Von Simon Ben Schumann | Am 1. Juni jährte sich der Todestag von Adolf Eichmann, genannt „Architekt des Holocaust“ zum 60. Mal. In der Nacht vom 31. Mai auf den 1. Juni 1962 wurde Eichmann in einem Gefängnis in Ramla, Israel durch Erhängen hingerichtet.Ein durchaus umstrittenes Urteil, ist es doch das einzige Todesurteil welches jemals im modernen Israel vollstreckt wurde. Gerade aufgrund des geistigen Charakters, die der jüdische Staat in Kultur und Religion innehat, gingen vor Eichmanns Tod zahlreiche Gnadengesuche auch von Juden beim damaligen Staatspräsidenten Jitzchak Ben Zwi ein.
Einer traurigen Ironie entbehrt das nicht. Denn der weltweit beachtete „Eichmann- Prozess“ in Jerusalem brachte einiges über das Wirken von „Hitlers Henker“ ans Licht. Unter anderem, dass er selbst nie Gnade walten ließ. So berichtet der Ankläger Gabriel Bach, dass Eichmann jegliche Gesuche zum Verschonen Einzelner ablehnte. Beispielsweise: Ein Wehrmachtsgeneral und gleichzeitig der Kommandant von Paris wollte einen jüdischen Professor aus Frankreich, der sich besonders gut mit Radar auskannte, vor der Deportation bewahren. Aus rein militärischen Gründen. Dennoch, Eichmann lehnte ab. „Aus prinzipiellen Erwägungen“, wie er sagte. Später meldete sich die überlebende Tochter Alisa bei Gabriel Bach. Professor Weiss und seine Frau waren nicht mehr. Sie wollte ein Foto, hatte noch nicht einmal eine Erinnerung an die Gesichter ihrer beiden ermordeten Eltern. „Aus prinzipiellen Erwägungen.“
Über ein unbekanntes Stück Zeitgeschichte
Der Eichmann-Prozess wurde filmisch festgehalten und ist der Nachwelt so zugänglich. Doch ein – wie ich finde – beinahe spannenderes Zeitdokument ist der Öffentlichkeit so gut wie unbekannt. Zwischen dem Ende des Prozesses und der Urteilsvollstreckung verfasste Eichmann nämlich seine Autobiographie. Sie war bis zum Jahr 2000 unter Verschluss und wurde dann vom Israelischen Staatsarchiv ins Web gestellt. Außerdem existiert eine kommentierte Ausgabe von Historiker Raphael Ben Nescher (Metropol Verlag, 2016). Der unkommentierte Text ist auf schoah.org, einer Webseite des deutsch- jüdischen Nachrichtenportals „haGalil“, bequem abrufbar.
Durch die Autobiographie lässt sich die Innensicht des Nazi-Täters auf unangenehm nahbare Weise begleiten, von Kindheit und Jugend über die Anfänge bei der SS bis hin zum Völkermord. Eichmann verlieh seinen Memoiren keinen festen Titel; stattdessen gab er späteren Herausgebern zwei Möglichkeiten. Die erste: „Götzen“. Unter diesem Namen ist das Werk dann auch erschienen. Ein ungewöhnlicher Titel; Eichmann wollte damit auf seine Vorgesetzten anspielen, welche er in der Biographie immer wieder als von ihm verehrte „Götter“ bezeichnet. Erst später sei ihm klar geworden, dass er in Wahrheit „Götzen“ gedient habe. Wie echt diese Reue war, ist zweifelhaft. Der andere Titel wäre „Gnothi seauton“ gewesen – griechisch für „Erkenne dich selbst.“
Jugend eines Massenmörders
Bereits im Anfang der Biographie gibt Eichmann den Geläuterten. Er habe mittlerweile einen zeitlichen Abstand von 16 bis 29 Jahren zu den Geschehnissen; sie seien für ihn nun „das kapitalste Verbrechen in der Menschheitsgeschichte“. Unglaubwürdig, denn: Noch wenige Jahre zuvor sagte er im argentinischen Exil, er bereue nur, nicht alle 10,3 Millionen europäischen Juden ermordet zu haben. „Dann wäre ich befriedigt und würde sagen: Gut, wir haben einen Feind vernichtet.“, erklärte er Ende der 1950er seinem SS- Kameraden Willem Sassen in einem Interview.
Dieser Widerspruch stört Eichmann nicht. „Den größten und gewaltigsten Totentanz aller Zeiten. Den sah ich. Und ihn zu beschreiben, zur Warnung schick ich mich an.“ – so schließt der Organisator der sogenannten „Endlösung der Judenfrage“ sein Vorwort.
Danach setzt er zu einer Beschreibung seiner Jugend an. Als Kind von Wolf und Maria Eichmann am 19.3.1906 in Solingen (Rheinland) geboren, schildert er sein Aufwachsen in Österreich. Dorthin zog seine Familie kurz nach seiner Geburt. Eichmann malt den Ort seiner Kindheit und Jugend in den buntesten Farben, „Diesen herrlichen Fleck der Erde durfte ich meine zweite Heimat nennen.“, sagt Eichmann. Ein krasser Gegensatz zu den Zügen voller Menschen, die er später in die Gleichgültigkeit der Gaskammern von Auschwitz, Treblinka und anderen Vernichtungsstätten schickte.
Die politische Sozialisation als junger Mann sei nationalistisch gewesen. „Ich war durch die Schule und Gesellschaft […] zur nationalistischen Richtung hin gelenkt worden. […] Und man erzähle einem jungen Menschen in dieser Richtung tendierend, von nationaler Schmach, von Verrat, vom Dolchstoß, welcher der deutschen Armee zuteil ward, von nationaler Not und Elend; Herrgott, da packt es einen halt, da gerät das Blut in Wallung.“ Von Jude und Judentum sei damals aber keine Rede gewesen; ernst genommen habe er den Antisemitismus der NSDAP nicht. Das passt ins Bild des zwar nationalistischen, aber eher neutralen Beamten, das Eichmann während des Prozesses vermitteln wollte. Nur ein Befehlsempfänger und Fahrplan-Ersteller – mehr sei er ja nicht gewesen.
Im Herbst 1934 fing Eichmann beim Sicherheitsdienst-Hauptamt in Berlin an. Es sei eine Zeit voller Strapazen gewesen, mit deutlich zu wenig Schlaf und ständigem „Exerzieren“. Er habe sogar überlegt, zu gehen: „[…] ja großer Herrgott, wenn ich irgendwo gegen mein Wollen mit einer Arbeit, welche mir gegen den Strich geht, als freier Mensch, eingespannt werden soll, da macht man einfach Schluß damit, oder man ist ein Waschlappen, dem eben nichts besseres gebührt. […] Genau dieselben Gedanken hatte ich auch um jene Zeit und mit mir eine Anzahl meiner Stubengefährten. Aber da waren die Götter, denen ich ja dienen wollte.“ Leider entschied er sich dagegen, „auf den Tisch zu hauen und aus dem Tempel rauszuwetzen“, wie er formuliert. Adolf Eichmann blieb – und wurde einer der Hauptverantwortlichen für einen Völkermord.
Eichmann und der Antisemitismus
Vom offensichtlichen Vorwurf, dass Adolf Eichmann als Ausführer des Holocaust ein brutaler Antisemit war, versucht er sich tatsächlich freizumachen. Das wirkt aus heutiger Sicht mehr als abenteuerlich; doch Eichmann meinte es ernst.
„Ja, und wie war es mit der Judenfrage jener Zeit und wie stand ich zu ihr. […] Meine erste Mutter starb sehr früh, mein Vater heiratete zum zweiten Mal. […] Mit der zweiten Mutter, die selbst keiner jüdischen Familie entstammte, kam aber jüdische Verwandtschaft in unsere Familie. Tanten, Onkel, später Cousinen. […] Es war ein fröhliches, herzliches Verbundensein […]. Egal, ob Jude, jüdisch versippt oder Nichtjude.“ Der gute Familienmensch Eichmann, herzlich, tolerant und weltoffen – so stellt er sich ernsthaft dar. Dass er seine eigene Familie getrost ermordet hätte, lässt er aus – angenommen, dass diese Angaben überhaupt stimmen. Die SS war, was Stammbäume angeht, sehr wählerisch – jüdische Tanten und Onkel wären womöglich ein Ausschlusskriterium gewesen. Eichmann fährt fort, indem er jüdische Freunde aus Kindheit und Jugend erwähnt, mit denen er auch später noch verbunden geblieben sei. „Und warum sollte ich meine bildhübsche zwanzigjährige halbjüdische Cousine nicht küßen […]; so was kann doch unmöglich Reichsverrat sein.“ Am Millionenfachen Mord ändert der angeblich freundliche Privatmann Eichmann überhaupt nichts. Dennoch schreibt er, als würden seine Familien- und Freundschaftsbande irgendetwas wetmachen. Schockierend. „So also konnte ich sagen, ich bin nie ein Antisemit gewesen, denn es stimmt.“
Wirken bei der SS
Adolf Eichmann begann im „SD-Hauptamt Abteilung II 111: Freimaurer“. Diese beschäftigte sich mit der Verfolgung des Freimaurerbundes, welchen die Nationalsozialisten für seine liberale Anschauung verachteten. Ähnlich wie später für Juden, wurde hier eine „Freimaurerkartei“ aufgebaut, mit der die Mitglieder identifiziert werden sollten. O-Ton Eichmann: „Meine dienstliche Tätigkeit war auch – wie ich zu sagen pflegte – zum Knochenkotzen. Tausende von Freimaurersiegeln und Münzen mußte ich katalogisieren und einordnen […]“ In einem Freimaurermuseum in der Wilhelmstraße 102 in Berlin stellten Eichmann und Komplizen gestohlene Freimaurer-Memorabilia aus und hetzten vor Besuchern gegen den Bund.
Später kam er dann in die „Abteilung II 112: Juden, Referat Zionisten“. Dort bearbeitete er ab 1936 das Thema Judentum. Von hier an ging es Stück für Stück auf die Schoah zu. Sogar Hebräisch brachte sich Eichmann bei, um jiddischsprachige Zeitungen analysieren zu können. „Also ging ich eines Tages daran und kaufte mir in einer Buchhandlung ein Lehrbuch zum Studium der hebräischen Sprache.“
Jahre zogen ins Land. Eichmann beschäftigte sich damit, Juden aus Wien zur Auswanderung zu zwingen. Mittels Repressalien und Drohungen wurden sie enteignet, konnten aber zumindest noch fliehen. Die Reichskristallnacht am 9. November 1938 war ein Vorbote dessen, was noch kommen sollte. Nach dem Einmarsch in Polen 1939 würde sich alles endgültig verschlimmern.
