,,Hast du Lust, mit uns in den Club zu gehen?“ – ,,Ich würde gern, aber ich bin nicht geimpft“

Von Sophie Specker | Ich bin nicht geimpft, so wie viele andere auch. Nur wird das mittlerweile ziemlich problematisch. Als ich dieses Jahr 18 geworden bin, dachte ich, ich könnte feiern gehen und mein Leben genießen. Problemlos in mein Auslandsjahr starten und danach ins Studium.
Falsch gedacht! Nun braucht man für alles mindestens einen Test. Und der ist auch nur 24 oder maximal 48 Stunden gültig. Aber mal ehrlich, wer macht freiwillig einen PCR-Test?
Also sind es lediglich 24 Stunden, die man sich frei bewegen kann. Zumindest einigermaßen frei. Denn viele Clubs und Bars haben bereits die 2G-Regelung eingeführt, sodass nur noch Geimpfte oder Genesene Zutritt haben. Wie gesagt, ich bin 18 Jahre alt und war noch nie in einem Club. Besonders schwierig wird es dann, wenn im eigenen Freundeskreis alle geimpft sind. Denn auf ein ,,Hast du Lust, morgen Abend mit uns in den Club zu gehen?“ kann man nur mir einem ,,Ich würde gern, aber ich bin nicht geimpft…“ antworten.


Noch schlimmer wird es, wenn die Tests kostenpflichtig werden. Gemunkelt wird, dass demnächst normale Antigentests etwa 75 Euro kosten sollen und PCR-Tests 120 Euro. Ich persönlich gehe vier bis sechsmal die Woche zu verschiedenen Trainings, für die ich jedes Mal einen Test brauche. Jetzt schon anstrengend, aber dann? Auch noch unbezahlbar.
Wie soll man dann noch seinen Hobbies nachgehen? Oder überhaupt am allgemeinen Leben teilnehmen? Essen gehen, ins Kino gehen, sich außerhalb der eigenen vier Wände mit jemandem treffen? Und jetzt soll es in den Universitäten auch die 3G-Regel geben. Sollten die Testungen tatsächlich so teuer werden, können sich bald einige nicht mal mehr die Uni leisten. Wie ist es denn da mit dem Recht auf Bildung? Ist das aufgrund der pandemischen Lage auch ein veränderliches Gut? Scheint so. Im nächsten Schritt könnten sie den Ungeimpften doch auch die Staatsbürgerschaft entziehen. Aber hier höre ich lieber auf, bevor ich jemanden noch auf Ideen bringe.


Mir gegenüber wohnen zwei Studentinnen, die sich an einem der letzten Abende über die 3G- und 2G- Regeln unterhalten haben. Beide ungeimpft, beide ziemlich genervt.
Eine der beiden sagte: ,,Wie kann es denn bitte sein, dass wir uns jetzt schon testen müssen, nur damit wir in der Stadt etwas essen gehen können?“ Wenn man einmal objektiv die Situation betrachtet, wird schnell klar, dass das nichts mehr mit Logik oder einer Sinnhaftigkeit zu tun hat.

Auch für Geimpfte, die ihren Impfpass nicht digitalisiert haben, ist es ein wahrer Denksport nicht nur an die Maske, sondern auch den Impfausweis zu denken. Als ich gestern mit einer Freundin in der Stadt war (ich hatte noch satte drei Stunden Freiheit mit einem gültigen Testzertifikat), fiel ihr plötzlich auf, dass sie ihren Impfausweis vergessen hatte. Also, nicht mal eben gemütlich etwas beim Shopping in der Stadt trinken oder essen, sondern ab in den nächsten Supermarkt und ein Getränk to go kaufen.


Hinzu kommt, dass man durch die Impfkampagne, von der ich nicht wissen will, wie viele Steuergelder sie uns kostet, als verachtenswerter Mensch betrachtet wird. Dabei ist es vollkommen egal, ob man sich aus gesundheitlichen oder prinzipiellen Gründen nicht impfen lässt. Bei mir ist es eine Mischung aus beidem, doch wie kann es weitergehen?


Viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe, fühlten sich aufgrund der neuen Impfstoffe unwohl. So wie sie frage ich mich auch, wieso wir nicht auf die bewährten und damit sicheren Methoden zurückgegriffen haben, wenn das Virus so bedrohlich ist. Warum wird ausgerechnet jetzt experimentiert?
Dann kam teilweise die Antwort, dass so auch die Varianten des Virus durch die Impfung abgedeckt wären. Und trotzdem werden Booster-Impfungen gebraucht? Weil die Impfung dann doch nicht so schützt wie gedacht? Für mich macht das alles nicht sonderlich viel Sinn und ich würde mir deutlich mehr Aufklärung und wissenschaftliche Studien von der Politik wünschen. Ein ,,Lasst euch impfen verdammt nochmal!“, wie es die CDU vor Kurzem auf ihrem Twitter-Account veröffentlicht hat, wird mich jedenfalls nicht umstimmen. 

Spannend wird es, wenn sich demnächst alle dreifach impfen müssen und die Dreifach-Geimpften dann auf die Zweifach-Geimpften losgehen. Ich bleibe jedenfalls bei meinem Standpunkt, sofern sich nichts Grundlegendes ändert. Denn dieser extreme Druck, der einem gemacht wird, macht mich nur noch misstrauischer.


An oder mit der Pest gestorben – Kann Corona mit der mittelalterlichen Seuche gleichgesetzt werden?

Von Marlene Linden | Die Sonderausstellung des Augusteums Wittenberg “Pest – eine Seuche verändert die Welt” vermittelt nicht nur historische Fakten. Neben frühneuzeitlichen Exponaten werden dort auch aktuelle Gegenstände der Coronazeitgezeigt – mit vergleichenden Kommentaren.

Pestilence, aera mors, Covid-19, Beulenpest” – am Eingang der Ausstellung begrüßt dieses farbenfrohe Plakat die Besucher. In seiner Mitte prangen in unübersehbaren Buchstaben die Worte “Corona” und “Pest”.

Neben den historischen Exponaten finden sich in den Räumen kleine Schaukästen, in denen Gegenstände der aktuellen Coronapolitk mit Erklärungen, die leider manchmal nicht ganz vollständig sind, ausgestellt werden.

So wird z.B. unter “Überträger” der Corona-Krankheit lediglich erwähnt, dass das Virus durch den Verkauf von Fledermaussuppe auf dem Markt in Wuhan übertragen worden sein soll. Diese Information wird als “Gerücht” bezeichnet – aber woher kommt das Virus denn nun wirklich? Darauf gibt die Ausstellung leider keine Antwort. Das kann sie auch nicht, denn diese Frage ist in der Wissenschaft umstritten.

Immer wahrscheinlich jedoch erscheint, dass das Virus aus einem Labor in der Nähe kommt. Obwohl China diesen Laborunfall abstreitet, scheinen einige Besonderheiten im Erbgut des Virus auf einen künstlichen Ursprung hinzuweisen. Endgültig bewiesen wurde jedoch noch nichts.

Einige Schritte weiter wird das berühmte Bild vom Militärkonvoi in Bergamo ausgestellt. Im Kommentar heißt es, das Coronavirus hätte die Menschen so schnell dahingerafft, dass einige Krematorien überlastet gewesen seien. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Normalerweise werden in Italien etwa die Hälfte der Toten in der Erde bestattet. Da man aber Corona zu dieser Zeit für eine gefährliche Krankheit hielt, wurde angeordnet, alle Toten zu verbrennen. Deshalb war das Krematorium in Bergamo zeitweise überlastet, nicht wegen einer erhöhtenSterblichkeitsrate durch Corona.

Der Vergleich zwischen Pest und Corona zieht sich durch die ganze Ausstellung. Am deutlichsten wird das an einem Memory, mit dem schon die Kleinsten lernen können, was zusammengehören soll: das Coronavirus und das Pestbakterium, die Maske des Pestarztes und die FFP2-Maske – letzteres eigentlich eine sehr gute Zusammenstellung, da beide gleich wirksamen Schutz biete.

Im Grunde müsste man für die Ausstellung dankbar sein, denn sie beruhigt: Ob gewollt oder ungewollt – noch nie kam mir Corona harmloser vor als im Vergleich zur Pest. Wer also immer noch wegen Corona beunruhigt ist, dem kann die Austellung empfohlen werden.

