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Israel: Wahl Nummer 5 in nur 4 Jahren

Von Boris Cherny | Alle Jahre wieder. Heute wählen die Israelis schon zum fünften Mal innerhalb von nur 4 Jahren ihr Parlament und damit auch indirekt den Ministerpräsidenten. Auch diesmal sind stabile Koalitionsverhältnisse nicht in Sicht. 

Israels Parteiensystem ist eines der vielseitigsten auf der Welt. Die Spaltung verläuft nicht nur zwischen Links und Rechts sondern auch zwischen Orthodoxem und säkulärem Judentum und dazu noch zwischen jüdischen und arabischen Parteien. Das führt zu stets minimalen Mehrheiten, die sich selbst bei kleinsten Meinungsverschiedenheiten kaum halten. Zuletzt waren sinnvolle Koalitionen vollkommen unmöglich, und es mussten gar Rotationsregierungen gebildet werden, in denen das Amt des Ministerpräsidenten ein Mal pro Jahr zwischen zwei Personen wechseln sollte. Nach diesen Wahlen scheint ein solches Arrangement nicht unwahrscheinlich. 

Die alles bestimmende Figur dieser Knesset-Wahlen ist, wie in den letzten Jahren auch, Benjamin Netanjahu. Bis 2021 Premierminister, und seit dem Oppositionsführer will er nach dieser Wahl erneut Premierminister werden. Als am längsten amtierender Premierminister des Landes ist er den Israelis gut bekannt. Mithilfe seiner liberalen Reformen wuchs Israels Wirtschaft rasant. Außerdem gab es positive Entwicklungen im Israelisch-Arabischen Verhältnis, wie beispielsweise durch die historischen Abraham Verträge im September bzw. Oktober 2020, die das Verhältnis Israels zu Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Sudan offiziell normalisierten, gefolgt von einer Normalisierung der Verhältnisse zu Marokko Ende 2020. Zusätzlich hat er schon mehrmals Vorschläge für eine faire und friedliche Zweistaatenlösung unterbreitet, die aber von Palästinensischer Seite abgelehnt wurden. 

Freilich ist auch nicht Netanjahu vollkommen frei von Missetaten. Er steht schon seit Jahren wegen Korruption unter Anklage, hauptsächlich aufgrund seines Verhältnisses zum israelischen Telekom Riesen Bezeq. Seine zwielichtigen Geschäfte und vor allem seine konsequent Liberal-Konservative Politik machen ihn zum Roten Tuch für das Mitte-links Lager und Teile des orthodoxen Lagers. Zu ihrer Gallionsfigur ist der aktuelle Premierminister Yair Lapid aufgestiegen. Der ehemalige Journalist, Songwriter, TV-Host und Autor mehrerer Thriller und Kinderbücher will eine Rückkehr Netanjahus in das politisch wichtigste Amt des Landes unbedingt verhindern.

Der zentristische Politiker konnte während seiner Regierungszeit, aufgrund der untragbaren parlamentarischen Situation kaum etwas bewirken, ähnlich wie sein Vorgänger Naftali Bennett. Seine Regierung hat sich vor allem eine weitere Verhandlungen im Palästina Konflikt und eine voranschreitende Säkularisation Israels auf die Fahnen geschrieben. Doch die Regierung zerfiel schnell, als ein Knesset Mitglied der Regierungskoalition zur Opposition wechselte und damit die Einsitz-Mehrheit der Regierung im Knesset zerstörte. Doch auch die Neuwahlen werden wohl kaum Heilung in das politisch gespaltene Land bringen. Alle Umfragen weisen auf ein äußerst knappes Rennen zwischen dem Netanjahu Block und dem Lapid Block hin. Egal wie die Wahl ausgeht, eine Regierung wird schwer zu bilden sein und erneute Wahlen wahrscheinlich.

 

 


Paypals Angriff auf die Meinungsfreiheit gestoppt

Von Boris Cherny | Während Elon Musk sich bemüht, Twitter zu akquirieren, um auf der Plattform mehr Meinungsfreiheit durchzusetzen, hat ein ehemaliges Unternehmen von Musk, PayPal, versucht, Geldstrafen für seine Kunden einzuführen, die vermeintlich „Missinformation“ verbreiten.

PayPal ist bereits bekannt für einen restriktiven Kurs, wenn es um den Umgang mit Kunden geht, die außerhalb des politischen Mainstreams stehen. Sowohl Konten von linken amerikanischen Zeitungen wie Consortium News und MintPress News wurden gesperrt als auch Konten rechtsradikaler Aktivisten wie Nick Fuentes. Doch auch die Konten weniger extremer Organisationen und Personen wurden gesperrt, beispielsweise WikiLeaks oder der Pro-Meinungsfreiheit Organisation „Free Speech Union“. Nun drohte kurzzeitig eine weitere Eskalation in PayPals Auseinandersetzung mit unerwünschten politischen Aktivisten.

Am 26. September kündigte der Online-Zahlungsdienst in den USA nämlich eine Erweiterung der Liste seiner für Nutzer verbotenen Aktivitäten an. Unter den neuen verbotenen Aktivitäten befand sich unter anderem das Verbreiten von „Missinformation“ mithilfe eines PayPal Kontos. Ein Verstoß könnte den Nutzer bis zu 2500 US-Dollar kosten. Den lose definierten Begriff der „Missinformation“ wollte PayPal aber nicht weiter definieren.