Am 30.10.1939 ergeht der erste Deportationsbefehl für alle Juden in Polen. Sie werden in Ghettos zusammengepfercht, in Arbeitslager gebracht und zu einem großen Teil in Vernichtungslager. Am 10.10.1941 verbietet Heinrich Himmler allen Juden die Auswanderung – Flucht ist jetzt unmöglich.
Wenn Sie Eichmanns Darstellung folgender Ereignisse, einschließlich des Besichtigens von „improvisierten“ Gaskammern im Vernichtungslager Chełmno und vielen weiterenEinzelgeschehnissen des Holocaust interessiert, Sei Ihnen die Lektüre von „Götzen“ sehr ans Herz gelegt – ein Buch, welches Ihren Blick auf die beschriebene Vergangenheit und ihre Akteure schärft und bereichert. Es ist ein Stückweit, wie Hannah Arendt sagte, die Banalität des Bösen – Eichmann war eben ein Mensch. Und das ist vielleicht das Erschreckendste an ihm und seinen Taten.
Von Laura Werz | Am sonnigen Sonntagmittag des 12. Juni habe ich die geballte Kraft der Fahrradfahrfraktion in Berlin zu spüren bekommen. Ich hatte eigentlich nur vor, mit meiner Mutter, einen kleinen Sonntagsausflug zu machen. Wir wollten mit dem Auto aus dem Norden Berlins nach Wilmersdorf, zum Preußenpark, fahren. Ziel dieser spontanen Unternehmung war der sogenannte „Thai-Markt“, welcher an sonnigen Wochenenden stattfindet. Von dem Markt hatte ich zuvor nie gehört, weswegen ich ihn mir als großer Freund der asiatischen Küche natürlich kurzentschlossen mit eigenen Augen ansehen musste. Doch ich habe die Rechnung leider ohne die jährliche „Sternenfahrt“, eine Demonstration, welche an verschiedenen Orten am Stadtrand beginnt und in Berlin zu einem Meer aus Fahrradfahrern zusammenläuft, gemacht.
40 Minuten habe ich eingeplant, bis ich endlich mein geliebtes Chicken Curry in den Händen halte – mit Parkplatzsuche – wohlbemerkt. Damit konnte die 45-minütige S-Bahnfahrt, auch aus Komfortgründen, nicht mithalten. In unserer guten Bahn verbringe ich unter der Woche sowieso schon mehr als genug Zeit. Wir entschieden uns also für das Auto. So weit, so gut. Mit der Ankunft an der Bismarckstraße, laut Navi 6 Minuten von unserem Ziel entfernt, offenbarte sich jedoch das drohende Unheil. Es gab kein Schild, kein Zeichen oder auch nur einen freundlichen Beamten, der gutgläubige Autofahrer auf die drohende Gefahr hätte aufmerksam machen können. Nichtsahnend fuhren wir, umgeben von unseren ebenfalls ahnungslosen Autofahrgenossen, ins Verderben. Die Ampeln waren aus, der Verkehr lag still und ein Schwarm von Fahrradfahrern raste klingelnd auf der Gegenfahrbahn die Bismarckstraße hinunter. Von jetzt auf gleich ging gar nichts mehr. Kein vor und kein zurück, keine Wendemöglichkeit, nur Schritttempo die Straße entlang.
Schleichend rollten wir also peu à peu die vierspurige Straße hinauf und fügten uns unserem Schicksal. Auf der einen Spur die Autofahrer, auf der anderen Seite die Radler. Ein fast schon lustiges Bild – zumindest von außen betrachtet, wäre man nicht selbst beteiligt. Das Navi versuchte uns verzweifelt jede einzelne Kreuzung als Ausweg zu präsentieren. Aber links abbiegen? Unmöglich. Wir konnten keinem der vielen Vorschläge Folge leisten. Den Autofahrern wurde schlicht keine Möglichkeit gegeben, auf die andere Seite der Stadt zu gelangen. Ein bitterer Moment für mich – ich war meinem Curry so nahe und doch so fern.
Sogar die AUTObahn – welche unsere letzte Hoffnung darstellte, mit dem Auto irgendwie doch noch nach Wilmersdorf zu gelangen – wurde für die Radler gesperrt. Also nix da. Weiter schleichen. Während wir so auf der Straße zwischen unseren Leidensgenossen standen, vertrieben wir uns die Zeit damit, das bunte Völkchen der Zweiradler genauer zu begutachten. Ehrlich gesagt war ich überrascht, welche Menschen sich zwischen mich und mein Essen stellten. Es war weder die Soja-Latte-Charlotte aus dem Prenzelberg, noch der der Phillipp-Sören aus Kreuzberg. Tatsächlich sah ich als erstes ein älteres Ehepaar von ca. 65 Jahren, welches überraschend sportlich in die Pedale trat. Mir fielen außerdem viele Familien auf; so ganz klassische Familien, im Sinne von Mutter, Vater und zwei Kindern. Man hätte denken können, sie wären auf dem Weg zum Freibad falsch abgebogen und hätten sich versehentlich auf einer Demonstration wiedergefunden. Nur punktuell sah ich auch eine Frau mit Batikrock und Bio-Schuhen auf ihrem Lastenrad, die wahrscheinlich gerade vom Filzen kam.
Die fleißigen Strampler fuhren bei allerbestem Wetter fröhlich, laut klingelnd zu Musik die abgesperrte Straße entlang und genossen ihr Sonntagsprogramm sichtlich in vollen Zügen. Ich glaube, dass die wenigsten aus großer Überzeugung an dieser Massenveranstaltung teilnahmen. Für die meisten stellte es vermutlich ein willkommenes Event dar, gemeinsam, mit Freunden und Familie in Gesellschaft etwas Rad zu fahren. Dass sie damit nicht nur ein Zeichen für neue Fahrradwege setzen, sondern den Verkehr behindern und anderen Menschen das Leben unnötig erschweren, war wohl den wenigsten wirklich bewusst. Jene wiederum, die sich in ihrer Rolle als Verkehrsbehinderer scheinbar selbst zu verwirklichen glaubten, erkannte man daran, dass sie den Autofahrern provokant zuwinkten oder sie kollektiv ausbuhten. Und das waren ebendiese Leute, von denen man normalerweise Solidaritätspredigten gewöhnt ist.
Den einzigen Lichtstrahl in dieser dunklen Welt der Zweiradfahrer stellten die Polizisten dar, welche verstörten Autofahrern beschwichtigend zuredeten. Sie standen, in ihren Uniformen der prallen Sonne ausgesetzt, sichtlich leidend, zwischen den Fahrbahnen und trennten Auto- und Radfahrer. Ein Polizist sprach uns mit einem schwachen Lächeln an: „Sie lachen ja wenigstens noch“. Für die Beamten schien es eine willkommene Abwechslung zu sein, mit den wartenden Autofahren Smalltalk zu führen, während sie der Fahrradseite ab und zu einen belustigten Blick zuwarfen. Ein kleiner Trost. Nach einiger Zeit des Wartens und langsamen Rollens konnten wir mit dem Autostrom die Bismarckstraße schließlich wieder verlassen – in die Richtung, aus welcher wir gekommen sind, versteht sich.
Es waren 75.000 Teilnehmer für die Radtour durch Berlin angemeldet, wie ich später in den Nachrichten las. Das Motto lautete: „Rauf aufs Rad – #Verkehrswende jetzt umsetzen“. Die Radfahrer seien glücklich, wieder ein deutliches Zeichen gesetzt zu haben. Es fragt sich nur wofür. Ob diese Zumutung für Autofahrer, Anwohner, Fußgänger und sogar für die Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel, schlicht für alle, die sich gerade nicht auf einem Rad im Fahrradschwarm befanden, ein gelungenes Zeichen für neue Fahrradwege ist, bleibt mehr als fraglich. Es wurden viel eher mal wieder Auto- und Radfahrer gegeneinander ausgespielt. Mit diesem Verkehrslockdown wurde ein politisches Statement, im Sinne der rot-rot-grünen Bewegung, auf Kosten der Allgemeinheit, gesetzt. Man sollte sich zwei Mal überlegen, ob man mit der Teilnahme an diesem „Event“ gedankenlos mit dem politischen Mainstream radeln – und Teil einer ebenso sinnlosen wie dissozialen Behinderung seiner Mitmenschen sein möchte – oder eine Fahrradtour zum See, für einen Sonntagsausflug, nicht doch die bessere Wahl wäre.
PS: Kaum zu glauben, aber: Ich habe mein Thai-Curry am Ende doch noch bekommen. Diese Erfahrung hat uns zwar schlappe 1,5 Stunden des Tages gekostet, aber das Curry war sehr lecker. Der Thai-Markt kriegt von mir 5 von 5 Sterne – die Fahrraddemo hat keinen Einzigen verdient.
Von Elisa David | Unsere letzte Edition ist nicht zu übersehen, wenn man auf unsere Apollo-Website klickt, also kennt ihr unsere Titelbilddame bereits. Ja, ich muss zugeben, diese Ausgabe ist sie doch etwas provokativer geraten als sonst. In der Vergangenheit haben wir sie noch von Ökos auf einer Rikscha herumkutschieren lassen, oder sie war die Femme Fatale der Apokalypse, einmal hat sie eine Reihe von Politikern mit Bananenschalen zum Fall gebracht.
Dieses Mal beugt sie sich in zehn Zentimeter High Heels, in einer Pose, die ihre Beine unmenschlich schlangenartig verbiegt, sexy nach unten, um mit ihrem kleinen Staubwedel etwas unter den Teppich zu kehren. Nicht zu vergessen die altmodische Putzfrauenuniform, die selbstsamerweise perfekt ihr Hinterteil zur Schau stellt und die Schürze, die sie vor absolut gar nichts schützt. Sie hat sich für ihre Tätigkeit als effektive Putzfrau nicht etwa die Haare nach hinten gebunden (ihre Frisur sitzt trotzdem perfekt). Und trotz dieser doch sehr akrobatischen Pose schafft sie es irgendwie noch hochzuschauen und dem Leser verführerisch zuzuzwinkern. Sie muss scheinbar nicht nicht mal hingucken, wenn sie gerade irgendwas wedelt.
