Archiv: Januar 29, 2022

Vom “Ich” zum “Wir”: Ayn Rand und das vergessene Wort

Von Jonas Kürsch | Die vergangenen zwei Jahre waren für freiheitsliebende und demokratisch geprägte Menschen ein regelrechter Albtraum. Viele der von uns als selbstverständlich empfundenen Grundrechte wurden und werden von Tag zu Tag durch immer despotischere und absurdere Schutzmaßnahmen eingeschränkt und teilweise sogar ganz aufgehoben. Wir reden hier nicht von irgendwelchen „Privilegien“, wie sie in der Politik gerne genannt werden, sondern von den Grundpfeilern einer funktionierenden liberalen Gesellschaftsordnung: wir sprechen von der Meinungsfreiheit, dem Recht auf freie Entfaltung und körperlicher Unversehrtheit, dem Verbot von Diskriminierung, dem Versammlungsrecht und vielen anderen essenziellen Bestandteilen unseres Grundgesetztes.

Doch aus welchen Gründen lässt sich der Mensch immer wieder in Knechtschaft zwingen lassen? Und wie können wir zu jenem langvergessenen Ideal des „freien Menschen“ auch in Zeiten der totalen Verwirrung zurückfinden? Genau diese Fragen versuchte auch die amerikanische Philosophin und Schriftstellerin Ayn Rand mit ihrem Lebenswerk zu beantworten. 

Kein “Ich”, kein “Du”

Ayn Rand erlebte als Kind einer jüdischen Geschäftsfamilie den ruinösen Einfluss der leninistischen Ideologie auf das Russland des frühen 20. Jahrhunderts aus erster Hand mit. Sie war dazu gezwungen mit anzusehen, wie rechtschaffenen Menschen der langerarbeitete Besitz enteignet und ihre bürgerlichen Freiheiten im Rahmen des kommunistischen Machtkampfes vom einen auf den anderen Tag fast vollständig abgeschafft wurden. Jene roten Gräueltaten würden ihr Werk bis ins hohe Alter prägen. Später entkam sie der stalinistischen Diktatur, um in New York zu einer der bedeutendsten Schriftstellerinnen der USA zu werden.

In einer ihrer Novellen beschreibt Rand eine dystopische Gesellschaftsordnung, die viele Parallelen zur heutigen Entwicklung der Politik aufweist. Beispielsweise sprechen die Figuren in ihrer Geschichte fast ausschließlich in einem eigenartigen Newspeak, der die Personalpronomen „Ich“ und „Du“ nicht kennt. Zu erklären ist das mit dem vorherrschenden Regime, das seinen revolutionärem Kollektivgedanken mit jener neuen Sprechart aufrechterhalten und die Identifikation der Menschen als einzelnes Individuum zu unterbinden versucht. Mich hat dieses Sprachsystem stark an das Gendern erinnert, welches durch seine Überfeinerung ja auch das Ziel verfolgt, ein radikales Gefühl der kollektivistischen Zusammengehörigkeit und totalen gesellschaftlichen Inklusion zu erzeugen. Im Grunde hat beides das gleiche Ziel, nur ihre Mittel haben unterschiedliche Vorzeichen.


Sind wir eine Stufe vor der Dystopie?

Auch Namen sind in diesem Staatssystem schon lange vergessen, vermutlich weil sie im Rahmen der uneingeschränkten Identifikation mit dem staatlich gelenkten Volkskörper keinen Nutzen mehr innehatten. Als der Protagonist eines Tages auf ein technologisches Artefakt stößt, das ihm und seinen Mitmenschen vollkommen neue Entwicklungsoptionen ermöglichen würde, fällt er bei dem fortschrittsfeindlichen Regime in Ungnade. Zudem verliebt er sich in eine Feldarbeiterin und erträgt den Gedanken nicht länger, ihre Liebe mit dem Rest der Gesellschaft teilen zu müssen. So entscheidet er sich gemeinsam mit dieser Geliebten zur Flucht in die Wildnis, wo er durch Zufall auf die Überbleibsel einer längst vergangenen Zeit stößt. Zum ersten Mal in seinem Leben liest er in einem alten Buch das für ihn vollkommen unverständliche Wort „Ich“.

Fortan will er lernen, den Sinn seiner Existenz einzig und allein aus der eigenen, nicht aber aus der Anstrengung anderer Menschen zu schöpfen.

Doch nach einer Weile begreift er letztendlich die Bedeutsamkeit dieses essenziellen Wortes und zieht die zentrale Schlussfolgerung, dass eine Gesellschaft, die den Einzelnen zum ständigen Verzicht zu Gunsten der Bedürfnisse anderer zwingt, im starken Widerspruch zu der natürlichen Beschaffenheit des Menschen als freiem und kreativen Wesen steht. So erkennt er, dass seine neugefundene Fähigkeit zum Empfinden von Liebe nicht etwa ein Resultat des gesellschaftlich angestrebten Gleichheitsideals ist, sondern eine Reaktion auf die individuelle Einzigartigkeit seiner Geliebten. Fortan will er lernen, den Sinn seiner Existenz einzig und allein aus der eigenen, nicht aber aus der Anstrengung anderer Menschen zu schöpfen. Er will frei und unabhängig auf der Grundlage seines eigenen rationalen Verstandes die Welt um sich herum erforschen und das eigene Schicksal ohne äußere Fremdeinflüsse gestalten können.

Rands Gedanken sind so aktuell wie nie zuvor

Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der jede Art des eigennützigen Handelns verteufelt und ein vollkommen falschverstandener Solidaritätsbegriff auf gefährliche Weise überhöht wird. Wer es wagt, sich gegen den Willen der Mehrheit zu äußern, muss mit der Willkür und dem Zorn seiner Mitmenschen rechnen. Wer sich nicht dem Kollektiv beugt und den Versuch unternimmt, für ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit einzustehen, wird für diesen unerwünschten Widerstand mit aller Härte bestraft.

Die letzten zwei Monate haben allerdings gezeigt, dass immer mehr Menschen dazu bereit sind, sich mit demokratischen Mitteln gegen die ungerechtfertigten Freiheitseinschränkungen zu wehren. Es bleibt daher zu hoffen, dass Deutschland und der Rest der Welt aus ihrem ideologischen Schlaf erwachen wird und sich, ganz in der Tradition Ayn Rands, wieder zu einem sehnsuchtsvollen Leben in Freiheit bekennen, fernab vom gegenwärtigen Lebensgefühl der Angst und totalitären Zwangsaufopferung. Es ist Zeit, dass die Deutschen das heiligste aller Wörter wieder in ihrer Lebensphilosophie zu verwenden wissen: Ich.

 


»Ich schwöre bei meinem Leben und der Liebe zu ihm, dass ich niemals für einen anderen Menschen leben werde und von keinem Menschen verlange, dass er für mich lebt.«
– Ayn Rand


 


Die Impfpflicht und die Spaziergänger: Kommt jetzt die Wende?

Von Michael Friese | Wir sind in der Corona-Pandemie mittlerweile an einem Punkt angekommen, wo jeder Bundesbürger eine Entscheidung getroffen hat: Entweder hat er sich die zwei (oder drei, vielleicht bald sogar vier) Corona-Impfungen geben lassen – oder eben nicht. Am Anfang der Impfkampagne hatte man dem Volk versprochen, dass jeder mündige Bürger frei darüber entscheiden darf und niemand zu einer Impfung gezwungen werden wird. Ein typischer Politiker-Insider eben. Es ist diesmal jedoch ein Insider, der überhaupt nicht den Humor der Menschen trifft und es ist nicht mehr zu überhören. Wird die Politik das Kastendenken zwischen Geimpften, Ungeimpften und Geboosterten weiter gesetzlich etablieren können oder wird der Tag kommen, an dem sie endgültig einen Schritt zu weit geht?

