die ohnehin schon in den letzten Jahren erstarkten, antiindividualistischen Geistesströmungen unserer Zeit. 

Ein freiheitliches Gegengewicht zu Precht bildet die Philosophin Thea Dorn, die sich in ihrem ebenfalls 2021 erschienenem Roman „Trost – Briefe an Max“ für rationale Selbstverantwortung und die klassisch liberalen Grundwerten ausspricht. Intelligent und pointiert setzt Dorn sich dabei mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Leben ihrer Opfer, auf die Gesellschaft und auf unsere Demokratie auseinander. Die Hauptfigur der Johanna verliert neben ihrer geliebten Mutter auch ihre unantastbar geglaubten Grundrechte an das Virus: der Zwiespalt aus Todesangst und Freiheitssehnsucht droht sie zu zerreißen. Mit großer Leidenschaft zeichnet Dorn ein Bild gegen totalitäre Strömungen aller Arten und bekennt sich auf mutige Art und Weise zu den Freiheitsgedanken unseres Grundgesetzes. Obgleich Thea Dorns Roman ein ausgewogenes und kluges Plädoyer gegen den totalen Sicherheitsstaat darstellt, findet Dorn (außerhalb des von ihr moderierten literarischen Quartetts) nur wenig Gehör. Precht hingegen hat sich zum staatsidealistischen Dauerprediger in Talkshows hochstilisiert und vereinnahmt somit beinahe im Alleingang die Stimme des deutschen Bildungsbürgers. 

Und während in der Philosophie der alte Streit zwischen staatstreuer Gefügigkeit und liberaler Unabhängigkeit ausgefochten wird, tobt in der deutschen Unterhaltungsliteratur ein vielleicht noch wichtigeres Gefecht: der Kampf gegen die inhaltliche Bedeutungslosigkeit. Ein Paradebeispiel der thematischen Belanglosigkeit in zeitgenössischen Literaturwerken stellen die Essays des im Jahre 2020 veröffentlichten Sammelbandes „Alle sind so ernst geworden“ von Benjamin von Stuckrad-Barre und Martin Suter dar. Mit pseudointellektueller Dekadenz und einem hanebüchenem Geschwätz schwadronieren die Autoren über völlig stumpfsinnige Themen wie „Badehosen, Glitzer“ und die Interjektion „Äähm“ – selbst die Dadaisten um Hugo Ball hätten sich für dieses Maß an Sinnlosigkeit in Grund und Boden geschämt! 

Der Belletristik alle Ehre macht hingegen die wohl berühmteste Verfassungsrichterin Deutschlands: die Sozialdemokratin Juli Zeh. Sie betrachtet in ihrem jüngsten Roman „Über Menschen“ die kritische Entwicklung unserer freien Gesellschaft in einen ideologischen Maschinenkomplex. Die Protagonistin Dora fühlt sich vom radikalen Moralismus des urbanen Milieus überfordert und flüchtet aufs Land – wo sie sich ausgerechnet mit dem Dorfnazi anfreundet. In einem humanistischen Plädoyer setzt sich Zeh für eine tolerantere und offenere Gesellschaft ein, in der gegenseitiger Respekt und die menschliche Fehlbarkeit des Einzelnen wieder zu zentralen Bestandteilen des gemeinsamen Lebens werden. Vor allem aber beweist Zeh mit diesem großartigen Roman, dass die deutsche Belletristik nicht zur seichten Irrelevanz verdammt ist, sondern auch heute noch dazu in der Lage sein kann, wichtige Akzente in der zeitgenössischen Debatte zu setzen. 

Die deutschen Vertreter des Linksilliberalismus haben die Literatur in vielerlei Hinsicht zu einem antiintellektuellen und künstlerisch beliebigen Werkzeug gemacht, das nur im Rahmen von dekadenten Anmaßungen und rechthaberischen Parolen auf Kernfragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens eingeht. Das heißt allerdings noch lange nicht, dass die „Dichter und Denker“ in Deutschland vollkommen ausgestorben sind. Es gibt diverse Schriftsteller, denen die Ideologisierung und Fetischisierung der Literatur großes Unbehagen bereitet und die bereit sind gegen die woke Leere mit freiheitlichen Überzeugungen anzustehen. 

 


Weihnachten – Apollo Edition 7/2021

Liebe Leser,

letztes Jahr stellte Oberpfarrerin Margot Käßmann noch fest, es gäbe „kein Recht auf das Weihnachtsfest“. Dieses Jahr wird das konsequent umgesetzt. Verordnungen regeln minutiös wie man und vor allem mit wem man Heilig Abend verbringen dürfen soll, Politiker meinen kluge Empfehlungen abgeben zu müssen; in öffentlich-rechtlichen Talkshows wird stolz erzählt, dass man Ungeimpfte nicht einladen solle – ohnehin sei hier „jeder Kontakt“ gefährlich. Malu Dreyer findet sogar, Ungeimpfte dürften gar nicht mehr Weihnachten feiern.
Nur zwei Ungeimpfte aus einem anderen Hausstand dürfen unterm Tannenbaum dabei sein. Man will sich also absichern, sollten Maria und Josef wieder durch die Städte irren.

Wer so redet und solche Maßnahmen beschließen will, hat von Weihnachten keine Ahnung (von liberaler Demokratie natürlich auch nicht). Weihnachten kann man weder verbieten, noch verhindern noch zerstören – das wusste selbst der Grinch! Und Weihnachten ist auch nicht aus der Zeit gefallen – daran ändert auch der Terror nichts und woke Verbotsliebhaber und pandemische Moraltanker schon gar nicht.

Wir brauchen kein Recht auf Weihnachten, wir holen es uns einfach. Die Hand des Staates endet da, wo der Gänsebraten-Duft beginnt.
Und wenn Rudolf eine Karotte haben darf, dann kriegt er sie, egal ob er mit seiner roten Nase Corona-Verdachtsfall ist oder nicht.