Tja. Ist das ein realistisches Frauenbild? Nö. Vielleicht denkt sich der ein oder andere: Welcher bekloppte spätpupertäre Bengel hat denn das bitte gezeichnet? Denjenigen muss ich enttäuschen, denn alle gezeichneten Bilder von Frauen in zu kurzer Kleidung die ihr so auf Apollo zu sehen bekommt, stammen nur von mir.
Wir haben vermehrt Kommentare und Zuschriften von Leuten bekommen, die uns wegen unserer Putzlady ein sexistisches Weltbild vorwarfen und deshalb wollte ich das gerne noch mal gesagt haben: Hinter diesen Zeichnungen steckt eine junge Frau. Aber ich will es mir auch nicht zu einfach machen und Sexismusvorwürfe wegwischen mit dem einfallslosen Argument „Ich bin eine Frau, ich kann nicht sexistisch sein.“ Denn erstens stimmt das so nicht ganz, das könnte ich sehr wohl und zweitens steckt hinter diesen Zeichnungen mehr als nur das.
Das BILD-Seite-1-Girl nur besser
Ich will jetzt auch nicht so tun, als wäre eine halbnackte Frau ein feministischer Akt und als würde ich das aus frauenrechtlichen Beweggründen zeichnen. Aber sexistisch ist sie auch wieder nicht. Unsere Zeitung richtet sich an junge Leute. Und junge Leute stehen auf sowas, ich stehe auf sowas. Es ist provokativ, es ist frech, man schaut zweimal hin. Es ist das BILD Seite 1 Girl nur besser. Erstens, weil sich bei uns keine echte Frau ausziehen muss – was aber andererseits schon Arbeitsplätze kostest, wenn ich so drüber nachdenke – und weil unsere Damen tatsächlich Witz haben. In jedem Bild steckt stundenlange Arbeit, von der Planung, über das Zeichnen selbst, bis hin zum Design der Überschrift. Das ist mit mein liebster Teil an dem Schaffungsprozess unserer Editonen. Ich kann meinen persönlichen Sinn für Ästethik und Mode und mein Interesse an Politik vereinen.
Am Ende kommt eine Karikatur dabei raus, die von jedem einzigen Detail her so realitätsfern ist, dass man doch nicht ernsthaft irgendwas da rauslesen kann. Unsere Apokalypsenlady trägt eine Lederbaskenmütze passend zur Gasmaske, im Hintergrund geht eine Atombombe hoch. Unsere Putzfrau rennt in Stöckelschuhen rum. Desto provokanter die Zeichnung, desto mehr strotzt sie doch nur so von Sarkasmus. Sicher, am Ende ist da eine ästethisch gezeichnete Dame in kurzem Röckchen und sexy Pose. Aber warum sollte ich als junge Frau auch extra hässlich und gegen meinen Stil zeichnen, nur damit am Ende eine typischere Kariktur rauskommt, über die sich die Leute aber genauso aufregen würden.
Am Ende kommt eine Karikatur dabei raus, die von jedem einzigen Detail her so realitätsfern ist, dass man doch nicht ernsthaft irgendwas da rauslesen kann.
Als ich Apollo übernommen habe, war die Seite vorwiegend von Jungs designt worden. Das Ergebnis: grafische Raketen überall, alles eckig und kantig, keinerlei Kurven. Ich habe da ein weibliches Element reingebracht, das das ausgleichen soll. Etwas mehr Ästethik und Eleganz im Kontrast zu derquadratischen Abgeklärtheit der Jungs.
Artikel sind eine schöne und wichtige Form um Gedanken auszudrücken, unsere Autoren geben sich reichlich Mühe immer wieder kreative Ideen zu haben, neue Gedanken, komplexe Theorien über Gott und die Welt. Und ja, die eine oder andere Statistik ist auch nicht schlecht. Doch es gibt einfach Dinge, die kann man nicht erklären. Und dann zieht es mich zu diesem Ur-Instinkt meines Kindergarten -Ichs, das einen Stift in die Hand genommen und einfach gezeichnet hat. Dann entsteht unsere Titeldame, die das Thema der Edition und die Artikel untereinander auf ein konkretes Bild zusammenfasst. Und dieses Bild ist mal kein langweiliges Symbolfoto von Pixabay, das vor uns schon zehn andere Blogs verwendet haben und das nur so schreit: „Wir sind zwar auf dem Papier jung, aber im Herzen sind wirBoomer und wir interessieren uns auch privat sehr für die Geldpolitik der EZB“. Nein, wir interessieren uns AUCH für die Geldpolitik der EZB, aber auf andere Weise.
Eine Jurastudentin, eine Medizinstudentin und eine Psychologiestudentin
Man kann jetzt natürlich eh noch die Frage stellen, was an Frauen als Putzfrau oder Hausfrau denn so schlimm ist, es ist doch jetzt nicht so, als könnten wir als Gesellschaft auf Reinigungskräfte verzichten. Und wenn eine Frau gerne Hausfrau sein will, soll man sie dann zwingen was anderes zu machen? Aber gut, ich verstehe schon was die Kritiker meinen – es geht darum, dass Frauen nicht NUR zu Hausfrauen oder Putzfrauen taugen. Da möchte ich auf unsere Redaktionsaufstellung verweisen.
Aktuell wird unsere Redaktion vorwiegend von Frauen geschmissen: meine Wenigkeit die Chefredakteurin (Jurastudentin), Larissa Fußer (Medizinstudentin) die stellvertretende Geschäftsführerin und die Einzige, die den Überblick über alles organisatorische behalten kann – fragt mich nicht wie sie das schafft, ich glaube sie kann zaubern – und Pauline Schwarz (Psycholgiestudentin), euch wahrscheinlich bekannt als unser Talkshowgesicht und ebenfalls unverzichtbarer Teil unserer Redaktion. Ich glaube wir sind eher nicht so Typen von Frauen die unterdrücktes Hausweibchen ausstrahlen.
Also um das ganze hier mal abzubinden: Ich denke worauf ich hinaus will, ist, dass eben weil unsere Dame – so wird sie übrigens auch redaktionsintern sehr respektvoll genannt, wie ich nochmal anmerken will – so viele sexistische Stereotypen verkörpert, ist sie nicht sexistisch. Wer nur an den offensichtlichen Rastern von: unrealistische Maaße, langes Haar, lange Wimpern, verführerische Pose festhängt, versteht gar nicht, was sie eigentlich gerade macht.
Eben weil unsere Dame so viele sexistische Stereotypen verkörpert, ist sie gerade nicht sexistisch.
Denn dieses ganze Zeit über, kehrt sie etwas unter dem Teppich hervor (Auch wenn ich die genauere Interpretation dem Auge des Betrachters überlassen möchte). Sie ist gerade dabei etwas aufzudecken, sie macht sauber, sie ist eben eine Putzfrau, das ist ihr Job. Darum übrigens auch die Uniform. Wenn ihr euch erinnert, haben wir von Apollo mit dem Wahlbetrug bei der Berlinwahl auch etwas aufgedeckt, was ziemlich großes sogar. Die Edition, für die unser Putzprofi das Titelgesicht ist, dreht sich komplett um dieses Thema: welche Skandale liegen so offen da, dass man eigentlich nur den Teppich hochheben muss? So gesehen setzten wir unsere Tätigkeit als Journalisten mit der Tätigkeit einer Putzfrau gleich – was absolut bescheuert wäre, wenn die Putzfrau aus sexistischen Gründen gezeichnet worden wäre. Da hätten unsere Kritiker auch drauf kommen können – aber die waren zu sehr mit dem Po einer Zeichnung beschäftigt.
Von Pauline Schwarz | Das am Wahlsonntag in der Hauptstadt nicht alles rund laufen würde, war wohl jedem klar. Sonst wäre Berlin nicht Berlin – vom Marathon, bei dem schon unter normalen Umständen Chaos ausbricht, mal ganz abgesehen. Das was sich am großen Wahltag dann wirklich abspielte, übertraf meine schlimmsten Vorstellungen aber bei weitem. Als ich kurz nach der Wahl die Nachrichten las, war ich schon geschockt, doch erst jetzt blieb mir wirklich die Spucke weg. Ein Blick in die Wahlunterlagen offenbarte uns das ganze Ausmaß der Berliner Wahl-Katastrophe: schlechte Planung, Personalmangel, Überforderung, absolute Ahnungslosigkeit und sogar aktiver Wahlbetrug.
Für mich persönlich fing der große Wahltag in Berlin erstmal recht harmlos an. Ich ging morgens zu dem kleinen Kreuzberger Wahllokal bei uns um die Ecke und wartete mir -wie gewohnt, denn das war nicht meine erste Wahl- die Füße platt. Nach einer halben Stunde hatte ich es bis zur Eingangstür geschafft, als mein Handy klingelte – und mir zum ersten Mal bewusst wurde, dass es nicht überall so „rund lief“ wie bei uns. Eine Bekannte von mir meldete sich aufgebracht aus dem Prenzlauer Berg, wo sie schon seit einer gefühlten Ewigkeit auf den Einlass in das Wahllokal wartete. Unter den wütenden Leuten bei ihr in der Schlange kam das Gerücht auf, dass die Letzten abends nicht mehr wählen könnten, wenn das so weiter geht. Dass sowas wirklich möglich seien würde, habe ich bis zu diesem Moment nicht geglaubt – doch Berlin hat mir meine Naivität ausgetrieben und mich eines Besseren belehrt.
Im Laufe des Tages wurden aus immer mehr Wahllokalen und verschiedenen Bezirken extreme Schlangen und Wartezeiten von mehreren Stunden gemeldet. Doch das war noch nicht alles. In mehreren Wahllokalen gingen die Stimmzettel aus, während in anderen falsche Wahlunterlagen für Unruhe sorgten und zum Teil unbedacht oder unbemerkt an die Bürger ausgegeben wurden. Neue Stimmzettel zu besorgen war aufgrund des Marathons quasi unmöglich. Am Peak der Verzweiflung versuchten Wahlhelfer mit dem Taxi oder auf dem Fahrrad neue Stimmzettel zu holen, während man in Kreuzberg den Kopierer anschmiss. Einige Wahllokale mussten über Stunden den Laden dicht machen und die Wahl unterbrechen, weshalb zahlreiche Bürger noch weit nach 18 Uhr in den Schlangen standen – zu einer Zeit, als die ersten Hochrechnungen schon veröffentlicht wurden.