Wir erinnern uns an das letzte halbe Jahr in Deutschland: Der Impfstoff gegen das Corona-Virus war für jeden Bürger erhältlich und mit der Zeit hat sich so gut wie jeder entweder dafür oder dagegen entschieden. Die Politik versprach vieles: Die Aufhebung aller Maßnahmen – entweder wenn jeder Impffähige ein Angebot bekommen hat oder wenn eine bestimmte Impfquote erreicht wurde. Jeder Schelm, der behauptete, dass es zu einer staatlich aufoktroyierten Impfung kommen könnte, wurde zum Verschwörungstheoretiker gemacht, ob er es nun wirklich war oder nicht. Es würde schließlich niemand in Deutschland gegen seinen Willen geimpft werden, wie es Michael Kretschmer einst sagte (und dabei die Masern-Impfpflicht gekonnt außer Acht ließ).

Mit solchen klar geframten und durch neue Erkenntnisse zur Schutzwirkung des Impfstoffes mittlerweile vollkommen widerlegten Schlagwörtern, begann die Diskreditierung einer ganzen Bevölkerungsgruppe.

Was auf solche Versprechen folgte, war kein Schutz der Minderheit, die sich nicht hat impfen lassen und auch keine Toleranz gegenüber dieser Entscheidung, die sie getroffen hat. Nein, es kam in Talkshows, im Internet und im öffentlichen Diskurs zu einer immer größeren Anzahl von immer aggressiver werdenden verbalen Angriffen auf Ungeimpfte. Es sei „unverantwortlich“ oder „egoistisch“, sich nicht impfen zu lassen, man solle sich mit der Gesellschaft „solidarisch“ zeigen. Mit solchen klar geframten und durch neue Erkenntnisse zur Schutzwirkung des Impfstoffes mittlerweile vollkommen widerlegten Schlagwörtern, begann die Diskreditierung einer ganzen Bevölkerungsgruppe.

Je öfter diese Angriffe auftraten, desto aggressiver wurden sie in ihrer Rhetorik und Natur. Es verging irgendwann keine Woche mehr, in welcher nicht irgendein „Experte“ in einer Talkshow saß und eine ganze Menschengruppe explizit beleidigte – ohne dass ein Vertreter dieser Gruppe mit in der Sendung war. Ungeimpfte wurden nun zu „Sozialschädlingen“ (mein persönliches Unwort des Jahres), zu „Dummköpfen“; sie würden die Gesellschaft „in Geiselhaft“ nehmen, es gäbe eine „Tyrannei der Ungeimpften“ und sie ganz allein seien daran Schuld, dass diese Pandemie noch immer andauere.

Sozialschädlinge, Dummköpfe, Tyrannen 

Diese monatelange mediale Schmierenkampagne gegen „die Ungeimpften“ sollte schlussendlich auch politisch Früchte tragen. Was macht man nämlich mit Egoisten, Unsolidarischen, Dummköpfen, Sozialschädlingen und Tyrannen? Man wird sie los; im Falle von Corona zwingt man sie eben zu ihrem „Glück“. Die „G-Regeln“ wurden eingeführt, am folgenreichsten  hierbei die 2G-Regel. Sie schließt die doofen Ungeimpften aus so gut wie jedem Lebensbereich aus, lediglich Grundbedürfnisse wie ein Supermarktbesuch dürfen sie noch erledigen und selbst das ist für manche Menschen bereits zu viel Freiheit für diese Bevölkerungsgruppe.

Doch die G-Regeln waren nicht der Gipfel des diskriminierenden Gedankenguts in Gesetzesform. Ab November wurden Rufe nach genau dem laut, was bereits vor Monaten prognostiziert wurde, weil die Politik es vehement ablehnte: Die Impfpflicht. Für Krankenpfleger ist diese bereits offiziell durchgedrückt und tritt im März in Kraft. Diese lässt sich mit einer Metapher schnell und einfach zusammenfassen: Man hängt an einer Klippe, ist kurz davor abzustürzen, wird jedoch von einer aufopfernden Seele im letzten Moment gerettet – und schubst danach seinen Retter ohne auch nur mit der Wimper zu zucken ebenjene Klippe hinunter.

Jeder Pfleger, der sich über die Pandemie hinweg den Allerwertesten abgeschuftet hat, um das teils marode gesparte Gesundheitssystem am Laufen zu halten, könnte jetzt durch eine kleine Entscheidung, die der Regierung nicht in den Kram passt, seine Lebensgrundlage verlieren. Dieses Konzept hörte sich für viele aus der Politikerkaste so gut an, dass sie das direkt auf das gesamte Volk ausweiten wollten. Die Impfpflicht ist schließlich „OK“ und wenn eine Wissenschafts-YouTuberin das sagt, muss es auch stimmen. Wie bereits gesagt: Alles Egoisten, Geiselnehmer, Tyrannen, leere Worthülse Nr. 54.

Der durch medial geförderte moralische Erpressung immer höher werdende Druck kann wirklich schwer auf einem liegen.

Als Ungeimpfter hat man in dieser Zeit dem Optimismus eher den Rücken zugewandt. Man hat sich vielleicht sogar schon damit abgefunden, dass die Dystopie auf dem Vormarsch ist. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass ich mehr als einmal einen Moment hatte, in welchem ich mich hilflos gefühlt hatte, als sei die gesamte Welt gegen einen. Der durch medial geförderte moralische Erpressung immer höher werdende Druck kann wirklich schwer auf einem liegen. Hinzu kommt der Ausschluss aus beinahe jedem Bereich des öffentlichen Lebens. Egal, wo man auch hingehen mag, sobald man in die Nähe eines Nicht-Supermarktes kommt, sieht man überall Schilder wie „Hier gilt die 2G-Regel“ oder „Halten Sie Ihren Impfnachweis bereit“. Die Bundesrepublik hat in ihrer gesamten Lebenszeit keine derartige Diskriminierung gegenüber einer ganzen Bevölkerungsgruppe gesehen und es ist eine Schande, dass wir sie jetzt erleben müssen. Die Impfpflicht ist hierbei nur die Sahnehaube auf der Verachtungstorte.

Sind sie zu weit gegangen?

Doch genau diese Sahnehaube könnte nun das Fass zum Überlaufen bringen. Immer mehr Leute gehen gegen unrechtmäßige Covid-Restriktionen auf die Straße und es sind schon lange keine „Querdenker“ mehr, welche man leicht pauschal zu Verschwörungstheoretikern machen kann. Die neue Protestbewegung besteht aus ganz einfachen Spaziergängen durch die Städte. Nur mit dem Unterschied, dass bei jedem dieser Spaziergänge mehrere hundert, wenn nicht tausend Leute mitlaufen – und das in immer mehr Städten in der gesamten Republik. Somit gehen regelmäßig nahezu zeitgleich über 100.000 Menschen im gesamten Land gegen die be(vor)stehenden, grundrechtseinschränkenden Maßnahmen auf die Straße.

Sie kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten spontan zusammen, um demonstrativ durch die Gegend zu spazieren und so ihre Präsenz zu zeigen – und zu demonstrieren, dass sie existieren und keine kleine, verrückte Blinddarmminderheit sind. Selbst in meiner Geburtsstadt gehen auf die Einwohnerzahl gerechnet sehr viele Menschen auf die Straße, Tendenz steigend. Ich selber habe leider noch nicht die Gelegenheit gehabt, mir eine solche Demo anzusehen, hauptsächlich aus Gründen der Mobilität (man siehe dazu die Apollo-Edition zu dem Thema), doch es steht auf meiner Liste von Dingen, die ich vor dem Ende von Corona noch abhaken möchte, ganz weit oben.

Sie kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten spontan zusammen, um demonstrativ durch die Gegend zu spazieren und so ihre Präsenz zu zeigen – und zu demonstrieren, dass sie existieren und keine kleine, verrückte Blinddarmminderheit sind.

