Iran: Proteste jetzt auch an Universitäten und Schulen

Von Laura Werz | Die Proteste im Iran gegen die Regierung und die Unterdrückung der Bevölkerung dauern an. Seit dem Aufkommen der landes- und weltweiten Proteste durch den Tod von Mahsa Amini demonstrieren inzwischen auch Studenten zahlreicher iranischer Universitäten. Das Aufbegehren zieht jedoch immer drastischeres staatliches Handeln nach sich.

Samstag und Sonntag gab es an mehr als hundert iranischen Universitäten Sitzstreiks und weitere Proteste. Auf Slogans wie „Tod Khamenei“ reagierten die iranischen Sicherheitskräfte mit Tränengas und Schlagstöcken. Sowohl Studenten als auch Professoren wurden dabei verprügelt. Am Samstag, dem Wochenbeginn im Iran, wurden an der Sharif-Universität in Teheran Kameras angebracht, um Personen rascher zu identifizieren. In der Nacht zum Montag wurde sogar der Campus abgeriegelt. In vielen Städten wurden auch bereits zuvor Vorlesungen von Seiten der Behörden abgesagt. 

Die Regierung versucht dem Aufbegehren mit allen Mitteln entgegenzuwirken. Den Protesten von Seiten der Studenten ist besondere Beachtung zu schenken, da sich die iranischen Studentenschaft für gewöhnlich politisch zurückhält. Die Angst vor einer Exmatrikulation war bisher vorherrschend. Zuletzt war die Teilnahme von Studenten an Protesten im Jahr 1979 treibende Kraft bei der Revolution, welche damals die Monarchie beendete. Dementsprechend sieht die Regierung ihre Machtposition konkret gefährdet und schreckt vor immer weniger Mitteln zurück, die eigene Bevölkerung zu unterdrücken. Inländisch trägt die Internetsperre einen großen Teil dazu bei, indem die Verbreitung von Informationen und tausendfach geteilten Videos, welche die Ausschreitungen der Sittenpolizei zeigen, weitgehend unterbunden wird. 

Khamenei, oberster Führer des Iran, reagierte inzwischen öffentlich auf die Proteste. Die Rede folgte unmittelbar den ersten gewaltsamen Auseinandersetzungen an einer Universität. Khamenei stellte das Aufbegehren der Bevölkerung als eine Verschwörungsoperation der USA, Israels und der „iranischen Verräter im Ausland“ dar. Keiner in den USA trauere um Mahsa Amini, sondern es ginge um die Unabhängigkeit der islamischen Republik und ihren Widerstand, so der Machthaber. 

Vom Wirtschaftsminister wurde nunmehr der nächste Schritt zur Unterdrückung der Proteste verkündet: der Unterricht soll ab Montag nur noch online stattfinden. Das eine Onlinelehre mit Blick auf die staatlichen Internetbeschränkungen kaum möglich ist, hindert die Regierung nicht an ihrem repressiven Kurs. 

Die EU arbeitet derzeit an Sanktionen gegen den Iran. Das erweckt den Anschein, dass die EU-Staaten Menschenrechtsverbrechen des Iran nicht mehr weglächeln, um die Verhandlungen über das internationale Atomabkommen nicht zu gefährden. Sowohl Deutschland, Frankreich, Dänemark, Italien, Spanien, als auch Tschechien wollen in kürzester Zeit Sanktionen gegen iranische Organisationen und Einzelpersonen verhängen. 

Bild: Brett Morrison from Los Angeles, CA, USA via Wikimedia Commons (Lizenz).


Farce oder Fortschritt? Kuba stimmt für die Ehe für alle

Von Laura Werz | In Kuba wurde am Sonntag durch eine Volksabstimmung mit einer Zweidrittelmehrheit ein neues Familiengesetz angenommen. Mit dem Gesetz sollen Homosexuellen und nicht-biologischen Eltern mehr Rechte gegeben werden. Bei einer beachtlichen Wahlbeteiligung von 74 Prozent haben ca. 67 Prozent für das Gesetz gestimmt. Es ist sogar davon auszugehen, dass die Wahlbeteiligung noch höher gelegen hätte, wären die Öffnungszeiten mehrerer Wahllokale wegen des Hurrikans „Ian“ nicht um eine Stunde verschoben worden.