Die Meldungen über Wahlpannen rissen auch Wochen nach dem Wahltag nicht ab, im Gegenteil: Es kam immer mehr ans Licht. Von nicht gekennzeichneten Schätzungen, die als Auszählungs-Ergebnisse veröffentlicht wurden bis zur Wahl Minderjähriger oder Stimmzetteln im Müll hinterm Rathaus. Bis jetzt blieb das alles aber abstrakt und anekdotisch – umso aufgeregter war ich, als wir es schafften uns exklusiv, als Erste und Einzige, einen Blick in die Berge von Wahlunterlagen zu erkämpfen. Mit einem zehnköpfigen Team arbeiteten wir ab sofort daran, das Geheimnis – oder besser: den Skandal – der Berlin-Wahl aufzudecken. Da saßen wir nun, zwischen riesigen Aktenbergen, im Herzen des Berliner Verfassungsgerichts und konnten gar nicht glauben, was sich vor uns für Abgründe auftaten. In den Zeilen der krakeligen Protokolle, die teilweise zerknüllt, teilweise unvollständig waren, stand all das geschrieben, was schon zuvor berichtete wurde – und vieles mehr. Wirklich erschreckend war aber vor allem die Dimension des Ganzen. In Kreuzberg waren in der Hälfte aller Wahllokal, die ich innerhalb von vier Stunden durchging, Stimmen ungültig, weil man den Leuten Stimmzettel aus Charlottenburg-Wilmersdorf gegeben hatte. In einem waren sogar ein Fünftel aller Stimmen ungültig. Es wurden über hundert Leute um ihr Wahlrecht betrogen – direkt bei mir um die Ecke – das hätte auch mein Wahllokal seien können.
Bei einer Akte war ich so fassungslos, dass ich meinen Apollo-Kumpel Jerome als Augenzeugen rekrutieren musste – damit er mir sagt, dass ich mir das alles nicht einbilde. Da stand doch tatsächlich, dass die Wahlhelfer vom Bezirkswahlamt die Anweisung bekommen hatten, mit den falschen Stimmzetteln aus Charlottenburg-Wilmersdorf fortzufahren. Zwei Stunden später gabs dann die Information: Kommando zurück. Alles ungültig – 82 ahnungslose Bürger verloren ihre Stimmen, nur drei kamen von sich aus zurück und konnten neu wählen. Dafür war direkt und ohne Zweifel das Bezirksamt verantwortlich, es hatte selbst dafür gesorgt, dass die Wahl irregulär weitergeführt und verfälscht wird. Während ich mir vor Fassungslosigkeit das Lachen kaum verkneifen konnte, rätselten wir im Team inzwischen darüber, was es mit dem roten Korrekturstift auf den Kreuzberger Wahlunterlagen auf sich hatte. Nach der ersten Auswertung wurde klar: Hier wurden eine beträchtliche Anzahl ungültiger Stimmen von Zauberhand wieder für gültig erklärt – organisierte sich das traditionell rot-grüne Kreuzberg so allen Ernstes ein paar zusätzliche Stimmen? Oder war es Vertuschung?
Zunächst hatten wir nur eine Ahnung, aber noch keinen Überblick. Wir wurden von der Masse an Unterlagen, Fehlern und Wahlverfälschungen in allen Berliner Bezirken völlig überflutet. Die Arbeit – bei der wir uns ständig den misstrauischen und nicht grade wohlwollenden Blicken der Mitarbeiter des Gerichts aussetzen mussten – war verdammt anstrengend und nicht gerade spaßig, trotzdem machten wir unermüdlich weiter. Denn: Jeder von uns hatte schon nach kurzer Zeit Blut geleckt. Wir waren sauer und schockiert. Obwohl wir alle schon vorher wussten, dass es viele Pannen gab, wurde das Ausmaß erst jetzt richtig klar. Jetzt war die Wahl-Katastrophe real, wir konnten sie sehen – sie lag vor uns auf dem Tisch. Ich fühlte mich zunehmend um mein Wahlrecht betrogen und fragte mich die ganze Zeit, ob meine Stimme auch für ungültig erklärt wurde. Und so ging es nicht nur mir. Wir waren uns alle einig: Die Wahl muss wiederholt werden – alles andere wäre nicht rechtens.
Von Jonas Kürsch | In diesem Jahr feiert „Das wüste Land“ seinen einhundertsten Geburtstag. Das vom US-amerikanischen Dichter T. S. Eliot verfasste Langgedicht wird wegen seines kryptischen Inhalts, seiner bis heute unnachahmlichen Wortgewalt und seiner revolutionär anmutenden Struktur von vielen Literaten als einer der größten Beiträge zur westlichen Unterhaltungsliteratur seit William Shakespeare’s Sonetten eingeschätzt. „Das wüste Land“ beschreibt die tragische, teilweise auch komisch anmutende Vereinsamung des modernen Menschen nach der Jahrhundertwende, während der die Menschlichkeit im Angesicht einer anonymisierten und mechanisierten Kriegsgesellschaft scheinbar vollkommen abhanden gekommen zu sein scheint. Gerade im Hinblick auf die Zerstörungswut des Ersten Weltkrieges, die Eliot in seiner Lyrik zu einem der Hauptmotive macht, hat das Gedicht gerade auch in der turbulenten Gegenwartszeit nichts von seiner Relevanz verloren.
Vom Bankier zum Literaturnobelpreisträger
Thomas Stearns Eliot wird 1888 in eine angesehene Bostoner Familie geboren. Als Sohn erfolgreicher Industrieller konnte Eliot erst an der Harvard University, später an der Pariser Sorbonne studieren. Von der europäischen Kultur begeistert, siedelte Eliot 1914 endgültig nach Europa über, wo er sich nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges in England niederließ. Mit seiner Stelle als Bankier konnte er sich zwar ein sicheres Einkommen sichern, doch Eliot wusste, dass das lyrische Schreiben seine wahre Passion war und er nichts anderes beruflich machen wollte. Seinen ersten größeren Erfolg hatte er mit dem Gedicht „The Love Song of J. Alfred Prufrock“ erzielt, welches durch den Publizisten, Lyriker und späteren Freund Ezra Pound erstmals veröffentlicht wurde.
1915 heiratetet Eliot dann seine kränkliche und geistig labile Ehefrau Vivienne Haigh Wood, die ihr gesamtes Leben lang an diversen Krankheiten litt. Die Heirat stürzte ihn in eine tiefe Depression und führte zu einem schweren Nervenzusammenbruch im Jahr 1921. Im Zusammenspiel mit seinem ersten Aufeinandertreffen mit Ulysses-Autor James Joyce begann er im Folgejahr dann mit der Arbeit an seinem Hauptwerk. Im Rahmen einer „ästhetischen Entpersonalisierung“, wie Eliot seinen lyrischen Schreibstil in einem Essayband einst bezeichnete, gelang ihm die Entfernung jedweden emotionalen Ausdrucks aus dem fertigen Endprodukt. Mithilfe der auf den Leser häufig chaotisch erscheinenden Erzähltechnik des Bewusstseinsstroms versuchte er die emotional gestörte und vom Krieg zerrüttete Gesellschaft der 1920er Jahre darzustellen, die ihm zufolge ihren Lebenssinn vollständig aus den Augen verloren hatte. „Das wüste Land“ traf den Zahn der Zeit wie kaum ein anderes Literaturwerk und wurde noch im selben Jahr zu einem internationalen Erfolg für Eliot. 1948 würde man ihn für sein Monumentalwerk mit dem Literaturnobelpreis auszeichnen.
„jug jug to dirty ears“
Besonders der einzigartige Ausdruck verhalf dem Gedicht zu seiner auch heute noch stetig wachsenden Leserschaft. Ein immer wiederkehrendes Sprachmittel ist dabei die Lautmalerei, mit der Eliot die unmenschliche, fast schon maschinengleiche Nachkriegsgesellschaft zu beschreiben versucht. Eines der bedeutsamstem Zitate aus seinem Gedicht ist die mehrfach auftretende Lautaneinanderreihung „jug jug“ (V. 204), gefolgt von den Worten „So rudely forc’d“ (V. 205), mit der er in Anlehnung an den Gesang einer Nachtigall das schmerzhafte Stöhnen einer vergewaltigten Frau darstellt.
Faszinierend ist die Verwendung etlicher Referenzen auf vergangene historische Ereignisse oder andere bedeutsame Literaturwerke der Menschheitsgeschichte am Ende seines Gedichts. So enthält „Das wüste Land“ von Anspielungen auf antike Autoren wie Homer und Sophokles bis hin zu zeitgenössischen Schriftstellern wie Hermann Hesse und Aldous Huxley nahezu alles, was sich vorstellen lässt. Und trotz einer ganzen Reihe von Fußnoten des Autors sind sich Literaturforscher bis heute uneins darüber, wie sich „Das wüste Land“ vollständig interpretieren lässt. Mittlerweile wird es weitestgehend als unmöglich betrachtet, die komplexe Symbolik des Gedichtes endgültig aufzuschlüsseln.
Die Verwüstung ist geblieben
Es ist erschreckend, dass „Das wüste Land“ selbst einhundert Jahre nach seiner Erstveröffentlichung kaum eine akkuratere Zustandsbeschreibung der Gegenwart darstellen könnte als dies für unsere Zeit der Fall ist. Nach einer inzwischen mehr als zwei Jahre andauernden Politik der totalen Selbstaufopferung liegt Europa ideologisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich in Trümmern. Die Wehmut aus Eliot’s Worten wird in den kommenden Jahren lauter nachklingen, als es vielen jetzt schon bewusst sein mag.
Nur wenige Schriftsteller würden sich heute trauen, derartig unverblümt über den Verfallszustand des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu schreiben. T. S. Eliot’s Werk sollte daher nicht nur für seine historische Bedeutsamkeit in Erinnerung behalten, sondern vor allem auch von heutigen Autoren als Beispiel genommen werden, wie man mit Mut, Verstand und Seele die tiefliegenden Probleme unserer Zeit in der Gegenwartsliteratur verarbeiten kann.