Diese Demo-Bewegung könnte eine neue Hoffnung in das Thema Corona bringen. Die schiere Masse an Menschen, die sich zeitgleich am selben Ort aufhalten, um für dieselbe Sache einzutreten, lässt sich nur noch schwer als homogene Gruppe von meschuggen Verschwörungstheoretikern und glatzköpfigen Reichsbürgern darstellen, ohne sich als Medium vollkommen lächerlich zu machen. Eine für lange Zeit gesellschaftlich-moralisch unterdrückte Position verleiht sich nun Gehör und das weitestgehend friedlich. Der zukünftige Corona-Kurs der Regierung könnte durch sie ins Wanken geraten und deshalb ist meine Botschaft an alle, die diese Protestbewegung positiv sehen, egal, ob man nun optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft blickt: Bleibt am Ball! Lasst die Bewegung nicht wieder schrumpfen, weil ihr außer Puste seid.

Denn es besteht eben diese eine Chance, dass eine friedliche Protestbewegung wirklich einen Wandel hervorbringen kann. Die Impfpflicht wirft bereits ihren bedrohlichen Schatten. Was habt ihr also groß zu verlieren?


Größenwahnsinn bedeutet Pläne machen: Warum Sokrates sterben musste

Von Sarah Victoria | Es ist soweit, ein weltbekanntes Virus feiert zweiten Geburtstag und manch ein Politiker könnte kaum stolzer auf den kleinen Sprössling sein, der ihm zur Instagram-Prominenz oder Talkshow-Karriere verhalf. Hinter doppelter FFP2-Maske backen sie vielleicht eine Geburtstagstorte nach Anleitung des RKI oder singen dem Geburtstagskind ein kleines Ständchen („Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst!“). Denn das Virus löste nicht nur eine neue Krankheit aus, sondern offenbarte auch tiefe Ängste der Bevölkerung, die nicht neu sind, aber nun politisch genutzt werden können. Vor ein paar Tagen etwa debattierte der Bundestag zum Thema allgemeine Impfpflicht.

Neben interessanten Wortneuschöpfungen wie „Solidaritätsspritze“ oder „die Impflicht als Weg zur gesellschaftlichen Befriedung“ fiel mir vor allem die Selbstverständlichkeit auf, mit der Politiker das Leben als planbar bezeichneten. Wenn wir jetzt alle impfen, wird der Herbst viel besser als letztes Jahr, hieß es da. Also vorausgesetzt, die neue Mutation lernt bis dahin das Lesen. Und wenn ich ab heute nur noch Rohkost esse und täglich eine Runde durch den Ort jogge, kann ich meine Lebenserwartung erheblich verlängern, es sei denn, mir fällt in der Zwischenzeit ein Ast auf den Kopf. Ich finde ja, das Leben ist nicht so leicht planbar.

Unwissenheit gehört dazu

Gerade die letzten zwei Jahre haben das eindrücklich bewiesen. Zumindest glaube ich, nicht die einzige gewesen zu sein, deren innere Glaskugel nicht bis nach Wuhan reichte. Bestimmt bin ich auch nicht alleine mit der Erfahrung, dass es Ereignisse gibt, die das Leben von jetzt auf gleich fundamental verändern; es Momente gibt, in denen das Leben plötzlich einen Richtungswechsel einschlägt und man auf eine neue Strecke geschubst wird, auf der man sich erst zurechtfinden muss.

Ich stelle mir das Leben manchmal vor wie die Fahrt in einem selbstfahrenden Auto, nur dass man nicht weiß, wohin die Reise geht und wann einen dieser Schleudersitz aus dem Auto werfen wird. Der Mensch kann sich dabei vielleicht aussuchen, welche Farbe sein Auto haben soll, welchen Proviant er mitnimmt oder welche Musik im Autoradio läuft. Aber er kann nicht alleine bestimmen, wie lang diese Strecke ist, wohin sie führt und wer ihn wie lange dabei begleiten darf. Die Strecke, die ich vor zwei Jahren geplant hatte, verlief anders. Sie war weniger kurvig, führte nicht durch politische Minenfelder und auf meiner Rückbank nahm auch noch mein Opa Platz. Aber als Mensch wird mein Leben immer Facetten enthalten, die so nicht vorgesehen waren.

Die Annahme, dass der Mensch seine Umwelt nicht nur beeinflussen, sondern auch kontrollieren kann, findet sich auch im Staatsverständnis wieder.

Ich werde immer in meinen Fähigkeiten begrenzt sein, weil meine Existenz einfach an Bedingungen geknüpft ist. Sei es die Bedingung, dass ich atmen muss, denken kann oder eines Tages sterben muss. In Zeiten des wissenschaftlichen Fortschritts sind diese Bedingungen oft immer weiter in den Hintergrund gerückt. Die Annahme, dass der Mensch seine Umwelt nicht nur beeinflussen, sondern auch kontrollieren kann, findet sich auch im Staatsverständnis wieder. Viele Menschen erwarten vom Staat Sicherheit, eine Erlösung von der ständigen Angst, die Kontrolle zu verlieren. Doch wie soll die Politik Umstände schaffen, die das Leben an sich anders gestaltet? Das Leben besteht aus Bereichen, die der Mensch beeinflussen kann und aus solchen, an die er sich anpassen muss.

Karl Lauterbach, die Impfpflicht und der Größenwahn 

Grenzt es nicht an Allmachtsfantasien, wenn Parlamentarier mit an Kriegsrhetorik erinnernden Pathos verkünden, in die privatesten Lebensbereiche eines Menschen eingreifen zu müssen, um Kontrolle über einen unkontrollierbaren Bereich des Lebens zu erlangen?  

Das ist zumindest mein Eindruck, wenn ich mancher Rede im Parlament lausche, bei der Abgeordnete stolz verkünden, Verantwortung für die Gesundheit eines ganzen Landes übernehmen zu wollen. Denn wir wissen alle, dass nur unverantwortliche Menschen krank werden und Intensivstationen nur für solidarische Mitmenschen gedacht sind. Und solidarisch sein heißt, die neuen Maßnahmenkataloge zu befolgen, sich in jedes Körperteil boostern zu lassen und täglich zu überprüfen, ob der Impfstatus schon aberkannt wurde.

Warum Sokrates sterben musste

Wenn man eines aus der Philosophiegeschichte lernen kann, dann ist es Bescheidenheit. Schon Sokrates wusste, dass er nichts wusste und dabei war er einer der schlauesten Menschen seiner Zeit. Diese Bescheidenheit wurde offenbar nicht von seinen Mitmenschen geteilt. Wer weiß, welche Erkenntnisse er noch mit seinem Schüler Platon hätte teilen können, wäre er nicht – demokratisch wohlgemerkt – zum Tode verurteilt worden.

Nein, der kategorische Imperativ verlangt keine Impflicht und nein, es ist keine gute Idee, als Mensch Gott spielen zu wollen.

Menschen, die denjenigen, die sich selbst für allmächtig halten, den Spiegel vorhalten, wurden schon damals nicht gerne gesehen. Was Herrn Lauterbach wohl nicht davon abhalten wird, die Ideen von Philosophen wie Kant oder Hegel zu verunglimpfen. Nein, der kategorische Imperativ verlangt keine Impflicht und nein, es ist keine gute Idee, als Mensch Gott spielen zu wollen. Das Leben ist komplex und enthält viele Variablen, die nicht in der Kontrolle des Menschen liegen, Variablen von denen er mitunter gar nichts weiß und die er, auch mit der besten Absicht, nicht beeinflussen kann.  Eine Tatsache, die frustrierend ist, aber nach Bundestagsdebatten auch beruhigt. Der Einfluss des Menschen ist begrenzt und damit auch der von Parlamentariern.

Mir tun diese Abgeordneten fast Leid, weil sie sich einer Aufgabe hingegeben haben, die von Beginn an zum Scheitern verurteilt war. Sie sind voller Angst, weil sie auf einem wackeligen Konstrukt aus fadenscheinigen Argumenten stehen. Die Bevölkerung ist voller Angst, weil Konformität gegen Grundrechte eingetauscht wurde. Teile haben Angst, ihre Privilegien zu verlieren und andere bangen um ihren Lebensinhalt oder ihre Zukunft.