Die Änderung der Benutzerrichtlinie hatte einen Aufschrei unter amerikanischen Konservativen zur Folge. Die liberalkonservative Plattform Daily Wire lenkte zuerst Aufmerksamkeit auf die angekündigte Verschärfung. Rasant entwickelte sich auf Social Media ein regelrechter Shitstorm. Mehrere konservative Aktivisten wie beispielsweise Candace Owens und John Cardillo kündigten an, ihre PayPal-Konten zu schließen und das Unternehmen von jetzt an zu boykottieren. Der ehemalige Präsident von PayPal David Marcus tweetete, die neue Richtlinie gehe gegen alles, worin er glaubt und bezeichnete sie gar als Irrsinn. In einem Kommentar unter dem Tweet pflichtete Elon Musk dieser Einschätzung bei.

Rasch ruderte PayPal zurück. Bereits einen Tag nach den ersten Berichten über die Richtlinienänderung machte das Unternehmen die Schritte rückgängig und beteuerte, der ganze Vorgang sei ein Versehen gewesen. Selbstverständlich ist diese Rechtfertigung fragwürdig, immerhin muss eine solche Änderung mehrere interne Genehmigungen erhalten und kann sicherlich nicht ohne Mitwissen der Unternehmensleitung getätigt worden sein.

Aber unbeachtet der offiziellen Begründung des Unternehmens bedeutet die Rücknahme der Richtlinienänderung einen großen Erfolg für die Meinungsfreiheit. Abermals konnte eine repressive Maßnahme eines Techgiganten durch einen Social Media Shitstorm gestoppt werden. Gleichzeitig zeigen die Schritte PayPals, dass kaum ein amerikanisches Tech-Unternehmen der Politisierung der Gesellschaft entkommen kann. Auch wenn die Versuche diesmal gescheitert sind, könnten in einiger Zeit erneut Richtlinien gegen „Missinformation“ eingeführt werden.

Vor allem könnten diese Maßnahmen in Ländern außerhalb der USA, beispielsweise Deutschland, Einzug finden. Trotzdem können Liberale mit Zuversicht in die Zukunft blicken, da die Bewegung gegen Internetzensur immer mehr Menschen anzieht und mittlerweile wie in den Fällen von Twitter und PayPal auch negativen Entwicklungen in der Techbranche erfolgreich entgegentreten kann.




Bolsonaro übertrifft in 1. Wahlrunde Umfragen im gespaltenen Brasilien

Von Boris Cherny | Der erste Teil der diesjährigen Wahlen in Brasilien ist vorbei. Sowohl das Unterhaus des Parlaments als auch der Präsident wurden neu gewählt. Beim umkämpften Präsidentenamt findet aber noch eine zweite Runde statt. Nach der ersten Runde liegt der sozialistische Kontrahent Lula da Silva (meist einfach Lula genannt) vor dem amtierenden Präsidenten Jair Bolsonaro. 

Brasilien hat schwierige Jahre hinter sich. Einst wurde die südamerikanische Nation für eine kommende Wirtschaftsmacht gehalten. In den letzten Jahren stagnierte die Wirtschaft des Landes aber deutlich, und viel von der Hoffnung auf baldigen Wohlstand ist verpufft. Korruption in der Politik ist auf einem katastrophalen Level. Alle Präsidenten der letzten Zeit sind tief in verschiedene Korruptionsskandale verwickelt. Weiterhin deckt die Presse ständig neue Skandale auf. Gleichzeitig brannten in den letzten Dürreperioden verzweifelte Bauern den Amazonas-Regenwald nieder, was der Umwelt drastischen Schaden zufügt. 

Die politische Polarisation im Land ist so stark wie nie. Großdemonstrationen und Ausschreitungen sind politischer Alltag. Die exorbitante Kriminalität des Landes wirkt sich auch auf das politische Klima aus. Immer wieder gibt es politische Ermordungen und Gewalt gegen Aktivisten. Ein Parteifreund des amtierenden Präsidenten Bolsonaro drohte neuerdings mit Waffengewalt, sollte Bolsonaro die Wahl verlieren: „Wenn wir die Wahl nicht an den Urnen gewinnen, dann gewinnen wir sie mit Kugeln.“ Währenddessen war Bolsonaro selbst im Wahlkampf 2018 Opfer einer Messerattacke.

Bolsonaro ist freilich keine unumstrittene Persönlichkeit. Gewählt wurde er 2018, als ein Anti-Establishment Kandidat, der die Korruption, Kriminalität und die Instabilität Brasiliens beseitigen sollte. Wirtschaftlich zwar eher populistisch eingestellt, verfolgt er in kulturellen Fragen ein äußerst konservatives Programm. Oft fällt er durch provokante Aussagen in Bezug auf Indigene, Frauen und Homosexuelle auf. In seinem Auftreten ist er oft sogar radikaler, als der mit ihm gerne verglichene Donald Trump. 