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Elisa David

Chefredakteurin
unverbietbar

5 Jahre danach

Zeichnungen von Elisa David. © Apollo News

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Warum 10 Jahre Teilnahme am Krippenspiel mindestens 11 zu viel sind

Von Jonas Aston | „Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser August… – Martin, Felix könnt ihr bitte aufhören in der Kirche Fußball zu spielen!“ Es war mal wieder eine Krippenspielprobe zum Verzweifeln. Niemand konnte seinen Text, die Technik funktionierte nicht und die Weihnachtsdeko war gerade Martins Fußball zum Opfer gefallen. Ich fragte mich, warum ich mir das Ganze schon wieder angetan hatte.

Alles begann Ende November. Ich kam gerade von der Schule nach Hause und machte noch einen kleinen Umweg zum Briefkasten. Ich ahnte nicht, dass dies der Beginn meines ganz persönlichen Gangs nach Canossa sein sollte. Darin fand ich den Text für das Krippenspiel und einen Zettel, in dem Uhrzeit und Datum der Proben angekündigt wurden. Einen Freund von mir, der im selben Ort wohnt, erwartete das gleiche Schicksal. Wir waren inzwischen 18 Jahre alt und hatten uns – wie jedes Jahr – geschworen nie wieder an dem Krippenspiel teilzunehmen. Alleinverantwortlich für den ersten Ausfall des Krippenspiels seit wahrscheinlich mehreren Jahrhunderten wollten wir aber auch nicht sein. Außerdem hatten wir eine nicht ganz unbegründete Angst mit Mistgabeln aus dem Dorf gehetzt zu werden. Also gaben wir uns – wie jedes Jahr – einen Ruck und sagten zu.

Da standen wir nun mal wieder inmitten einer bunt zusammengewürfelten Truppe in der Kirche. Letztlich konnten drei Gruppen ausgemacht werden. Einmal wären da die Kinder. Darunter waren meine zwei Geschwister und die beiden Randalierer. Außerdem ist die Gruppe der Ü50-jährigen zu nennen. Irgendwann in ihrer Kindheit wurden sie von ihren Eltern verdonnert an dem Krippenspiel teilzunehmen. Aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung haben sie den Absprung bis heute nicht geschafft. Und dann wäre da noch mein Freund und ich. Uns steht der Weg der Ü50-jährigen noch bevor.

In meiner über ein Jahrzehnt andauernden Krippenspielkarriere habe ich inzwischen jede erdenkliche Rolle gespielt. Mir wurden unter anderem die Rollen Hirte, König und Wirt zugeteilt. In den letzten Jahren bin ich in der Hierarchie so weit aufgestiegen, dass ich mir meine Rollen zumindest selbst aussuchen kann. Ich bevorzuge Rollen im Sitzen. Erstens ist es bequemer und zweitens muss ich dann keine Texte auswendig lernen, da dieser auf dem Tisch vor mir liegt. Vor drei Jahren war es sogar noch einfacher. Bei diesem Krippenspiel war ich der Enkel. Ich hatte partout keine Lust auf Weihnachten und wollte mich lieber mit meinem Laptop beschäftigen. Meine Großmutter wollte mich vom „Geist der heiligen Weihnacht“ überzeugen und war gleichzeitig die Erzählerin der Geschichte. Unnötig zu erwähnen, dass ich meinen Text vom Laptop abgelesen habe.

Das beste an den Krippenspielproben war immer ihr Ende. Dann gab es nämlich Plätzchen und Glühwein. Die pure Verzweiflung darüber, dass auch nach zahlreichen Proben nichts funktionierte und Heiligabend immer näher rückte, konnte in Alkohol ertränkt werden. Doch jeder wusste: nach der Krippenspielprobe ist vor der Krippenspielprobe.

Dieses und letztes Jahr gab es kein Krippenspiel. Eigentlich wäre das ein Grund zur Freude. Doch Weihnachten ohne Kirche und ohne Krippenspiel ist irgendwie nicht dasselbe. Trotzdem sollte es irgendwann wieder ein Krippenspiel geben, bin ich auf gar keinen Fall mehr dabei! Dieses Mal wirklich…ganz bestimmt nicht…


Ein Liebesbrief an die Weihnachtstraditionen

Von Gesche Javelin | Die Nächte werden länger und in den Häusern leuchtet die erste Kerze des Adventskranzes. Ich erwarte freudig den ersten Dezember, um das Türchen Nummer eins des Adventskalenders öffnen zu können. Das Haus wird geschmückt und der Weihnachtsbaum aufgestellt. Ich hetze durch die Läden, um die letzten Geschenke einzukaufen. Die Vorfreude liegt überall in der Luft. Dann endlich ist Heiligabend da. Die Kirchen sind bis unter den Glockenturm gefüllt. Kurze Zeit später sitzt die ganze Familie lachend und quasselnd vor dem herrlich duftenden Weihnachtsessen. Leuchtende Augen schielen immer wieder auf die Geschenke unter dem Baum.

Ich liebe das Knistern, das Glitzern, das Leuchten, die Vorfreude in der Weihnachtszeit. Ich genieße, die Zeit mit der Familie. Die Liebe und Fröhlichkeit, die überall zu spüren ist, und nicht zuletzt das Essen und die Geschenke. Auch der alljährliche Gang in die Kirche, der sich immer gefühlt ewig hingezogen hat, weil ich es gar nicht erwarten konnte, endlich die Geschenke auspacken zu können, gehört für mich dazu. Traditionen, die dieser besonderen Zeit ihren Zauber geben. Was wäre Weihnachten schon ohne Traditionen?