Nichts als Angst

Gerade in Zeiten der Angst ist es umso wichtiger, das „Warum“ nicht aus den Augen zu verlieren. Sich nicht nur zu fragen, für was man lebt, was man erschaffen möchte oder vor was man Angst hat, sondern zu fragen, warum man lebt. Dieses „Warum“ kann Menschen durch die schwersten Schicksale tragen. Es kommt nicht darauf an, eine eindeutige Antwort auf diese Frage zu finden. Vielmehr ist es wichtig, nicht Platzhalter an die Stelle von Sinn oder Eigenverantwortung zu setzen.

Wenn es um die Frage nach Lebenssinn geht, lohnt sich die Lektüre von Viktor Frankls Büchern. Viktor Frankl war ein österreichischer Psychologieprofessor, der unter anderem Auschwitz überlebte. Er beobachtete Menschen, die unvorstellbares Leid erfahren mussten und stellte dabei fest, dass der Umgang mit Leid vor allem mit dem Innenleben des Menschen zu tun hat. In seinem Buch „Trotzdem ja zum Leben sagen“ schreibt er unter anderem: „ Die psychologische Beobachtung der Lagerhäftlinge hat vor allem ergeben, daß nur derjenige in seiner Charakterentwicklung verfällt, der sich zuvor geistig und menschlich eben fallen gelassen hat; fallen ließ sich aber nur derjenige, der keinen inneren Halt mehr besaß!“. Und nein, ich möchte hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Gerade weil unsere Lage noch um einiges besser ist, sollte uns das Hoffnung geben. 

 Ich kann vielleicht nicht planen, ob mir der besagte Ast auf den Kopf fällt, aber ich habe Kontrolle darüber, wie ich Momente davor gedacht habe. Ich habe die Kontrolle darüber, ob ich in diesem Moment als mündiger Mensch durch den Wald gelaufen bin, oder meinen Impfpass fest umklammert hielt, falls 2G auch in Wäldern gelten sollte. Herr Lauterbach kommt mit seinem Impfausweis vielleicht in den Bundestag, aber in meinem selbstfahrenden Auto hat seine Angst keinen Platz – die passt nämlich nicht zur Inneneinrichtung.  


»Die letzte der menschlichen Freiheiten besteht in der Wahl der Einstellung zu den Dingen.«
–Viktor Frankl


 


Klopapier, Nazi-Antifa und liberale Sozialisten: Das waren die größten Corona-Überraschungen

Von Pauline Schwarz | Vor Corona grüßte in Deutschland täglich das immer gleiche Murmeltier: Um das schändliche Automobil zu verdrängen, wurden unsere Straßen zielstrebig in vollgemüllte Fußgängerzonen verwandelt, Parkplätze wurden zu Hunderten Opfer von riesigen Blumenkübeln oder Parklets, die wirklich niemanden, außer Obdachlose und Säufer, zum Verweilen einladen. Jeden Freitag hüpften irgendwo ein paar Kinder – oder als Kinder getarnte Antifas – durch die Gegend und blockierten Rettungszufahrten, um das Klima zu schützen. Derweil gab sich unsere Bundesregierung Mühe, unsere Steuergelder für möglichst kreative Projekte zu verprassen, Kriminalität wegzudiskutieren, die Wirtschaft zu destabilisieren und unseren Wohlfahrtsstaat auch noch für den letzten Winkel der Erde zu öffnen. Bei all dem gab es nur Gut gegen Böse und links gegen rechts. Die Fronten standen fest. Doch dann kam Corona und es gab plötzlich einen neuen Spieler im Feld.

Dass dank des neuen Virus bald nichts mehr sein würde, wie es einmal war, wurde im Frühjahr 2020 das erste Mal spürbar. Die Welt war geschockt von den Bildern aus chinesischen Quarantäne-Camps, den Seuchenschutzanzügen und den in Gänze gnadenlosen Maßnahmen des chinesischen Regimes. Damals tönten unsere Politiker noch: „So was wird es in Deutschland nicht geben, wir sind eine Demokratie“. Aber, Überraschung! Wenige Zeit später saßen wir alle im ersten Lockdown und starrten frustriert unsere Wände an. Das war der erste große Schock, auf den wenig später der zweite folgen sollte: die große Klopapier-Krise von 2020. Die Deutschen strömten in die Supermärkte und kauften wie Berserker in der Hygiene-Abteilung alle Regale leer. Man kannte weder Freund noch Feind, nur noch den Run auf das Klopapier-Regal. Es gab Diebstähle, Schlägereien und Tränen um die letzten Rollen des weißen Heilsbringers. Denn der Deutsche fürchtet anscheinend nichts mehr als ohne Papier auf dem Pott zu sitzen. Ich wusste ja, dass uns eine Neigung zu Ordnung und Sauberkeit nachgesagt wird – aber diese spezielle Vorliebe hat mich doch überrascht.

Die große Klopapier-Krise 2020 und die rechten Globulis 

Seit den fast zwei Jahren Corona-Deutschland musste ich aber nicht nur unser Verhältnis zu Klopapier, sondern auch insgesamt so einiges überdenken. Zuletzt musste ich mir sogar eingestehen, dass ich ein völlig falsches Bild von meiner Kindheit und Herkunft hatte. Ich habe immer gedacht, dass ich mit Berlin-Kreuzberg aus einem links-grünen-öko-anarcho Milieu stamme – aber diesen Glauben hat mir der ÖRR mit seiner Berichterstattung über die Corona-Demos jäh zerstört. All die Bio-Workshops, die Atemseminare und all die Traumreisen, aus denen mich nur der zarte Ton der Klangschale meiner Yoga-Pädagogin wecken konnte. Ja sogar jedes Kügelchen Globuli – alles Schwindel! Das war nicht links. Ich stamme aus einem rechten Sumpf! Einem Sumpf, aus dem mit Trommeln, Peace-Schildern und Regenbogenflaggen bewaffnete Moormonster seit Monaten zu Hunderten oder sogar Tausenden ihren Unmut auf die Straßen tragen. Solche Menschen können nur Rechte sein und zwar alle, das sagt die ARD und wenn die das sagt, muss das schließlich stimmen.

Heute ist sogar Sarah Wagenknecht, eine der wohl bekanntesten Vertreterinnen der Links-Partei, eine rechte Hetzerin – die Frau, die mein altlinker Vater immer für ihren glühenden Wirtschaftssozialismus anhimmelte.

Den Mainstream-Medien sei Dank, weiß ich nun, dass meine Ansichten falsch sind. Rechts war für mich vor kurzem noch so ungefähr jeder, der kein Stalin-, Mao- oder Pol Pot-Poster über seinem Bett hängen hat. Jeder, der nicht von Anarchismus, dem Multikulti-Öko-Staat, der Kommune eins und umfassender Planwirtschaft träumt. Aber ne ne, nicht mit Corona! Labortür auf, Virus raus und schon steht die Welt Kopf. Heute ist sogar Sarah Wagenknecht, eine der wohl bekanntesten Vertreterinnen der Links-Partei, eine rechte Hetzerin – die Frau, die mein altlinker Vater immer für ihren glühenden Wirtschaftssozialismus anhimmelte. Die beiden ereilte dank Corona das gleiche Schicksal: Die alten Sozikumpels bezeichnen sie plötzlich als Schwurbler und Querdenker. Die Diskussion um die staatlich verordnete Spritze hat selbst die härteste linke Front gespalten.