„April is the cruelest month, breeding Lilacs out of the dead land, mixing Memory and desire, stirring Dull roots with spring rain.“
– die ersten vier Verse aus T. S. Eliot’s ‚The Waste Land’
Die Recherchen von Tichys Einblick zum Berliner Wahlchaos schlagen immer größere Wellen. Durch das wochenlange Aktenwälzen unseres jungen Autorenteams und die darauffolgende systematische Analyse der Wahlprotokolle konnten wir inzwischen zeigen, dass die Wahlpannen sehr wohl mandatsrelevant sind und eine Wahlwiederholung in Berlin damit unumgänglich ist. Doch diese Offenlegung ist nicht der einzige Erfolg von TE. Die zehn jungen Autoren, die im Auftrag von TE die Wahlunterlagen ausgewertet haben, gehören allesamt unserem Ausbildungsprogramm für junge Journalisten an, das nun schon fast zwei Jahre vom Jugendmagazin Apollo News betrieben wird. Die Errungenschaften der Wahlrecherche sind somit auch eine Auszeichung für dieses Programm und zeigen, dass unsere Jugendarbeit wirkt! Denn wo sonst finden Sie schon Autoren zwischen 16 und 26 Jahren, die in der Lage sind, einen Wahlskandal aufzudecken und dabei so viel Wirbel zu machen, dass selbst große Medienhäuser ihre Entdeckungen publizieren?
Seit zwei Jahren fördert TE nun schon intensiv Nachwuchsarbeit für junge Journalisten. Über 10 Autoren unter 25 schreiben mittlerweile regelmäßig auf der Site und im Heft. Kaum ein anderes Medium in Deutschland wird zu einem so großen Teil von jungen Menschen gestaltet.
Nun steht das nächste Wochenendseminar in Zusammenarbeit mit Apollo News vor der Tür! Vom 24. bis 26. Juni treffen wir uns mit zwanzig ausgewählten Teilnehmern in einem Hotel im Berliner Raum und üben das journalistische Schreiben. Unterstützt werden sie dabei von erfahrenen Journalisten durch Input-Vorträge – diesmal u.a. von Peter Hahne, Roland Tichy und Holger Douglas. Bezahlen müssen unsere Teilnehmer nichts, die Kosten werden vom Veranstalter getragen.
Wer sich also auch einmal als Investigativ-Journalist probieren will oder auch einfach nur Lust hat, mal rein zu schnuppern, ist bei uns herzlich willkommen. Vorwissen ist nicht nötig – alle unsere Autoren haben schließlich mal ganz klein angefangen. Und keine Scheu – von 15 bis 25 Jahren ist bei uns jede Altersgruppe vertreten – wir möchten also ausdrücklich auch Schüler zu uns einladen!
Inzwischen sind nur noch wenige Seminarplätze frei! Wer unter 25 Jahren alt ist und noch mitmachen möchte, schreibt am besten gleich eine E-Mail an larissa.fusser@apollo-news.net. Wir schicken dann gerne alle weiteren Infos.
Hinweis: Apollo News trägt die Kosten des Seminars vollständig, da junge Autoren oft über wenig finanzielle Möglichkeiten verfügen – ohne staatliche Fördertöpfe. Wenn Sie uns bei dieser Arbeit unterstützen wollen, würden wir uns sehr über eine Spende freuen – jeder Beitrag hilft und macht unser Ausbildungsprogramm noch besser!
Von Jonas Kürsch | Die jüngsten Bilder von Sylt werden aller Wahrscheinlichkeit nach in die Geschichtsbücher eingehen: Hunderte Punks haben seit Beginn des Pfingstwochenendes die häufig als „Urlaubsdomizil der Reichen“ verschmähte, norddeutsche Halbinsel in einem großen Ansturm erobert. Ein Teil der Punks hatte jüngst sogar angekündigt, man wolle die Insel den gesamten Sommer lang nicht mehr verlassen.
Für diese eigenartige Situation verantwortlich ist die Einführung des sogenannten „9-Euro-Tickets“ durch die Bundesregierung. Dabei handelt es sich um ein dreimonatiges Sonderangebot des deutschen öffentlichen Personennahverkehrs, das den Preis einer Monatsfahrkarte auf gerade einmal 9,00 Euro pro Person herabsenkt. Aber aus welchem Anlass wurde das 9-Euro-Ticket überhaupt eingeführt? Wie funktioniert seine Finanzierung? Und noch viel wichtiger: Warum ist der Versuch schon jetzt an der Realität gescheitert?
Die Entstehung des 9-Euro-Tickets
Das 9-Euro-Ticket wurde im Rahmen des Entlastungspaketes zur Bekämpfung der steigenden Lebenskosten in Deutschland seit Beginn des Ukrainekrieges verabschiedet. Das Ticket soll als soziale und klimafreundliche Maßnahme die Mobilität der deutschen Bürger trotz steigender Kosten ermöglichen und Autofahrern obendrein einen Anreiz bieten, um (vielleicht sogar langfristig) auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen. Das ÖPNV-Ticket ist in weitestgehend allen vom Staat betriebenen Personentransportunternehmen gültig: Bus, Bahn und Zug werden allesamt durch das Angebot abgedeckt.
Der Vertrieb der Karte lief überaus gut: Schon gegen Ende Mai konnten bereits 7 Millionen Monatstickets an die Deutschen verkauft werden. Die große Nachfrage nach den Tickets verstärkte zuletzt die weitverbreitete Vermutung, dass Bus und Bahn bislang lediglich aus finanziellen Gründen von vielen gemieden wurden. Gleichzeitig sah man allerdings mancherorts auch hoffnungslos überfüllte Züge. Trotzdem wurden Forderungen aus der Politik laut, man solle die ÖPNV-Preise langfristig senken, um so den Gebrauch öffentlicher Transportmittel um ein vielfaches attraktiver zu machen.
Bevor Herr Scholz und Herr Wissing ihren Verstand im utopischen Lobgesang auf das 9-Euro-Ticket nun aber völlig verlieren, ist es Zeit einen nüchterner Blick auf die wahren Konsequenzen dieses gewagten Experiments zu werfen.
Die Fahrpreise werden nicht wirklich billiger – die Kosten werden nur verlagert
So schön das Gerede um derartig niedrige Fahrpreise auch klingen mag: Die Betriebskosten des ÖPNV lösen sich nicht in Luft auf. Und der Bund kündigte bislang an, gerade einmal 2,5 Milliarden Euro an entstandenen Mehrkosten pro Bundesland zu finanzieren. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Länder und Kommunen bei höheren Kosten für die Mehrbelastung, die durch das Ticket höchstwahrscheinlich entstehen wird, alleine zahlen müssen. Eine (weitere) Verschuldung der Bundesländer wird damit wahrscheinlicher. Aus diesem Grund kündigten etliche Landesregierungen im Vorfeld auch an, dem 9-Euro-Ticket im Bundesrat ihre Zustimmung zu verweigern und die Bundesregierung mit ihrem Vorhaben zu blockieren. In der finalen Abstimmung regte sich jedoch kaum Widerstand und der Bundesrat stimmte dem neuen Gesetz zu.
Zudem sollte noch einmal klar und deutlich formuliert werden, dass die durch das Ticket verursachten Mehrkosten am Ende nicht aus dem Privatvermögen von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) oder einem anderen Kabinettsmitglied bezahlt werden. „Geschenkt“ oder „erlassen“ werden uns die Kartenpreise nicht wirklich: Wenn wir vom „Bund“ als Finanzier sprechen, bedeutet das letztendlich, dass der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird. Daher ist zu bezweifeln, ob und inwiefern die Deutschen durch das Entlastungspaket wirklich „entlastet“ werden.
Abgesehen davon zeigt sich doch jetzt schon, dass unser Verkehrssystem der stark angestiegenen Passagiernachfrage überhaupt nicht standhalten kann. Die Folge dieses unüberlegten Markteingriffes sind überfüllte Züge, stark überlastete Streckennetze und eine Anhäufung unseriöser Fahrgäste, wie wir sie im Moment vor allem auf Sylt erleben. Erfahrungen mit letzteren sind allerdings keine Neuigkeit für die Bundesrepublik: Schon 1995 litt die Insel unter einem anormal hohem Besucheraufkommen infolge der Einführung des Schönes-Wochenende-Tickets der Deutschen Bahn, welches damals etwa 15,00 DM (etwa 11,00 Euro) kostete.
Preise haben ihren Sinn
Anders als von den Anhängern der radikalen Linken häufig dargestellt, sind vom Markt bestimmte Preise keinesfalls asoziale Zumutungen oder gar eine Ausbeutung der Arbeiter: sie ergeben sich ganz einfach aus dem wirtschaftlichen Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Auch im ÖPNV darf man nicht außer Acht lassen, dass ein bestimmter Preis, gleich einem Tauschwert, zwangsweise für den Erhalt einer qualitativ hochwertigen Dienstleistung erbracht werden muss. Der Glaube daran, man könne diese Tatsache mit Taschenspielertricks wie dem 9-Euro-Ticket aushebeln, ist an Fadenscheinigkeit nicht zu überbieten. Die Kosten des Tickets werden auf lange Sicht am Verbraucher und an den Kommunen abgewälzt, es stellt sich nur noch die Frage, wie hoch diese im Endeffekt ausfallen werden.
„Ein Zyniker ist ein Mensch, der von allem den Preis und von nichts den Wert kennt.“ – Oscar Wilde
Lesen Sie hier: Das große Debattenduell. Bubatz-Simon vs. Spießer-Pauline. Die Ampel-Regierung plant Cannabis zu legalisieren – aber ist das wirklich eine gute Idee oder doch eher ein fataler Fehler? Für welches Team fiebern Sie mit?
Achtung: Dieser Beitrag könnte vereinzelt Spuren von Humor enthalten. Weder Cannabis-Boys noch Spießer-Tanten wurden bei der Produktion dieser Kolumne ernsthaft verletzt. Dieser Austausch spiegelt in keiner Weise das Arbeitsklima bei Apollo News wieder, sondern dient schlichtweg Unterhaltungs- und Ausbildungszwecken. Seelsorgerische Unterstützung stand den Autoren zu jeder Zeit zur Verfügung.
