Lesen Sie hier: Das große Debattenduell. Soja-Latte-Pauline gegen Mistgabel-Jonas – wir tragen den Stadt-Land-Konflikt auf der virtuellen Bühne aus. Für wen fiebert ihr mit: Team Kuhkaff oder Team Asikiez?
Wie wird man Politiker? Warum trägt Karl Lauterbach im Online-Interview eine Maske? Und woher kann Annalena Baerbock so gut Englisch? Diese und andere wichtigen Fragen unserer Zeit beantwortet Apollo News. Das große Apollo-Interview mit den wichtigsten Politiker-Größen. Starring: Karl Lauterbach, Annalena Baerbock, Katharina Schulze, Christine Lambrecht & mehr. Hier ansehen.
In Sonntagsreden wird die „Politikverdrossenheit“ unter Jugendlichen gerne bemängelt. Aber wie soll man Bundesregierung vertrauen, die ihre Versprechen mittlerweile im Wochentakt bricht?
Die FDP versprach: Am 20. März soll ein „absolutes Ende“ der Corona-Maßnahmen stattfinden – doch der Freedom Day ist nur ein Fake. Stattdessen wird jetzt für die Impfpflicht mobilisiert. Das, was uns als Freiheitstag verkauft werden soll, ist ein Witz: 3G und Maskenpflicht bleiben bestehen, heißt es. Mit dem sperrigen Wort „Basisschutzmaßnahmen“ versperrt die Ampel den Weg zur Normalität. Nur zaghafte Stimmen aus der FDP fordern ein wirkliches Ende der Coronamaßnahmen, wie die Partei es vor und nach der Wahl großspurig gefordert und versprochen hatte – Christian Lindner selbst redet den „Basisschutzmaßnahmen“das Wort. Vielleicht ist es dieses Manöver als Abschluss einer monatelangen Performance, welches ihm einen knappen, aber verdienten ersten Platz in unser Apollo-Umfrage einbringt: Unsere Leser haben den FDP-Chef mit 41% zum größten Umfaller Deutschlands gewählt.
Ein harter Kampf um die Pole Position lieferte sich unser Gewinner mit seinem mit Abstand schärfsten Konkurrenten um die Umfall-Krone: Markus Söder kommt mit 37% auf Platz 2 ins Ziel und unterstreicht auf jeden Fall verdiente Titelansprüche. Einst war er Merkels oberster Lockdown-Enforcer und Kapitän im berühmt-berüchtigten „Team Vorsicht“. Jetzt – eine Bundestagswahl-Klatsche später – ist Markus wie ausgewechselt, verurteilt 2G und fordert Lockerungen. Wir glauben immer noch, der echte Söder wurde durch einen total umgepolten Klon ersetzt – solange wir das aber noch nicht hundertprozentig belegen können, müssen wir ihm seine Platzierung auf dem Umfaller-Treppchen einräumen.
Aber: Umfallen in Richtung Freiheit ist noch immer um Längen sympathischer als das Umfallen vermeintlich freiheitlicher in Richtung Zwangsmaßnahmen. Vier Prozent Vorsprung für Lindner sind somit mehr als verdient – das beinahe sofortige und mehrmals wiederholte Umfallen seit der Bundestagswahl mitsamt 1A-Landung in S-Klasse und Ministersessel macht ihm so schnell keiner nach. Wahrscheinlich ist, dass er seinen Rekord demnächst wieder selber bricht – auch, wenn FDP-Parteikollegen wie Marco Buschmann starke Konkurrenz darstellen. In sofern Gratulation an Christian Lindner – und natürlich auch an Heiko Maas und Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die weit abgeschlagene Bewertung negiert keinesfalls die zweifelsfreie Qualifikation für die Umfaller-Olympiade unser beiden dritt- und viertplatzierten.
Von Jerome May | Unter „Wir werden laut“ werden Schüler für Lockdown & Impfzwang instrumentalisiert. Wieder mal phantasieren sich Politik und Medien eine Jugend herbei, die exakt ihre Meinung vertreten soll. Doch das tut sie nicht.
