Das Erdbeben in Kalifornien. Eine Kurzgeschichte aus Lockdown-Zeiten

Von Jonas Kürsch | An einem frühen Montagmorgen, als die Woche noch unberührt und daher voller Möglichkeiten zu sein schien, erwachte ein junger Mann inmitten eines unwirklich anmutenden Getöses auf unangenehmste Art aus seinem süßen Schlaf.

Denn sowie sich seine schweren Lider geöffnet hatten – der Verstand war ihm von der lieblichen Träumerei noch leicht benebelt – musste er voller Entsetzen feststellen, dass sich die kargen Wände seines kleinen Zimmers bedrohlich auf ihn zubewegten und der Boden unter seinen Füßen beunruhigend zu wackeln begonnen hatte.

Geistesgegenwärtig rollte er sich aus seinem eben noch gemütlichen Bett und floh aus dem engen Kämmerlein, bevor er unter einem Haufen aus grauer Asche und bei lebendigem Leibe begraben werden konnte.

Durch den aufgewirbelten Staub waren die Umrisse des Hausflures inzwischen nur noch zu erahnen. Er zwängte sich entlang der grauen Wohnungswände, und als er dann die Eingangstür erreicht hatte, gelang ihm schließlich die Flucht aus dem nun unkontrolliert und in alle Richtungen zerberstenden Gebäude. 

Der Schrecken war groß: es schien, als sei die gesamte Welt dazu verurteilt worden, in einem geradezu brachialen Inferno bis auf ihr Fundament niederzubrennen! 

Die sterbende Sonne tränkte den Horizont in ein blutiges Rot und die einst von Leben erfüllte Stadtluft war durch die dicken Rauchschwaden verdorben, so dass ein jeder Atemzug sogleich zur reinsten Höllenqual verkam.

Es flossen die Tränen aus seinen entzündeten Augen; er konnte nicht genau erkennen, welche Grauen sich um ihn herum abspielten, doch die im Laufe der Zeit verstummenden Schreie ließen darüber ohnehin nur wenig Zweifel.

Die Erde bebte auf ein Neues; das panische Gewimmer raunte abermals auf. Eine sich auftuende Erdspalte riss die kalifornische Allee entzwei und verschlang einen in sich zusammenstürzenden Häuserzug ohne Erbarmen.

Der junge Mann taumelte orientierungslos umher, während die langsam schmelzenden Augäpfel ihm verbrannt aus den Höhlen zu laufen drohten.

Eine Palme ragte im Zentrum dieses Armageddons unbeschadet aus dem rissigen Bürgersteig empor. Der Herr lehnte sich gegen das standhafte Gewächs, während der schwere Rauch ihm zunehmend die Luft abschnürte. Er sah hilfesuchend um sich: da fiel sein Blick auf die Gestalt eines apokalyptischen Wahrsagers, der auf den zertrümmerten Resten eines chinesischen Kinos aus einem alten Buch deklamierte:

„Und wer entflieht 
Vor dem Geschrei des Schreckens,
Der fällt in den Schacht;
Und wer entkommt aus dem Schacht,
Der wird in der Schlinge gefangen-“

Plötzlich stürzte ein gewaltiger Stahlträger aus dem Himmel und erschlug den gottlosen Schwätzer.

Alleingelassen irrte der Glücklose weiter durch die untergehende Metropole, bis seine nackten Fußsohlen auf dem glühenden Asphalt wie zwei blutige Blasen zerplatzten. Die Knochen wurden ihm schwerer und immer schwerer; und seine Zehen zerrieben sich am rauen Straßenbeton allmählich in kleine Stücke.

Einige Meter weiter fiel er dann zu Boden, ließ sich vom Schmerze niederringen, gestattete sich, ein wenig zu ruhen und ein bisschen zu bluten. Letztendlich hatte er sich selbst in all der Hysterie verloren. Es würde ihm nicht mehr gelingen, aus dieser Psychose befreit zu werden.

Et mors venit.  


Leitzinserhöhung: Die EZB wird mit der Realität konfrontiert

Von Jonas Kürsch | Auf diesen Entschluss haben viele schon lange gewartet: Die EZB kündigte in den vergangenen Wochen das Ende der jahrelang verfolgten Niedrigzinspolitik an. Damit wird der Leitzins der europäischen Notenbank erstmals seit etwa einem Jahrzehnt wieder angehoben. Der Leitzins gilt als zentrales Steuerinstrument für die Geldpolitik eines Währungsraumes, da er einen massiven Einfluss auf den Handel der Banken untereinander sowie mit deren Zentralbank ausübt.

Aber kann die geplante Änderung wirklich die von der Zentralbank gemachten Versprechen einhalten und die wachsende Inflation nachhaltig bekämpfen? Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein kurzer Rückblick auf das vergangene Jahrzehnt.

2010-2014: Mario Draghi und die Geburt der „Whatever-It-Takes“-Doktrin

Die Anfänge der öffentlich weitgehend als „Politik des billigen Geldes“ bekannten EZB-Zinsmaßnahmen wurde durch den heutigen italienischen Premierminister und damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi begründet. Der Euro stand ab 2010 im Rahmen der (bereits ab 2008 beginnenden) europäischen Staatsschulden- und Bankenkrise kurz vor seinem Ende. Besonders in südeuropäischen Mitgliedsstaaten wie Griechenland stieg die nationale jährliche Neuverschuldung auf horrende Rekordsummen an, so dass eine Umschuldung ohne die Hilfe von Drittstaaten nicht länger möglich war: die europäische Währungsunion drohte an den unterschiedlichen Wirtschaftsstärken der einzelnen Länder zu zerbrechen.  

Die sensitiven Finanzmärkte reagierten darauf mit großer Verunsicherung. Um sie zu beruhigen versprach Präsident Draghi im Jahr 2012, die EZB würde alles tun „was auch immer nötig ist“ (im Original „whatever it takes“), um den Euro zu erhalten. Diese Aussage allein führte im Rahmen eines placeboartigen „Draghi-Effekts“ zu einer (zumindest kurzfristigen) Entspannung der Geldmärkte. Die europäische Union entwickelte sich infolgedessen immer mehr zu einer Schuldenunion, da die EZB durch stark ausufernde Wertpapierkäufe nun selbst zum Finanzier der jeweiligen Regierungen in Europa wurde: Hohe Haushaltsdefizite konnten ab sofort und vollkommen problemlos über die öffentliche Hand durch die günstigen Zinssätze finanziert werden. 

2015-2021: Christine Lagarde und der Frühling der „Modern Monetary Theory“

Schon früh warnten Kritiker vor den Nachteilen: nicht nur dass Schuldner langfristig von den Maßnahmen profitieren würden, Sparer und Konsumenten, auf der anderen Seite, würden eben durch diese niedrigen Zinsen gravierende Nachteile erfahren. Volkswirte prophezeiten bereits ab Mitte der 2010er die schleichende Entwertung unseres Geldes, die letztlich sogar in einer möglichen Hyperinflation enden könnte. Von der Politik wurden diese Warnungen als Unkenrufe belächelt und nur wenig ernstgenommen. Schließlich erlebte Europa doch gerade seinen neuen finanzpolitischen Frühling. Jedes Land konnte so viele Schulden aufnehmen wie es wollte, ganz frei nach dem Motto: „das europäische Schuldenkartell wird schon dafür blechen!“

Alle Staaten, aber vor allem die südeuropäischen, wurden durch diese Politik des billigen Geldes von der dringenden Notwendigkeit Sparmaßnahmen und Finanzreformen einzuleiten faktisch entbunden. Dadurch wurden Banken und Staaten (oder deren Regierungen?) temporär gerettet, die Finanzsysteme und die damit verbundenen übermächtigen Märkte künstlich am Leben gehalten, bei „Otto Normalverbraucher“ kam davon allerdings nur sehr wenig, um nicht zu sagen, gar nichts an. All diese Maßnahmen waren natürlich alternativlos und dienten einzig dazu noch größeren Schaden abzuwenden. Fragt sich nur, von wem? Draghi erkaufte der Staatengemeinschaft mit diesen Eingriffen Zeit, die Staaten ließen diese ungenutzt verstreichen.