Dazu trägt vor allem ein Plakat bei, das in einem separaten Raum hängt. Es zeigt verschiedene Infektionskrankheiten mit ihrer jeweiligen Sterblichkeitsrate. Bis zu 30% der Bevölkerung sind vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert an der Pest gestorben – bei Corona sind es gerade mal 0,05% – also 5 von 10.000.  

“Werden wir eines Tages auch auf die aktuelle Sars-Cov-2-Pandemie mit wohligem Erschauern zurückschauen?” liest man kurz vor dem Ausgang. Die Antwort: Auf keinen Fall. Erschauern werden wir nicht bei dem Gedanken an die Pandemie, sondern wenn wir daran denken, was uns unsere eigenen Maßnahmen dagegen gekostet haben: die psychische und ökonomische Stabilität unsrer Gesellschaft, das Vertrauen in die Regierung, der Bildungsverlust und die psychischen Schäden bei einer ganzen Generation und Jugendlichen – ganz zu schweigen von den Menschen, die sich aus Einsamkeit und Verzweiflung selbst Leben genommen haben. Und das alles völlig umsonst. Man muss nur einen Blick nach North und South Dakota werfen: Während in North Dakota strenge Corona-Regeln galten, ließ die Regierung South Dakotas die Bürger uneingeschränkt. Ergebnis: Infektions-und Sterbegeschehen war in beiden Staaten ungefähr gleich. Aberin North Dakota wurden Wirtschaft und Freiheitsrechte geschädigt, während South Dakota unbeeinträchtigt blieb.  

Selbst wenn die Angst kein Überträger ist, wie man zu Pestzeiten glaubte, so ist sie doch ein Katalysator. Corona selbst ist nicht wie die Pest – die Gegenmaßnahmen sind es.

 


Wenn Corona die Pressefreiheit untergräbt

Von Sophie Specker | Nach der neuen Niedersächsischen Corona-Verordnung, die seit dem 22. September 2021 gilt, gibt es die Option bei Veranstaltungen die „2G Regel“ anzuwenden. Diese Option ist von Veranstaltern oder Betreibern unabhängig von Inzidenzen oder einer Warnstufe wählbar und erlaubt nur Genesen und Geimpften Personen den Zutritt. Derzeit liegt die sogenannte Inzidenz in Osnabrück unter 50, weswegen keine Warnstufe ausgerufen wurde. Die Karte weist grünes Gebiet aus. Also sollte doch alles entspannt sein, oder?
Für die Wahlparty am vergangenen Sonntag hat die Stadt Osnabrück, genauer der Krisenstab, die 2G Regel beschlossen. Sie soll zukünftig bei allen freiwilligen Veranstaltungen und Angeboten der Stadt Osnabrück Anwendung finden. Was heißt das für Vertreter der Presse, die einen 2G Nachweis nicht erbringen können?

Die Stadt Osnabrück fordert von Vertretern der Presse zur Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit, der Berichterstattung, dass sie den 2G Nachweis erbringen und entweder geimpft oder genesen sind. Dazu sagt die Stadt folgendes: „Die Möglichkeit der Wahl eines Veranstalters oder Betreibers einer Einrichtung oder eines Betriebes, eine 2-G-Regelung vorzusehen, ist in der neuen Nds. Corona-Verordnung vom 22.09.2021 in § 1 Abs. 3 und § 8 Abs. 7 vorgesehen. Wird die 2-G-Regelung (wie vorliegend) gewählt, gilt sie ausnahmslos für alle Besucher. Die 2-G-Regelung beinhaltet lediglich die in § 8 Abs. 7 vorgesehenen Ausnahmen für beispielsweise Kinder und Personen, die sich nicht impfen lassen dürfen.“

Aufgrund der Art der Veranstaltung mit Podiumsdiskussion usw. und dem Bereitstellen von Tischen und WLAN würde ich den Besuch der Veranstaltung im Rahmen der Tätigkeit als Presse und nicht lediglich als „Besucher“ einordnen. Es gibt Ausnahmen für berufliche Tätigkeiten auf 2G Veranstaltungen, z.B. für „Dienstleistende Personen, die keinen Impfnachweis oder Genesenennachweis nach Absatz 4 Satz 1 vorlegen (können oder wollen), dürfen in Einrichtungen und auf Veranstaltungen, in denen die 2-G-Regelung gilt, nur dann tätig sein, wenn sie
a) täglich den Nachweis eines negativen PoC-Antigen-Tests führen und
b) eine Atemschutzmaske mindestens des Schutzniveaus FFP2, KN 95 oder eines gleichwertigen Schutzniveaus tragen. Diese qualifizierte Maskenpflicht gilt allerdings nur dann, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Art ihrer Tätigkeit den Abstand von 1,5 Metern zu anderen Personen regelmäßig unterschreiten.