Ab und an scrolle ich durch meine Foto-Galerie auf meinem Handy. Nach ein paar Minuten bin ich bei Fotos aus 2019 oder Anfang 2020 angekommen. Fotos, die mich Arm in Arm mit Freuden zeigen, Bilder von vollen Fußballstadien, von vollen Plätzen in Berlin oder anderswo.
Manche Bilder kommen mir inzwischen schon so fremd vor, als ob sie gar nicht von mir wären. Die sogenannte „Zeit vor Corona“ kommt einem wie ein vergangenes Zeitalter vor, ein Sehnsuchtsort. Jeder Jugendliche wird das Gefühl irgendwo nachvollziehen können. Eine Ewigkeit wartet man jetzt schon, dass es wieder so richtig losgeht. Auf den Moment, wo alles wieder „normal“ wird, halt so wie früher.
Bis dahin guckt man sich die tausendste Pressekonferenz an, in der mehrere alte weiße Männer einem erklären wollen, dass es doch noch viel zu gefährlich sei, jetzt Lockerungen auf den Weg zu bringen. Doch schon seit einiger Zeit ist das Maß voll, der Toleranzbereich ist längst ausgereizt. Die Zeit, wo die Jugend noch lautlos mitgezogen ist, ist Vergangenheit.
Partys und Durchseuchung
In der Jugend brodelt es. Wir scharren mit den Füßen, weil wir’s kaum erwarten können, wieder loszulegen. Die Stimmung kippt, das spürt fast jeder. Wer nimmt Lauterbachs Bergpredigt schon noch Ernst? Viele von uns haben Omikron durchgemacht, nichts gespürt und sich über den Genesenen-Status gefreut, um das blöde Testen loszuwerden. Unter Jugendlichen ist die erste Reaktion, wenn jemand sich infiziert hat, eben diese: „Boah hast du Glück, brauchst du keinen Test mehr“. Das ist die traurige Wahrheit, so weit hat es die Politik getrieben.
Angst oder Furcht vor Corona hat von uns kaum einer mehr. Wir wollen wieder frei sein, uns gegenseitig ohne schlechtes Gewissen umarmen können (machen wir trotzdem) und uns kein Stäbchen mehr in die Nase stecken. Unser Abitur feiern, verreisen und Partys schmeißen. ´Doch davon kommt bei Lauterbach und Konsorten nichts an. Stattdessen reiht sich im öffentlichen Raum eine Schulschließungsdiskussion an die nächste. Alibi dafür sind einzelne Schülersprecher, die stellvertretend für die ganze Jugend stehen sollen und deren Meinung gezielt von den Medien herausgepickt wird.
Wie zuletzt die Initiative „Wir werden laut“. In einem offenen Brief sprechen sich einige Schülersprecher hier für eine Aussetzung der Präsenzpflicht aus, sie wollen das Corona-Infektionsrisiko senken, warnen vor Long Covid. Es sei wichtig „die Pandemie mit allen Mitteln zu bekämpfen“ heißt es in jenem Offenen Brief, über den nahezu alle Medien groß berichtet haben. „Zu unserer Verärgerung wurden nicht alle zur Verfügung stehenden Werkzeuge eingesetzt“. Weiter könnte ein Brief nicht von der Lebensrealität der meisten Schüler entfernt sein. Wir leiden zu aller erst unter den gesellschaftlichen Folgen von Isolationen und Lockdown. Doch statt die Sorgen und Wünsche der Jugend wirklich wiederzugeben, orientieren sich viele Schülersprecher an dem, womit sie eben groß rauskommen.
In Wahrheit geht es so manchem Schülersprecher doch nur darum, ein gut dotiertes Stipendium zu erschleichen.
Als mutige Sprachrohre der Jugend werden sie in Szene gesetzt. Coole hippe Teenies, die den alt-gewordenen Erwachsenen mal sagen, wie gefährlich das doch alles sei. Junge revolutionäre Freidenker sollen sie sein. Dass solche Jugendlichen ernsthaft die Stimme unserer Generation sein sollen, ist lächerlich. Als ob wir alle Lust hätten uns auch noch die zehnte Maske während der Schule über die Nase zu ziehen. Revolutionär ist wohl das unpassendste aller möglichen Wörter, um eine Haltung zu beschreiben, die von der gesamten Bundesregierung und der versammelten Presse vertreten wird.
