Realitätsschock Krieg – Wie der Ukraine-Konflikt die Weltsicht vieler junger Leute erschüttert

Von Larissa Fußer | In den letzten Tagen sehe ich in den Sozialen Medien immer wieder Posts von jungen Leuten zum Ukraine-Krieg. Da war dieses Mädchen, das mit bedrückter Miene ihren Pulli in die Kamera hält, auf dem „Nie wieder Krieg“ steht und dieser junge Sänger, der mit leeren, abwesenden Augen rappt: „Manchmal ist die Wahrheit zu krass dafür, dass ich mein harmoniesüchtiges Hirn darin vertiefen will. Und deshalb steht mein Instagram in jeder Krise still. Ich halt die ganze Scheiße einfach nicht aus, passier mein Leben oder schneid mich da raus.“ Ich glaube, dieser Junge bringt auf den Punkt, wie sich viele junge Menschen im Moment fühlen: Verängstigt und unfähig, damit umzugehen.

Auch für mich waren die Nachrichten über Putins Angriff auf die Ukraine ein Schock. Ich bin gerade auf dem Weg zum Supermarkt gewesen, da habe ich plötzlich vor einem Kiosk die Schlagzeilen gesehen. Angriff, Bomben, Einmarsch. Mir ist kurz das Herz stehen geblieben. Später zuhause habe ich mir Videos angeschaut – von den Luftangriffen, einschlagenden Bomben, fliehenden Menschen. Natürlich hatte ich solche Videos schon mal gesehen, zuletzt aus Afghanistan. Aber das war weit weg gewesen. Jetzt aber fühlte es sich sehr nah an. Und auch wenn es übertrieben sein mag, natürlich kam auch mir der Gedanke: Was, wenn Putin bei der Ukraine nicht halt macht? Was, wenn seine Truppen irgendwann auch in Deutschland einmarschieren? Meine Sorgen wurden nicht gerade beruhigt, als ich die emotionslose Rede unseres Bundeskanzlers sah. Dieses Fähnchen im Wind soll uns verteidigen? Zum ersten Mal, so muss man es wirklich sagen, hatte ich in meinem Leben ernsthafte Angst vor Krieg.

Ich denke, so ging es vielen jungen Leuten. Fast alle sind wir aufgewachsen in dem Glauben, dass es bei uns nie wieder Krieg geben würde. Ich selbst kann mich noch allzu gut daran erinnern, dass ich in der Schule immer, wenn es um Kriege ging, gedacht habe: Warum haben diese Menschen überhaupt Krieg geführt? Ich verstand es einfach nicht und außerdem kamen mir die Weltkriege damals unvorstellbar lang her vor. Ich fand sie grausam, beängstigend – aber darüber hinaus haben sie mich ehrlich gesagt lange nicht berührt. Weil sie mir eben unfassbar weit entfernt erschienen und weil uns kein Lehrer die Kriege ernsthaft erklärte. Wir haben Eckdaten gepaukt, Bücher über die Judenverfolgung gelesen. Aber wir haben zum Beispiel nie versucht zu verstehen, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass die Deutschen 6 Millionen Juden ermordet haben. Hitler war ein Teufel, die Deutschen waren dumm, grausam und antisemitisch – das war es, was bei mir zum Thema Krieg hängen blieb.

Und aus dieser Sicht heraus, war ich natürlich immer „gegen Krieg“. So wie man als Kind eben gegen Hass und Tod ist – und für Liebe und Freundschaft. Nur: Krieg war in meiner Kindheit eben überhaupt kein aktuelles Thema, mit dem ich mich hätte auseinandersetzen müssen. Ich wurde 2004 eingeschult. Bis zur Krim-Krise 2014 gab es in Europa keine militärischen Konflikte, von denen ich überhaupt etwas mitbekommen habe. Ich musste erst erwachsen werden, um zu merken, welch naive Sicht auf die Welt mir in der Schule beigebracht worden war. Und ich bin immer noch dabei, das „Make Love, Not War“-Geschnurzel meiner Alt-68er-Hippie-Lehrer und Bekannten abzuschütteln.
Weil ich eben irgendwann, vielleicht war es in einer spätnächtlichen Apollo-Diskussionsrunde, verstanden habe: Wenn die USA keinen Krieg gegen das Hitler-Deutschland geführt hätten, gäbe es das Deutschland, in dem ich heute so gut lebe, nicht. Vielleicht hätte es überhaupt kein Deutschland mehr gegeben, vielleicht hätte es sogar kaum noch Deutsche gegeben. Und ich habe begriffen, dass ein Israel, wenn es nicht in dauerhafter Kampfbereitschaft wäre und sich nicht immer wieder mit voller Härte gegen Angriffe seiner Nachbarn verteidigen würde, nicht existieren könnte. Heißt: Ich weiß nun, dass es die Freiheit und Werte der westlichen Welt nur gibt, weil sie erkämpft wurden. Und dass wir sie ganz schnell verlieren können, wenn wir sie nicht verteidigen. Nicht zuletzt deswegen berührt mich auch der Ukraine-Krieg: Auch den Ukrainern geht es um nicht weniger, als ihre Freiheit und Souveränität zu verteidigen. Und das werden sie – anders als mein früheres Hippie-Ich geglaubt hätte – nicht schaffen, indem sie Auge in Auge mit den russischen Panzern „Give Peace a Chance“ singen.

Wer von euch „Matrix“ geguckt hat, kennt sicher die Szene, in der die Hauptfigur Neo vor die Wahl gestellt wird, eine blaue oder eine rote Pille zu schlucken. Die blaue Pille lässt ihn weiter in einer konstruierten Scheinwelt leben, in der alles schön und angenehm ist. Die rote Pille aber holt ihn in die reale Welt, die gefährlich, beängstigend und unangenehm ist. In der er aber – im Gegensatz zur Traumwelt – etwas verändern kann. Ich glaube, dass der Ukraine-Krieg die rote Pille für viele von uns jungen Leuten war. Jetzt ist es an uns, einen Umgang mit der Realität zu finden – und uns nicht, so wie der am Anfang erwähnte Sänger, von der Welt abzuschneiden und weiter zu träumen.


Morgenroutine 2038: „Auf was teste ich mich heute?“

Von Larissa Fußer | Der Wecker klingelt. Murrend zieht sich Hannah die Bettdecke über den Kopf und dreht sich zur Wand. „Noch fünf Minuten“, brabbelt sie müde und schlägt mit ihrer Hand blind nach ihrem iPhone „Omicron“. Doch anstatt die Snooze-Funktion zu treffen, befördert Hannah ihr Handy auf den Fußboden, von dem aus es weiter munter bimmelt. Hannah seufzt tief und setzt sich auf. „Wieso zum Teufel habe ich mich entschieden, Medizin zu studieren“, jammert sie und greift nach ihrem Telefon, um dem Klingeln ein Ende zu bereiten. Sie entsperrt ihren Bildschirm und guckt auf das Datum: es ist der 15. Januar 2038. „Puh, nur noch zwei Wochen bis zu meiner Virologie- Prüfung“, flüstert Hannah und lässt ihren Blick zu ihrem Schreibtisch schweifen, auf dem ein Laptop mit circa 300 geöffneten Tabs auf sie wartet – dann schüttelt sie den Kopf. „Erstmal Kaffee und Medis“, entscheidet sie und hievt sich aus dem Bett.