Die europäische Politik verlor sich zunächst in den utopischen und grenzenlosen Versprechungen dieser sogenannten „Modern Monetary Theory“, einer wenig marktwirtschaftlichen Geldideologie, der zufolge der Geldwert in erster Linie durch den Staat und seine Fähigkeit zur Erhebung (oder Minderung) von Steuern bestimmt wird. Die von der Zentralbank zur Verfügung gestellte Geldmenge sei hierbei unerheblich. Im Grunde gehen die Vertreter dieser vermeintlichen Theorie davon aus, dass der Wert einer Währung gerade erst durch die Eingriffe einer Regierung beeinflußt und letztlich gesteigert werden kann. Obwohl diese „Voodoo-Ökonomie“, wie der ehemalige US-Finanzminister Larry Summers die MMT bezeichnete, als starkumstritten gilt, sahen Menschen wie Draghi in ihr das ideale Instrument zur Bekämpfung der Währungskrise. 

Im Jahr 2019 begann dann die Amtszeit der französischen Altpolitikerin und verurteilten Straftäterin Christine Lagarde als Präsidentin der EZB. Sie setzte den Kurs ihres Vorgängers rigoros fort: manchen Berechnungen zufolge generiert die Notenbank unter Lagardes Aufsicht etwa 4,6 Milliarden neue Eurobanknoten am Tag. Auch im Rahmen der Coronapolitik behielt Europa den radikalen Nullzins bei, um die durch Verkaufs- und Ausgangsverbote lahmgelegte Wirtschaft weiterhin am Laufen zu halten. Doch dann drohte das Kartenhaus auf einmal in sich zusammenzubrechen.

2022: Wenn linke Wirtschaftsideologien an der Wirklichkeit scheitern

Lange Zeit verleugnete Lagarde die Realität und behauptete noch im Frühjahr dieses Jahres, die Inflation sei nur ein „vorübergehendes Phänomen“, das sich nach der Pandemie wieder beruhigen würde. Erst als selbst linientreue Weggefährten wie die EZB-Direktorin Isabel Schnabel sich für ein Abweichen von der jetzigen Zinspolitik aussprachen, war die Französin nicht länger dazu in der Lage, ihre Augen vor den durch das massive Gelddrucken und die hohen Zinssenkungen verursachten Wirtschaftsschäden zu verschließen: die Inflation ist nicht länger eine Fata Morgana, sondern harte Realität.

Es ist allerdings so gut wie ausgeschlossen, dass die um 0,25 Prozentpunkte geplante Anhebung des Leitzinses ausreichen wird, um den europäischen Währungsraum zu retten. Die Analyse vieler Wirtschaftsexperten fällt einstimmig aus: zu spät und zu wenig. Im Vergleich zu anderen Banken handelt die europäische Zentralbank auch jetzt noch zu zögerlich. Die Bank of England hat vor wenigen Tagen die fünfte Änderung des Leitzinses innerhalb von sieben Monaten angekündigt. Der britische Leitzins beläuft sich damit auf 1,25 Prozent. Auch die US-amerikanische Fed vollzog vor wenigen Tagen mit einem weiteren Sprung von 0,75 Prozentpunkten die größte Zinsanhebung seit 1994.

Sowohl die „Whatever-It-Takes“-Doktrin als auch die „MMT“ sind im Schatten dieser Entwicklungen nun endgültig als Scharlatanerie entzaubert worden. Uns Verbrauchern treibt letztendlich nicht nur die Sorge vor einer neuen Eurokrise, sondern auch die Angst vor der immer größer werdende Wahrscheinlichkeit, dass der Euro schon sehr bald nicht mehr existieren könnte.

“We violated all the rules because we wanted to close ranks and really rescue the euro zone.“ – Christine Lagarde 


Die Verwüstung ist geblieben. Eliots „The Waste Land“ wird 100 Jahre alt

Von Jonas Kürsch | In diesem Jahr feiert „Das wüste Land“ seinen einhundertsten Geburtstag. Das vom US-amerikanischen Dichter T. S. Eliot verfasste Langgedicht wird wegen seines kryptischen Inhalts, seiner bis heute unnachahmlichen Wortgewalt und seiner revolutionär anmutenden Struktur von vielen Literaten als einer der größten Beiträge zur westlichen Unterhaltungsliteratur seit William Shakespeare’s Sonetten eingeschätzt. „Das wüste Land“ beschreibt die tragische, teilweise auch komisch anmutende Vereinsamung des modernen Menschen nach der Jahrhundertwende, während der die Menschlichkeit im Angesicht einer anonymisierten und mechanisierten Kriegsgesellschaft scheinbar vollkommen abhanden gekommen zu sein scheint. Gerade im Hinblick auf die Zerstörungswut des Ersten Weltkrieges, die Eliot in seiner Lyrik zu einem der Hauptmotive macht, hat das Gedicht gerade auch in der turbulenten Gegenwartszeit nichts von seiner Relevanz verloren.

Vom Bankier zum Literaturnobelpreisträger

Thomas Stearns Eliot wird 1888 in eine angesehene Bostoner Familie geboren. Als Sohn erfolgreicher Industrieller konnte Eliot erst an der Harvard University, später an der Pariser Sorbonne studieren. Von der europäischen Kultur begeistert, siedelte Eliot 1914 endgültig nach Europa über, wo er sich nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges in England niederließ. Mit seiner Stelle als Bankier konnte er sich zwar ein sicheres Einkommen sichern, doch Eliot wusste, dass das lyrische Schreiben seine wahre Passion war und er nichts anderes beruflich machen wollte. Seinen ersten größeren Erfolg hatte er mit dem Gedicht „The Love Song of J. Alfred Prufrock“ erzielt, welches durch den Publizisten, Lyriker und späteren Freund Ezra Pound erstmals veröffentlicht wurde.

1915 heiratetet Eliot dann seine kränkliche und geistig labile Ehefrau Vivienne Haigh Wood, die ihr gesamtes Leben lang an diversen Krankheiten litt. Die Heirat stürzte ihn in eine tiefe Depression und führte zu einem schweren Nervenzusammenbruch im Jahr 1921. Im Zusammenspiel mit seinem ersten Aufeinandertreffen mit Ulysses-Autor James Joyce begann er im Folgejahr dann mit der Arbeit an seinem Hauptwerk. Im Rahmen einer „ästhetischen Entpersonalisierung“, wie Eliot seinen lyrischen Schreibstil in einem Essayband einst bezeichnete, gelang ihm die Entfernung jedweden emotionalen Ausdrucks aus dem fertigen Endprodukt. Mithilfe der auf den Leser häufig chaotisch erscheinenden Erzähltechnik des Bewusstseinsstroms versuchte er die emotional gestörte und vom Krieg zerrüttete Gesellschaft der 1920er Jahre darzustellen, die ihm zufolge ihren Lebenssinn vollständig aus den Augen verloren hatte. „Das wüste Land“ traf den Zahn der Zeit wie kaum ein anderes Literaturwerk und wurde noch im selben Jahr zu einem internationalen Erfolg für Eliot. 1948 würde man ihn für sein Monumentalwerk mit dem Literaturnobelpreis auszeichnen.

„jug jug to dirty ears“

Besonders der einzigartige Ausdruck verhalf dem Gedicht zu seiner auch heute noch stetig wachsenden Leserschaft. Ein immer wiederkehrendes Sprachmittel ist dabei die Lautmalerei, mit der Eliot die unmenschliche, fast schon maschinengleiche Nachkriegsgesellschaft zu beschreiben versucht. Eines der bedeutsamstem Zitate aus seinem Gedicht ist die mehrfach auftretende Lautaneinanderreihung „jug jug“ (V. 204), gefolgt von den Worten „So rudely forc’d“ (V. 205), mit der er in Anlehnung an den Gesang einer Nachtigall das schmerzhafte Stöhnen einer vergewaltigten Frau darstellt. 

Faszinierend ist die Verwendung etlicher Referenzen auf vergangene historische Ereignisse oder andere bedeutsame Literaturwerke der Menschheitsgeschichte am Ende seines Gedichts. So enthält „Das wüste Land“ von Anspielungen auf antike Autoren wie Homer und Sophokles bis hin zu zeitgenössischen Schriftstellern wie Hermann Hesse und Aldous Huxley nahezu alles, was sich vorstellen lässt. Und trotz einer ganzen Reihe von Fußnoten des Autors sind sich Literaturforscher bis heute uneins darüber, wie sich „Das wüste Land“ vollständig interpretieren lässt. Mittlerweile wird es weitestgehend als unmöglich betrachtet, die komplexe Symbolik des Gedichtes endgültig aufzuschlüsseln. 