Jedes Land hat seine eigenen Traditionen und jede Tradition hat ihre eigene kleine GeschichteDie Venezolaner laufen mit Rollschuhen zu der Weihnachtsmesse. In der Ukraine werden die Weihnachtsbäume mit Spinnweben dekoriert. Deiner Legende nach konnte eine arme Frau sich keinen Baumschmuck leisten. Als sie am nächsten Tag aufwachte, war ihr Baum mit Spinnweben umhüllt und glitzerte im Sonnenlicht. Auch in den USA schmückt man seinen Tannenbaum gerne mit einem ungewöhnlichen Ornament. Wenn man genau hinsieht, erkennt man eine Weihnachtskugel in Form einer Essiggurke in vielen Weihnachtsbäumen. Wenn du das Glück hast, die Essiggurke als Erster zu entdecken, bekommst du vielleicht ein extra Geschenk 

Die Spanier hoffen an Weihnachten auch auf eine Portion extra Glück. Die spanische Nationallotterie gibt zu dieser Zeit die größte Geldsumme des Jahres aus. Die frohe Botschaft – die Lottozahlen – wird von 22 Kindern singend verkündet. Das slowakische Glück wird vom Pudding abgelesen. Das ältesten Familienmitglied wirft einen Löffel voll mit Pudding an die Decke. Je mehr Pudding kleben bleibt, desto mehr Glück wird die Familie haben. Endlich mal mit Essen um sich schmeißen, ohne Ärger zu bekommen! Vielleicht sollte ich mir mal ein paar Falten aufmalen, mir die Haare weiß färben (ist ja sowieso in) und zu Weihnachten in die Slowakei gehen.

Während in Japan für das Weihnachtsessen um die letzten Plätze in der Fast-Food-Kette KFC gestritten wird – KFC hat bei den Japanern vor ungefähr 50 Jahren einen guten Start mit wahrscheinlich einer ihrer erfolgreichsten Werbekampagnen hingelegt, der bis heute anhält- , wird in Polen kein Fleisch, sondern nur Fisch aufgetischt. In Voraussicht – oder auch in Nachsicht – wird außerdem immer ein Platz zusätzlich am Tisch gedeckt, falls noch ein unerwarteter Gast kommen sollte. Dieser Brauch kommt von der Weihnachtsgeschichte, in der Maria und Joseph keine Unterkunft finden konnten.

Im hohen Norden, in Schweden, wird in Gedenken an die Legende der Lichterkönigin St. Lucia der Lucientag am 13. Dezember gefeiert. Die Heilige Lucia soll zu Zeiten der Christenverfolgung im antiken Rom Christen Essen in ihre Verstecke gebracht haben und dabei, um die Hände frei zu haben, einen Lichterkranz mit Kerzen auf dem Kopf getragen haben. Heute erfüllen weiß gekleidete Mädchen mit einem Lichterkranz auf dem Kopf das Land mit hellem Kerzenlicht. Begleitet werden sie von Jungen in weißen Hemden und einer spitzen Sternenmütze.

Schöne, lustige, komische und vor allem besondere Traditionen machen unsere Weihnachtszeit so wertvoll. Sie verbinden uns und machen uns einzigartig. Ich liebe die Unterschiedlichkeiten, die Besonderheiten. Ich liebe Weihnachten und ich liebe unsere Traditionen.


Weihnachten 2021: 3G, 2G, kein G in Kirchen – doch wo ist der Glaube geblieben?

Von Sarah Victoria | Weihnachten, das bedeutet für mich Tannenduft, ganz viel Essen und ein Spaziergang durch die Nachbarschaft auf dem Heimweg aus der Kirche. Viele Jahre saß ich mit meiner Familie erst im Familiengottesdienst, später in der Christmette unserer kleinen evangelischen Gemeinde. Dieser Besuch war mit meinen Eltern nicht verhandelbar, wobei ich sowieso nicht auf die Idee gekommen wäre, stattdessen zu Hause zu bleiben. Zum einen fand ich es schön, an Weihnachten ein bisschen religiösen Kontext herzustellen, sich zu besinnen und vielleicht bekannte Gesichter zu treffen. Außerdem war ich einige Jahre Mitglied der Jugendarbeit und damit an der Gestaltung des Familiengottesdienstes beteiligt. Und das heißt an Weihnachten natürlich nichts anderes als Teil des Krippenspiels zu sein.

Zwecks Personalmangel wurde das schauspielerische Resümee schnell gefüllt, vom Hirten über die heiligen drei Könige (damals schon geschlechtsneutral interpretiert), von klassischer und moderner Inszenierung, mit und ohne Gesangseinlagen, war alles dabei. Irgendwann fand diese Karriere ihr Ende, aber die Tradition des Kirchenbesuchs blieb. Die kleine evangelische Kirche platzte dabei immer aus allen Nähten, es wurden bis zuletzt so viele Stühle wie möglich rein getragen, dazu aufgerufen, sich noch etwas enger an den hustenden Sitznachbarn zu kuscheln und wenn wirklich alles voll war, wurden die letzten Besucher noch mit auf die Orgelbank gequetscht. Niemandem wäre es in den Sinn gekommen, an diesem Tag Stühle abzuzählen, Leute vor der Tür stehen zu lassen oder gar Teilnehmerlisten zu führen. Gerade letztere werden in einer bayerischen Kleinstadt sowieso mündlich geführt.

Diese Zeiten erscheinen gerade so fremd, obwohl sie erst ein paar Jahre zurückliegen. Der Weihnachtsgottesdienst wird auch dieses Jahr wieder stattfinden. Doch dieses Jahr muss man, so wie letztes Jahr, erst bei der Gemeinde anrufen, um einen Platz zu reservieren. Es gibt kein Krippenspiel, keinen Kinderchor, kein gemeinsames Singen. Dafür Maske, Abstand und einen Spender Desinfektionsmittel am Eingang. Das schon fast obligatorische Duo für einen Gottesdienst, der mit Reizhusten geplagte ältere Herr und das unglückliche Neugeborene, werden dieses Jahr vermutlich nicht anwesend sein. Zu groß das Risiko, sich mit einem Virus anzustecken, oder gar in den Verdacht zu geraten, nicht gesund, also unsolidarisch, zu sein. Und unsolidarisches Verhalten wird weder von der evangelischen, noch von der katholischen Kirche toleriert.