Während die Kaffeemaschine lautstark Kaffeebohnen mahlt, tapst Hannah zu ihrem großen Badschrank und öffnet ihn routiniert. Tiefe Zufriedenheit überkommt sie, als sie sich ihre 100 bis 200 Tablettendöschen und Cremetöpfchen anguckt. „Was habe ich denn heute…“, flötet Hannah und schließt sinnierend ihre Augen. Nacheinander konzentriert sie sich auf jeden ihrer Zehen, dann lenkt sie ihre Aufmerksamkeit auf ihre Sprunggelenke, Waden, Knie, Oberschenkel – da! Ein Ziehen in der linken Oberschenkelhinterseite. Lächelnd greift Hannah zu den Muskelentspannungstabletten und legt eine Pille aus der Packung auf ein goldenes Tellerchen. Dann führt sie ihre Prozedur fort und legt nacheinander Tabletten gegen Bauchschmerzen, Verstopfungen, Schweißüberproduktion, Lymphknotenschwellungen am Hals und Schläfenstechen dazu. Als letztes guckt sie sich streng im Spiegel an. Ihre Gesichtshaut ist fahl weiß, an manchen Stellen schuppt sie. „Heute mache ich meine Gesichtscreme etwas fettiger als gestern“, schlussfolgert Hannah und beginnt, aus verschiedenen Tuben Flüssigkeiten und Salben in eine Dose zu pressen. Mit einem Spatel vermengt sie das Gemisch und läuft, das Cremedöschen in der einen, das Tabletten-Tellerchen in der anderen Hand, in die Küche.

Genüsslich gießt sich Hannah Kaffee in eine Tasse, holt sich einen fett- und geschmackfreien Müsliriegel aus dem Kühlschrank und setzt sich auf einen Hocker an ihrem kleinen Frühstückstisch. Jetzt kann es endlich losgehen, denkt sie und greift zu ihrer Kaffeetasse. Nachdem sie einen Schluck genommen hat, nimmt sie das Tabletten-Tellerchen zu sich und spült die Pillen mit einem zweiten großen Schluck Kaffee herunter. Danach beißt sie in den Riegel und beginnt sorgsam ihr Gesicht mit der selbstgemischten Salbe einzucremen. Ein paar Minuten sitzt Hannah meditativ so da, dann springt sie auf und läuft zurück ins Bad.

„Jetzt zum unangenehmen Teil der Morgenroutine“, seufzt Hannah und schreitet zu einem Regal an der Wand, auf dem fein säuberlich verschiedene Nasen-, Rachen- und Ohrenstäbchen aufgereiht sind. Daneben stehen verschieden kleine flüssigkeitsgefüllte Röhrchen und kleine rechteckige Packungen in allen möglichen Farben. „Currygelb gegen Corona, grasgrün gegen Grippe“, singt Hannah, als sie sich eine Packung nach der anderen herausgreift. Dann setzt sie sich auf ein kleines Stühlchen, reißt die gesammelten Behälter auf und holt mehrere Dutzend Testkassetten heraus. In den nächsten dreißig Minuten steckt sie sich routiniert Stäbchen für Stäbchen in eine Körperöffnung nach der anderen und rührt sie in den Testflüssigkeiten herum. Nach einer Weile gluckst sie zufrieden und holt ihr Handy. Summend öffnet Hannah ihre „SafetyForU“-App, die seit einigen Jahren verpflichtend auf jedem Smartphone vorinstalliert ist, und notiert ihre Ergebnisse: „negativ getestet auf alle aktuellen Corona-, Influenza- und sonstige Virenvarianten, außerdem negativ auf alle aktuell grassierenden Bakterien und Pilze.“

„Heute ist ein guter Tag“, ruft Hannah und macht sich auf den Weg zu ihrem Schreibtisch. Doch plötzlich hält sie inne. In ihrem Bauch beginnt es zu kribbeln. Das unangenehme Gefühl wird immer stärker und breitet sich aus. Hannahs Hände bilden Fäuste, ihr Kiefer schiebt sich nach vorne und ihre Augen kneifen sich zusammen. „Oh Gott!“, schreit Hannah, „Ich habe vergessen, meine Anti-Wut-Pillen zu nehmen!“ Schnell rennt sie zu ihrem Nachtisch und kramt drei rosa Tabletten aus einer Schachtel. Schon schnaubend und stampfend kippt sie die Tabletten herunter. Doch es ist schon zu spät. Wie aus dem Nichts schreit Hannah: „Lausiger Lauterbach!“. Ihr Kopf ist tiefrot, ihre Muskeln zittern aufgebracht. Erschrocken presst sie sich die Hände vor den Mund. Ein paar Sekunden verharrt Hannah so, dann ist alles vorbei. Das Gefühl im Bauch ist weg, sie lächelt wieder und setzt sich zufrieden an ihren Schreibtisch.


Weihnachtsmärkte für Ungeimpfte verboten? Machen wir halt einen Weihnachtsspaziergang

Von Larissa Fußer | Meine Freundin hatte mich überreden müssen. Schon seit Wochen lag sie mir in den Ohren, dass sie mit mir auf den Weihnachtsmarkt gehen wollte. Ich hatte mich bisher gesträubt: „Die meisten Weihnachtsmärkte in Berlin machen freiwillig 2G“, hatte ich gemurrt. „Was wollen wir denn da?“ Was ich natürlich nicht verriet: der Corona-Irrsinn war für mich nur einer der Gründe, nicht auf den Weihnachtsmarkt gehen zu wollen. Eigentlich hatte ich schon länger keine Lust mehr, mich in das vorweihnachtliche Getümmel zu stürzen. Seit ich vor ein paar Jahren angefangen habe, die Weihnachtstage am Strand, statt im verregneten Berlin zu verbringen, hat sich mein Weihnachtsgefühl beständig gegen null bewegt. Dieses Jahr war’s nun komplett verschwunden und ich bekenne: Cocktail im Bikini am Strand gefällt mir einfach besser, als Glühwein in Wollsocken auf dem Sofa.

Doch meine Freundin wollte ja so gerne und ich wurde es – dem Lockdown sei Dank – auch langsam leid, meine Freitagabende damit zu verbringen, Internetforen nach neuen Serienempfehlungen zu durchforsten. Also sagte ich meiner Freundin, dass ich mir es mal anschauen würde. Das Problem war nur: Die Berliner „Senator*Innen“ hatten inzwischen für alle Weihnachtsmärkte verpflichtend 2G eingeführt. Wir sollten also draußen bleiben. „Ach, davon lassen wir uns doch nicht unterkriegen“, sagte meine Freundin und grinste keck, als wir gemeinsam die neue Verordnung durchlasen. „Dann stellen wir uns einfach vor den Weihnachtsmarkt – da soll es auch Zelte geben, habe ich gehört“.
An einem Freitagabend trafen wir uns – eingemummelt in mehreren Leggins, Pullis, Jacken, Socken, Schals und Mützen – und fuhren gemeinsam zum Berliner Gendarmenmarkt, wo einer der schönsten Weihnachtsmärkte in Berlin seine Zelte aufgeschlagen hatte.

Nach wie vor skeptisch parkte ich mein Auto, holte mir ein Parkticket und spazierte die Straße entlang. Es dauerte nicht lange, da fiel mein Blick auf die Weihnachtsbeleuchtung, die mir von überall entgegen blinkte. Die ganzen Straßen, Häuser, Läden und Straßenlaternen waren mit goldenen Lichtern geschmückt. Es sah sehr hübsch aus und ich begann mich zu freuen, dass ich hier war, anstatt zu Hause vor dem Fernseher zu hocken. Zusammen stapften wir in Richtung Weihnachtsmarkt und staunten nicht schlecht: an beiden Seiten des eingezäunten Marktes standen mindestens zwanzig Meter lange Menschenschlangen und warteten mehr oder weniger geduldig darauf, eintreten zu dürfen. Die ganze Einlassprozedur dauerte offenbar so lange, weil bei jedem Gast der Impfausweis mit dem Personalausweis abgeglichen wurde. Neben mir meckerte ein junger Mann zu seinem Kumpel: „Man, da ist man ja im Club sicherer – da sind zumindest alle getestet. Wenn ich mir hier in dieser engen Schlage Corona hole, bin ich richtig bedient“. Sofort traten ein paar Leute entnervt einen Meter von ihm zurück und er lächelte – so meine ich – durch seine FFP2-Maske.