Die Verwüstung ist geblieben

Es ist erschreckend, dass „Das wüste Land“ selbst einhundert Jahre nach seiner Erstveröffentlichung kaum eine akkuratere Zustandsbeschreibung der Gegenwart darstellen könnte als dies für unsere Zeit der Fall ist. Nach einer inzwischen mehr als zwei Jahre andauernden Politik der totalen Selbstaufopferung liegt Europa ideologisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich in Trümmern. Die Wehmut aus Eliot’s Worten wird in den kommenden Jahren lauter nachklingen, als es vielen jetzt schon bewusst sein mag. 

Nur wenige Schriftsteller würden sich heute trauen, derartig unverblümt über den Verfallszustand des einundzwanzigsten Jahrhunderts zu schreiben. T. S. Eliot’s Werk sollte daher nicht nur für seine historische Bedeutsamkeit in Erinnerung behalten, sondern vor allem auch von heutigen Autoren als Beispiel genommen werden, wie man mit Mut, Verstand und Seele die tiefliegenden Probleme unserer Zeit in der Gegenwartsliteratur verarbeiten kann.

„April is the cruelest month, breeding
Lilacs out of the dead land, mixing
Memory and desire, stirring
Dull roots with spring rain.“ 

– die ersten vier Verse aus T. S. Eliot’s ‚The Waste Land

 

Zum Gedicht: The Waste Land by T. S. Eliot; www.poetryfoundation.org 

Bildquelle: The waste land, public domain, Collage von LF


Das 9-Euro-Ticket wird uns mehr als 9 Euro kosten

Von Jonas Kürsch | Die jüngsten Bilder von Sylt werden aller Wahrscheinlichkeit nach in die Geschichtsbücher eingehen: Hunderte Punks haben seit Beginn des Pfingstwochenendes die häufig als „Urlaubsdomizil der Reichen“ verschmähte, norddeutsche Halbinsel in einem großen Ansturm erobert. Ein Teil der Punks hatte jüngst sogar angekündigt, man wolle die Insel den gesamten Sommer lang nicht mehr verlassen. 

Für diese eigenartige Situation verantwortlich ist die Einführung des sogenannten „9-Euro-Tickets“ durch die Bundesregierung. Dabei handelt es sich um ein dreimonatiges Sonderangebot des deutschen öffentlichen Personennahverkehrs, das den Preis einer Monatsfahrkarte auf gerade einmal 9,00 Euro pro Person herabsenkt. Aber aus welchem Anlass wurde das 9-Euro-Ticket überhaupt eingeführt? Wie funktioniert seine Finanzierung? Und noch viel wichtiger: Warum ist der Versuch schon jetzt an der Realität gescheitert?

Die Entstehung des 9-Euro-Tickets

Das 9-Euro-Ticket wurde im Rahmen des Entlastungspaketes zur Bekämpfung der steigenden Lebenskosten in Deutschland seit Beginn des Ukrainekrieges verabschiedet. Das Ticket soll als soziale und klimafreundliche Maßnahme die Mobilität der deutschen Bürger trotz steigender Kosten ermöglichen und Autofahrern obendrein einen Anreiz bieten, um (vielleicht sogar langfristig) auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen. Das ÖPNV-Ticket ist in weitestgehend allen vom Staat betriebenen Personentransportunternehmen gültig: Bus, Bahn und Zug werden allesamt durch das Angebot abgedeckt. 

Der Vertrieb der Karte lief überaus gut: Schon gegen Ende Mai konnten bereits 7 Millionen Monatstickets an die Deutschen verkauft werden. Die große Nachfrage nach den Tickets verstärkte zuletzt die weitverbreitete Vermutung, dass Bus und Bahn bislang lediglich aus finanziellen Gründen von vielen gemieden wurden. Gleichzeitig sah man allerdings mancherorts auch hoffnungslos überfüllte Züge. Trotzdem wurden Forderungen aus der Politik laut, man solle die ÖPNV-Preise langfristig senken, um so den Gebrauch öffentlicher Transportmittel um ein vielfaches attraktiver zu machen. 

Bevor Herr Scholz und Herr Wissing ihren Verstand im utopischen Lobgesang auf das 9-Euro-Ticket nun aber völlig verlieren, ist es Zeit einen nüchterner Blick auf die wahren Konsequenzen dieses gewagten Experiments zu werfen.

Die Fahrpreise werden nicht wirklich billiger – die Kosten werden nur verlagert

So schön das Gerede um derartig niedrige Fahrpreise auch klingen mag: Die Betriebskosten des ÖPNV lösen sich nicht in Luft auf. Und der Bund kündigte bislang an, gerade einmal 2,5 Milliarden Euro an entstandenen Mehrkosten pro Bundesland zu finanzieren. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Länder und Kommunen bei höheren Kosten für die Mehrbelastung, die durch das Ticket höchstwahrscheinlich entstehen wird, alleine zahlen müssen. Eine (weitere) Verschuldung der Bundesländer wird damit wahrscheinlicher. Aus diesem Grund kündigten etliche Landesregierungen im Vorfeld auch an, dem 9-Euro-Ticket im Bundesrat ihre Zustimmung zu verweigern und die Bundesregierung mit ihrem Vorhaben zu blockieren. In der finalen Abstimmung regte sich jedoch kaum Widerstand und der Bundesrat stimmte dem neuen Gesetz zu. 

Zudem sollte noch einmal klar und deutlich formuliert werden, dass die durch das Ticket verursachten Mehrkosten am Ende nicht aus dem Privatvermögen von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) oder einem anderen Kabinettsmitglied bezahlt werden. „Geschenkt“ oder „erlassen“ werden uns die Kartenpreise nicht wirklich: Wenn wir vom „Bund“ als Finanzier sprechen, bedeutet das letztendlich, dass der Steuerzahler zur Kasse gebeten wird. Daher ist zu bezweifeln, ob und inwiefern die Deutschen durch das Entlastungspaket wirklich „entlastet“ werden.

Abgesehen davon zeigt sich doch jetzt schon, dass unser Verkehrssystem der stark angestiegenen Passagiernachfrage überhaupt nicht standhalten kann. Die Folge dieses unüberlegten Markteingriffes sind überfüllte Züge, stark überlastete Streckennetze und eine Anhäufung unseriöser Fahrgäste, wie wir sie im Moment vor allem auf Sylt erleben. Erfahrungen mit letzteren sind allerdings keine Neuigkeit für die Bundesrepublik: Schon 1995 litt die Insel unter einem anormal hohem Besucheraufkommen infolge der Einführung des Schönes-Wochenende-Tickets der Deutschen Bahn, welches damals etwa 15,00 DM (etwa 11,00 Euro) kostete. 

Preise haben ihren Sinn

Anders als von den Anhängern der radikalen Linken häufig dargestellt, sind vom Markt bestimmte Preise keinesfalls asoziale Zumutungen oder gar eine Ausbeutung der Arbeiter: sie ergeben sich ganz einfach aus dem wirtschaftlichen Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Auch im ÖPNV darf man nicht außer Acht lassen, dass ein bestimmter Preis, gleich einem Tauschwert, zwangsweise für den Erhalt einer qualitativ hochwertigen Dienstleistung erbracht werden muss. Der Glaube daran, man könne diese Tatsache mit Taschenspielertricks wie dem 9-Euro-Ticket aushebeln, ist an Fadenscheinigkeit nicht zu überbieten. Die Kosten des Tickets werden auf lange Sicht am Verbraucher und an den Kommunen abgewälzt, es stellt sich nur noch die Frage, wie hoch diese im Endeffekt ausfallen werden. 

„Ein Zyniker ist ein Mensch, der von allem den Preis und von nichts den Wert kennt.“
– Oscar Wilde


Die Marke Scholz: Das macht doch nichts, das merkt doch keiner

 

Von Jonas Kürsch | Vor einigen Monaten, im September des vergangenen Jahres, erreichte Olaf Scholz das für absolut unmöglich Geglaubte: er gewann mit der SPD die Bundestagswahl und wurde wider allen Erwartungen zum deutschen Bundeskanzler gewählt. Warum auch nicht: Wunder gibt es immer wieder! In den darauffolgenden Wochen genoss der Kanzler eine mediale Welle der Lobpreisungen für sein kühles Gemüt, sein staatsmännisches Auftreten und vor allem für seine langjährige Erfahrung in diversen Regierungsämtern.