Auf Anfrage gab die Stadt Osnabrück an, dass diese Ausnahme sich „ausschließlich auf dienstleistende Personen des Veranstalters/Betreibers (Angestellte)“ bezieht, „die in diesen Einrichtungen beruflich tätig sind.“ Sie haben an, dass der Zugang zur Wahlveranstaltung der Stadt verwehrt wird, wenn die Personen keinen 2G Nachweis, also einen Impf- oder Genesenennachweis, vorlegen können, oder eben unter die Ausnahmen fallen. Die Anordnung der 2G-Regel bei der Veranstaltung wurde der Stadt nach von dem „Krisenstab der Stadt Osnabrück“ beschlossen. Zukünftig soll die Regelung auch weiterhin bei allen freiwilligen Veranstaltungen und Angeboten der Stadt Osnabrück Anwendung finden. 

Da fragt man sich, wieso diese Regelungen getroffen wurden. Getestete Personen sind für 24 Stunden sicherer als Geimpfte, da diese trotz der Impfung ansteckend sein können. Das wurde auf Partys wie der in Münster bewiesen, bei der die 2G Regelung galt und sich dennoch zahlreiche Menschen infizierten. Wir haben keine Warnstufe, die Inzidenz und andere Richtwerte sind sehr niedrig im Vergleich zum Vorjahr. Die Zahlen sinken sogar deutlich. Dennoch werden die Getesteten als ,,böse“ dargestellt und ausgeschlossen. Auf den Zetteln an den Eingängen zu beispielsweise Restaurants oder Kinos sind die Geimpften und Genesenen in einem beruhigenden Grünton abgebildet, während die Getesteten in einem sehr gefährlichen Orange-Rot dargestellt sind.

Und jetzt kann man als Vertreter der Presse nicht mehr an Veranstaltungen der Stadt teilnehmen? Gemäß Artikel 5 des Grundgesetzes hat „jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“
Ist dieses Grundgesetz noch gegeben, wenn man Personen aufgrund ihres Impfstatus ausschließt? Gilt jetzt etwa der Grundsatz Impfstatus über Grundgesetz? Wie weit will die Politik es noch treiben? Das werden wir in den kommenden Wochen sehen.


Der ÖRR im Wahlkampfmodus

Vom ÖRR-Blog-Team | „Authentische, sorgfältig recherchierte Informationen, die Fakten und Meinungen auseinanderhalten“, so beschreibt das Bundesverfassungsgericht die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Gerade in einem hitzigen Wahlkampf, womöglich dem polarisiertesten und aggressivsten seit fünfzehn Jahren, gilt: Nur die unverzerrte Wahrheit steht im Mittelpunkt und nicht das Sensationelle, das bleibt schließlich für die Privaten. So sieht sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk nur zu gerne. Aber was ist dran?

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Dringend gesucht: Der Kommentator ohne Eigenschaften

Von Benjamin Bugante | „Da geht er, ein großer Spieler. Ein Mann wie Steffi Graf.“ Mit diesen Worten erlangte das Abschiedsspiel von Lothar Matthäus im Jahre 2000 ewigen Kultstatus unter Fußballfans.

Nicht zuletzt wegen solcher markigen Sprüche ist Jörg Dahlmann einer der bekanntesten Fußballkommentatoren Deutschlands. Seine Stimme ist zwar seit einigen Jahren weniger aus Länderspielen bekannt, aber nach Stationen im ZDF, Premiere und SAT1 kennt man ihn spätestens seit 2017 unter anderem als Bundesligakommentator beim Pay-TV-Sender Sky.