Jugendlich ist sie sowieso nicht. Den da oben mal widersprechen, für seine Ansichten einstehen und sich von der von Schule, Eltern oder Politik vorgegebenen Meinung loszulösen – das wäre jugendlich. In Wahrheit geht es so manchem Schülersprecher doch nur darum, ein gut dotiertes Stipendium zu erschleichen.
Ich jedenfalls habe jetzt genug von Corona. Wenn es um Widerstand gegen mehr Normalität in der Schule geht – ohne mich. Ich möchte nicht vor Omikron beschützt werden, ich möchte meine Fotogalerie wieder mit genau den Bildern füllen, die ich früher geschossen habe.
Von Larissa Fußer | Unsere Autorin begann eines Abends im Bad mit ihrem Handy zu sprechen – und hat es nicht bereut. Die Lifehacks der Generation Isolation.
Umfallen und wegrutschen: Die deutsche Politik glänzt in den letzten Monaten vor allem mit schamlosem Opportunismus und alltäglich gewordenem Wortbruch. Wir haben das Thema in unserer neuen Edition behandelt.
Aber nachdem wir gesagt haben, wer unsere Favoriten sind, wollen wir wissen: Wen seht ihr als Deutschlands führenden Wegbrecher? Apollo sucht Deutschlands größten Umfaller. Wer verrät seine Wahlkampfversprechen am schnellsten und am gründlichsten?
Hier abstimmen – und eine kreative Begründung in einem Satz anfügen. Die Ergebnisse und die originellsten Antworten werden noch diese Woche veröffentlicht. Wer hat die Nase vorn?
habt ihr in letzter Zeit mal euren Hund betrachtet und euch gefragt, was dessen Rechte von euren unterscheidet? Der Hund darf nur unter bestimmten Auflagen und mit Leine rausgehen, er darf nur essen, was das Herrchen ihm erlaubt und wird die ganze Zeit dazu aufgefordert, sich zu benehmen. Im Grunde leben wir ein Haustierleben, nur dass Hunde sogar am Montag Gassi gehen dürfen.
Wir sitzen in einem Terrarium. Man piekst uns und schaut, wie wir reagieren, erforscht unser Verhalten und ordnet uns in Klassen wie „Geboostert“ oder „Mitglied der Gesellschaft“ ein.
Wir dachten uns deshalb – drehen wir den Spieß mal um. Und darum haben wir uns auf eine Forschungsreise begeben. Unser Ergebnis: der politicus homo nicht-so-sapiens, im Volksmund Politiker auf dem Weg in die Regierung genannt, ist eine Untergruppe der Opportunisten-Wesen. Das sind Säugetiere, die interessanterweise keine Form von Rückgrat aufweisen.
Wir haben uns mal die prächtigsten Exemplare rausgepickt und sie charakterisiert. Da tut sich natürlich besonders die FDP hervor. Da haben wir aber auch noch Heiko Maas als honorable Mention – den Mann, in den niemand Erwartungen gesetzt hat und der es trotzdem geschafft hat, sie zu untertreffen. Söder darf natürlich auch nicht vergessen werden, wenn es um Opportunismus geht.
Aber wir haben uns auch mit dem Wesen des Opportunisten auseinandergesetzt – ist das wirklich ein neues Phänomen oder gab es das nicht schon immer? Wo sammeln sie sich am häufigsten und wie verhalten sie sich in freier Wildbahn? Also setzt euch die Wanderhüte auf, wir gehen auf Safari!
Elisa David
Chefredakteurin
Die große UMfaller – hall of fame
Apollo würdigt eine Auswahl der besten, wichtigsten und schnellsten Umfaller der deutschen Politik. Egal, ob vor dem Koalitionspartner oder den Mullahs: Ihr Weg ist mit Bananenschalen geebnet und im Regierungsviertel liegt man schneller flach als auf der Reeperbahn.
Heiko Maas: Chefunterhemdlerund Außenminister der Herzen
Von Sebastian Thormann – Rückblick und Würdigung des kleinsten größten Ministers für Außenwichtigtuerei. Mit Heiko-Nostalgie-Garantie.