Besonders der letzte Aspekt, welcher auch schon vor der Bundestagswahl mehrfach durch die damaligen SPD-Vorsitzenden als eine der charakteristischen Stärken ihres Kanzlerkandidaten hervorgehoben wurde, ist an Wirklichkeitsverdrängung kaum zu überbieten. Olaf Scholz mag in diversen hochrangigen Ämtern agiert haben, doch die Erfahrungen, die er in dieser Zeit gesammelt hat, waren nur allzu selten von guter Natur. Es folgt ein kurzer Rückblick.


Hamburger Innensenator (2001)

Nach dem Rücktritt des ehemaligen Innensenators Hartmuth Wrocklage (SPD) wurde Scholz durch Bürgermeister Ortwin Runde zu dessen Nachfolger berufen. Somit war er auch Amtsträger als am 11. September 2001 das World Trade Center in New York City durch eine Reihe von aufeinanderfolgenden Terroranschlägen zerstört und das Leben tausender Menschen auf brutalste Art und Weise beendet wurde.
Kurz darauf wurde bekannt, dass in der Hamburger Marienstraße 54 über lange Zeit hinweg eine islamistische Terrorzelle operierte, die laut der Bundesanwaltschaft sowohl an der Planung, als auch an der letztendlichen Ausführung der Terrorakte mitbeteiligt gewesen ist.

Die Behörden unter Scholz sind erst viel zu spät auf die vom Oberlandesgericht Hamburg als terroristische Vereinigung eingestufte Gruppierung aufmerksam geworden und konnten daher erst nachträglich gegen die Kriminellen vorgehen. Selbstverständlich, und das will ich in aller Klarheit sagen, kann man Olaf Scholz auf Grund der eklatanten Fehler in Hamburg nicht zum Mitverantwortlichen für dieses grausame Verbrechen in New York erklären. Allerdings muss man sich doch fragen, warum er sich nicht im Rahmen eines solch kolossalen Versagens von seinem Amt verabschieden musste, wo er doch offensichtlich mit seinem Aufgabenbereich in dieser prekären Situation überfordert gewesen zu sein schien.

Seine Amtszeit endete nichtsdestotrotz im selben Monat: mit der verlorenen Bürgerschaftswahl 2001 würde die von der SPD geführte Regierungskoalition endgültig zerbrechen und eine historisch einzigartige CDU-FDP-PRO-Regierung in den Hamburger Senat einziehen. Scholz’ Amtsnachfolger würde der konservative Richter (und spätere Reality-TV-Star) Ronald Schill werden, der damals vor allem wegen seines Versprechens für eine wachsamere Sicherheitspolitik in Bezug auf die neuaufkeimende Terrorgefahr gewählt worden ist.


Amtszeit als Oberbürgermeister von Hamburg (2011 bis 2018)

Besonders in seiner Zeit als Hamburger Oberbürgermeister erlaubte Scholz sich eine Reihe von international bekannten Skandalen, die trotz aller Brisanz nicht zu seinem Rücktritt oder einer sonstigen Form der Schuldeinsicht führten.
So hätte das Hamburger Finanzamt seit 2016 eigentlich 47 Millionen Euro von der Warburg Bank zurückfordern müssen, welche von der Bank durch das sogenannte Dividendenstripping (weitestgehend unter dem Schlagwort „Cum-Ex“ bekannt) generiert worden sind. Scholz habe sich mehrere Male mit einem ranghohen Mitinhaber der Warburg Bank getroffen und besagtes Thema in Abwesenheit der Öffentlichkeit besprochen. Konsequenzen hatten die Konferenzen gar keine.

Ab 2020 wurden diese Unterhaltungen dann in diversen Medienberichten erstmals öffentlich gemacht und der damalige Bundesfinanzminister zur Rede gestellt. Scholz selbst konnte sich eigenen Angaben zufolge nicht mehr an die Gesprächsinhalte erinnern. Seine letztendliche Rolle in dem Hamburger Cum-Ex-Skandal bleibt bis heute ungeklärt, vor allem auch aufgrund seiner geringen Hilfsbereitschaft bei den Aufklärungsermittlungen. Erst im März dieses Jahres lehnte die Hamburger Staatsanwaltschaft eine Anzeige gegen Scholz wegen Falschaussage und Beihilfe zur Steuerhinterziehung ab, woraufhin die Ermittlungen gegen den vergesslichen Bundeskanzler weitestgehend eingestellt wurden.

Das krönendste Beispiel des Scholz’schen Scheiterns ohne persönliche Konsequenzen sind und bleiben allerdings die Ausschreitungen während des G20-Gipfels in Hamburg. So hatte der damalige Oberbürgermeister zuerst noch hoch und heilig versprochen, er könne in seiner Stadt „die Sicherheit garantieren“. Es dauerte jedoch nicht lange, bis auch dieses Versprechen im lärmenden Krawall des schwarzen Blocks unterging, der während des Gipfeltreffens große Teile der Stadt in Schutt und Asche legte. Teilweise berichteten Zeugen gar von großen Plünderungsaktionen, die man so nicht in Deutschland, sondern in einem instabilen Entwicklungsland erwarten würde. Einen Rücktrittsgrund sah Scholz auch in dieser fatalen Fehleinschätzung seiner eigenen Kontrollfähigkeiten nicht. Er setzte seinen (zumindest für ihn) erfolgreichen Handlungskurs fort.


Scholz hätte zurücktreten müssen – und das gleich mehrmals!

Es ist zwar heute kein Geheimnis mehr, dass Rücktritte weitestgehend außer Mode gekommen sind und nur noch selten vollzogen werden. Allerdings ist in Anbetracht dieses Lebenslaufs kaum zu verstehen, wie Olaf Scholz sich über all die Jahre in seinen Ämtern halten konnte. Es handelt sich hierbei nicht nur um einzelne Fehler, die von ihm begangen wurden, sondern um ein Muster der fortlaufenden Inkompetenz. Aus diesem Grund ist es wichtig, die vielen Fehltritte des Olaf Scholz nicht zu vergessen, sondern sie immer wieder in Erinnerung zu rufen.


Verhasste Schönheit. Das Leben der deutschen Sängerin Nico

Von Jonas Kürsch | Supermodel, Pop-Art-Muse und Vorreiterin des Punks: der Lebensweg der deutschen Sängerin Nico ist in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich. Mit ihrer markanten Schönheit, der charakteristisch tiefen Stimme und ihren sehnsuchtsvollen Liedtexten gilt sie weithin als eine der einflussreichsten Kultikonen des 20. Jahrhunderts. Doch während sie in großen Teilen der Welt auch heute noch für ihr stilprägendes Werk gefeiert wird, scheint das Lebenswerk der Sängerin hierzulande fast vollständig vergessen zu sein. Wer also war Nico? 

Das Supermodel

Nico wurde 1938 als Christa Päffgen in Köln geboren, zog im Alter von zwei Jahren mit ihrer Familie allerdings nach Berlin um den frühen Weltkriegsbombardements in Nordrhein-Westfalen zu entgehen. Ihr Vater wurde im weiteren Kriegsverlauf von der Wehrmacht eingezogen und galt nach Kriegsende als verschollen. Sie brach die verhasste Schulausbildung, die sie selbst als „gleichgeschaltete Wissensvermittlung“ ablehnte, vorzeitig ab und unterstütze ihre Mutter stattdessen im familieneigenen Kleiderfachgeschäft. 

Im Alter von 16 Jahren arbeitete Päffgen dann als Verkäuferin im prestigeträchtigen Kaufhaus des Westens, wo sie vom Fotografen Herbert Tobias während einer KaDeWe-Modenschau entdeckt wurde. Von ihrer außergewöhnlichen Erscheinung fasziniert, verhalf Tobias ihr zur Übersiedlung nach Paris und überzeugte sie, fortan unter dem Künstlernamen „Nico“ zu arbeiten. Noch im selben Jahr würde sie von führenden Modezeitschriften wie Vogue, Elle und Vie Nuove engagiert werden. Selbst Coco Chanel soll das deutsche Model unter Vertrag genommen haben, doch Nico verließ Paris noch im selben Jahr abrupt und ließ die Vereinbarung platzen. 