Nach einer etwas verunglückten Kapriole ist für Dahlmann bei Sky jetzt Schluss: Noch vor Ende seiner Vertragslaufzeit zum Saisonende 2021 wird Dahlmann abgesetzt. Ab sofort werde er keine weiteren Spiele mehr kommentieren, teilte ein Sky-Sprecher mit. Der Grund: Bei einem Zweitligaspiel Anfang März kommentierte Dahlmann eine vergebene Chance des japanischen Spielers Sei Muroya von Hannover 96 wie folgt: „Es wäre sein erster Treffer für 96 gewesen. Den letzten hat er im Land der Sushis geschossen.“

BILD der Kommentatorenszene

 Dass sich weder Steffi Graf noch Matthäus noch irgendeine illustre „Community“ damals über Dahlmanns Spruch echauffierte, ist wenig verwunderlich. Die 22-fache Grand-Slam-Siegerin gab einem Zuschauer einmal bei laufendem Match auf die Frage „Steffi, will you marry me?“ nach kurzem Überlegen zurück: „How much money do you have?“. Matthäus hingegen hatte gut zwei Jahre nach seinem Abschied vom FC Bayern umso mehr an Uli Hoeneß‘ Aussage zu knabbern, Matthäus würde beim FC Bayern „nicht mal Greenkeeper“ werden. Und überschäumende soziale Netzwerke gab es in diesen himmlischen Zeiten sowieso noch nicht.

Was der Sky-Sprecher nun am Sushi-Spruch als „unsensibel und unpassend“ geißelte, war für mich also bloß „ein klassischer Dahlmann“ – so jedenfalls mein erster Gedanke, als ich die Schlagzeile las. Etwas übermütig, plakativ, vielleicht ein bisschen flach. Schon gar nicht fein ausziseliert, sondern eben im Affekt entstanden, im Eifer des Gefechts, das Fußball nun mal ist. Vielleicht eben auch aus der Langeweile heraus, die so ein Zweitligakick erzeugt. Jedenfalls würde man so einen Mann heute nicht bei ARD und ZDF erwarten. Dafür ist Dahlmann zu kernig, zu boulevardesk im besten Sinne. 2010 hatte er als SAT1-Reporter den damaligen Bayern-Trainer Louis van Gaal nach einem Spiel mit einer kritischen Frage einmal in eine Journalistenschelte wie aus dem Lehrbuch verwickelt, die er natürlich genüsslich auskostete. Schnittiger O-Ton, aufregender Schlagabtausch, der Journalist verteidigt mutig sein Ethos – wie für die Boulevard-Schlagzeile gemacht. „Nich‘ so aggressiv!“, „Das hat ja jetzt ein bisschen was mit Beratungsresistenz zu tun“ stach Dahlmann gegen den sichtlich erbosten Bayern-Trainer – zu viel des Guten. SAT1 kuschte und zog Dahlmann für einige Zeit aus dem Verkehr.

Eines sollten die heutigen Sky-Verantwortlichen, die sich daher in guter Tradition wähnen können, allerdings mit am besten wissen. Spätestens seit Fußball auf so vielen Kanälen läuft wie heute, ist es die elementare Aufgabe des Kommentators, das Geschehen auf dem Platz nicht nur informativ, sondern auch unterhaltsam zu begleiten. Egal, wie spannend oder bedeutend das Spiel ist – damit nicht abgeschaltet wird, muss geliefert, ja, „geglänzt“ werden. Daher ist die Tatsache, dass Fußballkommentatoren immer mal für einzelne Sprüche oder ihre allgemeine Art in der Kritik stehen, gar nichts Ungewöhnliches. Dahlmanns Berufskollege Marcel Reif, der bis 2016 für Sky kommentierte, ließ schon 1990 bei einem WM-Länderspiel zwischen Kamerun und Argentinien den Satz fallen: „Ich will nicht parteiisch sein. Aber lauft, meine kleinen schwarzen Freunde, lauft.“ Und auch ZDF-Legende Béla Réthy, längst einer breiteren Masse an Fans von WM- und EM-Länderspielen bekannt, polarisierte nicht selten mit ebenso kantigen wie absurden Sprüchen wie „Das da vorn, was aussieht wie eine Klobürste, ist Valderrama.“