Das das so schnell gehen würde, Frau Wagenknecht mal als Rechte gelten und mir durch ihren Starrsinn sogar richtig sympathisch erscheinen könnte, hätte ich bis vor Corona nicht für möglich gehalten. Genauso wenig hätte ich geglaubt, dass es der FDP möglich seien könnte, ihren „Ruf“, eine liberale freiheitliche Partei zu sein, noch mehr zu ruinieren. Für mich hat die FDP ihre Unwählbarkeit schon lange durch ihre Transgender-Politik in Bezug auf psychisch schwer angeschlagene Kinder bewiesen – von der „No Border, No Nation“- und „Legalize it“-Fraktion mal ganz abgesehen. Jetzt hat die FDP aber noch mal einen drauf gesetzt und durch ihre Corona-Politik wirklich jedem noch so oberflächlich politisch Interessiertem gezeigt, wofür sie wirklich steht: Ein fehlendes Rückgrat, keine Prinzipien und Mitläufertum. Selbst einzelne Persönlichkeiten, wie Herr Kubicki, für die ich noch etwas Hoffnung hatte, haben in der Abstimmung zur Impfpflicht ihr wahres Gesicht gezeigt.

Die Nazi-Antifa – der ÖRR-Schreck

Wohl am meisten überrascht war ich aber erst kürzlich und zwar über mich selbst. Ich habe mir im Internet einige Videos zu den Montagsspaziergängern in Berlin angeschaut und mich plötzlich wie ein gehässiger Schneekönig gefreut, als ich einen Antifanten mit Musikbox, Antirassismus-Banner und großer Antifa-Flagge unter den ganzen „Querdenkern“ entdeckte. Nie, wirklich nie, hätte ich es für möglich gehalten mich mal über die Antifa zu freuen – einen Verein, den ich normalerweise voller Leidenschaft verachte. Für alles, wofür sie stehen und was sie tun. Aber da mittendrin zwischen all den angeblichen Nazis? Genial. Das wird jedem Journalisten seine Arbeit erschweren, der über den rechten Marsch berichten will. Und davon abgesehen: Die Antifa muss einen Gegenprotest gegen die Antifa organisieren – reinste Satire.

Wenn uns das Corona-Virus nach all dem nun so langsam wirklich „verlassen“ sollte und die Maßnahmen nicht mehr über unser aller Leben bestimmen, werde ich es vielleicht sogar ein gaaanz kleines bisschen vermissen – für all die Spannung und Aufregung, nie zu wissen, was als nächstes kommt. Doch bis die Pandemie dann schließlich für vorbei erklärt wird, lauern bestimmt noch einige Überraschungen auf uns. Alles ist möglich: Wer weiß, vielleicht sehen wir Herrn Lauterbach eines Tages sogar neben Söder auf dem Rednerpult einer Corona-Demo.


Was, wenn Harry Potters Freunde Impfgegner gewesen wären?

Von Jonas Aston | Die Gesellschaft ist gespalten. Menschen werden kategorisiert und je nach Impfstatus Rechte zugeteilt. Die noch immer drohende Impfpflicht versetzt Millionen Ungeimpfte in Angst und Schrecken. Doch die Situation ist längst nicht so hoffnungslos wie es scheint. Die neue Normalität lässt sich nicht überall durchsetzen: Die Filmindustrie setzt nach wie vor auf die alte Normalität. Selbst in den neuen Blockbustern fehlt von Maske, Abstand und Hygieneregeln jede Spur. Man lässt damit den Zuschauer aus der tristen durchregulierten Realität in eine freie, bessere und einfach normale Welt entfliehen. Jeder Versuch, den CoronaAlltag in Filme zu integrieren, würde auch die absurdesten Blüten treiben. Dabei, würden Corona-Remakes vielleicht auch den letzten klar machen, wie verrückt unsere Lage gerade ist. 

Ron Weasley der Impfverweigerer und James Bond mit 2G-Nachweis

Was wäre zum Beispiel, wenn Ron Weasley und seine Familie sogenannte Impfverweigerer wären? Wie an zahlreichen Unis könnte auch in Hogwarts 2G gelten. In diesem Fall hätte Harry Ron nie kennengelernt und Molly Weasley hätte Harry nicht auf die verzauberte Säule aufmerksam machen können. Harry würde auf der Suche nach seinem Zug ganz verloren am Bahnhof Kings Cross stehen. Wildhüter Hagrid hat sich längst aus dem Staub gemacht und der Schaffner blafft ihn auf die Frage, wo denn das Gleis 9 ¾ sei, nur belustigt an und fordert ihn auf, die Maske richtig aufzusetzen. Die Harry-Potter-Saga würde hier ihr tragisches Ende nehmen und Harry bis zum Ende seiner Tage im Treppenschrank der Dursleys hausen. „Harry Potter und das Virus des Schreckens“, hieße das ganze dann. 

Auch der amerikanische Film „Hangover“ würde ganz anders ablaufen. Im dritten Teil verliert Phil in Tijuana (Mexiko) sein Handy. Aus heutiger Perspektive eine absolute Vollkatastrophe. Wer weiß, welche Einreisebestimmungen in die USA gerade bestehen? So ganz ohne digitales Impfzertifikat hätte Phil schlechte Karten. Doch selbst wenn Phil, Stu und Alan einreisen dürften, würde wohl eine mehrwöchige Quarantäne drohen. Dabei hatten die Freunde doch von Mafia-Boss Marshall den Auftrag, ihm sein Gold im Wert von mehreren Millionen Dollar zurückzuschaffenMarshall hätte wohl längst die Geduld verloren und ihren Freund Doug, den er als Geisel nutzte, erschossen. Nicht auszudenken wäre auch, wenn Alan im ersten Teil zwar „Roofie“-Tabletten, aber eben nicht die Impfung genommen hätte. Der feuchtfröhliche Junggesellenabschied wäre ins Wasser gefallen, genau wie Teil zwei und drei des Films.

In einer coronakonformen Verfilmung hätte Bond nicht nur die Lizenz zum Töten, sondern auch die Lizenz zur Abstandskontrolle

Und wie würden eigentlich die James Bond Filme ablaufen? Unbemerkt in ein Gebäude zu gelangen, um etwa das Informationsnetzwerk Spectre zu bespitzeln, wäre nicht möglich. Schon am Eingang würde die Security sich Impfstatus und Personalausweis vorzeigen lassen. Die Bond-Girls wären vollkommen überflüssig. Mit Hinweis auf die Abstandsregeln, den allgemeinen Hygieneregeln und der Maskenpflicht würde 007 sämtliche Annäherungsversuche freundlich, aber bestimmt ablehnen. Überhaupt stellt sich die Frage, warum ein so ausgewiesener Sicherheitsexperte sich in diesen Zeiten mit profanen Dingen, wie der organisierten Kriminalität beschäftigen sollte. In einer coronakonformen Verfilmung hätte Bond nicht nur die Lizenz zum Töten, sondern auch die Lizenz zur Abstandskontrolle und Maskenverweigerern würde er drohen: „Maske hoch oder ich schieße“.

Solcher Irrsinn hat in den Filmen keinen Einzug gehalten. Filme halten Politik und Gesellschaft einen Spiegel vor und erinnern, dass es auch anders geht. Sie machen Hoffnung auf ein „Zurück in die Zukunft“. Eine Welt ohne stundenlanges Anstehen vor Testzentren, Diskriminierung von Minderheiten und der Grundrechtszuteilung per Zertifikat ist möglich. Wir müssen nur mehr Freiheit wagen. Und irgendwann werden wir das. Auf Dauer ist es noch nie gelungen eine ganze Gesellschaftsgruppe auszugrenzen. Die derzeitige Situation lässt sich nicht schön reden. Doch bessere Zeiten werden kommen. „Am Ende wird alles gut! Und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es nicht das Ende.“

 


Studie ergibt: Frauen finden Männer mit Maske attraktiver – echt jetzt?

Von Selma Green | Viele verlieren ihre Maske oder sie kommt versehentlich als Taschentuch zum Einsatz. Aus diesen Gründen gibt es eine Mitschülerin in meiner Klasse, die bekannt für ihren scheinbar ewigen Vorrat an Masken ist. Immer, wenn jemand eine Maske braucht, zaubert sie eine neue aus irgendeiner Tasche ihres Rucksacks. Die Maske ist Teil unseres Schulalltags geworden und ich hasse sie. Und jetzt das!