Von Gesche Javelin | Wenn ich mir die Politiker von heute anschaue, kann ich gar nicht schnell genug gucken, da wechseln sie schon ihren Standpunkt oder eher Wackelpunkt. Beim Wahlkampf geht es nicht mehr darum, wer das Volk am besten vertreten kann, sondern wer am besten das Chamäleon spielen kann (wenn das überhaupt je anders war). Zuerst passen sie sich der Farbe der Interessen des Volkes an – und nach der Wahl nehmen sie schnell die Farbe des Koalitionspartners an und am besten ist es, wenn die auch noch zu der der Lobbyisten passt. Doch das ist tatsächlich kein neues Phänomen – eine kleine Abhandlung:
obiectum opportunismi (Der Vorwurf des Opportunismus)
Mir scheint, dass in der Politik Anpassungsfähigkeit schon immer sehr beliebt war. Zumindest seitdem die Regierenden wenigstens so tun, als wollten sie die Interessen des Volkes vertreten. Ein gewisser Einklang ist für die Zustimmung des Volkes dann zwingend notwendig. Eine Tarnung oder Verschönerung der eigenen Position ist hierbei teilweise sehr zielfördernd.
Schon der erste Bundeskanzler Deutschlands schwankte gerne zwischen der westeuropäischen Perspektive und seiner national-konservativen Meinung. Immer wieder die Souveränität Deutschlands anpreisend, folgte er dann häufig doch den westlichen Mächten. Dem Satz „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“, der ihm immer nachgesagt wurde, wird auch heute noch gerne gefolgt. Doch auch er war mit seiner Denkweise in der Politik nicht Pionier.
Der Begriff Opportunismus als Bezeichnung für Gelegenheitspolitik wird seit ungefähr Mitte des 19. Jahrhunderts verwendet. Er stammt von dem französischen Wort „oppotune“, was man mit „passend und zweckdienlich“ übersetzen kann und dem lateinischen Begriff „opportunus“, der „günstig, bequem und gelegen“ bedeutet.
Doch auch wenn man rund 2000 Jahre zurück geht, findet man opportunistische Züge bei der herrschenden Elite. (Tut mir leid, der gern genutzte Spruch „Früher war alles besser!“ lässt sich auch hier nicht anwenden.) Wie so oft, wird über den Senat des antiken Roms gesagt, dass die meisten alles dem Kaiser nachplapperten. Dem Kaiser gefiel nicht mehr, was Seneca gesagt hat, also verurteilte er ihn zum Tode und der Senat stimmte ihm mit Gebrüll zu, obwohl sie dem berühmten Dichter und Denker noch Tage vorher mit leuchtenden Augen zugehört haben. Das erinnert mich doch sehr an heute. Wenigstens kann man hier bei uns heute nicht mehr zum Tode verurteilt werden.
origo opportunismi (Die Ursache des Opportunismus)
Opportunismus entsteht durch die Sehnsucht der Menschen nach Ansehen und Macht. Die Menschen tun alles für ihren Erfolg, selbst wenn es, wie im alten Rom, das Verurteilen eines (unschuldigen) Menschen ist. Doch wie groß muss die Verzweiflung sein, wenn alle Prinzipien und Werte auf dem Weg zum Erfolg vergessen oder ignoriert werden?
Den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, ist vielleicht einfach, doch einfach heißt nicht gleich gut. Ein Stück weit kommen wir alle gerne mal in die Versuchung, den einfachen Weg zu gehen. Zum Beispiel in der Schule schwafelt man gerne mal, was der Lehrer von einem hören will, anstatt zu sagen, was man wirklich denkt, damit man die bessere Note bekommt.
Doch sind Erfolg und Ansehen es wert, alle Werte zu vergessen? Sind das Ansehen des Kaisers und Macht im Senat ein Menschenleben wert? Können wir uns erlauben, unsere Prinzipien fallen zu lassen und etwas gegen jede Moralvorstellung zu machen, nur um unsere eigenen Ziele zu erreichen?
Besonders in der Politik scheinen sich Opportunisten so wohl zu fühlen, wie in einem Schlammloch die Schweine. Die Politik bietet ihnen die perfekte Möglichkeit, sich richtig schön im Schlamm zu suhlen, um das beste für sich rauszuholen. So einfach wie in der Politik, wird es einem selten gemacht, andere auszunutzen. Und dann wird das weder groß bemängelt noch verhindert.