Das Problem ist nur, dass jeder den Begriff Solidarität anders interpretiert. Die einen lassen sich aus Solidarität impfen, die anderen aus Solidarität testen und manche sogar beides. Als Glaubensgemeinschaft verbunden durch den gemeinsamen Glauben, geteilte Werte oder wenigstens die goldene Regel – dachte ich immer. Doch dann folgten bereits Einschnitte ins Gemeindeleben. Immer mehr Kirchgemeinden entschieden sich, erst die 3G und mittlerweile die 2G-Regel in Pfarrheimen und Gemeindehäusern einzuführen. Teilweise, weil es die Infektionsschutzverordnung oder der „Ampelstand“ so vorsah, teilweise aber auch aus Überzeugung oder Bequemlichkeit. In unserer Stadt entschied sich etwa die katholische Kirche für die 2G-Regel in ihrem Pfarrheim.

Was zur Folge hat, dass Ehrenamtler, die bis vor kurzem noch Gottesdienste geplant, die Jugendarbeit gestaltet oder sich sozial engagiert haben, nicht mehr im Pfarrheim erwünscht sind, sollten sie nicht vollständig geimpft oder genesen sein. Wer weiß, wie lange es noch dauert, bis an der Kirchentür ein großes „2G“ hängt und verkündet, dass nur noch solidarische Gläubige das Gotteshaus betreten dürfen. Der Rest darf dann draußen beten, während innen von genau dem Kind erzählt wird, das in einem Stall geboren wurde, weil die Eltern von allen Herbergen abgewiesen wurden. Soviel Ironie kann man sich kaum ausdenken.

Statt empört, oder zumindest lautstark besorgt, über die Einschränkung der Religionsfreiheit zu sein, freut sich die Amtskirche über die Selbstverständlichkeit, Gottesdienste ohne G-Regeln veranstalten zu dürfen. Und während die meisten Gemeinden dieses, von der Bundesregierung gnädigerweise erteilte, Privileg annehmen und auf eine Hygienekontrolle am Eingang verzichten, entscheiden sich andere Kirchenvorstände für die Einführung der 2G-Regel in ihren Gotteshäusern, manche mit dem Zugeständnis, dass sie über die Weihnachtsfeiertage immerhin einen Gottesdienst für Getestete anbieten.

Der Landesbischof der ELKB, Heinrich Bedford-Strohm, entschuldigt sich ausdrücklich für diese anmaßende Freiheit der Kirchen und betont, dass die Gottesdienste im Rahmen staatlicher Vorgaben mit Anmeldungen und Abstand stattfinden. „Im Lichte dieser bewährten Schutzmaßnahmen ist das Feiern dieser Gottesdienste auch zu verantworten“, heißt es in seiner Stellungnahme. Diese findet sich auf der Internetseite der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayerns (ELKB), auf der das RKI und bayerische Gesundheitsministerium bald öfter zitiert werden als die Bibel. Seit ein paar Monaten unterstützt die evangelische Landeskirche auch die Impfkampagne der Bundesregierung mit dem Slogan „Corona-Impfung? Na klar!“, verteilt Buttons und lässt Kirchen zu Impfzentren werden. Die Kirche und der Staat verschmelzen gefühlt immer mehr zu einer Einheit, was gerade für die evangelische Kirche, die Luther sogar im Namen führt, bedenklich ist (Stichwort: Zwei-Reiche-Lehre).  

Die Kirche entfernt sich durch diese enge Verknüpfung mit der Politik Schritt für Schritt von ihrem Dasein als Wächter, greift in Sphären ein, die eigentlich dem Weltlichen überlassen sein sollten. Sowohl die evangelische, als auch die katholische Kirche, setzen bei ihrer Planung der Weihnachtsgottesdienste auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirchengemeinden. Den Gemeinden ist es grundsätzlich erlaubt, Gottesdienste zu feiern, ob mit G-Regeln oder ohne ist ihnen allerdings freigestellt. Dieses Prinzip, das sich bei der evangelischen Kirche auch historisch bewährt hat, möchte ich gar nicht kritisieren. Kirchengemeinden sollten das Recht haben, Entscheidungen über ihre Gottesdienste zu treffen. Mich stört eher die Beeinflussung dieser Entscheidungen durch politische Narrative, die im Gegensatz zu theologischen Inhalten stehen. Denn solche Narrative sollten, gerade von einer evangelischen Amtskirche, immer hinterfragt werden. Und ich habe den Eindruck, dass der gesellschaftliche, von Angst geprägte Grundtenor immer mehr in die theologische Arbeit übergreift.

Dabei sollten doch gerade Kirchen Orte der Begegnung sein, ihre Vorstände Verteidiger eines religiösen Menschenbildes, das sich gegen den materialistischen Zeitgeist wendet, das Spaltungen kritisiert und alles daran setzt, Brücken zwischen Menschen zu schaffen. Und welche Geschichte eignet sich mehr für die Übermittlung dieser Botschaft als die Weihnachtsgeschichte?  Ich weiß ja nicht, was sich Matthäus und Lukas beim Verfassen der Weihnachtsgeschichte gedacht haben, aus meiner Zeit als Krippenspiel-Darstellerin ist mir aber vor allem eine Botschaft hängen geblieben, die genau drei Wörter enthält und brandaktuell ist: Fürchtet euch nicht! Ob geimpft, genesen, getestet, für Kirchen sollte eigentlich nur ein G zählen – und das ist der Glaube.