Doch auch die Amtszeit des vermeintlichen Anti-Establishment-Präsidenten Bolsonaro ist durch Skandale geprägt. Überteuerte Käufe von Coronaimpfungen, Machtmissbrauch, um unter Anklage stehende Freunde zu schützen, Nepotismus, Ernennung von korrupten Personen in hohe Ämter, die Liste an Vorwürfen gegen Bolsonaro ist lang. Gleichzeitig lässt er immer wieder Zweifel an der Legitimität des Wahlausgangs aufkommen. Problem seien laut ihm die elektronischen Wahlmaschinen, die bei Wahlen des Landes eingesetzt werden. 

Trotz Bolsonaros Makeln ist sein Hauptkonkurrent kaum besser. Luiz Inácio Lula da Silva, oder kurz Lula, war bereits von 2003 bis 2010 Präsident. Davor war Lula ein führender Aktivist der Demokratiebewegung, während Militärdiktatur des Landes. In der Zeit seiner Präsidentschaft erfuhren die Sozialprogramme des Landes einen massiven Ausbau, während viele seiner sozialistischeren Vorschläge und Wahlversprechen nicht umgesetzt wurden. Trotzdem genoss Lula eine hohe Popularität in der Bevölkerung. Diese hielt sogar an, als Lula aufgrund zahlreicher Korruptionsskandale in Schusslinie geriet. Diese führten gar zu einer Verurteilung zu 12 Jahren Gefängnis wegen Geldwäsche und Korruption. Er kam aber nach weniger als 2 Jahren frei und durfte trotz seiner Verurteilung bei dieser Wahl antreten.

Lange Zeit sah es nach einem deutlichen Sieg Lulas aus. Seine Präsidentschaft verbinden viele Menschen immer noch mit Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs. Gleichzeitig schwächelten Bolsonaros Umfragewerte aufgrund der zahlreichen Skandale und Krisen, die während seiner Regierungszeit aufkamen. Sowohl die Covid-19 Pandemie als auch die Waldbrände im Amazonas fielen in seine Amtszeit. Innerhalb der letzten Monate sank Lulas Vorsprung aber immer weiter. Nun schnitt Bolsonaro in der ersten Wahlrunde noch einmal deutlich besser als in den Umfragen ab.

Lulas kleiner Vorteil gegenüber Bolsonaro von nur knapp 5 Prozentpunkten macht einen Sieg des Amtsinhabers nicht unmöglich, und stärkt die Moral seiner Anhänger im Vorfeld der zweiten Runde. Bolsonaro hat in den letzten Monaten eine Aufholjagd hingelegt. Die Wirtschaft des Landes scheint sich zu erholen und gleichzeitig konnte der Präsident, trotz Skandalen, weiterhin sein Image als Anti-Establishment Kandidat ausspielen, und so viele Wähler mobilisieren. Aber erst am 30. Oktober wird sich zeigen, ob Bolsonaro einen Überraschungssieg landen kann. Bis dahin wird im polarisierten Brasilien aber noch mehrere Wochen erbitterter Wahlkampf geführt.




Das iranische Volk kämpft gegen sein Regime – aus Deutschland kommt nur verhaltene Unterstützung

Von Boris Cherny | Nach der Ermordung Mahsa Aminis durch die iranische Sittenpolizei, kommt es im Iran seit nun mehr als einer Woche zu massiven Protesten. Innerhalb  der letzten Tage nahm sowohl die Anzahl der Protestteilnehmer als auch die Repressalien gegen sie zu. Derweil bleibt die Reaktion des Westens zögerlich und bedeutungslos. 

Seit inzwischen mehr als einer Woche gehen iranische Bürger gegen das Kopftuch und die Kopftuchpflicht auf die Straße. Doch genauso wie das Protestgebiet haben sich die Ziele der Demonstranten massiv ausgeweitet. Mittlerweile geht es nicht mehr nur um die Gleichberechtigung der Frau oder weniger Polizeigewalt, sondern gar um die Abschaffung der Scharia und das Ende des Mullah-Regimes. 

Massendemonstrationen gegen das fundamental-islamische Regime sind im Iran kein Novum. Zuletzt gab es sie 2019, als mehr als 1000 Menschen ihr Leben bei den Protesten verloren. Damals verpufften die Demonstrationen allerdings. Dass diesmal nicht das Gleiche passiert, scheint zunehmend wahrscheinlich. Die gebildete Mittelschicht des Landes lechzt nach mehr Freiheiten, unterdessen hat die Unterschicht die katastrophalen wirtschaftlichen Bedingungen im Land satt. Diese gleichzeitige Unzufriedenheit war in den letzten Jahren in diesem Ausmaß nie vorhanden. 

Außerdem erscheinen die Widerständler entschlossen wie nie. Trotz der noch sehr  lebendigen Erinnerung an die brutale Niederschlagung der Proteste von 2019 (die Ereignisse  sind im Iran als blutiger November bekannt), schrecken die Demonstranten nicht vor zivilem  Ungehorsam und Widerstand gegen die Staatsgewalt zurück. Auch die aktuellen Drohungen des Präsidenten Ebrahim Raisi, mit voller Härte gegen die Proteste vorzugehen, laufen ins Leere. Die Aktionen der Polizei kosteten bereits mehr als 50 Menschen das Leben. 