„oblenimen“ opportunismi („DasBeruhigungsmittel“ des Opportunismus)
Wenn wir wollen, dass die Schweine nicht den Schlamm überall auf unserer Wiese verteilen, müssen wir genau das verhindern: Lautstark darauf aufmerksam machen und ihnen das nicht einfach durchgehen lassen. Wir müssen achtsamer sein, welchen Leuten wir Macht über unser Leben und unser Land geben. Wir müssen Opportunismus entnormalisieren und für unsere Prinzipien, Moral und Werte einstehen.
Von Johanna Beckmann | Das erste Mal kandidieren, Wahlreden halten und wählen – das waren die Klassensprecherwahlen in der Grundschule. Jedes Jahr, wenn unsere Lehrerin die Wahl ankündigte, gab es zwei Leute, die den ganzen Raum übertönten, um schreiend und schnipsend ihre Kandidatur zu verkünden: „Ich, ich möchte Klassensprecher werden.“ Der Rest meiner Klasse meldete sich ebenfalls, war dann aber meist eingeschüchtert und es blieben nur noch wenige Kandidaten, diese hielten dann ihre Reden. Bei uns sagten die Schüler immer das gleiche: „Ich will verlängerte Pausen und weniger Unterricht.“ Gegen diese Forderungen kamen Schüler, die sich gefüllte Handtuchspender wünschten, natürlich nicht an. Wenn die Klassensprecher dann gewählt waren, gab es nicht weniger Unterricht, was zu erwarten war. Die „Arbeit“ unserer Klassensprecher, sah meist so aus: Spielen im warmen, während alle anderen Schüler draußen froren.
Eigentlich würde man erwarten, dass es sich auf der weiterführenden Schule bessert, da jeder von uns älter wird. Das geschah jedoch nicht, mit der Ausnahme, dass jetzt niemand mehr schulfrei fordert. Seit der 9. Klasse dürfen sich unsere Klassensprecher für Posten, wie zum Beispiel Schulsprecher, bewerben. Hierfür wählte meine Klasse dann eine Schülerin, deren einzige Qualifikation es war, nicht den ganzen Raum zusammen zu schreien. Sie bewarb sich für einige Posten. Wie ich es erwartete bekam sie keinen von diesen, da andere Klassen zum wiederholten Mal Schreihalse gewählt hatten. Einer von diesen wurde dann unserer Schulsprecher.
Bei seiner Kandidatur guckte er sich Verhaltensweisen von Politikern ab: Forderungen vortragen und sie aufgrund des Widerstandes ändern, um dann eine aussagelose vorzutragen, konnte er gut. Zuerst wollte er eine Arbeitsgemeinschaft zum Thema „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“ einführen, da niemand länger in der Schule bleiben wollte, stoß diese auf Widerstand. Nun war seine Forderung: „Ich möchte euch den Schultag erleichtern.“ Gegen diese Forderung hatte natürlich keiner von uns etwas einzuwenden, wenn wir gewusst hätten, welche Taten auf dieses Versprechen folgen sollten, hätten wir gegen ihn gestimmt.
Wir hatten dann Periodenprodukte auf der Männertoilette, welche ihre Funktion nur in der Verstopfung der Abflüsse fanden.
Außerdem waren dann die meisten anderen eingeschüchtert, da er die Forderungen mit einen unglaublich großen Selbstbewusstsein vortrug. Da konnte jeder nur denken, dass es das Beste, das man jemals gehört hat, wäre. Wir hatten dann Periodenprodukte auf der Männertoilette, welche ihre Funktion nur in der Verstopfung der Abflüsse fanden. Außerdem richtete er einen Dienst ein, der jede Pause die Sauberkeit der Toiletten kontrollierte – für jede bemalte Toilettenwand wurde eine Tür abgenommen, manchmal wurden Toiletten sogar abgesperrt. Für uns hieß die „Erleichterung des Schultages“ Spaziergang durch das gesamte Schulhaus, um eine funktionstüchtige Toilette zu finden. Ich weiß ja nicht, ob es uns abseits des kostenlosen Fitnessprogramms den Schulalltag erleichtert hat.