Ganz vorne, direkt neben der Einlassbude, stand das Zelt, das wir gesucht hatten. Offenbar ohne 2- oder 3G-Vorgaben sammelten sich dort Menschen an einer Bar und vor Feuerschalen und tranken Glühwein, Grog und heiße Schokolade. Überall waren Lichterketten aufgehängt, aus Boxen erklang Geigenmusik. Es war wirklich schön – wenn man über 50 ist. In unserem Alter war niemand in diesem Ungeimpften-Unterschlupf zu entdecken und als die Violine anfing „My heart will go on“ zu fiedeln, nahmen wir spontan Reißaus. Wir spazierten auf die Friedrichstraße auf der Suche nach anderen mit uns barmherzigen Buden – vorbei an einem abnorm breiten Fahrradweg, den unsere rot-grüne Regierung auf einem neuerdings für Autos gesperrten Straßenabschnitt eingeführt hatte – und hörten plötzlich Gesang. Naja es war eher Gegröle – als ich genauer hinhörte, konnte ich den Text von „Mamor, Stein und Eisen bricht“ erkennen. Wir folgten der Musik und kamen so zu einer kleinen Glühweinbude, die sich vor einem Hotel platziert hatte. Drum herum waren kleine Stehtische drapiert und in der Mitte stand die Quelle des Schlagergesangs – ein um die 50-jähriger Mann mit E-Gitarre. Die Stimmung erinnerte eher an Après-Ski als an besinnliche Vorweihnachtszeit. Meine Freundin, eine ehemalig- passionierte Wiesn-Gängerin, und ich waren sofort angetan. Wir holten uns also Glühwein und stellten uns um eine der Flammen herum.


Da standen wir dann also, wippten zur Musik und sippten an unseren Tassen. Ich kam mir plötzlich ganz schön komisch vor. So hatte ich mir mit 16 nicht das Ausgehen Anfang 20 vorgestellt. Etwas peinlich berührt schaute ich mich um und guckte mir die anderen Leute an. Die meisten waren zwischen 50 und 60 Jahre alt, manche sprachen Englisch, andere quatschten im breitesten Berliner Dialekt. Alle waren gut gelaunt. Als ein älterer Mann plötzlich lautstark „Ohhhhhhh ich hab’ solche Sehnsucht…“ anstimmte, musste ich lachen. ‚Schwere Zeiten erfordern Maßnahmen‘, dachte ich mir, und stimmte in den Gesang mit ein. Meine Freundin hatte auch schon längst angefangen mit zu klatschen und so standen wir da – singend und schunkelnd in der Dezemberkälte auf der Friedrichstraße.

Nach einer kurzen Zeit stellte sich eine Männergruppe an unseren Tisch und begann zu plaudern. Meine Freundin und ich tauschten bedeutungsschwere Blicke aus und öffneten unauffällig unsere Haare. Einer der Männer war ganz aufgebracht und erzählte seinem Freund: „Du ich war gestern im Impfzentrum und wollte mich mit Biontech impfen lassen und die haben das einfach nicht gemacht. Die haben gesagt, ich kriege nur Moderna!“. Ich guckte mir das aufgebrachte, nahezu aufgelöste Gesicht dieses jungen Mannes an und kramte unwillkürlich wieder nach meinem Haargummi. Als sein Freund dann noch anfing über „Covidioten“ und „Impfverweigerer“ zu schwadronieren, hatten meine Freundin und ich genug. Da es eh kalt geworden war, beschlossen wir, zurück zum Auto zu gehen.

Als wir nur noch wenige Meter von meinem Flitzer entfernt waren, mussten wir an einer Polizeisperre vorbei. Zwischen mehreren großen Polizeiwannen standen vielleicht zwanzig ältere Männer und Frauen. Die meisten hatten krause Frisuren, einer hatte sich eine Lichterkette umgehängt – alle sahen etwas hippiemäßig aus. In der Mitte der Menschenmenge zählte gerade ein Redner Fälle von Impfnebenwirkungen auf. Ich kannte die Gruppe nicht, sie schien aber gegen die Einführung einer Impfpflicht zu demonstrieren. Als wir uns einen Weg durch die Menschen bahnten, fing von der anderen Straßenseite plötzlich jemand an zu schreien: „Ihr seid Faschisten! Faschiiiiiiiiiiiiisten“. Ich drehte mich um und sah, dass es ein junger Mann war, der da brüllte. Obwohl er nicht mich, sondern die Demonstranten meinte, lief es mir kalt den Rücken herunter. Etwas paralysiert liefen meine Freundin und ich an den Polizeiwägen vorbei zum Auto. Soviel zu besinnlichen Weihnachten, dachte ich mir – und sehnte mich nach meinem Cocktail am Strand.


Impfen an der Uni: Schluss mit Eigenverantwortung. Es lebe das Solidaritätsprinzip!

Von Larissa Fußer | Mittwochmorgen, 9:30 Uhr, ich bin mit ein paar Kommilitonen bei einem praktischen Kurs im Krankenhaus. Wir haben Pause, ich beiße gierig in mein Rosinenbrötchen. Im Krankenhaus hat man immer besser was im Magen. Ich denke gerade an die weißen Gesichter der Patienten, die wir untersucht haben, da kommt eine Kommilitonin in Plauderstimmung: „Na, wo holt ihr euch eure Booster-Impfung?“, fragt sie. Ihre Stimme klingt hell und heiter – ganz so, als hätte sie uns gerade gefragt, welche Eissorte wir am liebsten essen. Sofort bricht ein munteres Geschnatter darüber aus, ob man sich nun besser beim Hausarzt oder im Impfzentrum den Stich geben lässt. Mir bleibt ein Stück Brötchen im Rachen stecken. „Wollt ihr euch jetzt wirklich jedes Semester impfen lassen?“, frage ich in die Runde. Ein junger Mann mit blonden Locken unterbricht sein Gespräch und guckt mich mit zusammengekniffenen Augen an. Er hält einen Moment inne, so als würde er abwarten, dass jemand etwas sagt – aber es bleibt still. Also setzt er seine beste Lehrerstimme auf und erklärt mir: „Natürlich. Ich werde mich so oft impfen, wie es eben nötig ist. Damit ich die Patienten schütze und damit die Pandemie vorbei geht. Alles andere wäre unsolidarisch.“

Impfen aus Solidarität – dazu werden gerade junge Ungeimpfte inzwischen gebetsmühlenartig aufgefordert. Ist ja auch kein Wunder – aus Selbstschutz lohnt sich eine Impfung für unter 30-Jährige so gut wie gar nicht. Corona ist für junge Leute nach wie vor (fast immer) harmlos. Das zeigen die Todesfälle: Seit Beginn der Pandemie sind laut dem RKI 96.817 Menschen in Deutschland an oder mit COVID-19 gestorben (Stand 11. November). Davon waren gerade mal 68 Männer und 37 Frauen zwischen 20 und 29 Jahren, also im Studentenalter. Das sind 0,1 Prozent der Corona-Toten. Bleibt die Impfung aus Solidarität. Bedeutet: Ich soll mich zum Schutz der Älteren impfen lassen. Aber, liebe Bingo-Spieler und Schönschrift-Schreiber – wie soll ich’s sagen, ich möchte ja noch erben. Also, liebe Wirtschaftswunder-Hervorbringer und DDR- und RAF-Bezwinger – denkt ihr nicht, das ist vielleicht etwas viel verlangt?