Jetzt wächst der Druck auf das Regime. Die Proteste ebben nicht ab, und moderate Elemente innerhalb des Regimes zeigen sich bereit, sich auf Kompromisse mit den Demonstranten einzulassen. Das sind keine guten Vorzeichen für den sich abzeichnenden Machtkampf, der im Falle des Ablebens des greisen obersten Führers Ali Khamenei eintreten könnte. 

Zahnlose Reaktion des Westens

Doch auch wenn intern die Chancen der iranischen Demokraten immer besser werden,  können sie sich kaum auf internationale Solidarität stützen. Die USA kündigten zwar leichte  Sanktionen gegen die Sittenpolizei und ihre Hauptakteure an und versuchen, den stark eingeschränkten Zugang zum Internet für die iranischen Bürger zu erleichtern, trotzdem stellt die Biden-Regierung keine signifikante Unterstützung dar. Das deutsche Außenministerium schwieg währenddessen tagelang bezüglich der Geschehnisse im Iran. Zwar hat die Außenministerin  Baerbock das Vorgehen der iranischen Regierung inzwischen verurteilt, doch Sanktionen oder sonstige Hilfen für die Regimegegner bleiben aus. Stattdessen verhandelt man mit dem Iran-Deal seit Monaten darüber Sanktionen gegen den Iran aufzuheben. „Feministische Außenpolitik“ sieht anders aus.

ZDF verteidigt Kopftuch

Auch die deutsche Presse schafft es, sich abermals zu blamieren. Verzweifelt versuchten  Journalisten des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks den frauenfeindlichen Islam und das Kopftuch als sein Symbol zu verteidigen. Die ZDF-Autorin Yasmin Poesy behauptete  beispielsweise, der Iran repräsentiere eine „durchaus aggressive Form der orientalischen  Kultur“, aber keinesfalls den Islam. Dass die Scharia und damit auch große Teile des  iranischen Rechtssystems aus dem Koran abgeleitet sind, scheint die Journalistin nicht zu  kümmern. Auch abseits dessen spielt die Berichterstattung über Iran, wo möglicherweise  bald eine Revolution vonstattengeht, für die Öffentlich-Rechtlichen nur eine untergeordnete  Rolle. In der Tagesschau werden die Proteste meist erst gegen Ende thematisiert oder  komplett ausgelassen. 

Die verhaltene deutsche Reaktion auf einen furchtlosen demokratischen Protest gegen ein  menschenverachtendes Regime lässt einen ratlos zurück. So setzen sich deutsche  Journalisten eigentlich doch gerne für die internationale Demokratie ein, wie beispielsweise  nach den Wahlen in Italien, nach denen sie eine demokratisch gewählte Ministerpräsidenten diffamieren und delegitimieren. Doch die ernüchternde mediale und politische Resonanz in Deutschland kann den Freiheitskämpfern in Teheran wohl unwichtig sein. Die iranische  Demokratiebewegung macht massive Fortschritte, und ihre Stunde könnte, wenn nicht schon heute, sehr bald schlagen. Spätestens nach dem Tod des obersten Führers und der Galionsfigur des Regimes Ali Khamenei – der radikale Islamist ist bereits gesundheitlich  angeschlagen – kann sich die Gelegenheit für einen Systemwechsel bieten.

Bildquelle: Wikimedia Commons via BY-SA 4.0




Wahlen in Schweden: Schwedendemokraten fahren Achtungserfolg ein

Von Boris Cherny | Schweden hat gewählt. Stärkste Kraft wird wie bei jeder Parlamentswahl seit 1917 (!) die Sozialdemokratische Partei mit der Ministerpräsidentin Magdalena Andersson an der Spitze. Im Fokus steht bei dieser Wahl allerdings eine andere Partei. Die nationalkonservativen Schwedendemokraten konnten erstmals die zweitstärkste Kraft werden. Ob Andersson Ministerpräsidentin bleibt, ist noch unklar, denn eine Koalition wird notwendig sein. Aktuell liegt ein rechtsgerichtetes Bündnis unter Beteiligung der Schwedendemokraten äußerst knapp vor dem links-grünen Bündnis, doch das kann sich noch ändern. 

Der endgültige Wahlausgang wird den Erfolg der Schwedendemokraten (SD) aber wohl kaum schmälern. Im Jahr 1988 gegründet, war die SD jahrelang eine Kleinstpartei am äußersten Rand des rechten Spektrums. Politiker der SD hatten Verbindungen zu Neonazis, und fielen häufig durch rassistische und antisemitische Äußerungen auf. Die Partei blieb bei Wahlen stets weit unter den 4 Prozent, die nötig für einen Einzug ins schwedische Parlament sind. 2005 wurde Jimmie Åkesson Vorsitzender der SD. Unter seiner Führung, die bis heute andauert, hat sich das Image der Partei deutlich verändert. 