Zur Realisierung seiner Projekte hat unser Schulsprecher einen Aufenthaltsraum, in dem theoretisch Dinge, die den Schulalltag angenehmer gestalten könnten, besprochen werden sollen. In der Realität sitzt dort der Schulsprecher mit seinen Freunden unterhält sich, kocht Tee und isst Instant Nudeln, da es dort einen Wasserkocher gibt. Natürlich alles, um den Alltag für die gesamten Schüler angenehmer zu gestalten. Nun sitzt also unsere Schulsprecher in einem warmen Raum, genießt sein Menü und freut sich über seine gute Arbeit, während die meisten Schüler auf dem Schulhof stehen, frieren und ihr mitgebrachtes Mischbrot essen.
Man kann nirgendwo so schnell Karriere machen und ein sehr hohes Gehalt erhalten, wie in der Politik.
Wenn sich junge Menschen, oft die gleichen, die früher Schulsprecher waren, dafür entscheiden, nach der Schule in die Politik zu gehen, läuft es nicht besser. Oft sehen diese jungen Menschen keine beruflichen Alternative. Dann geht es direkt nach dem Studium, oft sogar nach ein paar abgebrochenen Semestern auf hohe Polit-Posten. Ich glaube, man kann nirgendwo so schnell Karriere machen und ein sehr hohes Gehalt erhalten, wie in der Politik. Andere Menschen kämpfen zum Beispiel in der Wirtschaft ihr ganzes Leben um eine Beförderung. Eigentlich wäre es ja wichtig, den Kontakt zur realen Berufswelt nicht zu verlieren, denn man kann die Bevölkerung nicht vertreten, wenn man wie Schulsprecher in einem beheizten Raum sitzt, sich über seine Forderungen freut, Nudeln kocht und der Rest draußen sitzt, friert und Mischbrot isst.
Kevin Kühnert – das Sinnbild eines Klassensprechers
Der Politiker Kevin Kühnert erinnert mich sehr an den Schulsprecher meiner Schule und auch er war mal Schulsprecher. Er forderte bei seiner Abschiedsrede von den Jusos dazu auf, weiterhin umrealisierbare Forderungen zu stellen, um Aufsehen zu erregen. Auch unser Schulsprecher, der uns den Schulalltag erleichtern wollte, setzte seine Versprechen eher weniger gut um. Jedoch brach Kühnert nach seiner Schulzeit sein Studium ab und ist jetzt seit Oktober 2021 im Bundestag.
Er hat es geschafft: schneller Aufstieg zum stellvertretenden SPD-Vorsitz und ein hohes Gehalt ohne ein abgeschlossenes Studium. Nicht einmal ernstzunehmende Berufserfahrung hat er. Demnach wäre auch ich als Schülerin perfekt für den Bundestag geeignet. Eigentlich ist man, wie man am Beispiel von Kühnert sehen kann, ohne Studium einfach ein besserer Politiker. Um Forderungen wie die Überwindung des Kapitalismus und die Kollektivierung von Konzernen zu veröffentlichen, braucht man keine Ausbildung oder Berufserfahrung. Aber er hat es geschafft, er hat gewonnen. Er hat den Aufstieg geschafft vom selbstbewussten Schulsprecher zum Politiker mit sehr hohem Gehalt.
Von Pauline Schwarz | Herr Kubicki war für mich immer einer der wenigen Hoffnungsträger in der FDP – einer Partei, die sich in ihrer Gesamtheit stets zu bemühen schien, ihre angeblich liberale Politik mit einem grün-roten Wumms gegen die Wand zu fahren. Während die Stimmen der „No Border, No Nation“-, „Öffnet den Wohlfahrtsstaat“- und „Legalize it“-Fraktionen immer lauter wurden und man mehr und mehr den Eindruck gewann, dass die FDP mit Sozis (fast) aller Farben ins Bett steigen würde, um endlich auch mal in der Regierung mitspielen zu dürfen, war Wolfgang Kubicki oft der einzig liberale Lichtblick. Einer, der sich doch ab und an mal gewehrt hat. Doch dann kam Corona und wirbelte alles durcheinander. So mancher Parlamentarier zeigte in der Diskussion um die Einschränkungen unserer Grundrechte plötzlich sein wahres Gesicht – auch Kubicki. Allen bedächtigen Worten zum Trotz, zerstörte er mit einer einzigen Abstimmung sein Bild vom Kämpfer für Rechtsstaat und Freiheit.