Die kubanische Regierung verfolgte lange Zeit eine sehr homofeindliche Politik. Seit der Revolution 1959 wurden Homosexuelle vermehrt diskriminiert, verfolgt, eingesperrt und sogar gefoltert. Zwischen 1965 und 1968 wurden Zehntausende Homosexuelle in Arbeitslager gesperrt und noch bis Ende der 70er Jahre verfolgt und inhaftiert. Das neue Gesetz, mit welchem das bisher gültige aus dem Jahr 1975 ersetzt wird, erlaubt die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare sowie die Möglichkeit für gleichgeschlechtliche Paare Kinder zu adoptieren. Außerdem werden Leihmutterschaften erlaubt und die Rechte nicht-biologischer Eltern, Kindern und Senioren gestärkt. Der kubanische Präsident und Chef der kommunistischen Partei, Miguel Diaz-Canel, bezeichnete das Ergebnis als „weiteren Sieg der Revolution“.Die katholische Kirche in Kuba sprach sich jedoch gegen die Rechte für Homosexuelle aus. Auch die evangelische Kirche Kubas schloss sich diesem Urteil an.

Doch auch die Opposition kritisierte die Regierung in Hinblick auf das neue Gesetz. Die Regierung wolle sich mit dem progressiven Gesetz dem Ausland gegenüber als fortschrittlich und demokratisch präsentieren. Es seien jedoch nur Kampagnen zugelassen gewesen, die sich für die Annahme des Familiengesetzes aussprachen. Das zeige deutlich, dass das Gesetz lediglich ein falsches demokratisches Licht auf Kuba werfen soll und in keiner Weise die tatsächliche Lage im Land widerspiegelt. Kubas Präsidialamt twitterte „#DieLiebeIstJetztGesetz“. In den Staatsmedien wurde zuvor mit Kundgebungen und Plakaten intensiv dafür geworben, für die Gesetzesänderung zu stimmen. Die Moderatoren betonten stets, wie historisch das Referendum sei und zuletzt war im Fernsehen in einer Ecke dauerhaft der Spruch „#DeineStimmeZählt“ zu sehen.

Hinter dieser Kampagne steckt Mariela Castro, Tochter des Revolutionsführers und Ex-Präsidenten Raul Castro und Nichte von Fidel Castro. Sie ist Chefin des „Zentrums für sexuelle Erziehung“ und setzt sich für die Rechte der LGBTQ-Menschen ein. Auch mit Blick auf die diktatorische Staatsführung Kubas lässt sich eine fortschrittliche Haltung der Regierung in Frage stellen. Als im Juli 2021 Tausende Kubaner gegen die Diktatur demonstrierten, wurden Hunderte zu teils langen Haftstrafen verurteilt. Derartige Volksabstimmungen wie am Sonntag sind eine absolute Rarität. Die Kubaner haben selten Gelegenheit zur Mitbestimmung. Zwar wird das Parlament gewählt, zugelassen ist aber stets nur die Kommunistische Partei. Manche Oppositionelle haben sogar dazu aufgerufen, unabhängig von der eigenen Meinung bei dem Referendum mit „nein“ zu stimmen. Ziel war es dabei, der Regierung keinen Erfolg zu ermöglichen. Es wurde gemutmaßt, dass das Ergebnis schon vor der Auszählung feststünde. Auf Twitter kursierte dementsprechend der Hashtag: „#InEinerDiktaturWirdNichtGewählt“.

Das Abstimmungsergebnis zeigt ein großes Interesse der Bevölkerung an demokratischer Teilhabe und den Wunsch nach Liberalität und Fortschritt. Es bleibt abzuwarten, ob die Durchsetzung des Gesetzes überzeugen kann und dem Land, obwohl es für die Regierung lediglich eine Imagekampagne darstellt, zu mehr Fortschritt verhilft.


Junge Iranerin stirbt nach Misshandlung durch Sittenpolizei

Von Laura Werz | Die 22-jährige Mahsa Amini ist in Teheran in Polizeigewahrsam nach Misshandlungen der Sittenpolizei gestorben. Ihr Tod hat im Iran zu etlichen Protesten und weltweiter medialer Aufruhr geführt und bringt die iranische Regierung und Polizei derzeit in Bedrängnis.  

Die iranische Regierung versucht seit Monaten noch strengere Kleidervorschriften vehementer und auch mit Gewalt mithilfe der Sittenpolizei durchzusetzen. Die Massen auf den Straßen, die anlässlich der erneuten Ausschreitung der Sittenpolizei demonstrieren, zeigen deutlich die Ablehnung der Bevölkerung der „gottgewollten“ Kleiderordnung. Demonstranten haben im Iran schwere Strafen und sogar den Tod zu fürchten. Auch bei den derzeitigen Demonstrationen wurde gegen die sie mit Schüssen, Tränengas und Schlagstöcken vorgegangen.