Rechtsextreme Politiker wurden nicht mehr in den Reihen der SD geduldet. Auch das Parteiprogramm wurde gemäßigter gestaltet. Forderungen von kompletten Grenzschließungen und einem Swexit (EU-Austritt Schwedens) wurden verworfen. Åkesson gestaltete die Schwedendemokraten in eine moderne konservative Partei mit Fokus auf Einwanderungspolitik um. Dank der gemäßigten Rhetorik wurde die SD nun zur einzigen demokratischen Wahlalternative für viele Menschen, die zunehmend negativ gegenüber dem unregulierten Flüchtlingsstrom nach Schweden standen. Auch durch die Corona-Krise profitierten die Schwedendemokraten. Im Gegensatz zu den meisten anderen konservativen Parteien in Europa setzte sich die SD für härtere Corona-Regeln ein. Als eine der wenigen Parteien in Schweden kritisierte sie den liberalen Sonderweg während der Corona-Krise, was ein weiteres Alleinstellungsmerkmal schuf. Åkesson bezeichnete die Folgen der Politik der Sozialdemokratischen Regierung gar als “Massaker”. 

Die Besorgnis der Bevölkerung über Migration und Ausländerkriminalität, die zunehmend in den schwedischen Vorstädten grassierte, spiegelte sich rasch in Wahlergebnissen der SD wider. Von 2,6 Prozent im Jahr 2006 steigerten sich die Schwedendemokraten bei jeder Wahl, bis auf 17,5 Prozent in 2018. Auch politisch konnte die SD Erfolge erzielen. Etablierte Parteien fingen an, ihre Positionen in Fragen der Einwanderungspolitik anzupassen. 2014 beendete der damalige Ministerpräsident Löfven sogar die offene Grenzpolitik Schwedens und ließ das Einwanderungs- und Asylrecht drastisch verschärfen. 

Das konnte den Aufwind für die SD allerdings kaum noch stoppen. Bei diesen Wahlen erreichte die Partei etwa 20,6 Prozent und wurde erstmals die zweitstärkste Kraft im schwedischen Parlament. Eine Regierungsbeteiligung der SD scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Das wäre in den letzten Jahren trotz zweistelliger Wahlergebnisse für unmöglich gehalten worden. Das politische Establishment verweigerte jahrelang jegliche Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten. Die Barriere fing allerdings in den letzten Jahren an zu bröckeln, denn Koalitionen nach alten politischen Mustern wurden zusehends schwieriger, je mehr Sitze die SD bekam. Das führte letztes Jahr gar zum Rücktritt des bisherigen Ministerpräsidenten Stefan Löfven und zum Aufstieg der ersten weiblichen Ministerpräsidentin Schwedens, Magdalena Andersson, die seitdem eine instabile Minderheitsregierung führt. Die politische Isolation der SD ist vor dieser Wahl endgültig beendet worden als sie in eine informelle Wahlallianz mit anderen Mitte-Rechts Parteien einging. 

Diese Allianz steht nun kurz vor dem Wahlsieg. Nachdem fast alle Stimmen ausgezählt worden sind, führt die rechte Allianz mit einem Parlamentssitz vor der linken Koalition der Sozialdemokraten. Der Posten des Ministerpräsidenten ist, im Falle des Sieges des Liberal-Konservativen Bündnisses wahrscheinlich Ulf Kristersson, dem Vorsitzenden der Moderaten Partei (der anderen großen konservativen Partei) vorbehalten, doch gewiss wird die SD, als stärkste rechte Kraft im Parlament, die größte Macht innerhalb der Koalition besitzen. 

Ob die Zukunft eine Regierungsführung für die Schwedendemokraten bereithält, ist unklar, doch mit dieser Wahl haben sie eine starke Basis für die Zukunft aufgebaut. Sie wurden die zweitstärkste Kraft unter den jungen Wählern (nur hinter der Moderaten Partei – Parteien des rechten Bündnisses kommen in dieser Demografik auf insgesamt 58 Prozent der Stimmen), was für sie nur ein positives Zeichen für die Zukunft sein kann. Der Wahlerfolg der Schwedendemokraten zeigt, dass linke Mehrheiten alles andere als gesetzt sind.




Sozialistische Verfassung in Chile gestoppt

Von Boris Cherny | Am Sonntag stimmte Chile über eine neue Verfassung ab und die Linke des Landes erlitt eine heftige Niederlage. Denn der Verfassungsvorschlag, unterstützt durch den sozialistischen Präsidenten Chiles Gabriel Boric, fuhr eine desaströse Wahlniederlage ein. Die linksgerichtete Verfassung konnte zwar abgewendet werden, doch die Ergebnisse lassen die politischen Fragen des Landes offen. 

Tausende Menschen auf den Straßen Santiagos feierten das Ergebnis. Sie wehten chilenische Fahnen und sangen die Nationalhymne. Knapp 62 Prozent der Wähler lehnten den Verfassungsentwurf ab. Die neue Verfassung sollte ein sozialistisches Experiment in Chile werden. Chilenische Linke priesen das Dokument als die progressivste Verfassung auf der ganzen Welt an. Sie hätte einen exzessiven Wohlfahrtsstaat verankerte und Klima- und Umweltschutz in den Mittelpunkt der Staatspolitik erhoben. Außerdem sollte sie Chile zu einem „plurinationalen Staat“ umerklären und damit auch den chilenischen Ureinwohnern Vorrechte im Hinblick auf bestimmte politische Posten und regionale Autonomie geben. Auch Frauen sollten, statt Gleichberechtigung mit Männern, Vorteile im politischen Prozess erhalten, wie z. B. durch Bevorzugung auf Wahllisten. Das Land sollte zu einer „paritätischen“ Republik werden. 