Sieht man sich Interviews vom stellvertretenden Vorsitzenden der FDP an, wirkt Kubicki im Vergleich zu anderen Abgeordneten wirklich angenehm und sympathisch. Er hat keine schrille Stimme, keine verrückte Frisur, kann sich artikulieren, trägt Anzug und lacht zwischen seinen Worten nicht wie ein kleiner Psychopath. Immer wieder positionierte er sich öffentlich gegen grüne Regulations- und Verbots-Träume, wie etwa das ersehnte Tempolimit auf Autobahnen. In der Rhein-Neckar-Zeitung schrieb er 2019 sogar, man müsse von den grünen Plänen Abstand nehmen, „in der Umwelt- oder in der Flüchtlingspolitik globaler Vorreiter zu sein“ – sowas hört man von „liberalen“ Politikern selten. Sie werfen lieber wahllos mit dem Begriff Freiheit um sich und verdrehen und biegen ihn, wie es ihnen gerade passt. Herr Kubicki schien den Begriff bislang in seinem eigentlichen Sinn ernster zu nehmen und sagte zur Freiheit einst: „Natürlich ist die persönliche Freiheit niemals grenzenlos. Freiheit und Verantwortung gehören schließlich zusammen. Wer Menschen aber ihre Freiheit nimmt, weil er ihnen die Verantwortung nicht zutraut, nimmt ihnen zugleich ihre Mündigkeit“.
Ich habe dabei nur ein Problem: Sind Pfleger und anderes medizinisches Personal, wie Ärzte oder Rettungssanitäter, für Herrn Kubicki etwa keine Menschen?
Die Linie von Freiheit und Eigenverantwortung behält er momentan auch bei seiner Haltung zur Corona-Politik, seinen Stellungnahmen zu möglichen Öffnungsschritten und der Diskussion um eine Impfpflicht bei. Er stellt sich offen gegen die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht, denn man habe ja die Möglichkeit, sich selbst durch eine Impfung zu schützen – und wer das nicht will, müsse mit den möglichen Folgen leben. Gegenüber der Welt sagte er im Januar: „Wir haben die Möglichkeit uns selbst zu schützen, schützen mit der Impfung aber keine anderen mehr, also auch Geboosterte, wie ich selbst, können infektiös sein und die Infektion weitertragen, dann müssen die Ungeimpften mit diesem Problem leben.“ Eine Woche früher sagte er gar: „Man muss akzeptieren, dass es in einer Gesellschaft Menschen gibt, die sich nicht impfen lassen wollen“ – super, heutzutage ein echter Paukenschlag.
Ich habe dabei nur ein Problem: Sind Pfleger und anderes medizinisches Personal, wie Ärzte oder Rettungssanitäter, für Herrn Kubicki etwa keine Menschen? Haben sie aufgrund ihres Berufs kein Recht auf Freiheit und Eigenverantwortung? Immerhin stimmte der „Anwalt aus dem hohen Norden“ gut einen Monat zuvor für die Einführung einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht für Gesundheits- und Pflegepersonal – da passt für mich etwas nicht zusammen. Man kann sich schlecht als Liberaler verkaufen und glaubwürdig ein Buch veröffentlichen, das den Titel „Die erdrückte Freiheit – wie ein Virus unseren Rechtsstaat aushebelt“ trägt, während man sich gleichzeitig für eine so gravierende Verletzung der Grundrechte und unserer rechtsstaatlichen Prinzipien ausspricht. Für mich hat Herr Kubicki in diesem Moment sein wahres Gesicht gezeigt und meine Hoffnung in ihn jäh zerstört. Trotz aller Aussagen und Taten, die man ihm zugutehalten muss, hat er in diesem Moment gezeigt, dass er kein Oppositioneller ist und sich im Punkto Rückgratlosigkeit doch ganz gut in die Reihen seiner Partei eingliedern kann.