Als angehende Ärztin gehe ich ja soweit mit, dass ich Verantwortung trage, Patienten nicht aus Fahrlässigkeit anzustecken. Deswegen teste ich mich (wie übrigens auch meine geimpften Kollegen) vor jedem Patientenunterricht – und damit Schluss. Doch das reicht offenbar nicht. Ich habe nun schon mehrere E-Mails von meiner Uni erhalten, in der uns der Dekan und seine Vertreter dringend zum Impfen aufgefordert haben. Erst neulich haben sie uns sogar angedroht, den Patientenunterricht (die meiner Meinung nach wichtigste Lehre im Medizinstudium) nur noch unter 2G+-Bedingungen (nur Geimpfte und Genesene mit Test) anzubieten. Begründung: 98% der Studenten unserer Uni seien bereits geimpft, für sie ändere sich nichts. Die „noch nicht Geimpften“ wiederum könnten den Pieks ja einfach nachholen.
Vorerst bleibt es aber an meiner Uni bei 3G. Es ist auch höchst fraglich, was 2G+ aus medizinischer Sicht nützen sollte. Ist ein negativ-getesteter Geimpfter irgendwie „negativer“ ist als ein negativ-getesteter Ungeimpfter? Der Test zeigt eine Infektion an – ob ich nun geimpft bin oder nicht, ändert nichts an seiner Aussagekraft.

Ich habe manchmal den Eindruck, die meisten meiner Mitstudenten – und auch sonst viele Menschen in dieser aktuell sehr aufgedrehten Gesellschaft – sind inzwischen in irgendeinem anderen Universum unterwegs als ich. In einem Universum, in dem immer noch gilt, dass Geimpfte sich nicht infizieren und damit auch niemanden anstecken können. Obwohl es immer wieder Meldungen von großen Corona-Ausbrüchen auf 2G-Clubpartys gibt und die Inzidenz sowie die Krankenhauseinweisungen von Geimpften seit Wochen stetig steigen. Viele Leute scheinen in einer Galaxie zu leben, wo es einfach keine Impfnebenwirkungen gibt. Auch wenn die Meldungen von schwerwiegenden Impfnebenwirkungen nun teilweise so häufig werden, dass die Ständige Impfkommission zuvor ausgesprochene Impfempfehlungen zurückzieht.

Erst am 10. November hat die STIKO der Presse mitgeteilt, dass sie unter 30-Jährigen nun nicht mehr empfiehlt, sich mit Moderna impfen zu lassen (sondern nur noch mit Biontech). Ihre Begründung: „Aktuelle Meldeanalysen zeigen, dass Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen bei Jungen und jungen Männern sowie bei Mädchen und jungen Frauen unter 30 Jahren nach der Impfung mit Spikevax [Moderna, Anm. d. Verf.] häufiger beobachtet wurden als nach der Impfung mit Comirnaty [Biontech, Anm. d. Verf.].“ Ist ja schön, dass die STIKO sich traut, Fehlentscheidungen zuzugeben. Da haben die Wissenschaftler einigen Politikern was voraus. Nur, was machen jetzt die jungen Leute, die bereits doppelt mit Moderna geimpft sind? Hätten diese Nebenwirkungen nicht schon im Zulassungsverfahren festgestellt werden müssen?

Aber was diskutiere ich hier die Hintergründe – geimpft wird ja aus Solidarität. Ich frage mich nur, mit wem ich mich eigentlich solidarisieren soll, wenn ich doch die Risikogruppen schütze, indem ich mich teste. Sollte es etwa so sein, dass ich mich in Wirklichkeit für diejenigen impfen lassen soll, die Angst vor Ungeimpften haben? Nun, das erinnert mich ein bisschen an Nichtraucher, die aus Angst vor Lungenkrebs, anderen das Rauchen verbieten wollen. Aber warte, das gibt es ja schon…

Ich bin vor ein paar Jahren von einer unpolitisch-linksgrünen Schülerin zu einer liberal-konservativen Studentin geworden. Unter anderem, weil ich es reizvoller fand, selbst Verantwortung für mich und mein Leben zu übernehmen, als mich von anderen abhängig zu machen. Sollen die Grünen doch die Regierung anbetteln, ihnen durch gesetzlich verankerte Verbote und Zwänge Entscheidungen abzunehmen, die sie selbst nicht treffen wollen. Sollen die Linken doch die Politiker um Gelder anflehen, die sie selbst nicht verdienen wollen. Ich entscheide lieber selbst, was ich tue und lasse, und ich verdiene selbst meinen Lebensunterhalt. Dazu stehe ich auch heute. Ob ich mich impfen lasse, ist meine individuelle Entscheidung und meine eigene Verantwortung. Ich möchte nicht „aus Solidarität“ meine Gesundheit riskieren, nur damit andere ruhiger schlafen können. Denn es geht um mich und meinen Körper. Ich habe keinen anderen.


Nicht ohne mein Auto. Jetzt erst recht nicht.

Von Larissa Fußer | „In Berlin braucht man doch kein Auto!“, sagt eine Kommilitonin zu mir. Zusammen mit ein paar anderen Studenten guckt sie mich irritiert bis streng an. Ich hatte angeboten, meine Kollegen ein Stück mit meinem kleinen Flitzer mitzunehmen. Unsere Uni verteilt sich auf drei Standorte, manchmal müssen wir am selben Tag zwischen den verschiedenen Campus wechseln. Ein junger Mann mit Häkelmütze schnaubt – ob es ein Lachen oder ein Zeichen der Ablehnung war, kann ich durch seine Maske nicht erkennen. „Ich fahre viel lieber Fahrrad“, sagt er – die anderen stimmen ihm betont nickend zu. „Auch bei Regen und Schnee?“, frage ich. „Ja klar, auch bei Regen“, sagt der Anfang dreißigjährige Familienvater, der auf den letzten Drücker noch Hautarzt werden möchte, und erklärt: „Ich habe mir erst neulich neue Regenklamotten gekauft, das geht klar. Nur bei Schnee ist es kritisch – da fahre ich dann U-Bahn.“ Allgemein zustimmendes Gemurmel. „Wohnst du so weit weg?“, fragt mich eine blonde Studentin und guckt mich an, als sei das der einzige legitime Grund, in Berlin ein Auto zu besitzen. „Nö“, antworte ich. „Ich fahre einfach gern Auto. Ich mag es, bei Regen überall trocken hinzukommen und bei Kälte meine Autoheizung anmachen zu können. Außerdem wohne ich in einer Gegend, in der man nachts lieber nicht ohne Auto unterwegs ist.“ Allgemeine Stille. Themenwechsel.

Als Studentin, die nicht auf der links-grünen Welle mitreitet und dadurch eh öfter unter Gleichaltrigen aneckt, bin ich so ein Gemecker schon gewohnt. Gerade als junger Mensch wird man in der Hauptstadt gerne mal schräg angeguckt, wenn man erzählt, dass man mit dem Auto gekommen ist. Manchmal blitzt auch etwas Verachtung in den Augen eines Gesprächspartners auf. Ich wurde schon mal von einem Studenten gefragt, ob ich etwa zu diesen „Klimaleugnern“ gehöre. Denn wie sonst, hat er sich wohl gedacht, könnte ich es mit meinem Gewissen vereinbaren, rücksichtslos Abgase in die Luft zu ballern.