Chile ist ein polarisiertes Land. Das liberale Wirtschaftssystem, kreiert von Pinochet in den 80er Jahren, steht unter massiver Kritik vonseiten linker Parteien. Die Rechte der chilenischen Ureinwohner auf Autonomie werden kontrovers diskutiert und das Misstrauen gegenüber politischen Parteien und dem Establishment ist auf Rekordniveau. Die aktuelle Verfassung Chiles stammt noch aus der Zeit der autoritären Pinochet Regierung. Viele sehen sie als nicht mehr zeitgemäß an und halten das dort etablierte politische System für veraltet. 

2019 brach eine Protestwelle gegen den damaligen Präsidenten Sebastián Piñera von der liberal-konservativen „Vamos Chile“ Partei aus. Die Proteste wurden, oft ausufernd in gewaltsamen Ausschreitungen, durch Sozialisten und Links-Anarchisten angeführt. Zu ihren Hauptforderungen gehörte neben einer linken Reform der Wirtschaft auch eine neue Verfassung. Im Rahmen der Proteste wurde am 25. Oktober 2022 auch die größte Demonstration in der Geschichte Chiles, mit über 3 Millionen Teilnehmern landesweit, veranstaltet. Als Reaktion auf die Proteste gab die Regierung am Tag darauf nach und setzte ein Referendum über die aktuelle Verfassung an. Die Ergebnisse des genau ein Jahr später stattfindenden Plebiszits waren ein Erfolg für die Sozialisten. 80 Prozent der Wähler waren für eine neue Verfassung. Auch die darauffolgenden Wahlen für eine verfassunggebende Versammlung brachten eine sozialistische zwei Drittel Mehrheit hervor. Die Wahlen lagen im allgemeinen südamerikanischen Trend der letzten Jahre, sozialistische Politiker zu wählen, wie vor kurzem in Peru oder Kolumbien. 

Die linke Tendenz in Chile wurde letztendlich durch die Wahl Gabriel Borics, der sich selbst als „linker als die Kommunistische Partei“ bezeichnet hat, bestätigt. Doch mit der Zeit wurde es für die chilenische Bevölkerung offensichtlich: Statt einem pragmatischen Wechsel, bekamen sie mit der sozialistischen Regierung und verfassungsgebenden Versammlung ideologisierte Kulturreformen. Nachdem anfangs die vorgeschlagene Verfassung hohe Popularität in Meinungsumfragen besessen hatte, hatte sie diese bereits bei der Veröffentlichung der ersten kompletten Fassung im Mai 2022 bereits wieder eingebüßt. Die Niederlage der Sozialisten am Sonntag, in der Deutlichkeit zwar unvorhergesehen, war letztendlich erwartet worden. 

Mit dem Wahlergebnis ist Chile vor einer sozialistischen Verfassung verschont geblieben. Die Pinochet-Verfassung bleibt vorerst in Kraft, auch wenn Präsident Boric und andere Politiker zu einer Neuwahl der verfassunggebenden Versammlung aufgerufen haben. Ein zweiter Verfassungsentwurf wird Chiles Konflikte angemessen adressieren müssen, aber eben pragmatisch und nicht in Form einer linken Wunschliste.




Keine Maskenpflicht im Regierungsflieger – Soll der Pöbel doch die Maske tragen

Von Boris Cherny | „Für Flieger, die in Deutschland starten oder landen, gilt §28b des Infektionsschutzgesetz (…) in allen Flugzeugen, die in Deutschland starten oder landen, gilt die Maskenpflicht.“ Das stellt kürzlich eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums klar.

Wer jetzt denkt, damit würde der maskenlose Flug der deutschen Bundesregierung nach Kanada wenige Tage zuvor kritisiert werden, irrt sich. Das Bundesgesundheitsministerium echauffierte sich stattdessen über die Abschaffung der Maskenpflicht – unter Berufung auf Schweizer Recht – bei der Lufthansa Tochter Swiss. Das Statement legt das komplette Ausmaß der Doppelmoral der Regierung frei.

Am 21. August flogen Kanzler Scholz und sein Wirtschaftsminister Habeck, samt elitärer Entourage Richtung Kanada. Der Flug an sich wäre nicht weiter spannend, hätten sich nicht alle Regierungsmitglieder und Wirtschaftsbosse nicht heldenhaft gegen die laut Infektionsschutzgesetz geltende Maskenpflicht hinweggesetzt. Die Bilder der Tagesschau aus dem Flugzeug gingen auf Twitter viral. Der Shitstorm begann. Nicht nur, dass die Regierung nun unter Verdacht stand gegen das Infektionsschutzgesetz verstoßen zu haben, auch die Maskenpflicht selbst drohte nun von allen Seiten infrage gestellt zu werden als sprangen rasch zahlreiche Journalisten der Mainstream-Presse der Regierung zur Seite.