Weihnachten in Kreuzberg – oder: heute ist nur noch das Koks weiß

Von Pauline Schwarz | Wenn das Corona-Virus gerade nicht dafür sorgen würde, dass wir uns gegenseitig die Köpfe einschlagen, Tobsuchtsanfälle bekommen und uns über unseren Impfstatus zerstreiten, wäre jetzt vor allem eines: die Vorweihnachtszeit. Dann würde es darum gehen, wo dieses Jahr die Familienfeier stattfindet, wer die schönste Weihnachtsgans macht und wo man noch schnell ein 08/15 Geschenk für die Tante dritten Grades bekommt, die man eigentlich sowieso nie leiden konnte. Die Gedanken wären ganz bei Glühwein, Leberpasteten, Schlittenbahnen, Weihnachtsbäumen und vielleicht noch bei Winterreifen und Frostschutzmittel – nicht bei Inzidenzzahlen, Zwangsimpfung und Testknappheit. Gerade Kinder sollten jetzt doch vor allem an den Weihnachtsmann und ihr nächstes Schnee-Abenteuer denken können. Für mich gab es früher jedenfalls nichts Tolleres als Rodeln, Schneemännerbauen, Weihnachtsengelformen und das ungeduldige Warten auf die heiß ersehnten Geschenke. Selbst in Berlins berühmt berüchtigten Bezirk Kreuzberg gab es mal eine Zeit, in der man die frostige Winterzeit und Weihnachten nahezu genießen konnte. Damals war allerdings alles noch ein bisschen anders als heute.

Als Kind habe ich den Winter geliebt. Sobald der erste Schnee fiel, sauste ich raus in den Hof und lief so lange barfuß durch die weißen Flocken, bis mich meine Mutter wieder einfangen konnte und in einen kleinen Schneeanzug oder zumindest eine Schneehose stopfte. Ich war im Gegensatz zu heute nicht besonders kälteempfindlich und mochte die dicken unbeweglichen Hosen nicht – ließ mich nach anfänglichem Meckern aber trotzdem gerne in ein kleines Michelin-Männchen verwandeln. Weil ich genau wusste, was als nächstes kam: Ab in den Keller und hoch mit dem geliebten alten Holz-Schlitten! Ich weiß noch, wie meine Schwester und ich mit Liebe die Kufen geschliffen und eingefettet haben, damit wir ja die schnellsten auf der Rodelbahn sind – naja, und um unser tägliches Vorankommen zu sichern. Sobald genug Schnee lag, bewegte ich mich freiwillig nämlich keine fünf Meter mehr zu Fuß. Meine arme Mutter musste uns überall auf dem Schlitten hinziehen. Zum Auto, zum Einkaufen, zur Schule und zur nächsten Rodelstrecke. Und da gab es für mich als Kind eigentlich nur eine einzig wahre in Berlin: Die große Kuhle im Görlitzer Park. Die meisten werden es mir wohl kaum glauben, aber damals gab es noch keinen einzigen afrikanischen Drogendealer weit und breit.

Zu dieser Zeit war es im Görli sogar richtig schön: der weiße Schnee bedeckte Hundehäufchen und Abfall, als hätten sie nie existiert. Alles wirkte sauber, sicher und friedlich – zumindest, wenn nicht gerade die traditionelle Schneeballschlacht zwischen Kreuzberg und Neukölln durch den Park tobte. Da ging´´‘s immer heiß her – für einen kleinen Möpp wie mich, war das noch nichts. Ich jagte in meinem Schlitten lieber den ganzen Tag schreiend und quietschend den kleinen Abhang hinunter, nur um Sekunden später mit pochendem Herz und keuchendem Atem wieder heraufzukrabbeln. Kurz vor Weihnachten war der Görlitzer Park ein echtes Winter-Wunder-Land für uns Mini-Kreuzberger – eine Erinnerung, die mir heute richtig surreal erscheint. Da, wo früher Kinder durch den Schnee tobten und Schneemänner bauten, denen sie Karotten als Nasen und kleine Steine für Mund und Augen ansteckten, stehen heute überall Drogendealer – die keine Hemmung haben, selbst Zehnjährigen Kokain anzubieten. Auf den Spielplätzen liegt Spritzenbesteck und Alufolie. Familien sieht man nur noch sehr vereinzelt. Dasselbe Bild zeigt sich auch um den Park, etwa am Spreewaldplatz.

Seit ich denken kann werden vor der Schwimmhalle jedes Jahr Nordmann-Tannen verkauft – dieses Jahr, habe ich zum ersten Mal gesehen, dass der Baumverkäufer Werbung machen musste. Das hat er früher nie nötig gehabt. Wir haben unseren Weihnachtsbaum, wie jeder andere, immer am Spreewaldplatz gekauft. Jeden Tag herrschte Trubel – heute sieht man kaum jemanden die Bäume begutachten, an den Zweigen rütteln oder um den Preis feilschen. Aber das ist auch kein Wunder, wenn zehn Meter weiter die ersten Drogendealer auf Kundenfang gehen und vorbeieilende Familien anzischen. Jeder, der noch etwas bei Verstand ist, meidet die Ecke großflächig – vor allem wenn man kleine Kinder hat. Für mich war es mit den Nordmann-Tannen aber schon vorbei, bevor die ersten ominösen Gestalten den Platz belagerten. Die Tannen wurden irgendwann einfach zu teuer, der Verkäufer war so verwöhnt mit Kunden, dass er wahre Wucherpreise verlangte. Davon kann er heute wahrscheinlich nur träumen. Die Kreuzberger machen es den Dealern sei Dank wohl so, wie wir damals: Ab ins Auto, auf zum Baumverkauf am Ostbahnhof.