“Männer mit OP-Maske wirken attraktiver” – das Ergebnis einer Studie vom Januar 2022 prangt überall in den Medien. Ob das ein Grund für die Maskenpflicht ist? Möchte jetzt jeder etwa freiwillig eine Maske tragen, weil er sich damit schöner findet? In der Studie, durchgeführt von Wissenschaftlern der Cardiff University, sollten 43 Frauen die Attraktivität von 40 verschiedenen Männergesichtern, auf einer Skala von eins bis zehn, bewerten. Den Frauen wurden die Gesichter ohne Bedeckung, einmal verdeckt von einer OP-Maske, einer Stoffmaske und einem Heft, vorgelegt. Die Studie ergab, dass Frauen Männer mit Op-Maske am attraktivsten und ohne Bedeckung am wenigsten attraktiv finden. Klar, was haben die denn bitte erwartet? Dass die Reaktion der Frauen ist: “Der da, der Typ mit der Klatschzeitung im Gesicht, den nehm ich!”?

Maske = Verantwortungsbewusstsein?

Na toll, am Anfang des Jahres kam in mir ein Fünkchen Hoffnung auf, das Ende der Pandemie und der Maskenpflicht könne nahe sein. Jetzt will diese Studie Männern erzählen, dass sie attraktiver wirken, wenn man sie eigentlich gar nicht sieht? Ist doch klar, wie die reagieren: kein Fitnesstudio mehr, kein Doktortitel und gut gedeckte Kreditkarte um die Frauen rumzukriegen – Maske reicht ja völlig. Das Gesicht wirke durch die Op-Maske symmetrischer, denn die oftmals schiefe Mundpartie wird hinter der Maske versteckt, versucht man, die Ergebnisse zu erklären. Das klingt ja noch einigermaßen plausibel. Ein Spiegel-Artikel hat dagegen direkt los geschwurbelt: Vor der Pandemie schreckten die OP-Masken die Menschen ab, heute stelle die Maske Verantwortungsgefühl und gegenseitige Rücksichtnahme dar: “Wer will schon Kinder zeugen mit einem Maskenverweigerer?”, schwafelt der Autor. Natürlich kann man das alles jetzt politisch verdrehen, aber seien wir mal ehrlich: das einzige, was die Studie beweist, ist doch, dass die meisten Menschen einfach hässlich sind. Und wen überrascht das bitte?

Neuerdings beschäftigen mich jedenfalls nur noch Fragen wie: Sieht der Junge, der mit mir flirtet, ohne Maske gut aus? Ist er überhaupt in meinem Alter oder versteckt sich hinter der Maske ein Schnauzer? Alle Jungs sehen mit den Masken zum Verwechseln ähnlich aus, wie Roboter. Wie kann ich da einschätzen, wen ich attraktiv finde? Nicht, dass jeder am Ende der Pandemie immer noch mit Maske herumrennt, um die Knubbelnase oder den schlecht geputzten Zahn zu verstecken. Der Modetrend nach dem Motto: “Aus den Augen, aus dem Sinn” führt nur dazu, dass sich jeder verstellt. Das ist völlig absurd. Ich gehe doch nicht mit einem Jungen mit, weil er eine OP-Maske trägt und in Wirklichkeit finde ich den eventuell hässlich. Ich bin nicht blöd, ich weiß doch, dass ihn das noch nicht zum zukünftigen Chirurgen macht. 

Meine volle Schönheit kommt jedenfalls ohne Maske erst richtig zur Geltung.

Mich erleichtert es, wenn ich an der frischen Luft Gesichter ohne Maske sehe und ein Stück Normalität abbekomme. Meine Mitschüler verkriechen sich hinter den Masken und die Mimik geht verloren. Ohne die Maske bekomme ich mal die Reaktion meiner Mitschüler auf meine Witze und Meinung mit. Das Grinsen oder die aus Empörung aufgeklappte Kinnlade bringt, vor allem in Pausen, erstmal Stimmung in die Klasse. Ich hoffe, dass die Pandemie bald endet und der Modetrend „OP-Maske“ verdrängt wird. Meine volle Schönheit kommt jedenfalls ohne Maske erst richtig zur Geltung.

 


Zum Nachlesen und Aufregen:

Die nobelpreisverdächtige Studie: https://cognitiveresearchjournal.springeropen.com/articles/10.1186/s41235-021-0 0351-9

Der ominöse Spiegelartikel:
https://www.spiegel.de/ wissenschaft/partnersuche-warum-maskenverweigerer-haessli ch-wirken-a-d1863f07- ced0-4dea-8166-b54d307e68e0


Freiheit? „Aber bitte nur bei schönem Wetter!“

Von Simon Rabold | Pünktlich zum baldigen Frühlingsbeginn erinnern sich Politiker sämtlicher Parteien wieder daran, dass sie sich einst die Freiheit auf die Fahnen geschrieben hatten. Selbst der dem #TeamVorsicht angehörende Hardliner Markus Söder war, wie man überall lesen konnte, tatsächlich mal draußen an der frischen Luft spazieren – ohne FFP2-Maske wohlgemerkt. Allerdings nicht an einem Montag und auch nicht mit anderen. Nichtsdestotrotz hat es ihm scheinbar gutgetan, denn er ist „in sich gegangen“ und hat „nachgedacht“. Wenn Söder nachdenkt, dann ja bekanntlich meist über sich selbst. Vielleicht hat er gemerkt, dass er mit seiner Angst- und Panikpropaganda bei der Bevölkerung mittlerweile auf taube Ohren stößt und damit nicht weiter kommt auf seinem Weg zur Wiederwahl als Bayerischer Ministerpräsident. Jedenfalls schlägt er plötzlich versöhnlichere Töne an, will die Gesellschaft nicht mehr spalten und alle mit einbeziehen.

Auch die Impfpflicht steht bei Politikern aller Parteien nicht mehr so hoch im Kurs – so will Karl Lauterbach als Gesundheitsminister gar keinen eigenen Vorschlag im Bundestag mehr einbringen. Selbst die Experten, zum Beispiel Stiko-Chef Mertens, rücken davon ab, beziehungsweise fangen an, diese kritisch zu sehen. Und Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, kündigte an, die Kassenärzte würden bei einer Impfpflicht nicht „mitmachen“.

Ist jetzt alles vorbei?

Kann man nun also aufatmen? Steht tatsächlich ein „Freedom Day“ vor der Tür, also der Tag, an dem sämtliche „Corona“-Einschränkungen fallen?

Man vergisst zu schnell, dass es letztes Jahr bereits genau so lief. Helge Braun, einst Kanzleramtschef unter Merkel, kündigte ungefähr vor einem Jahr an, dass alle Maßnahmen fallen, wenn jeder ein Impfangebot bekommen hat. Daraus wurde nichts. Jens Spahn meinte, dass die Impfung für Freiheit sorge. Die FDP warb im Wahlkampf mit der Freiheit und wollte sich gegen die Diskriminierung Ungeimpfter einsetzen, wie ein kürzlich viral gegangenes Video von Christian Lindner bewies. Mittlerweile herrscht in der Gastronomie und im Bundestag 2G-Plus, und die FDP sitzt mit in der Regierung.

Marco Buschmann, der neue Justizminister, ebenfalls FDP, kündigte noch im Oktober an: Ab dem 20. März 2022 fallen sämtliche Maßnahmen. Ob das so eintreten wird? Ich wage es zu bezweifeln – und auch er selbst erinnerte vor Kurzem daran, dass sich die Lage mittlerweile wieder geändert habe. Während Coronaviren zwar ansteckender, aber weniger aggressiv werden, wird die Halbwertszeit von Politikeraussagen mit jedem Tag kleiner.