Die junge Frau Mahsa Amini wurde auf dem Weg zu einem Familienbesuch im Auto mit ihrem Bruder von der Sittenpolizei angehalten und festgenommen. Nach den wenig überzeugenden Angaben der Polizei sei sie wegen Herzversagens zunächst in Ohnmacht und später ins Koma gefallen. Augenzeugen schildern hingegen einen gänzlich anderen Tathergang. Demnach sei Mahsa Amini verhaftet worden, weil ihr Kopftuch nicht richtig saß und sie zu viel Haar zeigte. Die Sittenpolizei habe den Augenzeugen zufolge ihren Kopf im Polizeiauto gegen die Scheibe geschlagen, was zu einer Hirnblutung führte. Die iranische Polizei weist bis heute jegliche Anschuldigung vehement von sich. Die Regierungsbemühungen, die Schuld von sich zu weisen sind allerdings absolut unglaubwürdig und schüren den Zorn der Bevölkerung auf die Obrigkeit zu Recht nur noch mehr. Mahsa Amini ist nicht die erste Frau im Iran, die von der Sittenpolizei in jüngster Zeit misshandelt wurde. Es gibt diverse Belege, Fotos und Videos von Ausschreitungen der Sittenpolizei gegenüber Frauen, die sich nicht an die Kleiderordnung hielten.

Nichtsdestotrotz wird dreist versucht, mit nicht verifizierten Videoaufnahmen die eigene Unschuld zu untermauern. Infolge der medialen Aufruhr wurde offenbar sogar das Internet des Landes eingeschränkt. Die Verbreitung von Aufnahmen der jungen Frau, die sie nach der Festnahme im Koma zeigen, ist alles andere als im Interesse der Regierung. Stromausfälle, die aus mehreren Städten gemeldet wurden, kamen der Regierung dementsprechend sehr gelegen.  

In der für den Iran wirtschaftlich sehr schweren Zeit, liegt das Augenmerk der Regierung darauf, die fundamental-islamischen Kleidungsvorschriften strenger umzusetzen. Die Frauen werden als Objekte der Machtdemonstration missbraucht. Mit der Durchsetzung der Kleiderordnung soll Stärke und Systemstabilität suggeriert werden. Öffentliche Betriebe, wie Behörden und Banken, wurden beispielsweise angewiesen, Frauen mit nachlässig sitzendem Hijab nicht zu bedienen. Infolge des Aufbegehrens der Bevölkerung, griff die Obrigkeit mit weiteren Kleidervorschriften nur noch härter durch. Im politischen Diskurs wurde sogar bereits über Gesichtserkennungssoftware in der Öffentlichkeit, zur Durchsetzung der Kopftuchpflicht, gesprochen.

Prominente Iranerinnen schlossen sich in den sozialen Medien scheinbar furchtlos den Protesten an und solidarisierten sich mit Mahsa Amini. Berühmte Schauspielerinnen posteten Bilder ohne Kopftuch oder nahmen Videos auf, wie sie den Hijab abnahmen. Nach der neuen Verordnung werden derartige Handlungen nunmehr mit dem Entzug sozialer Recht für bis zu einem Jahr, sowie Geldstrafen und Entlassungen geahndet. Die weitreichenden Proteste und mutigen Widerstandsaktionen zeigen allerdings deutlich, dass mehr und mehr Iranerinnen und Iraner trotz jahrzehntelanger Unterdrückung und Propaganda den vermeintlich religiös motivierten Weg ihrer Regierung ablehnen. Die kritische Wirtschaftslage, inländische Korruption und Lobbyismus öffnen einer wachsenden Zahl der Bevölkerung die Augen. Auch wenn der Tod Mahsa Aminis das Mullah-Regime nicht kippt, wurde es doch ins Wanken gebracht, sodass es eines Tages einem weiteren Skandal womöglich nicht mehr standhalten kann.

 


China leidet unter radikaler Lockdown-Politik

Von Laura Werz | In China können wir heute wieder die Einführung schwerster Freiheitsbeschränkungen aufgrund des Coronavirus beobachten. Am Mittwoch gab es tatsächlich sagenhafte 132 Neuinfektionen in der Stadt Chengdu die sich absolut nicht mit der Null-Covid-Politik des Landes vereinbaren lassen. Im ganzen Land belaufen sich die Neuinfektionen gerade einmal auf 349 am Tag. Zum Vergleich: in Deutschland wurden am 31. August 49.303 Infektionen gemeldet.

Trotz der verschwindend geringen Zahlen ist für Millionen Menschen im kommunistischen China ein Lockdown wieder Realität. Während für den Großteil der Weltbevölkerung das Virus endlich aus den Köpfen und dem Alltag verschwindet, lassen die Maßnahmen Chinas selbst Deutschlands überzogene Coronapolitik wie einen akzeptablen Dauerzustand erscheinen. 