Mit unserem kleinen, roten Auto zu fahren, war im Winter immer ein Abenteuer. Man wusste nie genau, ob „Rudi Rotnase“ genug Kraft aufbringen konnte, um seinen Motor auch bei Minusgraden in Fahrt zu bringen. Und selbst wenn er ansprang, musste man erstmal irgendwie aus der verschneiten Parklücke rauskommen. Das konnte ein echtes Problem werden, wenn die Räumfahrzeuge mal wieder regelrechte Mauern vor den Autos aufgebäumt hatten. Dann mussten schonmal ein paar kräftige Männer von der Straße zum Schieben rekrutiert werden – und im schlimmsten Fall half selbst das nichts. Ich bin mehr als einmal zu spät zur Schule gekommen, weil wir uns allen Mühen zum Trotz nicht vom Fleck bewegen konnten. Kam der alte Rudi tatsächlich in Bewegung, war der Spaß aber noch nicht vorbei. Einmal war es so kalt, dass die Türen über Nacht eingefroren waren und, nachdem wir sie mit Gewalt auf und wieder zu gemacht hatten, bei voller Fahrt mitten auf der Straße plötzlich aufsprangen. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich panisch versucht habe, die Tür neben mir wieder einzufangen, während meine Mutter am Steuer wahrscheinlich fast einen Herzinfarkt erlitt. In den Tagen danach mussten wir die Hintertüren immer mit einem Fahrrad-Spanngummi sichern, das von einer zur anderen Seite reichte – Impro auf Kreuzberger Art. Ich saß in der Mitte und hielt die selbstgebastelte Konstruktion fest. Das war vielleicht ein „ganz kleines bisschen“ gefährlich, aber ich fand’s mit meinen neun Jahren ziemlich lustig.

Am aller spannendsten war aber natürlich der Weihnachtsabend – da kam keine Schneeballschlacht, keine noch so wilde Schlittenfahrt und auch kein Abenteuer mit Rudi ran. Bevor wir am Abend unsere Geschenke bekamen, wurden meine ungeduldigen, kindlichen Nerven immer auf die Probe gestellt. Nachdem wir diverse Spiele und das Weihnachtsessen hinter uns hatten, war es immer noch nicht so weit. Meine Schwester und ich mussten immer erst etwas Kleines leisten, bevor wir etwas bekamen – meine Schwester sang meistens ein paar Lieder vor, während ich „Ihr Kinderlein kommet“ auf der Blockflöte performte. Und dann war es endlich dunkel. Wir mussten auf unser Zimmer und solange warten, bis wir die Weihnachtsglocke hörten, die „der Weihnachtsmann“ immer läutete, bevor er mit seinem Schlitten weiter zu den nächsten Kindern zog – eine nette Geschichte, aber ich wusste natürlich, dass in echt meine Mutter klingelte. Doch völlig Wurscht. Ich flitzte ins Wohnzimmer und bestaunte meine Geschenke unter unserem hübsch geschmückten Baum. Ich wütete immer wie ein kleiner Berserker, während meine Schwester mit Engelsgeduld ganz vorsichtig jedes Geschenk öffnete – und mich damit zur Weißglut trieb.

Weihnachten war bei uns immer mit einigen Streitigkeiten und Stress verbunden, insgesamt freute ich mich aber und genoss die ganze Vorweihnachtszeit – zu Hause, im Schnee und in der Schule. Auch meine Grundschule war nämlich trotz Multi-Kulti-Indoktrination zu dieser Zeit in voller Weihnachtsstimmung. Das ging aber wahrscheinlich nur, weil fast alle meine türkischen Klassenkameraden auch Weihnachten feierten – nicht, weil sie so super toll integriert waren oder sich an die christlichen Werte anpassen wollten, sondern weil sie die Festlichkeit einfach schön fanden und die Kinder unbedingt auch Geschenke haben wollte. Das waren noch Zeiten – Weihnachtsstimmung, keine Dealer, kein Corona. Heute bin ich froh, wenn ich über Weihnachten aus Kreuzberg, und auch generell aus dem ganzen Wahnsinn in Deutschland, wegkomme. Ich liege lieber tausende Kilometer entfernt am Strand und lass mir die Sonne auf den Pelz scheinen – ein kleines Geschenk und gutes Essen gibt’s am Weihnachtsabend trotzdem.


Schulferien in Berlin: Weltfrauentag, statt traditionelle Weihnachtsferien

Von Jerome Wnuk | Für junge Menschen ist das Leben aktuell hart. Das Corona-Virus und die daraus resultierenden Maßnahmen schränken zum erneuten Male das öffentliche Leben enorm ein. Man kann nicht raus, ohne immer an Maske, Impf-/ oder Testnachweis zu denken, überall gilt 2G und andauernd wird man von Warnungen vor der Infektionsgefahr beschallt. Bestimmte Dinge, wie über den Weihnachtsmarkt schlendern oder nach Weihnachtsgeschenken gucken, machen daher meistens nur halb so viel Spaß wie früher. Clubs, Fußballstadien oder andere Veranstaltungen wie Festivals oder Konzerte, die im Sommer für ganz kurze Zeit wieder möglich und offen waren, sind inzwischen wieder geschlossen oder abgesagt.

Zudem kommt hinzu, dass bei vielen ein alljährlicher Winter-Blues einsetzt. Es wird früh schon nachmittags dunkel, morgens ist es, wenn man zur Schule oder zur Uni fährt, immer noch dunkel und das Wetter lädt nicht ein, um sich in den Park zu setzen oder im Kiez zu flanieren. Aktivitäten wie draußen mit Freunden die Zeit verbringen oder Sport betreiben, fallen aktuell entweder wegen den Corona-Maßnahmen oder dem winterlichen Wetter weg oder werden seltener. Da bleibt einem oft nur übrig, es sich zu Hause gemütlich zu machen und den Winter auszusitzen, wenn man kann.

Doch auch wenn diese Winterphase hart ist, so hat sie auch nicht nur schlechte Seiten. Denn desto kälter und ungemütlicher es draußen wird, umso mehr freut man sich dafür auf die Weihnachtszeit. Zumindest geht es mir so. Denn, wenn der Alltag ab und an eintönig wirkt, dann sorgt Weihnachten für Vorfreude.  In diesem Jahr herrscht bei vielen schon eine Art Sehnsucht nach den Weihnachtstagen und dem Jahreswechsel, um mal wieder ein bisschen Ruhe zu finden und zumindest an den Festtagen, mal von Corona und Schulstress abgelenkt zu sein.