Ja zur Legalisierung, Nein zur Fremdbestimmung: Cannabis muss erlaubt sein!
Von Simon Ben Schumann | Die rechte Hand auf der Tastatur, in der Linken mein Joint mit gefährlichem „Stoff“ – so stellt sich Pauline mich bestimmt vor. Keine Selbstkontrolle mehr, lethargisch, süchtig, kurz: Am Ende. Während sie durch das idyllisch-unschuldige Berlin radelt und Nachbarn auf Hundescheiße im Treppenhaus hinweist, ist Simon der Asoziale aus dem „Ruhrpott“. Denn nur verblendete Kiffer könnten schließlich eine Legalisierung befürworten.
Was sie nicht ahnt: Auch als Nichtkonsument kann man gegen das Kriminalisieren ganz normaler Leute sein. Cannabiskonsum ist hierzulande weit verbreitet; nach Tabak und Alkohol liegt die Droge auf dem dritten Platz. Ca. 40,00% der jungen Erwachsenen in Deutschland haben schon einmal konsumiert.
Die validen Argumente gegen ein Cannabis-Verbot sind so zahlreich wie die netten Briefe, die Pauline ihren Nachbarn Gerüchten zufolge an die Wohnungstür nagelt. „Sehr geehrte Familie Rammo, wenn Sie mittags um 12 durch den Block rasen, wecken Sie meine Aquariumsfische aus ihrem Power-Nap. Könnten Sie das bitte unterlassen?“ – so oder ähnlich kann ich mir den Tugend-Terror in Kreuzberg vorstellen. Ob sie während des Ramadan Grillpartys im Garten steigen lässt, um ihren muslimischen Nachbarn das Fasten madig zu machen?
Eine Analyse der Gegenposition
Wenn Cannabis legalisiert würde, dann könnte es sein, dass sich die Leute noch mehr abschießen. Haben wir nicht durch Alkohol schon genug Probleme? Warum noch eine Droge gesellschaftsfähig machen? Klingt einleuchtend, aber: Schon jetzt ist Cannabis für jeden verfügbar, der es haben will. Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass man im „Görli“ an keinen Dealern vorbeikommt. Jeder kennt irgendeinen Ort, an dem er sich (theoretisch) Drogen beschaffen könnte. Außerdem gibt es in Ländern, in denen Cannabis legal ist, keine „Kiffergesellschaft“, in der alle süchtig sind und nicht mehr klarkommen.
Im US-Bundesstaat Colorado wurde „Gras“ 2013 legalisiert – und trotzdem denkt man beim Namen des Staates nicht an heruntergekommene Innenstädte, verlorene Jugend und Junkies. In Portugal ging man sogar noch weiter und entkriminalisierte um die Jahrtausendwende alle Drogen. Besitz von selbst harten Substanzen wie Heroin gilt dort nicht als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit. Von ca. 350 Überdosis-Toten in den 1980er- und 1990er Jahren ist diese Zahl auf 63 im Jahr 2019 gesunken. Statt Junkies in den Knast zu schicken, hilft man ihnen dort lieber. Und wer vernünftig konsumieren kann, darf das auch.
Dazu kommt, dass man bei einer Cannabis-Legalisierung den Verkauf kontrollieren könnte. Kleinpackungen mit Marihuana an der Supermarktkasse klingen erstmal erschreckend, aber wie bei anderen akzeptierten Drogen kann so eine einfache Alterskontrolle kombiniert mit Diebstahlschutz durchgesetzt werden. 15-jährige aus schwierigen Verhältnissen kommen dann nicht mehr so leicht an „Gras“, um sich abzuschießen – und freie, selbstbestimmte Erwachsene werden entkriminalisiert.
Klar, jetzt kann man sagen: Dann schickt man als Minderjähriger eben einen Erwachsenen vor. Aber wer so dringend Cannabis will, würde wahrscheinlich auch zum Dealer gehen. Dann ist es besser, wenn das Cannabis wenigstens nicht gestreckt ist. Das wird leider oft übersehen: Man kann zwar mittlerweile überall Drogen von Dealern kaufen, diese sind aber teils gefährlicher als die ursprünglichen Varianten. Gestreckt mit Weiß-Gott für Zeug kann aus Cannabis schnell richtig gefährliches Gift werden. Auch diese Gefahr ist mit einer Legalisierung gebannt, die Herkunft der Produkte nachverfolgbar. Der Schwarzmarkt wird ausgetrocknet. Durch die Erhebung der Steuer hat der Staat sogar was davon. Ich sehe dafür zwar schwarz, aber ein Teil des Erlöses könnte theoretisch in Suchtaufklärung und –prävention gesteckt werden.
Wir müssen lernen, mit der Realität umzugehen
Als wir Kinder waren, wurde uns durch unser Umfeld vermittelt, dass die Welt gefährlich ist und wir aufpassen müssen. Gerade im „Babylon“ Berlin. Und zurecht: Merkte man sich das „Links-rechts-links“ nicht, konnte der Schulweg sehr riskant sein. Okay: Meine Mama meinte mit dem Merksatz den Straßenverkehr, für Pauline ging es um kapuzenverhüllte Gestalten neben ihrer Haustür. Das Prinzip bleibt das gleiche. Verständlicherweise ist sie jetzt in dieser Haltung gefangen. Sollten wir uns die Dinge nicht lieber objektiver anschauen?
Als angehende Psychologin spreche ich Pauline auf keinen Fall ihr Urteilsvermögen ab. Neben den alltäglichen Belästigungen durch Dealer und so weiter, hat sie bestimmt schon oft gesehen, wie auch das vergleichsweise ungefährliche Cannabis Leben zerstört hat. Zwar stirbt fast niemand unmittelbar an der Droge, doch können auch hier Süchte entstehen; die Effekte des Konsums haben Folgen. Leider ändert sich das aber nicht, wenn weiter auf Kriminalisierung gesetzt wird.
Erwachsene, die in ihrer Freizeit selbstbestimmt und in Maßen konsumieren, sollten das dürfen. Für so etwas sind wir ein freies Land. Ihnen das zu verbieten, fördert nur den Schwarzmarkt, riskantes Strecken und die Verfügbarkeit für Jugendliche. Und ein moralischer Impetus ist meiner Ansicht nach mal überhaupt nicht angebracht. Es ist vielleicht unschön, aber Drogen sind ein Bestandteil des Alltags. Alkohol ist mehr als gesellschaftsfähig, er wird überall konsumiert. 2018 waren 1,6 Millionen Menschen deutschlandweit alkoholabhängig. 74.000 Menschen sterben geschätzt jährlich direkt oder indirekt am „Muntermacher aus der Flasche.“ Bei Cannabis ist die Lebensgefahr deutlich geringer.
Auch Paulines heiß geliebter „Soja Latte“ enthält den Wachmacher Koffein, der weltweit und regelmäßig konsumiert wird – das ist auch eine Art Droge. Statt andere dafür zu verurteilen, fände ich einen vernünftigen und differenzierten Umgang mit Drogenkonsum am besten.
Auch in Kreuzberger Gotteshäusern tönt es schließlich immer wieder Sonntags: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Chiasamen.“
Schluss mit Liberalalala – Cannabis sollte verboten bleiben!
Von Pauline Schwarz | Haben Sie schonmal von der „Bubatz“-Fraktion gehört? Ne? Ich bis vor kurzem auch nicht – dabei dachte ich, dass ich durch mein Leben in Berlin-Kreuzberg schon jeden Blödsinn gesehen und jede Wahnsinnsidee gehört habe. Ich meine, ich bin damit aufgewachsen, dass der Typ an der Ecke mit dem Aluhut glaubte, Merkel wäre ein Alien und habe ihm einen Computerchip in sein Hirn gepflanzt, um seine Gedanken zu kontrollieren. Klingt irre? Ist es auch. Im Vergleich mit den Wahnvorstellungen der Bubatz-Fraktion scheint mir die Merkel-Alien-Theorie aber schon fast naheliegend. Jetzt fragen Sie sich sicher, wer diese Bubatz-Leute sind – ich will es Ihnen verraten: Das sind solche wie Simon. Solche, die ein Christian Lindner-Poster über ihrem Bett haben und dreimal am Tag davor niederknien, um ihrem König zu huldigen und ihm dafür zu danken, dass er sich mit den wirklich wichtigen Problemen in unserem Land auseinandersetzt – zum Beispiel mit der Legalisierung von Bubatz – das ist Super-Fancy-Coolen-Sprech für Cannabis.
Wenn es nach Legalize-Lindner und seine rot-grün-gelben Kollegen geht, soll der feuchte Traum jedes verlotterten Kiffers und jedes libertären Hohlkopfs bald also endlich wahr werden – und anscheinend auch der von Simon. Dabei habe ich gedacht, dass ich so komische Leute nur in den Tiefen des Görlitzer Parks und nicht bei Apollo treffen würde. Und ich dachte eigentlich auch, dass der Simon ein ganz schlauer Bursche und so insgesamt recht gesittet ist – immerhin studiert der Jura. Bei seiner Beurteilung der geplanten Gesetzesänderung scheint der Gute aber entweder selbst high gewesen zu sein oder schlicht nicht zu wissen, wovon er da eigentlich redet. Die Cannabis-Legalisierung wird mitnichten zur Bekämpfung des Drogen-Handels und auch nicht zum Schutz der Konsumenten beitragen. Simon, tut mir echt leid dich zu enttäuschen, aber wir leben nicht in Bullerbü. Das Einzige, was passiert, ist die Normalisierung einer Droge voranzutreiben, die alles andere als harmlos ist.