Die Mitgeflogene T-Online-Korrespondentin Miriam Hollstein bezeichnete die Regierungskritiker als Trolle, und merkte, wie mehrere andere an, dass beim Flug Testpflicht galt. Allerdings genehmigt das Infektionsschutzgesetz gar keine solchen Ausnahmen.

Die Reaktion auf die Bilder der Tagesschau ließ rasch eine Stellungnahme des Bundesverteidigungsministeriums folgen. Da das Flugzeug zur Luftwaffe gehöre, und diese die Maskenpflicht auf Flügen bereits im Juli aufgehoben habe, sei das Vorgefallene kein Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz gewesen, hieß es dort. Leider deckt sich die offizielle Erklärung nicht mit der Rechtfertigung mehrerer Journalisten. Zudem steht die Luftwaffe eigentlich genauso wenig über dem Gesetz.

Die Rechtmäßigkeit des Kanada-Flugs der Bundesregierung ist im Endeffekt aber irrelevant, zeigt er doch abermals eine maßlose Gleichgültigkeit der Politiker gegenüber dem normalen Bürger auf. Der Pöbel soll bei über 30 Grad in vollgestopften Zügen (ohne Klimaanlage) bestenfalls mit FFP2-Maske stehen. Regierungsmitglieder haben Wichtigeres zu tun, als die vermeintlich lebensrettenden Masken anzuziehen. Derweil schweigt der wichtigste Befürworter von Maskenpflichten, Karl Lauterbach, zum Verhalten seiner Regierungskollegen. Als jedoch wie vorher erwähnt die zivile Airline Swiss dem Beispiel der Bundesregierung folgte, und ankündigte, die Maskenpflicht auf ihren Flügen nicht mehr durchsetzen zu wollen, war die Empörung im Gesundheitsministerium groß.

Diese weitere blamable Episode für die Ampelregierung hat sogar noch ein gerechtes Ende gefunden. Als sowohl CDU- als auch FDP-Politiker begannen, als Konsequenz des Fluges das Ende der Maskenpflicht in Flugzeugen zu fordern, zog Kanzler Scholz schnell die Konsequenzen und führte die Maskenpflicht auf seinen Flügen wieder ein. Eine generelle Abschaffung der Maskenpflicht wäre sicherlich die humanere Entscheidung gewesen, doch wenigstens müssen Politik und Wirtschaft die Maske nun hoffentlich genauso aushalten wie wir.




Holodomor – der bolschewistische Genozid am ukrainischen Volk

Von Boris Cherny | Zu den größten Verbrechen des Kommunismus zählt die Behandlung der (insbesondere ukrainischen) Bauern in der Sowjetunion. Der mörderische Akt der Aushungerung ganzer Landstriche sorgte für Millionen Opfer und prägt die Ukraine noch bis heute. Der sogenannte „Holomodor“ war eine organisierte Hungersnot – und auch ein Genozid, um den Widerstand der Ukrainer gegen den russischen Bolschewismus zu brechen. 

Als 1917 die bolschewistische Revolution in Russland Einzug hielt, wurden schnell von ihren Führern die Klassenfeinde des kommunistischen Regimes ausgemacht. Neben den Intellektuellen und der wirtschaftlichen Elite, zählten auch wohlhabenden Bauern, die sogenannten Kulaken zu den größten Klassenfeinden. Vor allem in der Ukraine, die als „Brotkorb Europas“ bekannt ist, waren Kulaken ein wichtiger Bestandteil der Wirtschaft. Sie waren meist die Produktivsten Bauern der Regionen die sei bewohnten. Schon früh hatten sie unter verschiedensten Schikanen zu leiden. Aber auch die restlichen Bauern wurden von den Kommunisten mit Misstrauen betrachtet. Lenin hielt die kleinen privaten Betriebe der Bauern als Keim für Kapitalismus und die Bourgeoisie  und Stalin hielt die Bauern für eine größten Gefahren für seine Macht.

 

Gewaltsame Kollektivierung und Entkulakisierung

 

11 Jahre nach der Revolution hatte die Nachfrage nach Getreide ein so hohes Niveau erreicht, dass Stalin den staatlichen Einzug von Getreide als eine Art Steuer einführte. Die Bauernschaft widersetzte sich diesen Maßnahmen größtenteils. Den Widerstand der Bauernschaft sah Stalin als  Akt der politischen Sabotage an. Um bessere Kontrolle über die Bauern zu erhalten, wurde 1929 letztendlich die Kollektivierung der gesamten Landwirtschaft angeordnet. Alle Bauern sollten enteignet und in kollektive Farmen, die sogenannten „Kolchose“, integriert werden. Aus diesen politisch überwachten Kolchosen konnte Getreide direkt an den Staat abgegeben werden, zumindest in der Theorie.