Das ganze grüne Gehabe wäre mir ja ziemlich egal, gäbe es nicht ein Problem: der Autohass hat in Berlin inzwischen System. Schon seit Jahren wird hier unter der Rot-Rot-Grünen Regierung Autofahren immer drastischer erschwert. Eine Zeit lang ging das nur schleichend voran: Hier wurde mal eine 30er-Zone errichtet, da ein Radweg vom Gehsteig auf die Straße verlegt. Doch seit Beginn der Corona-Pandemie haben die Autohasser im Berliner Senat bei ihrem augenscheinlichen Plan, Autofahrer aus Berlin zu verdrängen, drei Gänge hochgeschaltet.

Als ich nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 endlich mal wieder länger durch die Stadt cruiste, habe ich meinen Augen nicht getraut: Plötzlich waren auf vielen zwei- bis dreispurigen Hauptstraßen dicht hintereinander Baustellenabsperrungen platziert worden – über lange Strecken machten diese eine Autospur unbefahrbar. Die Berliner Politik hatte in einer man kann schon sagen Guerilla-Aktion die berüchtigten Pop-up-Radwege geschaffen. Oft war auf dreispurigen Straßen zusätzlich eine zweite Spur durch eine Baustelle blockiert. Resultat: Aus großen Hauptstraßen, auf denen Autos je nach individueller Angst vor Blitzern zwischen 50 und 70 km/h gefahren waren, sind nun ständig zugestaute Schneckenwege geworden.

Abgesehen von dem seitdem garantiert signifikant gestiegenen Blutdruck bei Autofahrern, hat sich schnell ein anderes, im Zweifelsfall lebensbedrohliches, Problem gezeigt: Die neuen Straßen sind so eng, dass es absolut unmöglich geworden ist, Rettungsgassen für Krankenwägen zu bilden. Bis heute passiert es mir immer wieder, dass ich in einer dieser verunstaltet engen Straßen stehe, von hinten einen Krankentransport kommen höre und mich einfach nicht bewegen kann. Links das Baugitter aus Metall, rechts der Pop-up-Radweg, der inzwischen mit Pollern und anderen massiven Begrenzungen derartig fest installiert ist, dass ein Auto auch im Notfall nicht auf sie fahren kann. Ich will nicht wissen, wie viele Krankenwägen wegen dieser unmöglichen Straßenführung schon zu spät zum Verletzten oder ins Krankenhaus gekommen sind. Bekanntlich zählt bei Notfalleinsätzen manchmal jede Sekunde, um einen Patienten am Leben halten zu können.
Doch die Hauptstraßen sind nicht das einzige Kampfgebiet der Auto-Gegner. In mehreren Bezirken in Berlin sieht man inzwischen mitten auf Kreuzungen oder am Anfang von kleinen Straßen Metall-Poller stehen. Immer mehr Straßen werden dadurch unbefahrbar gemacht. Bei mir in der Nähe gibt es eine Straße, die durch so einen Poller plötzlich zur Fußgängerzone gemacht wurde. Seitdem stehen da Tischtennisplatten, auf denen nie jemand Tischtennis spielt und Bänke, die meistens von Obdachlosen belegt sind. Ein paar Meter weiter kann man bewundern, wie die Berliner Politik systematisch Parkplätze reduziert und damit Autofahrer zwingt, entweder weiter weg zu parken oder ordentlich Kohle für die Begleichung von Strafzetteln auszugeben.

In einigen Berliner Straßen, auch bei mir um die Ecke, sind inzwischen meterlange Blumenkübel auf Parkplätzen errichtet worden, die keine andere Funktion haben, als dort Parken unmöglich zu machen. Anderswo blockieren zunehmend Holzbänke, große Steine, Fahrradständer und vieles mehr die Parkplätze – die Liste der Parkplatz-„Verschönerungen“ ist lang.
Diese massiven Eingriffe in die Straßenführung und den Verkehr durch die Politik sind in den letzten anderthalb Jahren so dreist geworden, dass ich vor zwei Monaten noch eine gewisse Hoffnung hatte, dass die Berliner endlich genug vom Autohasser-Terror ihrer Rot-Rot-Grünen Regierung haben und ihr Kreuz bei der Landtagswahl im Oktober 2021 bei einer autofreundlicheren Partei setzen. Doch Pustekuchen – SPD, Grüne und Linke haben zusammen wieder 54 Prozent der Zweitstimmen bekommen und können damit weiter regieren.

Die Berliner Autofahrer können sich also darauf einstellen, noch mehr Wutanfälle in ihren mobilen vier Wänden zu bekommen. Denn natürlich schreiben sich die Regierungsparteien den Kampf gegen das Auto auch in der neuen Legislaturperiode auf die Fahne. Sie selbst nennen das natürlich anders – im aktuellen Sondierungspapier des neu gewählten Senats haben sich SPD, Grüne und Linke zum Beispiel „zu einer gerechten Verteilung der Flächen des öffentlichen Raumes“ bekannt. Ebenso wollen sie unter anderem das Berliner Mobilitätsgesetz unterstützen. Klingt erst einmal gar nicht so wild – aber dieses 2018 durch das Abgeordnetenhaus von Berlin beschlossene Gesetz besagt nicht weniger, als dass in Zukunft bei der Verkehrsplanung Fahrräder und öffentliche Verkehrsmittel vorrangig vor dem Autoverkehr behandelt werden müssen.

Welche konkreten Verkehrsmaßnahmen die neue Berliner Regierung beschließen wird, ist noch offen. Guckt man sich aber die Wahlprogramme an, mit denen unsere Regierungsparteien zur Landtagswahl angetreten sind, kriegt man das Gruseln. Grüne und Linke schämen sich nicht, offen anzukündigen, dass sie bis 2030 komplett den Benziner (und damit auch meinen treuen täglichen Begleiter) aus Berlin verbannen wollen. Die Linken planen das umzusetzen, indem ab 2030 keine Verbrenner mehr zugelassen werden sollen (entsprechend dürften die Besitzer eines Verbrenner-Autos dieses aber noch weiter fahren). Das ist den Grünen zu nett – sie wollen ab 2030 einfach sämtliche Verbrenner in der Innenstadt verbieten, ab 2035 sollen in ganz Berlin keine Verbrenner mehr erlaubt sein. 2030 – das ist schon in neun Jahren. Da bin ich gerade mal mit meiner Facharztausbildung fertig. Ich werde zur Arbeit und, wer weiß, vielleicht irgendwann mal meine Kinder zur Schule fahren müssen. Das soll ich laut den Grünen Diktatoren dann mit Fahrrad und Öffis machen. Den Teufel werd ich tun, schutzlos als Frau durch die immer gefährlicheren und versiffteren Straßen Berlins zu fahren – da müssen sie mich schon abholen und auf einem E-Bike festbinden. 

Und was ist mit dem Wahlsieger, der Giffey-Partei? Im Wahlprogramm der SPD liest man angenehm wenig irre Verkehrspläne, ein Bekenntnis zum Verbrenner oder Autos allgemein fehlt aber auch. Bedeutet: Die zukünftige Verkehrspolitik in Berlin ist wahrscheinlich davon abhängig, wie gut sich Grüne und Linke mit ihren radikalen Forderungen gegen eine indifferent wirkende SPD durchsetzen können. Wetten werden angenommen. Ich überlege indessen, einen Unternehmen aufzubauen, das Stressbälle, Aggression- Bewältigungs-Musik und Boxsäcke speziell für Autofahrer vertreibt. Wer weiß, vielleicht kann ich mir mit meinen Einnahmen ja dann irgendwann einen Helikopter leisten, von dem ich genüsslich meinen Arztkollegen auf dem Lastenfahrrad zuwinken kann.