In den frühen 1960er Jahren zog sie dann nach New York City und besuchte dort gemeinsam mit Marilyn Monroe eine Schauspielklasse. Fortan verfolgte sie eine Karrie als Filmschauspielerin. Durch ihren Ruf als Topmodel noch immer heißbegehrt, wurde sie durch den italienischen Regisseur Federico Fellini an den Set seines Kultfilms La Dolce Vita eingeladen, wo sie sich selbst in einer Nebenrolle spielen durfte. Es folgten weitere Filmrollen, die ihren weltweiten Kultstatus festigten.

Die Pop-Art-Muse

In New York lernte Nico den Maler und Filmemacher Andy Warhol kennen, der sie in sein New Yorker Atelier The Factory einlud. Dort schloss sie sich seiner exzentrischen Entourage aus selbsternannten Superstars an und wurde zu seiner neuen Muse. Sie übernahm zunächst einige Rollen in seinen Undergroundmovies, unter anderem im berüchtigten Film The Chelsea Girls. Schließlich aber erkannte Warhol die musikalischen Ambitionen von Nico und suchte nach einer passenden Band für sie. Zusammen mit der damals noch völlig unbekannten Gruppe The Velvet Underground sollte sie ihr erstes Studioalbum aufnehmen. Hauptsongschreiber Lou Reed bestand allerdings darauf, dass sie ausschließlich vier ausgewählte Lieder singen und das Tamburin spielen dürfe, denn ihre Hauptaufgabe müsse weiterhin darin bestehen, einen optischen Blickfang für die kommenden Bühnenshows zu liefern. Er wollte The Velvet Underground nicht als Begleitband verstanden wissen. 

Nico war unglücklich über diese Reduzierung auf das eigene Aussehen. Sie wollte sich mit ihrem Gesang von den Fesseln der sie inzwischen schwer belastenden Schönheit befreien, doch das wollte man ihr nicht gestatten. Nach der Fertigstellung des Albums The Velvet Underground & Nico im Jahre 1967 trennten sich die Interpreten voneinander. Nico verfolgte ihre Karriere von nun an als Solokünstlerin weiter. Im gleichen Jahr nahm sie ihr erstes Soloalbum Chelsea Girl auf, welches die Lieder von bekannten Textern wie Bob Dylan, Tim Hardin und John Cale aufgriff. Allerdings stürzte Nico auch durch die fremdgesteuerte Produktion dieser Platte in eine noch tiefere Krise: man hatte ihren Gesang mit kitschig klingenden Flöten und Harfen untermalt, um das fertige Endprodukt gefälliger zu machen und die kommerziellen Erfolgsaussichten ihrer Musik zu steigern. Um ihre Erlaubnis hatte man sie nicht gefragt.

Die Urmutter des Punkrocks

1968 lernte sie dann den The Doors-Sänger Jim Morrison kennen, der sie dazu ermutigte, fortan nur noch ihre eigenen Lieder aufzunehmen. In den Folgejahren unterzog sich Nicos Musik einer beeindruckenden 180-Grad-Wendung und distanzierte sich nun komplett vom für den Zeitgeist typischen Experimental Rock. Mit mehrsprachigen, fast schon lyrischen Texten, dem Gebrauch des indischen Harmoniums als Hauptinstrument und ihrer zerstörerisch anmutenden Stimme kreierte Nico eine Reihe von wegweisenden Alben für die Punk- und Gothkultur der kommenden Dekaden, unter anderem The Marble Index, Desertshore und The End. Der Fokus ihrer Musik lag nicht länger auf den Idealen der Swinging Sixties, wie freier Liebe und exzessiver Rauschsucht. Mit ihren Liedern wollte sie das Gefühl der tiefempfunden Verlorenheit sowie die Verzweiflung über ihr Scheitern an der eigenen Schönheit verarbeiten. Die ungewohnten Klänge wurden von den Kritikern zerrissen, man diffamierte ihre Stimme als „zu deutsch und zu männlich“ klingend. 

Schließlich wollte Nico sich endgültig von ihrem guten Aussehen befreien und stürzte sich daher ganz bewusst in eine verhängnisvolle Heroinabhängigkeit. Im Rahmen der Drogensucht ergraute ihre Haut, die Wangen wurden immer schmaler und eine Reihe von Zähnen fiel ihr aus. Diesen körperlichen Verfall zelebrierte Nico auf ungesunde Weise, denn sie empfand den langersehnten Verlust ihrer Schönheit als großes Geschenk. Auch ihre Musik wurde immer grotesker. Das Repertoire der Sängerin enthielt inzwischen nahezu alles, was man sich vorstellen konnte: von dunkelromantischen Balladen bis hin zu einer hochkontroversen Neuinterpretation der deutschen Nationalhymne. 

Weltschmerz als Leitbild

Leider nahm das Leben der Ausnahmekünstlerin im Jahr 1988 ein jähes Ende: nach einer erfolgreichen Methadon-Therapie zur Bekämpfung ihrer Drogensucht reiste Nico mit ihrem Sohn nach Ibiza, wo sie nach einem unglücklichen Fahrradsturz an einer Hirnblutung überraschend verstarb. 

Nico sollte allerdings nicht in erster Linie für ihr tragisches Leben in Erinnerung gehalten werden. Mit ihrem Werk beweist die Sängerin, entgegen zeitgenössischer Behauptungen, wie einfallsreich und emotional Musik aus Deutschland sein kann. In klassisch romantischer Tradition hat Nico das langvergessene Motiv des Weltschmerzes für sich wiederentdeckt. Sie begeisterte und inspirierte viele international erfolgreiche Musiker und Bands, wie Siouxsie and the Banshees, The Cure, Björk und Marc Almond, um nur einige zu nennen. Nico ist und bleibt, trotz ihrer nicht zu verschweigenden Abstürze, eine der größten Kulturikonen unseres Landes, auf deren Kreativität und Einfluss wir auch heute noch besonders stolz sein können.

„Janitor of lunacy, identify my destiny, revive the living dream, forgive their begging scream.“

– Nico

 

Bildquelle: Nico, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons


Nach der Pandemie die Party? Die Feierwut der jungen Leute zeigt nur ihre innere Leere

Von Jonas Kürsch | Die staatlichen Zwangsmaßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie haben tiefe und deutlich sichtbare Narben hinterlassen. Die Lockdowns, Maskenregelungen und Impfdrangsalierungen haben das Denken, Handeln und Leben vieler Menschen nachhaltig verändert. Vor allem auch bei jungen Menschen, die teilweise auf engem Raum gefangen und von der Außenwelt für mehrere Monate oder gar Jahre isoliert auf das Ende der Pandemie warten mussten, haben die Maßnahmen gefährliche Auswirkungen gezeigt.

Mit Wiedereröffnung der Nachtclubs, Bars, Kneipen und Diskotheken entdeckten viele Jugendliche nun das Nachtleben wieder für sich. Der Partyhype scheint nach Corona so stark wie nie zuvor ausgeprägt zu sein. Es ist allerdings nicht ungewöhnlich, dass (gerade junge) Menschen sich in Zeiten größter Schwermut in die Feierlaune stürzen. Schon die Weimarer Republik war für ihr ausschweifendes Nachtleben als krassem Gegensatz zu der in den 1910er Jahren noch vorherrschenden Zerstörungswut des ersten Weltkrieges bekannt.

Das Nachkriegsleben der Weimarer Republik

Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges im Jahr 1918 endete auch das bis dahin grauenhafteste Gemetzel der Weltgeschichte, bei dem mehrere Millionen Menschen ihr Leben und den über Dekaden hinweg aufgebauten Wohlstand verloren hatten. Die unmittelbare Zeit danach war nicht viel ruhiger. Besonders die frühen Jahre der neugegründeten Weimarer Republik waren von politischer Instabilität, Hyperinflation und einer Reihe bürgerkriegsähnlicher Konflikte geprägt. Putsch- und Umsturzversuche der zentristischen Regierung in Berlin durch Kommunisten und Royalisten waren an der Tagesordnung, ebenso die regelmäßige Ausübung politisch motivierter Attentate, wie beispielsweise die Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zeigt. 