Vor allem als Schüler freut man sich ganz besonders auf die Weihnachtstage. Der Beginn der Weihnachtsferien markiert das Ende der anstrengenden Klausurenphase und die Freude, mal wieder auszuschlafen und zu entspannen, macht sich breit. Weihnachten verbindet man deswegen auch immer mit dem Gefühl herunterzukommen und den ab und an eintönig wirkenden Alltag abzuschütteln. Dieses Herunterkommen hat immer schon mit Beginn der Weihnachtsferien begonnen.

In den elf Jahren Schulzeit, die ich bisher erlebt habe, war dieser erste Ferientag meistens um den 21. Dezember herum, mal auch schon am 19. Dezember, immer aber schon ein paar Tage vor Weihnachten. Das kam einem unveränderbar vor. Dieses Datum als Ferienbeginn hatte den Vorteil, dass man am Weihnachtsabend nach drei bis vier freien Tagen, die man im Vorhinein schon hatte, schon wirklich entspannt war und den Weihnachtsabend, ohne noch den Stress der Schule im Kopf zu haben, genießen konnte. Dieses Jahr sollte es aber zum ersten Mal anders sein. In vielen Bundesländern, darunter auch Berlin, beginnen die Schulferien dieses Jahr erst am 23. Dezember, da Weihnachten ungünstiger Weise an einem Freitag liegt.

Ein Tag vor Weihnachten noch in der Schule? Für viele Schüler wie mich eine befremdliche Vorstellung. Man kann sich natürlich streiten, inwiefern der Unterricht einen Tag vor Weihnachten generell überhaupt Sinn ergibt, wenn sowohl Schüler als auch Lehrer schon in Gedanken beim nächsten Tag sind. So wie man letzte Schultage kennt, wird die Motivation bei allen Beteiligten nicht sonderlich groß sein. Aber darum geht es mir gar nicht. Für mich gehörten die freien Tage vor Weihnachten schon irgendwie zu Weihnachten dazu. Nun fallen diese Tage aus. Jegliche Weihnachtsvorfreude wird jetzt erstmal verpuffen, wenn man an diesen Tagen noch zur Schule geht. Wie soll auch im Matheunterricht beim Thema Vektoren irgendwie eine Weihnachtsstimmung aufkommen?

Wirklich bedauerlich, dass man den Schülern diese Vorfreude nimmt. Natürlich – man sollte nach den Schulschließungen zu Beginn des Jahres nun jeden Tag möglichst gut nutzen, um den Stoff wiederaufzuholen. Das kann ich gut nachvollziehen, gerade auf Grund der Tatsache, dass ich eigentlich sehr gerne zur Schule gehe. Aber, dass man genau hier diese Tage von den Ferien wegnimmt, nimmt mir auch einen großen Teil von Weihnachten. Weihnachten bedeutet nicht nur Geschenke an Heiligabend. Es bedeutet Vorfreude, Spannung, Heimlichkeit. Lieber gebe ich dafür die sowieso unnötigen Winterferien im Januar oder die ganzen Feiertage, die sich der Berliner Senat aktuell ausdenkt, ab, als auf diese Tage zu verzichten.

Immerhin haben jetzt schon einige Schulen schulintern beschlossen, die Ferien ein wenig vorzuziehen und den Schulbetrieb am 23. ausfallen zu lassen. So bleibt wenigstens ein bisschen Weihnachtsfreude und Zeit für Entspannung. Aber einige Schüler werden am 23. Dezember zur Schule gehen müssen. Denen nimmt man ein Stück der Weihnachtsvorfreude weg. Und klar, das klingt nicht wie eine Riesensache, schließlich werden wir später einmal an Heiligabend arbeiten müssen. Vor zehn Jahren wäre das vielleicht auch noch nicht so skandalös gewesen, doch wir reden hier von der Regierung von Berlin.

Weihnachten ist das wichtigste Fest für die meisten Deutschen und vielleicht auch auf der ganzen Welt. Es ist ein christlich geprägtes Fest in der Familie, bei dem Zusammenhalt und Besinnlichkeit im Mittelpunkt stehen. Dass ausgerechnet an den Weihnachtsferien herumgepfuscht wird, ist da wohl kaum ein Zufall. Sondern erscheint wie eine bewusstes Wirken gegen die Weihnachtstradition. Diejenigen, die in Berlin zur Schule gehen, können sich dann wenigstens mit dem freien Tag am 8. März trösten. Da ist nämlich Weltfrauentag. Berliner Schüler haben an diesem Tag zuverlässig frei. Darauf freue ich mich natürlich schon ganz, ganz doll…


Laufende Nasen und Ungeteste müssen draußen bleiben!

Von Marikka Wiemann | „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ Alle? Das sieht die Kirche derzeit etwas anders. Man sollte diesen Bibelvers aus Matthäus 11,28 umformulieren in: Kommt her zu mir, alle, die ihr geimpft, genesen oder getestet seid – der Rest muss draußen bleiben. Denn genau dieses Vorgehen ist derzeit in Deutschlands Kirchen gang und gäbe und kaum im Sinne der christlichen Nächstenliebe. Ich habe mir den Orientierungsplan der evangelisch-lutherischen Kirche Sachsen angeschaut und muss ehrlich gestehen: Ich bin verwirrt. Regelungen sind Empfehlungen und es wird nur auf die derzeit geltenden allgemeinen Maßnahmen hingewiesen. Die tatsächliche Ausführung obliegt den einzelnen Gemeinden. Getestet werden soll auch erst ab der Überlastungsstufe (3G+!).