Freiheitsrechte werden nach Temperatur vergeben

Und selbst wenn es jetzt Lockerungen gibt, ist das noch lange kein „Freedom Day“. Ich erinnere mich, dass ich im letzten Sommer einige Tage in München verbracht habe. Dort musste ich zu meinem Erstaunen keinen Test-, Impf- oder Genesenennachweis vorzeigen. Unsere Politiker fordern bei gutem Wetter Freiheit und geben uns vielleicht sogar ein bisschen davon. Aber ab Herbst, spätestens im Winter kommen dann wieder Einschränkungen. Darauf sollte man sich schon mal einstellen.

Grundrechte gehören in das Jahr 2019. Sie sollten zukünftig Sommerrechte heißen. Man könnte auch sagen: Die Freiheit in Deutschland ist wie ein Cabrio. Nur für den Sommer gut.

Daher komme ich zu meiner empirischen, bislang von keinem Faktenchecker widerlegten These: Über ca. 21,4 bis 23,7 Grad Celsius Tageshöchsttemperatur gelten Freiheits- und Grundrechte in Deutschland für alle, darunter nicht oder nur stark eingeschränkt (bitte lassen Sie mir Ihre Erkenntnisse zukommen, ich forsche weiter!).  Grundrechte gehören in das Jahr 2019. Sie sollten zukünftig Sommerrechte heißen. Man könnte auch sagen: Die Freiheit in Deutschland ist wie ein Cabrio. Nur für den Sommer gut.


2G in Fahrschulen – Freiheitsgefühl könnte ansteckend sein

Von Gesche Javelin | Schon seit ich das erste Mal im Sportwagen meines Patenonkels mitgefahren bin, warte ich darauf, Auto fahren zu können. Ich sehne mich danach, mein Fernweh endlich mit meinem eigenen Auto zu befriedigen und selbständig mein nächstes Ziel zu erreichen, ohne mir mit dem Fahrrad die Beine abzustrampeln oder auf das Elterntaxi angewiesen zu sein. Ich möchte endlich selbst das Gaspedal durchdrücken und spüren, wie die Massenträgheit mich in die Rückenlehne presst – und vor allem die Macht über das Radio haben.

Jetzt stehen diesem Gefühl von Freiheit nicht nur aufgebrachte Klimaaktivisten im Weg, sondern auch noch eine Spritze. Autofahren ist seit Neustem anscheinend in vielerlei Hinsicht sehr gefährlich, man könnte sich sogar anstecken und das leider nicht mit der Sehnsucht nach Unabhängigkeit. Ich sah mich der Freiheit schon so nah: In ein paar Monaten könnte ich endlich mit dem Führerschein anfangen. Doch Anfang des Jahres wurde ich wieder einmal aus meinem Traum in die Realität gerissen: In der Fahrschule wurde die 2G-Regel eingeführt. Die Freiheit fährt direkt vor meiner Nase davon.

Zumindest stand das so in den Schlagzeilen. Doch nach kurzer Recherche stellte sich heraus, dass es doch die ein oder andere Fahrschule gibt, bei der man mit 3G teilnehmen kann. Auch in der Verordnung ist nur für die Prüfungen festgelegt, dass diese mit 3G stattfinden müssten. Aber von 3G, geschweige denn 2G im Unterricht habe ich dort nichts gefunden. Wieder einmal eilen einzelne (oder auch einige) ängstlich den Verordnungen voraus. Und auch nichts Neues ist: Chaos. Keiner weiß eigentlich so genau was gilt, ab wann es gilt, ob es nur angedroht wurde oder auch wirklich verordnet wurde. Verwirrung. Hilflosigkeit. Durcheinander. Ja, wie Corona-Politik es an sich hat.

Freiheit, Unabhängigkeit, Kontrolle 

Doch zumindest gegen die Verwirrung und das Durcheinander im Straßenverkehr hat Elon Musk die rettende Idee: das autonome Fahren. Vor ein paar Jahren behauptete er: „In 20 Jahren wird sich der Besitz eines Autos, das nicht autonom ist, anfühlen wie heute der Besitz eines Pferdes.“ Eine Freundin von mir, die vor Kurzem ein eigenes Pferd bekommen hat, wirkte auf mich persönlich ziemlich glücklich. Und ich werde auch in 20 Jahren glücklich sein, ein Auto selbst fahren zu können. Ich denke, dass es nicht nur mir so geht. Beim Auto fahren geht es für mich um das Gefühl von Freiheit, selbst die Kontrolle zu haben. Selbst zu steuern und entscheiden zu können, wo man hinfährt und wie schnell. Und natürlich auch sich eigenständig und schnell von einem Ort zum anderen bewegen zu können.

Irgendwann wird dann auch noch das Leben für mich gelebt und ich gucke nur noch zu, wie meine eigenes Leben an mir vorbeizieht

Das alles wird das autonome Fahren mir wohl abnehmen. Ich sitze in einer Blechkiste, die mich zur Ostsee fährt, ohne dass ich spontan entscheide, dass ich den Weg über die Landstraße nehme, weil die Landschaft schöner ist. Das Auto entscheidet für mich, was die effektivste Strecke ist. Damit ich dann im Auto sitzen kann und mir mit anderen Sachen die Zeit vertreibe. Alles wird für mich übernommen und ich muss nur noch das Ziel sagen. Irgendwann wird dann auch noch das Leben für mich gelebt und ich gucke nur noch zu, wie meine eigenes Leben an mir vorbeizieht, indem alles für mich gemacht wird.

Doch ich habe mein Leben selbst in der Hand. Ich werde mein eigenes Auto haben und spüren, wie ich das Gaspedal durchdrücke und es mich in die Rückenlehne drückt. Das wird mir kein Gesundheitsminister nehmen können.

 


Fußball-Fans – das unerwartete Rückgrat der Gesellschaft

Von Jerome Wnuk | Es ist ein Gefühl, das sich nicht nachvollziehen lässt, wenn man es nicht selber gespürt hat. Wenn Zehntausende wie gebannt verfolgen, wie 22 Männer einen runden Ball über eine Rasenfläche bewegen und die ganze Menge sich bei einem Tor elektrisiert in den Armen liegt. Viele sagen, es wäre die schönste Nebensache der Welt. Nebensächlich ist der Fußball jedoch schon lange nicht mehr. Inzwischen schon seit mehr als anderthalb Jahren hält die große Ernüchterung an.

Anstatt wie früher, vor Corona, den typischen Samstagnachmittag im Stadion mit seinen Freunden zu verbringen, sitzt man nun seit Februar 2020 meist auf der heimischen Couch und guckt mal mit mehr, mal mit weniger Euphorie auf seinen Fernseher. Leere, trostlose Ränge in Dortmund, Köln oder Paderborn prägen das Bild des Sportes, der in normalen Zeiten eine so große Wirkung auf das generelle Wohlbefinden einer Gesellschaft hatte und bei Welt/- und Europameisterschaften selbst die Deutschen dazu brachte, ihre Flaggen stolz auf die Straße zu tragen.


Dabeisein ist alles

„Weißt du noch wie’s früher war?“ ist die Frage, die man in Unterhaltungen mit anderen Fußballfans aktuell am häufigsten hört. Nach anderthalb Jahren ist also vor allem eine große Sehnsucht nach den guten alten Fußballzeiten ausgebrochen. Die Fußballseele schwelgt in Erinnerungen an die Vergangenheit und träumt sich in die vollen Stadien in Brasilien oder Rom und an einzigartige Spiele voller Ekstase. Doch die aktuelle Situation hat derartigen Glanz wie noch etwa vor acht Jahren in Brasilien zur WM 2014 verloren und ernüchtert das Fußballherz.