Erst ab etwa 1923 würde das Land für eine Weile zur Ruhe kommen und auch der Wohlstand in Deutschland mit der Einführung einer Währungsreform zumindest zeitweise zurückkehren. Die (zumindest für manche Teile der Bevölkerung) florierende Wohlstandsentwicklung im Land löste eine zügellose Feierwut aus. Vor allem das Vaudeville-Theater der 1890er Jahre, das Cabaret und Burlesque-Vorstellungen entfachten große Begeisterung. Schauspielerinnen und Sängerinnen wie Marlene Dietrich oder Lilian Harvey konnten mit ihrer liebreizenden Art die Gemüter der Bevölkerung im Sturm erobern. Historiker sind sich weitestgehend einig, dass die Deutschen, denen Inflation, Kriegsverderben und die allumgebende Unsicherheit der zurückliegenden Jahre noch tief im Mark steckten, nun mit der Eroberung des Nachtlebens und der Vergnügungssucht einen Weg gefunden hatten, um dem Elend ihrer Vergangenheit zumindest für den Augenblick zu entkommen. 

Das Leben in der Post-Covid Ära

Auch im Deutschland des 21. Jahrhunderts ist dieser Eskapismus deutlich zu erkennen. Die Coronapolitik hat neben der emotionalen Vereinsamung der Menschen auch zu wirtschaftlichen und ideologischen Umbrüchen in Deutschland geführt, die vielen Jugendlichen Angst vor den Konsequenzen der politischen und gesellschaftlichen Instabilität machen. Hinzu kommt ein surreal anmutender Krieg in der Ukraine, dessen langfristige Auswirkungen auf unser Leben noch vollkommen unbekannt sind. Exzessive Partys sind daher bei vielen eher eine Flucht aus dem niederschlagenden Alltag als ein Ausdruck von Lebensbejahung.

Die über Jahrzehnte hinweg in Schulen anerzogene linksliberale Weltanschauung der meisten Jugendlichen ist in wenigen Jahren an der kalten Realität zerschellt. Ob wir in diesem Zusammenhang nun vom Glauben an den „ewigen Frieden“, die Unverletzbarkeit des Grundgesetztes, der in ihm festgehaltenen Grundrechte oder von der Mär über die unabhängigen demokratischen Institutionen unsere Landes sprechen: der Traum vom „Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“ ist für viele zerplatzt. Das zu akzeptieren und nach sinnvollen Lösungen zu suchen, fällt vielen schwer.

Diese ideologische Leere, zusammen mit der Einsamkeit und Isolation der Pandemie, hat bei einigen jungen Leuten zu geistesgesundheitlichen Problemen geführt. Immer mehr Jugendliche sind schon jetzt auf medikamentöse Schlafmittel angewiesen – hinzu kommt eine sichtbar ansteigende Zahl von jüngeren Konsumenten diverser Pharmazeutika zur Bekämpfung von Depressionen. Außerdem war schon zu Coronazeiten immer wieder von überfüllten Kinder- und Jugendstationen in psychologischen Gesundheitseinrichtungen zu lesen. Der Wunsch, sich auf auf Partys mit Alkohol und Ballermann-Gegröle abzuschießen, ist nur ein weiteres Symptom dieser Entwicklungen und sollte nicht unterschätzt werden.


„Die Welt nach Corona wird die gleiche Welt sein, nur ein wenig schlimmer.“

-Michel Houellebecq 


Landtagswahl in NRW: Die Wahl zwischen Alles-bleibt-gleich und Weiter-so

Von Jonas Kürsch | Am 15. Mai dieses Jahres werde ich mich zum ersten Mal in meinem Leben an einer nordrhein-westfälischen Landtagswahl beteiligen. Es handelt sich nicht um meine erste Wahl, immerhin habe ich bereits zur Kommunalwahl 2020 und zur Bundestagswahl im vergangenen Jahr meinen Wahlzettel ausfüllen und in die Wahlurne werfen dürfen. Dennoch muss ich anerkennen, dass sich vieles seit meinem Debüt als Wähler vor zwei Jahren geändert hat: vor allem in Deutschland ist die Spaltung der Gesellschaft sowohl durch die Coronamaßnahmen, als auch durch die jetzt schon gescheiterte Wirtschafts- und Finanzpolitik der Ampelregierung stark beschleunigt worden. Es wäre mir daher ein wichtiges Anliegen gewesen, für eine Partei des Kompromisses, der Ehrlichkeit und der Versöhnung zu stimmen. Bei näherem Blick wird allerdings klar, dass keiner der Kandidaten mit Regierungsoption wirklich überzeugt: denn sie alle sind gleichermaßen für die Misere in Nordrhein-Westfalen mitverantwortlich.

Der Groll gegen die Altparteien ist groß

Noch nie zuvor habe ich in meiner Heimatstadt Krefeld derartig viele zerrissene und beschädigte Wahlplakate gesehen wie zu dieser Landtagswahl. Die bemalten und zerkratzten Gesichter von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), Herausforderer Thomas Kutschaty (SPD) und der voraussichtlichen Koalitionspartnerin Mona Neubauer (B’90/Die Grünen) sind teilweise nur noch zu erahnen. Nicht einmal bei der durchaus medienstark inszenierten Bundestagswahl 2017, als die AfD zum ersten Mal in den Bundestag gewählt und beide Regierungspartner der schwarz-roten Koalition historisch schlechte Ergebnisse einfuhren, waren die Spannungen in diesem Ausmaß spürbar. Verwunderlich ist das für mich allerdings kaum.

Mit Amtsantritt des SPD-Bürgermeisters Frank Meyer im Jahr 2014 verschlechterte sich die Situation meiner Stadt zunehmend. Im Alleingang erklärten er und seine rot-grünen Koalitionäre, Krefeld zum „Sicheren Hafen“ der Seebrücke für die Aufnahme von Flüchtlingen. Er bemühte sich ganz besonders um ein „buntes“ Image der einstigen Seidenstadt. Als Resultat dieser falschverstandenen Toleranz ist in der Innenstadt heute kaum noch ein Wort Deutsch zu vernehmen. 

Auch während der Pandemie setzte sich Meyer dann als Hardliner zusammen mit den Grünen für die härtesten Maßnahmen ein. Er forderte, ähnlich wie viele seiner Parteigenossen,  niedrigschwellige und möglichst radikale Grundrechtseinschränkungen zur Bekämpfung der – wie wir heute wissen – völlig aussagelosen Inzidenzen. Die Lockdowns, 2g-Zutrittsbeschränkungen und Ausgangssperren haben viele lokale Geschäfte in den Ruin getrieben. Eine hohe Anzahl an Schaufenstern bleibt bis heute verwaist. Zudem hat sich die Anzahl der Bettler und Junkies auf den Straßen, gerade auch in der Einkaufszone, sichtlich erhöht. Während der staatlich verhängten Verkaufsverbote konnten sie ungehindert in das Krefelder Stadtzentrum ziehen, denn niemand war dort um sie davon abzuhalten. Besonders die Parkhäuser Krefelds sind inzwischen auf menschenunwürdigste Art und Weise mit dem Blut und den Fäkalien der Drogensüchtigen beschmutzt.

Ein solch drastisches Mismanagement ist kein Einzelfall. Viele andere Kommunen teilen das Schicksal Krefelds, unabhängig davon, ob sie nun von Schwarz-Gelb oder Rot-Grün regiert werden. Es ist daher kaum verwunderlich, dass Thomas Kutschaty, der mit eben dieser bürgerfeindlichen Programmatik in den Wahlkampf zieht und Politik als Ministerpräsident machen will, eine stolze Gegnerschaft in den „failed cities“ von NRW aufweisen kann.


Doch wie bereits erwähnt, wird auch die CDU vom Zorn der Unzufriedenen getroffen: ihre Plakate liegen ebenfalls abgerissen am Straßenrand. Bei Hendrik Wüst ist das zu erwarten gewesen: als ungewählter Zufallsministerpräsident hat er während der Hochphase der Coronapandemie mit seinem Hardlinerkurs den Versuch gewagt, Markus Söder seine Kapitänsrolle im totalitären #teamvorsicht strittig zu machen: Ja zur Impfpflicht! Ja zu 2g! Klares Nein zu Lockerungen!