Außer in Sachsen ist man in Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Thüringen verpflichtet, den Impfstatus abzufragen. Ich bin gespannt, in wie vielen Gemeinden Ungeimpfte dieses Jahr den Weihnachtsgottesdienst besuchen dürfen. Da die Gemeinden selbst entscheiden dürfen, ist 2G oder 2G+ für einige eine Option. Mich persönlich erschreckt der Umstand, dass so etwas überhaupt möglich ist. Momentan scheint man dieser Idee noch abwartend gegenüberzustehen. Dabei müsste doch eigentlich klar sein: In einem Gottesdienst ist 2G ein offensichtlicher Verstoß gegen das Recht zur freien Religionsausübung. Das Tragen einer Maske, eine Testpflicht oder eine Anmeldung sind natürlich nicht unbedingt angenehm, hindern aber nicht am Gottesdienstbesuch. Mit 2G aber werden nicht nur diejenigen ausgeschlossen, die sich nicht impfen wollen, sondern auch diejenigen, die es nicht können. Es bleibt zu bezweifeln, ob dieses Verhalten ein Zeichen der christlichen Nächstenliebe ist. Die Nächstenliebe wird gleichgesetzt mit absoluter Solidarität.

Am Nikolaustag hat Beatrice von Weizsäcker (Tochter von Richard von Weizsäcker) auf der Internetseite evangelisch.de einen Kommentar veröffentlicht, der vor Aggression und Wut nur so überschäumt. Die Überschrift „Schluss mit der Nächstenliebe!“ hätte sie nicht besser auswählen können. Sie schimpft auf die „Impfgegner“, die das Leben anderer Menschen gefährden würden. Sie fühle sich „wie Moses, dessen Zorn entbrannte, als er vom Berg Sinai herabgestiegen war, um den Israeliten die Gesetzestafeln Gottes zu bringen… und sie beim Tanz um das Goldene Kalb sah: Er schleuderte die Tafeln fort und zerschmetterte sie am Fuß des Berges. (2. Mose 32,19)“. Um Gottes Willen! Das Goldene Kalb war eine Ersatzgottheit der Israelis und hat wirklich nichts mit einer Ablehnung oder Skepsis gegenüber der Impfung zu tun. Ich würde es eher umdrehen: das goldene Kalb ist die Hoffnung auf die Erlösung von der Pandemie in Form einer Impfung.

Es ist wirklich zum Fürchten, dass die Dame Ungeimpfte als Mörder hinstellt und ihnen die Schuld an der Situation in der Pflege sowie an den Coronatoten zuschiebt. Weitere Details erspare ich euch lieber. Nur noch so viel: am Schluss fordert sie einen Lockdown für Ungeimpfte – im drastischsten Fall sogar für alle – und natürlich eine allgemeine Impfpflicht. Ich habe zunehmend den Eindruck, dass vorauseilender Gehorsam und unbedingte Staatstreue zum Kennzeichen der evangelischen Kirche in Deutschland geworden sind. In der Heimatgemeinde meiner Eltern hing zum Beispiel ein Schild, auf dem stand, man müsse den Mund-Nasen-Schutz unbedingt die ganze Zeit aufbehalten – auch beim Niesen, Husten oder Nase putzen. Beim Niesen oder Husten leuchtet mir noch ein. Aber beim Nase putzen? Wie ekelhaft ist das bitte? Am Schluss noch ein kluger Hinweis: zur Not solle man nach draußen gehen, um die Nase zu putzen. Oh herzlichen Dank! Darauf wäre ich von allein nie gekommen.

Doch wie sollen sich die Kirchen am besten verhalten? Auf der einen Seite können sie sich glücklich schätzen, dass Gottesdienste überhaupt noch stattfinden dürfen – zumindest angesichts der aktuellen staatlichen Agenda und des erhöhten gesellschaftlichen Drucks. Auf der anderen Seite wäre das die Chance der Kirche zu zeigen, dass sie eben nicht weltlich orientiert ist und andere Maßstäbe besitzt. Dadurch würde sie sich Feinde schaffen und möglicherweise auch Spaltung innerhalb von Gemeinden provozieren. Ein Effekt dieser Reaktion wäre aber auch das Provozieren der allgemeinen Aufmerksamkeit. Die große Chance der Kirche besteht darin, als einzige größere Institution in der Lage zu sein, einen öffentlichkeitswirksamen Unterschied zu machen. Aber genau das scheint nicht zu passieren. Eher das Gegenteil ist der Fall.

Der MDR berichtete vor Kurzem, dass Pfarrer aus dem Erzgebirge, wie z.B. aus Schneeberg oder aus Zwönitz, zur Impfung aufrufen und es sogar Impfaktionen der Kirche gebe. Private Einstellungen der Pfarrer sind mir persönlich egal, aber als Kirchenoberhäupter tragen sie Verantwortung und sollen das Wort Gottes verkündigen. Menschen von einer Impfung zu überzeugen, liegt definitiv nicht in ihrem Aufgabenbereich. Ich habe keine Interesse an einer Kirche ohne Rückgrat, die sich nur noch am weltlichen Geschehen orientiert und keine eigenen bibeltreuen Werte vorzuweisen hat.

Die Kirche als Institution hat mehr Macht, als man vermuten könnte. Es ist noch gar nicht solange her, dass sich die Oppositionellen zu Friedensgebeten in der Kirche versammelt haben. Vielleicht wäre Deutschland ohne diese Gebete und die anschließenden Demonstrationen immer noch geteilt. In der DDR haben sich die Regierungsskeptiker in der Kirche versammelt, weil sie der einzige Ort war, an dem ein offener Austausch möglich gewesen ist. Wenn meine Eltern mir von der Wende erzählen, kann ich mir kaum vorstellen, dass in der Kirche Diskussionen und Debatten geführt werden konnten, ohne dass man Angst haben musste, etwas „Falsches“ zu sagen. Ich würde mir wünschen, dass die Kirche wieder ein Ort wird, an dem es möglich ist, seine Meinung frei zu äußern. Es wäre schön, wenn sie sich nicht mehr als politisches Organ, sondern wieder als Zufluchtsort für Regierungskritiker verstehen würde.