Netflix und Zoom statt wildes Studentenleben – „Wer niest oder hustet fliegt raus“

Von Larissa Fußer | Stricken im Hörsaal, Rauchen im Seminar; abends mit den Kommilitonen in die Studentenkneipe und dann in der Disco die Nacht durchtanzen. Am nächsten morgen Schlaf in der Gruppenarbeit nachholen und sich vor dem Kommilitonen verstecken, mit dem man neulich auf der Party geflirtet hat, jetzt aber doch lieber nicht näher kennenlernen möchte. „Das Studium war die aufregendste Zeit unseres Lebens!“, haben mir meine Eltern schon vorgeschwärmt, als ich noch zur Schule gegangen bin. Als ich 18 Jahre alt war, konnte ich es daher kaum erwarten, endlich in die Uni zu gehen.

Ich war sehr aufgeregt, als ich schließlich meine Immatrikulationsbescheinigung in der Hand hielt und mich an meinem ersten Uni-Tag in einen völlig überfüllten Hörsaal setzte. Neugierig guckte ich mir all die neuen Gesichter an. Alles Leute in meinem Alter, die nervös ihren neu gekauften Schreibblock mit ihrem Namen beschrifteten und Textmarker in verschiedenen Farben aus ihren Federmäppchen kramten. Die Dozenten überfluteten uns mit Informationen – es gab zahlreiche Webseiten, die man kennen musste, und unzählige Fristen, die man nicht verpassen durfte. In den folgenden Wochen wuselten meine Kommilitonen und ich aufgedreht und verloren über den Campus, um versteckte Hörsäle und Seminarräume zu finden. Abends trafen wir uns bei Kabarett-Shows von Studenten aus höheren Semestern oder bei Studentenpartys wieder. In einem vollgedrängten Audimax wurden Bierflaschen herumgereicht. Wir tanzten, sangen, schäkerten, lachten und drängten uns ganz eng aneinander. Überall mischten sich Schweiß und Speichel – das kommt mir ewig her vor.


Vor allem für Studienanfänger waren die Corona-Semester eine herbe Enttäuschung

Seit über anderthalb Jahren sieht Studieren nun schon völlig anders aus. Vorlesungen, Seminare, Praktika – all das findet wegen Corona fast nur noch digital statt. Das Studentenleben bewegt sich für viele seitdem zwischen Zoom und Netflix. Junge Leute, die früher von morgens bis abends in Bewegung und unter Gleichaltrigen waren, hocken nun schon mehrere Semester zuhause alleine vorm Laptop auf dem Sofa.

Vor allem für Studienanfänger waren die Corona-Semester eine herbe Enttäuschung. Eine Bekannte von mir hat vor einem Jahr ihr Medizinstudium angefangen. Sie war damals ganz euphorisch, dass sie einen Platz ergattert hatte, zog nach Berlin, kaufte sich einen Arztkittel und ein Stethoskop und freute sich auf ihr erstes Semester als angehende Ärztin. Vor Corona hätten sie wöchentliche Laborpraktika und Unterrichtsstunden am Patienten erwartet – sie wäre aus dem Pipettieren nicht mehr herausgekommen und hätte geübt, wie man Herz, Lunge und Bauch untersucht. Sie hätte den Campus und ganz viele neue Leute kennengelernt und hätte vor Angst bis zum Abwinken für die erste Prüfung gelernt.

Doch bei ihr war alles anders. Einführungsveranstaltungen gab es für die „Erstis“ nur digital und spätestens mit dem „November-Lockdown“ wurde an ihrer Uni sämtliche Präsenz-Lehre eingestellt. Seitdem sitzt sie zu Hause. Von ihren Kommilitonen kennt sie nur wenige – ein paar hat sie mal auf ein Bier getroffen, aber auch das hat sich verlaufen. Inzwischen ist sie sogar zu ihren Eltern zurück in ihre Heimatstadt gezogen. Wenn doch einmal ein Praktikum in Präsenz stattfindet, reist sie mit dem Zug an. Erst neulich sagte sie mir, dass sie „überhaupt keine Lust“ mehr auf ihr Studium hat. Das geht vielen so. Ich kenne kaum einen Studenten, der mit der Online-Lehre etwas anfangen kann. Früher ist man ja immerhin noch in den Hörsaal gefahren, um dann dort zu schlafen.

Operationen per Videokonferenz

Heute loggt man sich nur noch kurz bei der Videokonferenz ein, macht Kamera und Mikrophon aus und lässt sich berieseln. Manche Studenten machen das von morgens bis abends, fünf Tage die Woche. Eine Freundin von mir studiert Biologie und hat regelmäßig Online-Praktika, die sechs Stunden am Stück gehen. Praktisch geübt wird da nichts – der Dozent redet einfach durch. Andere Dozenten sind da schlauer und lassen einfach die Studenten den Unterricht machen. Freundinnen von mir haben seit Corona fast nur noch Seminare, die von Kommilitonen geleitet werden. Jeder Seminarteilnehmer muss im Semester einmal einen Termin von vorne bis hinten planen und anleiten. Lernen tun sie dabei nichts – außer wie man bei sinnloser Arbeit die Nerven nicht verliert.

Auch mein Unterricht besteht seit Corona hauptsächlich aus Aufzeichnungen von Vorlesungen und interaktiven Online-Lernmodulen – da kann man anderthalb Stunden einer krächzenden Stimme zuhören, die sehr langsam Sätze von einer Folie abliest. Ungefähr einmal die Woche habe ich noch ein „Live“-Online-Seminar, bei dem meist ein gestresster Assistenzarzt bei abgehakter Internetverbindung versucht, uns chirurgische Nahttechniken per Video beizubringen. Oft hängt das Bild, sodass man leider nur den Anfang und das Ende der OP-Aufzeichnung sieht oder man hört plötzlich den Dozenten nicht mehr sprechen. Neulich hat ein frustrierter Chefarzt versucht, uns einen Luftröhrenschnitt per Videokonferenz zu erklären. „Normalerweise üben wir das am Modell, aber das geht jetzt wegen Corona nicht“, hat er gesagt und bedröppelt in die Kamera geguckt. „Wenn wir alle geimpft sind, könnt ihr gerne bei mir in der Klinik vorbeikommen und das nachholen“. Inzwischen hat sich so einiges angehäuft, das wir dann „später lernen“.


„Wer niest oder hustet fliegt raus“

Immerhin darf ich ab und zu mit einem Schnelltest zum Unterricht am Patienten ins Krankenhaus. Das Schöne dabei: nirgendwo vergisst man so sehr, dass es Corona gibt, wie auf der Station. Das ist kein Witz – für die Schnelltests oder die Einhaltung der Abstände hat sich noch nie ein Arzt interessiert. Allein die FFP2-Maske muss unbedingt ordentlich getragen werden – die scheint mit magischen Abwehrkräften belegt zu sein. Sobald wir unser Schutzschild vor den Mund gezogen haben, ist jede Virusgefahr vergessen und wir drängen uns zu zehnt um ein Patientenbett.