 

Kombiniert mit der Kollektivierung wurde auch die Entkulakisierung beschlossen. Dieses drakonische Programm sollte reiche Bauern zuerst enteignen, und daraufhin sollten sie in entlegene Regionen für Zwangsarbeit deportiert werden. Da die meisten „Kulaken“ sowieso schon durch die massive Steuerlast verarmt waren traf die Entkulakisierung die gesamte Bauernschaft. Der Begriff „Kulak“ wurde deshalb auch ausgeweitet. Bauern konnten schon als Kulaken deportiert werden, weil sie früher einen Mitarbeiter in ihrem Betrieb beschäftigt hatten, oder im Sommer Korn auf dem Markt verkauften. Die Enteignungen wurden von den Dorfbewohnern (organisiert in sogenannten „Aktivistengruppen“) selbst durchgeführt, was oft zu Denunziationen und persönlichen Racheakten führte. Wurde nun eine vermeintliche Kulakenfamilie enteignet, wurde ihr meist alles genommen, selbst die Kleidung (Unterwäsche ausgenommen) zogen die Aktivistengruppen manchmal ein. Durch die chaotischen Bedingungen der Deportationen und Enteignungen starben mehrere Hunderttausend Menschen.



Widerstand der Bauern erfolglos – noch mehr Repressalien als Folge

 

Die grausamen Gewaltakte gegen die Bauernschaft führte zu einem großflächigen Bauernaufstand. In vielen Bezirken übernahmen Bauernräte für Wochen die Macht, bis die Macht der Bolschewisten gewaltsam wiederhergestellt wurde. Zu den Forderungen der Bauern gehörten Wiederherstellung einer freien Landwirtschaft und Beendigung des Sowjetischen Systems. Vor allem in der Ukraine, wo die Bauernaufstände besonders groß waren, waren die wirtschaftlichen und politischen Forderungen meist noch mit dem Ruf nach einer unabhängigen Ukraine gepaart. Die Niederschlagung der Revolte und die nachfolgenden Repressalien gegen die Landbevölkerung der revoltierenden Regionen (neben der Ukraine auch die Regionen des Nordkaukasus und Kasachstan) forderte weitere tausende Menschenleben.

Doch auch der Beendigung der offenen Konfrontation leisteten die nun meist in Kolchosen organisierten Bauern passiven Widerstand gegen Kollektivierung und die immer erdrückender werdende Steuerlast (allein vom Jahr 1931 auf 1932 stieg die eingezogene Getreidemenge durchschnittlich – mit Unterschieden je nach Region – um etwa ein Drittel an). Ganze Dörfer, samt Mithilfe des örtlichen Parteiapparats, entzogen sich den Steuern, indem sie falsche Zahlen an die Zentralverwaltung lieferten. Die Staatsführung reagierte prompt.

 

Große Hungersnot und Holodomor als „letzte Lösung“ der Regierung

 

1932 beschloss die Parteispitze, die aufständischen Regionen aushungern zu lassen. So wollte Moskau den Widerstand der Bauern brechen. Sogenannte Schwarze Listen für unbeugsame Dörfer wurden eingeführt. Die Versorgung dieser Dörfer wurde abgeschnitten, alle „Konterrevolutionäre“ wurden verhaftet, verschleppt oder hingerichtet, und im Falle dass die Maßnahmen „nicht wirkten“, wurde die gesamte Bevölkerung der Ortschaft deportiert. Die drakonischen Steuern und Repressalien führten dazu, dass kaum noch Getreide produziert wurde. Viele Dörfer in der UdSSR hatten überhaupt keine Nahrungs- oder Anbaureserven, da diese durch den Staat eingezogen.

 

In ihrer Verzweiflung versuchten viele Bauern in die besser versorgten Städte zu fliehen. Doch auch die Landflucht wollten die Kommunisten verhindern. Deshalb wurden ein Inlandspass und eine Zwangsregistrierung verordnet. Fast alle flüchtenden Bauern konnten somit in ihre Heimatregionen zurückgebracht werden – und wurden zum Sterben zurückgelassen. Verzweifelte Eltern versuchten zumindest ihre Kinder in den Städten zu verstecken, doch auch die wurden durch speziell organisierte Dienste wieder deportiert. Zusätzlich zum staatlichen Morden, verbreiteten sich Krankheiten wie Typhus rasant unter der Bevölkerung. Die unmenschlichen Lebensbedingungen führten auch zu Kannibalismus. Die Sowjetische Regierung sah sich sogar gezwungen Plakate drucken zu lassen, die Bevölkerung daran erinnern sollten, dass das Essen der eigenen Kinder falsch ist. Der besondere Zynismus der Regierung lässt sich an ihrer Handelspolitik ablesen. Während im eigenen Land Millionen Menschen verhungerten, exportierte die Sowjetunion 1933 18 Millionen Doppelzentner Weizen an das Ausland.



Zwischen 5,7 und 8,7 Millionen Menschen starben während der großen Hungersnot 1932/33, davon  3,3 bis 5 Millionen alleine in der Ukraine. Manche Ortschaften mit einst mehreren Tausend Einwohnern hatten Ende 1933 nur noch einige Dutzend Bewohner. Auch wenn nicht ausschließlich die Ukraine von der Aushungerung betroffen war, wurde insbesondere die ukrainische Nationale Bewegung durch den Holodomor gezielt angegriffen. Dieses beispiellose Verbrechen führte aber langfristig zu einem Erstarken des ukrainischen Nationalgedanken, und ist auch ein Grund für die starke Ablehnung einer Union mit Russland, immerhin hat die letzte Vereinigung solcher Art zum Tod von 5 Millionen Ukrainern geführt.