Statt Debatten darüber, welche Fangruppe die beste Choreo hat oder dass die elf Männer auf dem Platz ja die letzten Flaschen sind oder gegebenenfalls Fußballgötter an guten Tagen, muss man sich als Fußballfan Debatten über den Impfstatus eines Joshua Kimmichs anhören. Dabei möchte man doch eigentlich zum Beispiel diesen einfach mal wieder live in einem Stadion spielen sehen und in echt mit dabei sein, wie er im Bayern-Trikot mal wieder zusammen mit den anderen Stars der Bayern deinen Lieblingsverein vernichtet.

Man kann kein Fußballspiel mehr sehen, ohne auch an Politik erinnert zu werden.

Der Sport, der früher die Lieblingsablenkung war, ist jetzt so wie vieles andere nur noch ein weiterer Aspekt des Corona-Alltages geworden. Man kann kein Fußballspiel mehr sehen, ohne auch an Politik erinnert zu werden. Eine der schönsten Eigenschaften des Fußballs, das Unpolitische, bröckelt während Corona also immer mehr weg. Die nie endenden Debatten über Zuschauerzahlen, 2G oder 3G und die Diskussionen darüber, wer geimpft ist und wer nicht, ermüden und belasten den im Kern doch so unpolitischen Sport.

Die Sehnsucht nach Normalität

Der Wunsch nach dem Ende dieser Debatten und der Wunsch wieder ganz normal wie vor Corona seinen Lieblingsverein zusammen mit Freunden und wildfremden Gleichgesinnten, unabhängig von Nationalität, Geschlecht oder Impfstatus,  zu unterstützen, ist riesig. Die Sehnsucht nach Normalität ist in kaum einer Community so groß wie unter Fußballfans. Der 7. März 2020 war das letzte Mal, wo alles noch wie immer war, zumindest für mich. Hertha gegen Bremen, ein aufregendes 2:2. Eine Erinnerung, die fest in mein Gedächtnis eingeprägt ist. Du kannst eigentlich jeden Fan fragen, er wird dir ungefähr sagen können, wann er das letzte Mal so richtig im Stadion war. Und jeder wird dir sagen, dass er es vermisst.

Mit „so richtig“ meine ich: so wie es früher war. Ich war während Corona auch zu einigen Spielen im Stadion, einmal sogar auf einer Aufwärtsfahrt. Auch, wenn ich diese Erlebnisse nicht missen möchte, sie kommen nicht an die Spiele vor Corona heran. Es sind teilweise echt die kleinen Sachen. Früher reichte ein Ticket, um ein Spiel zu sehen, heute bedarf es gefühlt tausend verschiedener Nachweise und ein Informatikstudium, um eine Online-Karte zu kaufen.

Und jeder wird dir sagen, dass er es vermisst.

Aber nicht nur das reine Stadionerlebnis fehlt, auch das „Drumherum“. Ich erinnere mich an die S-Bahn-Fahrten, bei denen man sich teils mit neuen Leuten aus anderen Städten von anderen Vereinen über Fußball und darüber hinaus unterhielt. Da war einem dann auch die Vereinsvorliebe gleichgültig. Auch dieses verbindende Element ist verloren gegangen, besucht man aktuell ein Fußballspiel (in manchen Städten Deutschlands sind noch bis zu 1000 Zuschauer erlaubt), wird man so schnell wie möglich aus den Stadien geschmissen, schnell in verschiedene Bahn-Waggons gebracht. Von Austausch und Kennenlernen ist nichts mehr übriggeblieben.

Anprangernd wird man nun jedes Wochenende, wenn man Fußball guckt, an die Zeit mit vollen Stadien erinnert. Man sieht die leeren grauen Sitzschalen, die einen mahnend in das Gedächtnis rufen, was mal war und sein könnte. Inzwischen hat man sich an diesen trüben Anblick der leeren Fußballarenen zwar mehr und mehr gewöhnt, es bleiben trotzdem kalte, graue und trostlose Bilder aus den Betonschüsseln. Den Gedanken, dass man sonst, wenn alles normal wäre, im Stadion mit dabei wäre, wird man aber trotzdem nicht los und beschäftigt einen inzwischen bei jedem Spiel. Manchmal ist man beim Fußballschauen nicht wie früher vom Alltag abgelenkt, sondern eher noch mehr an die Last des Alltags erinnert.

„Stell dir vor, das jetzt im Stadion“

Ein generelles Gefühl, man verpasst gerade einmalige Erlebnisse, die man sonst miterlebt hätte, eine unstillbare Sehnsucht nach dem elektrischen Gefühl im Stadion quält. Viel öfter als früher schaut man sich inzwischen Videos oder gar ganze Spiele von früher mit Zuschauern an – in der Hoffnung, man könnte dadurch seine Sehnsucht ein wenig stillen. Das geht allerdings genauso in die andere Richtung. Manche Spiele guckt man schon gar nicht mehr, weil man weiß, dass das Spiel ohne die Atmosphäre drumherum nicht das Gleiche ist.

„Stell dir vor, das jetzt im Stadion!“ hat mir mal ein Freund nach einem wichtigen, emotionalen Derbysieg geschrieben. Eine Aussage, die die Sehnsucht nach Normalität gut beschreibt. Klar, Fußball macht auch von zu Hause aus Spaß und kann elektrisieren, aber nicht so wie in einer 70.000-Mann-Arena. Die Sehnsucht, dieses Gefühl von zu Hause aus nachzuempfinden ging bei manchen so weit, dass sie alte Soundaufnahmen von vollen Arenen zu den Geisterspielen abspielten, um eine Stadionatmosphäre zu simulieren. Doch auch diese Mittel ziehen inzwischen nicht mehr, wenn sie überhaupt mal funktioniert haben.

Letzten Samstag habe ich mir ein Zweitligaspiel aus England angeguckt, fußballerisch nicht wirklich ansprechend, aber atmosphärisch genau wie früher. Und wenn zehntausend leicht angetrunkene Engländer ihre Fangesänge anstimmen, wird mir als Fan wieder warm ums Herz.


Ein Blick lohnt sich währenddessen seit kurzem wieder nach England, Spanien oder in die USA. Dort sind die Stadien wieder ausverkauft. Die Menschenmengen strömen wie früher begeistert in die Stadien. In den USA waren es letztens zu einem NFL-Spiel 70.000 Menschen, in England ebenfalls ähnliche Zahlen. Dort macht Fußball wieder Spaß, er verbindet wieder Menschen, er lässt einen wieder höher fliegen und tief fallen. Letzten Samstag habe ich mir ein Zweitligaspiel aus England angeguckt, fußballerisch nicht wirklich ansprechend, aber atmosphärisch genau wie früher. Und wenn zehntausend leicht angetrunkene Engländer ihre Fangesänge anstimmen, wird mir als Fan wieder warm ums Herz. Die Hoffnung, bald wieder selber in seinem Fanblock zu stehen und ähnlich grölen zu können, treibt einen dann doch wieder an, Geduld zu haben.

Aber bis das wieder in Deutschland möglich ist, schau ich erstmal neidisch nach England und Amerika und erfreue mich dort an vollen Stadien. Damit werde ich wohl auch nicht der einzige sein. Der Politik mag Fußball ja egal sein, eine dämliche Nebensächlichkeit, auf die die hirnlosen Fußballfans ruhig mal verzichten können – sie vermuten unter ihnen kein großes Wählerpotential. Dabei haben sie zu kurz gedacht. Denn ihre arrogante Haltung hält sie davon ab zu realisieren, was für einer Masse an Menschen sie gerade den vielleicht wichtigsten Teil ihrer Freizeit genommen haben. Und gerade weil die meisten Fußballfans nicht unbedingt das engagierte Wählerpotential ausmachen, haben sie auch noch nicht gelernt, dass man in der Politik seine Bedürfnisse heutzutage selbst prophylaktisch zensieren muss. Deshalb hatten die Medien auch so eine große Angst vor Kimmich.  Vielleicht erleben wir eines Tages wie die deutschen Fußballfans zum Rückgrat der Gesellschaft werden – die letzten, die noch wissen, wie sich Freiheit anfühlt.