Eines der ersten Argumente, das seit jeher für die Legalisierung von Marihuana aus der Debatierkiste gekramt wird, ist die Bekämpfung des illegalen Drogenumschlags – kurz: der Drogendealer. Auch Simon scheint vor Verwirrung von den ganzen Paragraphen in seinem Juristen-Kopf auf den alten Trick reingefallen zu sein. Er sieht das genauso wie unser neuer Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD), als einen der ausschlaggebenden Gründe, die für die geplante Legalisierung sprechen: „Unser Ziel ist, die Gesundheit der Konsumenten zu schützen, Kinder und Jugendliche vom Konsum fernzuhalten [und] den Schwarzmarkt trocken zu legen“. Doch, mit Verlaub, ohne dem SPD-Mann zu nahe treten zu wollen oder ihm eine etwas zu große Leidenschaft für seinen Beruf zu unterstellen – an dieser Aussage ist einfach alles falsch. Zu glauben, die Dealer würden ihre Drogenpäckchen wegschmeißen und einen ordentlichen Beruf ergreifen, nur weil der Staat ein paar „Coffee Shops“ aufmacht, ist mehr als nur naiv – schreib dir das mal hinter die Ohren Simon. Ich weiß du kennst die fiesen, dunklen Gestalten mit den Drogen-Tütchen nur aus dem Fernsehen. Deswegen erklär ich dir jetzt mal, wie´s wirklich läuft: Sollten den jungen Männern tatsächlich ein paar Kunden abhandenkommen, werden sie maximal die Preise ein bisschen runter drehen – und da kommen wir zum ersten Knackpunkt.
Von wegen Konsumenten-Schutz
Wer wie ich am Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen ist, kennt die mehrheitlich afrikanischen Drogendealer, besser als ihm lieb ist – und weiß, dass die „Jungs“ ungern schlechte Geschäfte machen. Das sieht man an ihren teuren Klamotten, iPhones, Dr. Dre Kopfhörern und an der Tatsache, dass sie sich gegenseitig die Köpfe einschlagen, wenn jemand in ihr Revier eindringt – ich habe das unfreiwillig schon einige Male miterlebt. Innerhalb von Sekunden wird aus einem Zischen ein Brüllen, dann greifen sie zu Flaschen, Messern oder im schlimmsten Fall zu Schusswaffen. Die Männer verstehen also wenig Spaß, wenn es an ihre Knete geht. Müssen sie jetzt mit dem Preis runter gehen, ja was werden sie dann wohl machen? Den Shit strecken, bis kein Halm mehr auf der Wiese steht – und ja ich meine hier wortwörtlich Grashalme, die stopfen sie nämlich gerne in ihre Drogentütchen. Allerdings ist das noch das Harmloseste. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als vor etwa zehn Jahren das Gras im großen Stil mit Rattengift gestreckt wurde. Eine nicht unübliche Methode, die unter anderem auch in den USA zu Todesfällen führte, weil die Konsumenten teilweise schwere Blutungen durch fehlende Blut-Gerinnung hatten.
Jetzt denkt der Simon vielleicht: „Ja genau, das meint ich doch, man muss den Konsumenten schützen!“ – aber so einfach ist das nicht. Sicher wird es Leute geben, die in die staatlichen Shops rennen, um sich ungestreckten Shit zu holen, aber das wird nicht die Masse sein. Das sind Leute, die sich schon vorher bei ihrem Dealer qualitativ hochwertigeres Zeug beschafft haben – nicht die, die an den üblichen Umschlagplätzen verkehren. Ich meine im Ernst Simon: Hast du dir so einen durchschnittlichen Cannabis-Konsumenten mal angesehen? Du kommst doch aus´m Pott, da gibt’s doch auch so komische Gestalten. Die meisten Leute, die heute in den Görlitzer Park gehen, um Drogen zu kaufen, werden dort auch in Zukunft weiter „shoppen“ gehen und sich das richtig miese Zeug reinziehen – ganz einfach, weil es billiger ist und sie sich so mehr kaufen können.
Das betrifft zum einen Leute, die nicht selten schwere Suchterkrankungen und wenig Geld haben, und zum anderen Jugendliche. Der vermeintliche Jugendschutz ist damit das größte Hirngespinst, das die Ampel-Partner in die Welt gesetzt haben. Wenn sie nicht in die staatlichen Shops dürfen, gehen sie in den Park – so wie sie es schon immer gemacht haben. Da kriegen sie alles, was sie wollen, zum kleinen Preis, ohne Nachfragen. Und künftig, wenn die Dealer tatsächlich nicht mehr so viel Weed verticken können, wahrscheinlich noch schneller, mehr und günstiger auch harte Drogen wie Ecstasy, Kokain, Christal Meth, Speed und was das Drogi-Herz sonst noch so begehrt – vielleicht sogar mit Probier-Angeboten, das wäre auch nichts Neues oder Ungewöhnliches. Wenn man darauf einmal eingeht, kommt man nicht mehr so schnell runter. Ich habe so mehr als nur einen meiner alten Freunde an die völlige Verwahrlosung und Beschaffungs-Kriminalität verloren – ich weiß ja nicht, ob Simon der nächste meiner Bekannten sein will, der so endet. Lustig ist das jedenfalls nicht, zwei von ihnen führte das am Ende bis in den Knast.
Mit Cannabis in den Abgrund
So eine Abwärtsspirale fängt eigentlich immer mit dem Konsum von Cannabis an – was ist es also für ein Signal, diese Droge als „Genussmittel“ zu legalisieren? Marihuana ist und bleibt eine Einstiegsdroge, das ist keine Floskel – und das ist nicht dasselbe wie mit Alkohol – zumindest, wenn man sich nicht jeden Tag ins Koma säuft -, und schon gar nicht wie bei Zigaretten oder Koffein. Jeder meiner früheren Freunde hat mit dem Joint hinter der Turnhalle oder auf der Parkbank angefangen. Aus einem wurden schnell zwei, drei, vier und mehr. Dann ist man morgens, mittags und abends stoned, wartet nur noch darauf, sich den nächsten Bong-Kopf oder XL-Joint reinzuziehen – auch in der Schule und selbst bei Abitur-Klausuren. Und ehe man sich versieht, kickt das Zeug irgendwann nicht mehr so richtig. Man hat sich so daran gewöhnt, dass es kaum noch für den Rausch und das „gute Gefühl“ reicht. Wenn man Drogen nimmt, macht man das in der Regel aber aus einem bestimmten Grund: Weil man sich wegballern will. Weg von seinen Problemen, weg vom Alltag und weg von schlechten Gefühlen. Reicht das Gras nicht mehr dafür aus, werden härtere Geschütze aufgefahren – bei mir in der Schule war das als erstes Ecstasy, dann Kokain und Pilze. Am Ende nahmen eine paar Freunde von mir sogar schon im Sportunterricht Speed, um schneller laufen zu können. Umso mehr man in der Szene drin ist und so mehr man ausprobiert hat, desto kleiner wird die Hemmschwelle sich an das ganz schwere Zeug zu wagen.
Marihuana ist aber nicht nur als Einstiegsdroge gefährlich, das grüne Zeug selbst wird maßlos unterschätzt. Es schadet seinen Konsumenten gerade bei regelmäßigem Gebrauch psychisch und körperlich massiv. Es kann ihr ganzes Leben zerstören – wie etwa bei einem frühen Freund von mir. Er fing mit fünfzehn an zu kiffen, weil er cool sein wollte. Ab dem Zeitpunkt wurden seine Noten immer schlechter, er bekam Ärger mit den Lehrern, weil ihm alles egal war und er grade, wenn er high war, auf jede Autorität und alle Konsequenzen gepfiffen hat. Kurze Zeit später flog er nach zahllosen Tadeln und Verweisen von der Schule – und von da an, ging es nur noch bergab. Auf unseren Partys trank er jeden unter den Tisch und das, obwohl wir alle ziemlich abgehärtet waren – in Kombination mit Marihuana endete das oft übel. Kurze Zeit später gesellten sich zur „guten alten Mary Jane“ Pilze und Ecstasy. Manchmal trank er zum Spaß eine ganze Flasche Kodein. Etwas später drückte ihm auf einem Festival irgendjemand eine Pulle in die Hand, die der naive Dauer-Stoner – ein eigentlich netter aber völlig verwahrloster Kerl – ohne zu zögern aussoff. Minuten später war er klinisch tot – konnte von Sanitätern aber Gott sei Dank noch wiederbelebt werden. Ich habe immer gesagt: „Der? Der wird niemals älter als dreißig“ – und habe mir damit einiges an Ärger mit unseren Freunden eingehandelt, aber ich habe das nicht böse gemeint. Ich hatte Angst um ihn und habe das wirklich geglaubt. Ob er heute noch lebt? Keine Ahnung. Das letzte was ich von ihm gehört hab, ist das er mit 22 ein Kind bekommen hat – ausversehen.
Simon kennt solche Leute wahrscheinlich nicht – und das ist ja eigentlich auch gut so. Wenn er gesehen hätte, was ich erlebt habe, wäre er aber wahrscheinlich nicht so naiv. Denn dieses Schicksal ist leider kein Einzelfall – die Leute, die dem Gras verfallen und übel geendet sind, kann ich lange nicht mehr an zwei Händen abzählen. Selbst unseren Schulbesten hat´s damals erwischt. Er war ein absoluter Überflieger, ein Ass in Mathe und Sport, nachdem er das Gras für sich entdeckte, machte er aber am Ende ein wesentlich schlechteres Abitur als ich. Danach verfiel auch er den harten Drogen und bekam mit 20 ein Kind, um das er sich nicht kümmern wollte.
Cannabis ist aber nicht nur als Einstiegsdroge gefährlich – es birgt ernste gesundheitliche Gefahren. Der Konsum kann bei Jugendlichen unter anderem die normale Hirnentwicklung stören. Er erzeugt unter Umständen Gedächtnisschwächen, vermindert die Koordinationsfähigkeit und kann im schlimmsten Fall -etwa bei Veranlagung gepaart mit massivem Konsum- zum Auftreten von Psychosen führen. Und das ist dann gar nicht mehr lustig, denn dann ist das normale Leben für immer vorbei. Psychosen wie Schizophrenie sind chronische, nicht heilbare Krankheiten, die zu völligem Realitätsverlust, Wahnvorstellungen, Paranoia und damit verbundenen Fehlhandlungen, wie etwa Gewaltausbrüchen, führen können.