Mit diesem Auftreten hat der Opportunist Wüst, der bei Linken und Konservativen fast gleichermaßen verhasst zu sein scheint, allerorts kaum an Sympathien gewonnen. Bei genauer Betrachtung stellt man schnell fest, dass beide Spitzenkandidaten für exakt dieselbe Politik der Drangsalierung stehen, sie beide verkörpern dieselbe institutionelle Arroganz und dieselbe Verachtung gegenüber den einfachen Bürgern unseres Landes. Es macht keinen Unterschied, ob Wüst oder Kutschaty die Wahl gewinnen werden: nichts wird sich zum besseren änderen.

Die FDP ist auf allen Ebenen gescheitert

Besonders enttäuscht sind viele Menschen von den Freien Demokraten, die auf kommunaler, regionaler und bundesweiter Ebene an ihren eigenen Werten gescheitert sind. So hat sich beispielsweise die FDP meiner Heimatstadt, nachdem der Bürgermeister die Mehrheit im Krefelder Rathaus verloren hat, zum Steigbügelhalter rot-grüner Ideen gemacht. Sie fungiert seitdem als Mehrheitsbeschaffer einer toten Koalition. 

Auch auf Landesebene hat die Partei nicht gerade eine Glanzleistung abgegeben: der stellvertretende Ministerpräsident und NRW-Spitzenkandidat Joachim Stamp war beispielsweise einer der ersten ranghohen FDP-Politiker, die öffentlich eine allgemeine Impfpflicht für notwendig befunden hatten. 

Es ist schon ironisch, wie schnell sich die Positionen der Partei seit dem September des letzten Jahres gewandelt haben. Als Christian Lindner und Joachim Stamp noch im Rahmen des Bundestagswahlkampfes meine Heimatstadt besucht haben, machten sie klare Versprechungen, an denen sich die Wähler orientieren sollten: keine Impfpflicht, keine flächendenkenden 2g-Regelungen und eine rationale Finanzpolitik, die nicht auf der immer stärker ausartenden Neuaufnahme Schulden beruhen sollte. Mit der partiellen Impfpflicht für Pflegekräfte, 2g-Regelungen zur Weihnachtszeit und einem durch Christian Lindner mitgetragenen Nachtragshaushalt von 60 Milliarden Euro, hat die FDP alle an jenem Tag erklärten Wahlversprechen gebrochen. Die Entwicklung der einstigen Liberalen macht mich als inzwischen ehemaligem Parteimitglied besonders traurig.

Gerade bei der letzten Bundestagswahl sahen viele meiner bürgerlichen Freunde, Verwandten und Bekannten in den Freien Demokraten eine ideale Alternative zu CDU und AfD, denn sie trat mit einem klassisch-liberalen Profil auf, wie es sich viele Menschen schon lange von der deutschen Politik wünschten. Von der ursprünglichen Freiheitsliebe ist inzwischen aber nichts mehr übrig geblieben. Keiner aus meinem Bekanntenkreis, der zuvor für die FDP gestimmt hat, zieht es in Erwägung, seine Stimme noch einmal an die Liberalen zu verschwenden. Das spiegelt sich auch in den gefährlich niedrigen Umfragen wieder. Der gelbe Traum ist tot.

Die immer gleichen Sprüche

Auf den Wahlplakaten ist so wenig Inhalt wie nie. Die Grünen schwadronieren von „Visionen für morgen mit Plänen für heute“ und die SPD will bei den Wählern mit „Weil besser möglich ist“ punkten. Während die CDU verspricht, ihr Spitzenkandidat werde „Machen, worauf es ankommt“, übertrifft die FDP sich selbst mit dem unglaubwürdigen Statement „Freiheit bleibt systemrelevant“. Es ist diese Art von leeren Phrasen und propagandistischen Parolen, wegen derer sich immer mehr Bürger in NRW von der parlamentarischen Berufspolitik im Stich gelassen fühlen. Die Nöte und Sorgen der Menschen werden nicht mehr ernst genommen und das wird durch die beliebige Auswahl von solchen Kalendersprüchen noch einmal verdeutlicht.

In den Umfragen liefern sich CDU und SPD ein Kopf-an-Kopf-Rennen, es ist daher völlig unklar, welche Partei den nächsten Ministerpräsidenten stellen wird. Auch die Frage nach dem Regierungspartner kann gegenwärtig noch nicht abschließend beantwortet werden. Im Hinblick auf die Programme und Köpfe der vier „regierungsfähigen“ Parteien wird einem allerdings schlagartig bewusst, dass das keine große Rolle spielt. Bei dieser Wahl gibt es kein „kleineres Übel“, mit dem man einem „noch größeren Übel“ ausweichen könnte. Die nächste Landesregierung wird in jedem Fall eine schädliche sein, und daher bleibt mir nichts anderes übrig, als auf eine starke Opposition zu hoffen.


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Künstlerin Maria Lassnig und das ungebändigte Verlangen nach Individualismus


Von Jonas Kürsch | Als ich zum ersten Mal vor vier Jahren von der österreichischen Malerin Maria Lassnig gehört habe, waren mir weder ihr Name noch die Bedeutsamkeit ihres Werkes für die internationale Kunstszene bekannt gewesen. Während einer Schulexkursion durfte ich im Rahmen der Kunstausstellung „Ways of Being“ im Stedelijk Museum in Amsterdam ihre Gemälde erstmals erblicken. Sofort war mir die emotionale Stärke ihrer großartigen Arbeit klar. Aus einem Gefühl der Nostalgie und einer starken Begeisterung für ihre Kunst heraus, habe ich daher die ihr jüngst gewidmete Ausstellung „Wach Bleiben“ im Kunstmuseum Bonn am vergangenen Wochenende besucht – und durfte feststellen, dass die Wirkung ihrer Malereien in all den Jahren an nichts verloren hat.

Rebellin gegen die Kunstelite

Maria Lassnig wurde im Jahr 1919 in der österreichischen Region Kärnten geboren. In der Kindheit litt sie nach eigenen Angaben unter dem angespannten Verhältnis der Eltern und den Hänseleien ihrer Mitschüler. Im Jahr 1940 begann Lassnig ein Studium der Malerei an der Akademie der bildenden Künste, das sie gegen Ende des zweiten Weltkrieges erfolgreich absolvierte. Nichtsdestotrotz war sie während ihrer Ausbildung mit einigen Dozenten in ernsthafte Auseinandersetzungen geraten, vor allem, weil man ihr den Vorwurf machte, sie würde „ja ganz entartet“ zeichnen. 

In den 1950er Jahren würde sie nach einer wegweisenden Parisreise die Informelle Kunst (dazu gehören unter anderem die Stilrichtungen des Kubismus, des abstrakten Expressionismus und des Tachismus) nach Österreich bringen, um ihren zunächst eher surrealistischen Arbeitsstil weiterzuentwickeln. Ihr Ziel war es, in Anbetracht starker Phasen des körperlichen und geistigen Unwohlseins, die Grenze zwischen innerer und äußerer Wahrnehmung aufzulösen. Aus dieser Idee entstanden die unzähligen „Body Awareness“ Selbstporträts der Künstlerin, in denen sie auf radikale Art und Weise die eigenen Empfindungen zum Ausdruck brachte und durch mutige Farbgestaltungen und eine noch nie zuvor dagewesene Verwendung von Figurationen im Alleingang die zeitgenößische Kunst revolutionierte. Den auch noch zu jener Zeit in weiten Kreisen vorherrschenden Kult um die rationalistische Realitätswahrnehmung lehnte sie entschieden ab und setzte damit einen klaren Fokus auf die individuellen Empfindungen des Subjekts.