Vom Fußballgott Turek zu heimatlosen Sushis

Gott hat uns an der langen Leine – selbst, wenn wir nicht mehr an ihn glauben. In eine Zeit, in der ihm offensichtlich eine andere Rolle zukam als heute, fällt der überraschende Sieg der deutschen Nationalmannschaft im WM-Finale 1954 über Ungarn in Bern. Diesem Spiel verdanken wir eine herrliche Anekdote. Aus dem deutschen Reporter Herbert Zimmermann – wie Dahlmann ein NRW-Gewächs – platzte es nach einer Glanzparade des deutschen Torhüters Toni Turek in deftigem Rheinisch heraus: „Turek, du bist ein Teufelskerl! Turek, du bist ein Fußballgott!“ Dass Zimmermann den damals noch nicht so populären Begriff „Fußballgott“ in den Mund nahm, führte dazu, dass ein einflussreicher Privatbankier und Berater Adenauers auf eine öffentliche Entschuldigung Zimmermanns drängte. Auch ein endgültiges „Canceln“ Zimmermanns, wie nun bei Dahlmann geschehen, stand im Raum.

Man ist also fast geneigt, Zimmermann als Trendsetter zu sehen. Allerdings hörten sich die meisten Fußballkommentatoren noch bis weit in die 70er-Jahre so an, als läsen sie ein Telefonbuch vor. Als der Fußball mit der Zeit kommerzieller und die Kommentatoren emotionaler wurden, häuften sich die rhetorischen Blüten, und ganze Best-Of-Bände mit Sprüchen aller Fußballakteure inklusive der Kommentatoren schmücken seither das Regal vieler Fans. Man könnte den Eindruck haben, der Fußball sei entkrampfter und – zumindest über den Bildschirm – nahbarer geworden, trotz der Beschwerden darüber, die Spieler von heute würden keinen Klartext mehr reden.

Die Sache mit der unterdrückten Frau

Der Fairness halber muss jedoch die ganze Geschichte erzählt werden. Was wohl auch entscheidend zu Dahlmanns Entlassung beigetragen hat, war ein weiterer Kommentar, der Ende 2020 fiel. Während eines DFB-Pokalspiels kam er auf den Torhüter und Partner von Schauspielerin Sophia Thomalla, Loris Karius, zu sprechen, der nach langer Zeit auf der Bank wieder zwischen den Pfosten stand. Karius‘ Rolle als Ersatztorhüter kommentierte Dahlmann mit den Worten: „Das hat den Vorteil, dass er zu Hause kuscheln kann mit seiner Sophia“, sowie „Für so eine Kuschelnacht mit Sophia würde ich mich auch auf die Bank setzen“. Mannomann, diesmal ein ziemlich deftiger Dahlmann, nicht gerade die ganz alte Schule. 1954 hätte es hierfür was gesetzt. Aber auch hier: Ob sich Frau Thomalla selbst verletzt fühlt – laut Dahlmann habe sie ihm gegenüber geäußert, den Spruch als Kompliment aufgefasst zu haben – ist für die Anklage völlig unbedeutend.

Es gibt also nur zwei Möglichkeiten. Entweder, die Sky-Verantwortlichen „haben den Fußball nie geliebt“ (Rudi Völler). Oder aber, sie unterliegen 2021 denselben ideologischen Zwängen wie jeder in der Öffentlichkeit stehende Konzern, der ein Image zu verlieren hat. Die vielen Dritten jedenfalls, jene Figuren, die solchen verbalen Schnitzern böse Motive unterplärren, obgleich sie nie dazu befragt wurden, sind mit großer Sicherheit keine Fußballfans. Ihnen mangelt neben einer gewissen Grundheiterkeit an der Einsicht, dass Fußball in Zeiten fortschreitender Professionalisierung und Kommerzialisierung mehr denn je vom Menschlichen lebt – und vom Spontanen. Falsche Einwürfe, stolpernde Schiedsrichter, stolpernde Kommentatoren – wer sehnt sich nicht nach solchen Dingen, um nicht den fünfhundertsten Videobeweis für ein Traumtor ertragen zu müssen? Da wird man zwischen Chips und Bier doch gerne daran erinnert, dass Japan das Land der Sushis ist.