Meine Biologie-Freundin hat da nicht so viel Glück. An ihrem Mikroskopie-Praktikum durfte man nur mit einem offiziellen Nachweis über ein negatives Testergebnis teilnehmen. Selbsttests wurden nicht akzeptiert – eine Studentin, die das vergessen hatte und ihren negativen Selbsttest vorzeigte, wurde nach Hause geschickt. Die Dozentin begann das Seminar dann mit der charmanten Ansage: „Wer niest oder hustet fliegt raus“ – woraufhin sich alle anwesenden Studenten verkrampften und versuchten, möglichst wenig zu atmen. Man muss sich erinnern: alle Teilnehmer wurden vorher negativ getestet.

Mich kriegen diese Irren damit jedenfalls nicht.

Nach drei Semestern „Corona-Studium“ ist bei den Studenten inzwischen endgültig die Luft raus. Es gibt bald Viertsemester, die noch nie ihr Unigelände betreten haben – und nach wie vor ist unklar, ob und wann Studieren „wie früher“ möglich sein wird. Zwar haben viele Unis angekündigt, im vor Kurzem begonnenen Semester wieder mehr Präsenzlehre anzubieten. Die Sache hat nur einen entscheidenden Haken: bei den meistem Unis herrscht 3G – Ungeimpfte dürfen also nur mit Testzertifikat zum Unterricht erscheinen. Die Kosten für den Test müssen sie selbst übernehmen, was bei voraussichtlich ca. 20 Euro pro Test ganz schön teuer für ein Studentenportemonnaie ist.

Meine Uni hat sich sogar einen ganz besonderen Clue ausgedacht: Bei uns muss sich jeder, egal welches „G“, testen. Anders könne man die Patientenbesuche im Krankenhaus nicht verantworten, haben sie uns gesagt. Es sei ja wissenschaftlich erwiesen, dass auch Geimpfte das Virus übertragen können. Schön, dass meine Uni zumindest das mal begriffen hat. Doch zum Impfen drängen wollen sie uns trotzdem – ihre Taktik: die Geimpften bekommen die Tests von der Uni gestellt, die Ungeimpften müssen sie selbst bezahlen. Was soll man da noch sagen? Mich kriegen diese Irren damit jedenfalls nicht.


Raus aus dem Hotel Mama – welche Parteien unterstützen uns beim Start in’s selbstständige Leben?

Von Larissa Fußer | Viele von uns wollen möglichst bald ins selbständige Leben mit eigener Wohnung, eigenem Haushalt und eigener Steuerklärung starten. Was planen die Parteien in Bezug auf Mieten, Lebensmittelpreise und Staatsverschuldung?

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Leistung im Deutschen Sport: wir glänzen nur noch mit Haltung, nicht mit Medaillen

Von Larissa Fusser | Haben Sie die diesjährigen Olympischen Spiele in Tokio verfolgt? Nein? Kein Wunder – es war wohl die langweiligste Ausgabe des Sportevents seit langem. Zuschauer waren wegen Corona nicht erlaubt – weder bei den Wettkämpfen noch bei den Eröffnungs- und Abschlussfeiern. Die Japaner versuchten durch computeranimierte Special-Effects wie Olympische Ringe aus Feuerfunken zumindest den Zuschauer im Fernsehen von dem tristen Anblick abzulenken – ohne Erfolg. Noch enttäuschender war die Medaillenbilanz der deutschen Sportler. Mit 10 Gold-, 11 Silber- und 16 Bronzemedaillen waren wir diesmal so schlecht wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Statt mit sportlicher Leistung glänzten die Deutschen lieber mit etwas anderem: der „richtigen“ Haltung. Einer der „Höhepunkte“ war das neue Outfit der deutschen Turnerinnen.

Es war weltweit in den Medien: als einziges Team sind die deutschen Sportlerinnen im Turn-Wettkampf mit einem knöchellangen Ganzkörperanzug angetreten, anstatt sich in dem üblichen knappen, Badeanzug-ähnlichen Turnoutfits zu präsentieren. Internationale Medien, unter anderem die „New York Times“, feierten die Athletinnen dafür – viele Zeitungen stilisierten diese Kleideränderung gar zum Kampf gegen Sexismus. Dabei ging es den Sportlerinnen um etwas anderes. 

Knappe Outfits haben im Turnsport Tradition. Üblich sind sogenannte Leotards, also enganliegende Einteiler, die in der Leiste sehr hoch geschnitten sind – ähnlich wie bei 70er-Jahre Bikinis. Das bisschen Stoff zwischen den Beinen muss viel aushalten – die Turnerinnen strecken auf dem Barren unter anderem breitbeinig ihr Becken in die Luft und direkt in die Kamera der Fotografen. Damit nichts verrutscht und unliebsame Einblicke vermieden werden, kleben die Frauen üblicherweise den Stoff zwischen ihren Beinen mit Klebstoff fest. Kurze Hosen über den Bodys zu tragen, ist laut Kleiderordnung nicht erlaubt. Lange Hosen allerdings seit 2009 schon – bisher wurden diese Ganzkörperanzüge allerdings nur von muslimischen Frauen aus „religiösen Gründen“ getragen. Das deutsche Frauen-Turnteam war bei den Turn-Europameisterschaften im April diesen Jahres das erste Team, dass ohne religiöse Motivation das Outfit wechselte – und war schon damals weltweit deswegen in den Medien.

Nun sind die deutschen Turnerinnen auch bei den Olympischen Spielen in ihren langen Gymnastikanzügen angetreten – mit großem medialen Echo. Die Schlagzeilen lasen sich zum Teil wie Kampfschriften. „Meine Haut gehört mir“, schrieb DIE ZEIT; STERN und andere Medien, darunter auch die New York Times, sprachen von einem „Zeichen gegen Sexualisierung“. Der Turn-Sport sei nach wie vor zu sehr auf männliche Blicke ausgerichtet, konnte man da lesen. Während männliche Sportler je nach Disziplin lange oder kurze Hosen tragen dürfen, sind bei den Frauen knappe Outfits der Standard. Statt für ihre sportliche Leistung beurteilt werden – so der Usus in der Berichterstattung – seien Turnerinnen genötigt, mehr durch ihr Aussehen, als durch ihr Können zu überzeugen. Das Ganzkörper-Outfit sei ein Protest gegen die Sexualisierung des Frauensports und für den Fokus auf die sportliche Leistung der Frauen.

Die Sportlerinnen selbst erklärten ihren Kleiderwechsel anders. Elisabeth Seitz, eine der Kunstturnerinnen, erläuterte im Interview mit „Eurosport“, dass es den Frauen vor allem um die Wahlfreiheit des Outfits ginge. „Wir wollen zeigen, dass der Turnsport wunderschön ist und dass es dabei nicht darum geht, was man trägt. Das Wichtigste ist, dass sich die Turnerin wohlfühlt“, sagte die 27-jährige. Obwohl die langen Anzüge schon länger erlaubt sind, werden sie faktisch kaum getragen – das setze manche Turnerinnen unter Druck, die kurzen Outfits zu anzuziehen, obwohl sie sich darin unwohl fühlen. Das, so Seitz, wollen die deutschen Turnerinnen ändern.

Team-Kollegin Sarah Voss, die gerade mal 21 Jahre alt ist, erklärte im April in einem Interview mit der WELT, dass auch die Angst vor peinlichen Bildern im Internet eine Rolle spiele. Sie fühle sich manchmal „wie auf dem Präsentierteller“, wenn sie bei den Übungen die Beine spreizt und die Fotografen „ihren Job machen“. In den langen Outfits wiederum fühlen sich die jungen Sportlerinnen machmal wohler, gerade wenn sie ihre Periode haben oder aus anderen Gründen mal unzufrieden mit ihrem Körper sind. Zum Kleiderwechsel, so Voss, sei es dadurch gekommen, dass eine der Sportlerinnen bei den Turniervorbereitungen zur Trainerin gesagt habe, dass sie sich in den kurzen Outfits „fast nackt“ fühle. Daraufhin sei der neue Anzug entworfen worden.