Das Legalize it-Märchen
Für mich ist die Legalisierung von Marihuana aus all diesen Gründen ein fataler Fehler. Sie hilft weder Konsumenten, noch schützt sie Jugendliche oder vergrault irgendwelche Drogendealer. Sie führt nur zu einer Normalisierung des Drogenkonsums und dazu, dass das stinkende Zeug noch ungenierter in der Öffentlichkeit konsumiert werden kann – am Ende wahrscheinlich in jedem Café, jeder Bar und auf dem Kinderspielplatz. Und da frag ich dich nochmal Simon, willst du das wirklich? Und ich frag dich noch was: Du bist doch Jurist – glaubst du nicht, dass es Leute gibt, die etwas nur deswegen nicht tun, weil es verboten ist? Ich bin davon überzeugt, dass zumindest ein paar wenige Leute gibt, die nur deshalb kein Cannabis konsumieren, weil es verboten ist. Es gibt sie noch, die Leute, die Angst vor der Polizei und strafrechtlichen Konsequenzen haben – sicher sind´s nicht viele, aber ich kannte ein Paar. Und schon deshalb, selbst wenn es nur Einzelne betreffen sollte, finde ich, dass das Zeug verboten bleiben sollte.
Die Milliarden an Steuereinnahmen, die man sich durch den Verkauf verspricht, sind für mich weder den zunehmenden gesellschaftlichen und sozialen Verfall noch die Verwahrlosung eines einzelnen Menschen wert. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem es normal ist, dass auf der Straße offen Drogen konsumiert werden – sei es Heroin oder Marihuana. Oder siehst du das anders Simon? Dann bin ich in diesem Punkt vielleicht weniger freiheitlich als du, aber ich steh dazu. Ich mag es, wenn die Leute wie normale Menschen aussehen und sich auch so benehmen können.
Wenn man den Schwarzmarkt wirklich „austrocknen“ und Jugendliche schützen will, geht das nur durch eine strikte Strafverfolgung und Null-Toleranz – ich finde dafür könntest du dich mal einsetzen. Wie wär´s wenn du mit dem Liberalala-Mist aufhörst und der nächste „Richter Gnadenlos“ wirst? Ich wäre dein größter Fan.
Ihr habt es wahrscheinlich mitbekommen, vielleicht ist das auch der Grund, weshalb ihr hier seid: Wir sind gerade dabei, die Berlin-Wahl zu stürzen (ganz bescheiden gesagt). Unser größter Erfolg seit Max Mannhart unseren Blog mit 15 Jahren in seinem Kinderzimmer gegründet hat.
Sämtliche unserer Rechercheergebnisse, die auf Tichys Einblick veröffentlicht wurden, wurden von großen Medien wie der Welt, der Berliner Zeitung und dem Tagesspiegel übernommen – ohne Quellenangabe versteht sich. Wir nehmen das als Kompliment: Wenn diese großen professionellen Medienhäuser unsere Geschichten übernehmen, ohne es für nötig zu halten zu erwähnen, dass sie von einem Haufen Jugendlicher ohne Journalistenausbildung und teilweise sogar noch ohne Schulabschluss aufgedeckt wurden – na dann müssen wir echt gut sein. Unser Anti-Establishment Konzept zur Ausbildung von Nachwuchsjournalisten scheint große Wirkung zu zeigen.
Es fing an mit bloßem Aktenwälzen, von dem wir uns nicht viel erhofft hatten, weil Berlin ja schon dezent am Ende ist. Doch es endete nun mit einer ausrastenden Präsidentin des Berliner Verfassungsgerichts, einer Wahlleitung, die indirekt Falschaussagen eingestehen musste, mehreren Strafanzeigen gegen die Verantwortlichen und einem ganz einfachen Fazit: Wir konnten alle Argumente, die gegen eine Wahlwiederholung sprachen, widerlegen.
Mehr kann man als Journalisten auch nicht machen. Nun liegt es an der Politik und der Justiz, wieder für Ordnung zu sorgen. Ein Versprechen können wir jetzt schon geben: Wir haben uns festgebissen und wir werden nicht locker lassen. Auch wenn die Verantwortlichen denken, sie könnten es unter den Teppich kehren – wir sind Nervensägen und das werden wir auch bleiben.
Unsere Recherchen sind im Auftrag von Tichys Einblick entstanden und auch dort erschienen. Alle Exklusivberichte werden wir auch weiterhin dort veröffentlichen, behaltet also ein Auge darauf. Was wir hier auf Apollo bieten, ist ein Blick hinter die Kulissen: Wie lief das ganze genau ab, wer sind wir überhaupt, was kommt als nächstes?
Aber wir haben auch Blut geleckt. Neben der Berlin-Wahl gab es in den letzten Jahrzehnten in der Deutschen Politik immer wieder Skandale, die eigentlich ganz offen auf dem Tisch lagen, doch dann auf wundersame Weise verschwunden sind. Alle großen Aufdeckungen der letzen Jahre, auf die nichts gefolgt ist, haben wir deshalb wieder unter dem Teppich hervor gekehrt.
Also präsentiere ich, die erste Apollo-Edition unserer neuen Ära!
Elisa David
Chefredakteurin
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Die Pre-Code-Ära
Die „roaring 20s“ und das Ende der Stummfilm-Ära haben radikale Veränderungen in die Filmwelt gebracht. So wird in Filmen offen über Sexualität gesprochen, Beziehungen realistisch (schmerzhaft) dargestellt, Kirche und Religion kritisiert und generell kein Blatt vor den Mund genommen, wenn es darum geht, gesellschaftsskeptische, freiheitliche Gedanken zu äußern. Das 1920 eingeführte Wahlrecht für Frauen führte auch zur vermehrten Darstellung von selbstbewussten, selbstbestimmten Frauen in Filmen. Das Pre-Code Kino erkundet vor allem viele Blickwinkel auf Liebesbeziehungen, auch wenn diese oft nicht als moralisch korrekt gelten, zumindest in den 1930er Jahren. So ist zum Beispiel zu bedenken, dass Scheidungen zumindest für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts als schändlich galten, vor allem für Frauen, weil diese zusätzlich finanziell abhängig von ihren Ehemännern waren. „The Divorcee“ (1930) ist ein Film, der sich nicht nur mit der Scheidung an sich beschäftigt, sondern auch mit den Gründen, die dahinterstecken, und insbesondere mit den Konsequenzen, die eine Scheidung damals mit sich brachte. Aus heutiger Sicht stellt die Message hinter dem Film nichts Neues dar, doch 1930 spielte der Film eine große Rolle im Vorstoß der Filmemacher, Probleme in Beziehungen realistischer darzustellen und offen zu diskutieren. Ein anderer Pre-Code Film, der die moralischen Grenzen einer Liebesbeziehung auslotet, ist „Design For Living” (1933) von Ernst Lubitsch, einer der bekanntesten Pre-Code-Regisseure. In dem Film wird zuerst ein klassisches Liebesdreieck vorgestellt, welches schlussendlich aber mit einer neuzeitlichen Lösung zum Happy-End geführt wird: Die Frau behält beide Männer als ihre Partner und die Männer sind damit einverstanden. Im Laufe des Films werden leicht durchschaubare Anspielungen auf Sex gemacht, an einer Stelle wird das Wort sogar schamlos in den Mund genommen. Dinge, die zum Beispiel im Kino der 1950er Jahre kaum zu sehen sind, beziehungsweise nur sehr mutigen Regisseuren überlassen waren.
Einer der letzten Filme vor dem Code ist „It Happened One Night” (1934), ein Frank-Capra-Film der 1935 alle Oscars in den fünf wichtigsten Kategorien abräumte, darunter unter anderem „Bester Film” und „Bester Schauspieler”/„Beste Schauspielerin” für Clark Gable und Claudette Colbert. Wenn man die Screwball-Komödie mit Filmen einiger Jahre zuvor vergleicht, merkt man, dass sie schon etwas unter Einfluss des sich anbahnenden Codes stand. Die beiden Hauptcharaktere, die sich im Bus kennenlernen, schlafen in Raststätten zwar im selben Raum, aber mit einem Laken als Trennung zwischen den Betten, das die Hauptfiguren als „Mauern Jerichos” bezeichnen. In der Schlussszene wird das Gebäude nur von außen gezeigt während erwähnt wird, dass nun „endlich die Mauern Jerichos gefallen sind”. Ich kann den Film übrigens generell sehr empfehlen, die Dialoge sind brillant.
Die Einführung und Abschaffung des MPPC-Codes
Versuche, einen Code zu etablieren, gab es schon in den 1920er Jahren – denn natürlich gibt es bei freiheitlichen Revolutionen jeder Art Gegner, die krampfhaft an alten gesellschaftlichen Normen festhalten. Vor allem Präsident Franklin D. Roosevelt und kirchliche Würdenträger, wie William Hays, hatten ihre Probleme mit den in Pre-Code Filmen geförderten Gedanken und Idealen. Hays schaffte es, eine Guidelineliste mit „Don’ts und Be Careful’s” durchsetzen, die jedoch von den meisten Filmstudios nicht sonderlich ernst genommen wurde. Erst 1934 kam es zur endgültigen Durchsetzung eines Codes, welcher es erforderlich machte, für jeden Film eine Zulassungsbescheinigung zu erhalten, bevor er veröffentlicht wurde. Der MPPC-Code wird unter Kennern auch als Hays-Code bezeichnet. Filme jeglicher Art mussten eine Vielzahl von Vorschriften erfüllen. Die bekanntesten sind folgende:
keine gezeigte oder auch angedeutete Nacktheit
keine Blasphemie
keine Gotteslästerung durch Kraftausdrücke (sogar Ausrufe wie “God” und “damn” in einem nicht-religiösen Sinn waren untersagt)
keine Einnahme von Drogen/Alkohol
keine Sympathie/Glorifizierung für jede Art gesetzwidriger Handlungen
keine Liebesbeziehungen zwischen Schwarzen und Weißen
Diese Regeln sind zum Beispiel der Grund dafür, warum man in 40er/50er Jahre-Filmen selten lange, leidenschaftliche Kussszenen sieht. Auf der anderen Seite ist es eben dieser strikte Code, der den Filmen des „Golden Age” ihre Kreativität verleiht. Regisseure waren gezwungen, die Message des Films auf subtilere, raffiniertere Art und Weise zu verpacken. Und diese Raffinesse ist Teil dessen, was den Charm Old Hollywoods ausmacht und Filme Hitchcocks, Capras oder William Wylers unvergesslich macht.
Der Code wurde schließlich durch gewagte, aber geliebte Filme wie „Some Like It Hot” (1959) allmählich mit Füßen getreten, sodass es 1968 mit der „New Hollywood Revolution” zur endgültigen Abschaffung des Hays-Codes kommt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war auch das „Golden Age” vorüber, welches mit der Einführung des Codes begann.