In der Hoffnung auf eine blühende Karriere zog Lassnig letztlich in den späten 1960er Jahren nach New York City, wo man ihre Arbeit als „zu morbide“ abstempelte und sie weitestgehend auf Ablehnung stieß. Während ihres Aufenthalts (und vermutlich unter Einfluß der noch immer florierenden Pop-Art Bewegung um Andy Warhol) absolvierte Lassnig eine Zeichenklasse und fertigte während ihres Aufenthalts in den vereinigten Staaten eine Reihe von Kurzfilmen über die eigene Identität an. Als sie dann ihre Werke in ersten Ausstellungen präsentieren konnte, zeigten sich viele Besucher über das Alter der inzwischen über 40-Jährigen verwundert: einen so radikalen Malstil hätte man einem jungen Mädchen, nicht aber einer erwachsenen Dame zugetraut. Zeit ihres Lebens kämpfte sie gegen eine dekadente und teils festgefahrene Kunstelite an, die sie selbst gerne als „Kunstfaschisten“ bezeichnete. 

Ihr großer Durchbruch erfolgte erst im Alter von 61 Jahren mit ihrer Rückkehr nach Österreich. Endlich wurde sie durch die Wissenschaftsministerin zur Professorin der Kunst an der Universität für angewandte Künste erklärt. Den Rest ihres Lebens würde sie damit verbringen, sich ihrer Arbeit zu widmen, sprich unzählige und einzigartige Kunstwerke zu kreieren. Erst 2014 ist Maria Lassnig im Alter von 94 Jahren gestorben. Sie starb kinderlos und ohne jemals geheiratet zu haben. Lassnig selbst pflegte zu sagen, sie sei einzig und allein mit ihrer Kunst verheiratet. 

Ihr Werk bewegt auch heute noch

Maria Lassnig war ein Ausnahmetalent. Kaum eine Künstlerin hat sich selbst so sehr in ihrer Arbeit verwirklichen können wie sie es tat. Durch die Verwendung von zahlreichen Leitmotiven wie der Betonung des Subjekts, der Fokussierung auf eigenen Empfindungen und einem ungebändigten Verlangen nach Individualismus hat Lassnig ganz in der Tradition des Sturms und Drangs einen lebenslangen emanzipatorischen Kampf gegen die Zwänge der Gesellschaft geführt und damit Millionen von Menschen beeinflußt. Besonders in Zeiten der kulturellen Eintönigkeit und künstlerischen Angst empfinde ich ihre Bilder als extrem bewegend. Beschreiben lässt sich ihr außergewöhnlicher Pinselstrich kaum und auch auf Fotografien ist die Wirkung nicht annähernd nachzuvollziehen. Es ist daher jedem, dem sich die Gelegenheit ergibt, dringlichst ans Herz zu legen, das Werk Maria Lassnigs mit eigenen Augen anzusehen.


 „Es ist die Kunst, die bringt mich nicht ins Grab. Es ist die Kunst, jaja, die macht mich immer jünger, sie macht den Geist erst hungrig und dann satt.“ 

– aus dem Kurzfilm ‚Maria Lassnig Kantate’ von Maria Lassnig und Hubert Sielecki 

 

Bildquelle: 

Maria Lassnig, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Und zum Schluss: Ricarda Lang – sie ist halt einfach da

Von Jonas Kürsch | Sie gilt als aufsteigender Stern am Horizont der deutschen Politik. Sie ist sympathisch, charismatisch und unbeschreiblich weiblich: die Rede ist natürlich von der Grünen- Parteivorsitzenden Ricarda Lang. Mit ihren gerade einmal 26 Jahren ist die gebürtige Baden- Württembergerin schon jetzt an der Spitze der fortschrittlichsten und zukunftsgerichtetsten Partei unseres schönes Landes! Ich wünschen Ihnen, unseren verehrten Lesern, daher zum Abschluss unseres Apollo-Politikzirkus viel Vergnügen mit den einzigartigen Talenten der liebreizenden, leichtfüßigen und leichtsinnigen Ricarda Lang!


Ein kurzer Lebenslauf

Frau Lang ist aus vielen guten Gründen zur Parteivorsitzenden der Grünen gewählt worden: schließlich bringt sie einiges an Erfahrungen mit sich! Vor allem im akademischen Bereich kann sich die Gute mit einer beachtlichen Anzahl von Hochleistungen schmücken. Immerhin studierte Lang sowohl an der Ruprecht-Karl-Universität Heidelberg, als auch an der Humboldt-Universität zu Berlin. An beiden prestigeträchtigen Institutionen wurde sie seit 2012 im Bereich der Rechtswissenschaften unterrichtet, und das für etwa sieben Jahre lang.

Doch Ricarda Lang wusste schon in jungen Jahren, dass das politische Engagement in einer halb- linksextremen Jugendorganisation wie der Grünen Jugend wichtiger als echte Lebenserfahrungen oder Fachkenntnisse ist. Daher trat sie auch noch im Jahr ihres Studienbeginns der grünen Partei bei, wo sie schon im Oktober 2015 als Beisitzerin in den Bundesvorstand der Grünen Jugend berufen wurde. In diesem Zeitrahmen war sie ebenfalls die Bundessprecherin des „grün- alternativen“ (was auch immer das bedeuten soll) Hochschulverbandes Campusgrün, der aus der Tradition kommunistischer und radikallinker Studentenverbindungen in den 1970er Jahren hervorgegangen ist. Nochmal zwei Jahre später war sie dann auch schon Sprecherin ihrer Jugendpartei.
Doch die Arbeit an der ideologischen Verstümmelung unseres Landes fordert auch persönliche Opfer: so musste Lang im Jahr 2019 ihre vielversprechende Karriere als Nachwuchstalent der Juristerei leider ohne Abschluss vorzeitig beenden, oder vulgärer formuliert, Frau Lang musste ihr Studium hinschmeißen. Dafür fokussierte sie sich nun vollends auf ihren Werdegang als Berufspolitikerin.

Der mutige Kampf der Ricarda Lang

Im Jahr 2019 wurde sie trotz des Spitzenergebnisses der Grünen nicht ins Europaparlament gewählt, ihre Kandidatur scheiterte. Nichtsdestotrotz belohnte man sie mit dem parteiinternen Amt der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Grünen sowie der Aufgabe als frauenpolitische Bundessprecherin. Auch bei der Bundestagswahl 2021 konnte Ricarda Lang als Direktkandidatin im Wahlkreis Backnang-Schwäbisch Gmünd gerade einmal den fünften Platz belegen (11,5%), und das wohlgemerkt in der vom Parteigenossen Winfried Kretschmann besetzten baden-württembergischen Hochburg der Grünen. Über einen sicheren Listenplatz gelang ihr dann aber doch der Einzug in den Bundestag, wo sie sowohl zum Mitglied des Familienausschusses als auch zum Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales gewählt wurde.
Nun darf sie ihren mutigen Kampf für soziale Gerechtigkeit und kollektivistische Lösungsansätze in der Klimapolitik auch auf parlamentarischer Ebene weiterverfolgen. Neben einer allgemeinen Impfpflicht gegen Covid-19 spricht Lang sich auch für eine feministischere LGBTQI+-Politik sowie für eine sozialistische Neuverteilung des Wohlstands in Deutschland aus. Dafür erfährt sie zuweilen einiges an Gegenwind, unter anderem, weil viele „Rechtspopulisten“ in der Bevölkerung ihre fachlichen Kompetenzen aufgrund des weniger üppigen Lebenslaufs stark anzweifeln. Ich persönlich denke aber, dass sie diese kleinen Mankos mit der Tatsache, die erste bisexuelle Abgeordnete des Bundestags zu sein, im Großen und Ganzen ausgeglichen hat.

Eine strahlende Zukunft

Im Januar 2022 erreichte Lang den Höhepunkt ihrer Karriere: zusammen mit Omid Nouripour wurde sie auf dem Bundesparteitag der Grünen zur Bundesvorsitzenden gewählt. Gegenkandidaten gab es, wie damals in der DDR, allerdings keine. Sie tritt damit in die vermächtnisvollen Fußstapfen von Annalena Baerbock, doch wird Lang mit ihrer Expertise bestimmt in den kommenden Jahren voll und ganz in ihrer Funktion überzeugen.
Für mich ist sie ein großes Vorbild, denn Ricarda Lang ist der lebende Beweis dafür, dass das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft noch lange nicht gestorben ist: denn auch ohne Berufserfahrung, Studium oder sonstiger Ausbildung kann man wenigstens bei den Grünen Karriere machen und Deutschlands Wirtschaft mit progressivem Reaktionismus gegen die Wand fahren. Vor Frau Lang liegt eine wahrlich strahlende Zukunft – vor den Bürgern Deutschlands allerdings nicht.