Mit einem Protest gegen Sexismus habe das Ganze aber nichts zu tun. Voss erklärte: „Sexismus ist ein großes Wort, hat eine enorme Bedeutung. Das kann man nicht einfach so auf eine Sportart übertragen, die viel mit Ästhetik und Bewegung arbeitet. […] Wir wollten […] nicht sagen: So sollte jetzt jede antreten, damit wir alle nicht nur auf unseren Körper reduziert werden.“ Außerdem könne man „nicht das Weibliche aus dieser Sportart herausnehmen“.

Was die Medien als Kampf gegen Sexismus feierten, schien mit nüchternem Auge betrachtet nicht mehr als Unsicherheit junger Sportlerinnen mit ihrem Körper zu sein. Doch die Debatte um das „Wohlfühlen“ im Leistungssport ist nicht weniger befremdlich als die feministischen Parolen der Medien. Seit wann muss sich ein Leistungssportler „wohlfühlen“? Man stelle sich nur mal vor, ein Profi-Fußballer würde um bequemere Fußballschuhe bitten, damit er sich „wohler“ fühlt. Oder um eine Pinkelpause vor dem Elfmeter, damit der Harndrang ihn nicht vom Torschießen ablenkt. Ihm wäre das Gelächter tausender Fans sicher.

Im Leistungssport geht es eben nicht um‘s Wohlfühlen. Es geht darum, körperliche Höchstleistungen zu bringen – das ist der Job des Sportlers. Sein „Gefühl“ dabei sollte Nebensache sein. Ein Chirurg zieht ja auch nicht im OP plötzlich seine Handschuhe aus, weil die Hände darunter unangenehm schwitzen – stattdessen ist er damit beschäftigt, möglichst keine Organe oder Gefäße zu verletzen.

Doch wie sich schon bei der Fußball-Europameisterschaft gezeigt hat, scheint es in Sportturnieren zunehmend nicht mehr um Leistung zu gehen. Wichtiger sind Haltungsdemonstrationen, wie das Niederknien für George Floyd unserer Fußball-Nationalmannschaft oder nun eben „Ganzkörperanzüge zum Wohlfühlen“. Nur für Medaillen reicht es bei den ganzen Statement-Aktionen nicht mehr. Weder unsere Fußballer bei der EM, noch unsere Turnerinnen bei Olympia haben es auf’s Treppchen geschafft. Das neue Motto des deutschen Sports scheint zu sein: Wer braucht schon Titel, wenn er sich mit der richtigen Haltung rühmen kann. Der olympische Kampfgeist aber bleibt dabei auf der Strecke.


Bikini-Verbot in Katar: Beachvolleyballerinnen zeigen mehr Rückgrat als ihr Verband

Von Larissa Fußer | Endlich ist es soweit: die Welt scheint wieder aus der Corona-Schockstarre zu erwachen. In Neuseeland finden Rockkonzerte mit Zehntausenden Zuschauern statt und auch größere Sport-Events werden wieder geplant. Ende Januar verkündete der Weltvolleyballverband FIVB, dass die die FIVB World Tour, eine interkontinentale Turnierserie für Beachvolleyballer, schon im Februar und März diesen Jahres in Doha stattfinden wird. Die Besonderheit: Nach sieben Männerturnieren in Folge sind bei dem Event in Katar nun erstmals auch Frauen-Wettkämpfe geplant. Es ist erst das zweite Mal, dass ein Frauen-Turnier auf der arabischen Halbinsel stattfindet – das erste wurde 2008 in Dubai ausgetragen. 

Beachvolleyball in Katar? Wo Frauen normalerweise vollverschleiert sind, sollen sich nun schwitzende Frauen in knappen Bikinis Bälle zuspielen? Nicht ganz. Die Regierung des Emirats, das auch immer wieder wegen der Unterstützung islamistischer Vereinigungen in der Kritik ist, hat vorgesorgt: Niemand in dem muslimischen Land soll durch zu viel weibliche Haut verärgert werden. So teilte vor Kurzem der Volleyballverband allen antretenden Sportlerinnen mit, dass sie bei diesem Turnier in langen Klamotten spielen sollen – aus Rücksicht auf die Kultur und Tradition des Landes. Statt kurzem Sport-Bikini sind diesmal T-Shirts und knielange Hosen angesagt.

Doch da wollte das deutsche Beachvolleyball-Duo Julia Sude und Karla Borger nicht mitmachen. Als die Sportlerinnen von der Kleider-Verordnung erfuhren, sagten sie kurzerhand ihre Teilnahme am Turnier ab. Borger erklärte: „Unser Sport ist verdammt anstrengend. […] Wir passen uns in jedem Land an, wo wir können. Aber wir sind es einfach nicht gewöhnt, bei solchen Temperaturen mit dieser Kleidung zu spielen.“ Bei erwarteten Temperaturen von 30 Grad verständlich. Dafür wird den Frauen im Netz jetzt Rassismus vorgeworfen, „Armselig“ schreibt ein Nutzer. 

Arye Sharuz Shalicar, deutsch-persisch-israelischer Publizist und Autor von „Der neu-deutsche Antisemit: Gehören Juden heute zu Deutschland?“, kommentierte die Absage auf Twitter: „Diese zwei Sportlerinnen haben mehr Rückgrat, als viele ‚feministische‘ Politikerinnen, die sich problemlos Frauenfeindlichen Vorschriften unterordnen.“

Er spielt damit vermutlich auf Claudia Roth (Grüne) an, die bei ihrem Iran-Besuch 2015 lächelnd ein Kopftuch trug. Oder auf Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU), die 2018 verkündete, dass Burkinis im Schwimmunterricht in Schulen schon in Ordnung seien. 

Man schaue sich an, was die Sportlerinnen beim letzten Frauen-Volleyball-Turnier in Dubai anhatten (hier gibts Fotos). Die glücklichen Siegerinnen aus den USA trugen bei der Medaillenvergabe etwas Bodenlanges, das ein bisschen aussah wie zu lange Fußballer-Trikots mit langen Ärmeln.  

Dieses Siegerbild wirkt wie ein Kompromiss, wo es keinen Kompromiss geben sollte, nämlich wo es um die Selbstbestimmung von Frauen über ihren Körper geht. Es wäre die Aufgabe des Verbandes gewesen, in Katar ein aufgeklärtes Frauenbild zu verteidigen. Der Verband hätte dafür kämpfen müssen, dass seine Sportlerinnen auch in einem muslimisch geprägten Land die knappe Sportbekleidung tragen können, die für Beachvolleyball optimal und üblich ist. Egal, was einheimische Frauen in Katar sonst tragen müssen und egal, wer sich in Katar dadurch unanständig erregt oder provoziert fühlt.

Dies hat der FIVB offensichtlich versäumt. Von deutschen Politikern wird er dafür nicht gerügt – devotes Verhalten gegenüber autoritären Regimen ist schon lange Gang und Gäbe. Man denke nur an Merkels Auftreten gegenüber Erdogan oder an Maas‘ Nachgiebigkeit angesichts des iranischen Atomprogramms. Deutsche Sportverbände bemühen sich offenbar ebenso wenig wie deutsche Politiker die Werte des freien Westens hoch zu halten. Gut, dass zumindest zwei deutsche Sportlerinnen es tun! 

Dieser Artikel von Larissa Fußer erschien zuerst auf TichysEinblick.