Es kam bereits in den letzten Tagen in einigen chinesischen Städten wieder zu Lockdowns. In der chinesischen Metropole Dalian gilt beispielsweise für circa die Hälfte der sechs Millionen Einwohner eine Ausgangssperre. Jedem Haushalt soll es erlaubt sein, einmal täglich eine negativ getestete Person rauszuschicken, um Lebensmittel und andere lebensnotwendige Güter zu besorgen. Und auch in den Städten Chengde und Shijiazhuang nahe Peking gelten wieder Restriktionen. Die drohende Ausgangssperre in Chengdu übersteigt allerdings die bisherigen Maßnahmen bei Weitem. Ab 18 Uhr am Donnerstag soll nach den chinesischen Staatsmedien für alle 21 Millionen Bewohner eine absolute Ausgangssperre gelten. Die Stadt selbst ist nur im absoluten Notfall zu verlassen. Innerhalb von vier Tagen soll daraufhin die gesamte Stadt durchgetestet werden. 

In Hongkong hingegen gilt nicht dieselbe Null-Covid-Politik. In dieser Woche wurden in Hongkong täglich 10.000 Neuinfektionen registriert, weswegen eine Verschärfung der gerade erst gelockerten Beschränkungen zu befürchten ist.  

Die chinesische Bevölkerung hat keine Wahl, als sich den diktatorischen und menschenverachtenden Maßnahmen zu fügen. Die erschreckenden Bilder von Menschen, die in Läden Schutz vor der Gesundheitspolizei suchen, auf der Straße verprügelt werden, oder aus dem Fenster schreien werden bei uns durch den täglichen Nachrichtenkonsum langsam aber sicher in den Hintergrund gerückt. Für die Chinesen hingegen sind diese Zustände das Damoklesschwert, das über ihren Köpfen schwebt und dessen sind sie sich bewusst. 

China hält an seiner Null-Covid-Politik fest, obwohl die chinesische Wirtschaft stark unter den andauernden Maßnahmen leidet. Der chinesische Handel, Tourismus und die Industrie laufen nur auf Sparflamme und haben stetig einen wirtschaftlichen Stillstand zu befürchten. Auch die Kinder in zahlreichen Provinzen sind unmittelbar betroffen. In vielen Regionen findet weiterhin Online-Unterricht statt und sogar die Herbstsemester der Universitäten werden verschoben. Die Einreise für Ausländer ist noch immer weitgehen unmöglich und gegebenenfalls mit einer einwöchigen Quarantäne in zumeist sehr schlecht ausgestatteten Hotels verbunden.  

Das Wirtschaftswachstum des Landes scheint der kommunistischen Partei wesentlich weniger zu bedeuten, als es in den letzten Jahrzehnten der Fall war. Die Null-Covid-Politik stellt in diesem Sinne eine 180-Gradwende zur Politik Chinas der 1990er und 2000er Jahre dar, die ausschließlich darauf abzielte, das Wachstum des Landes zu fördern. Damals wurde weder Rücksicht auf die Umwelt noch auf das Wohlergehen der Arbeitskräfte gelegt. Auch der Konsum der Bevölkerung ist im Zuge der Coronapolitik rasant eingebrochen. Das ist insofern interessant, als dass chinesische Haushalte bis zum Ausbruch von Covid-19 von der Regierung stets aufgefordert wurden, immer mehr zu konsumieren, um die Wirtschaft anzukurbeln und mit dem Lebensstil anderer Industrieländer mitzuhalten.

Die wirtschaftliche Abwärtsspirale des Landes wird sich perspektivisch wohl unkontrolliert fortsetzen. Ausländische Unternehmen investieren weniger und ziehen sich aus China bereits zurück, da sie infolge von anhaltenden Schließungen mit niedrigeren Einnahmen rechnen müssen. Einer Umfrage zufolge gaben fast 60 Prozent der europäischen Unternehmen an, ihre Umsatzprognosen für 2022 zu kürzen. Es ist nicht abzusehen, wann das Wirtschaftswachstum wieder auf der Tagesordnung Chinas stehen wird. Das eigentliche Ziel Chinas, in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von 5,5 Prozent zu erreichen, erscheint in diesem Zuge zumindest wenig realistisch. 




Habecks Energiespar-Kampagnen: Mut zum Frieren und Stinken!

Von Laura Werz | Dem Slogan „Gemeinsam für den Energiewechsel“ ist derzeit in ganz Deutschland nicht zu entkommen – einer Energiespar-Kampagne des Wirtschaftsministers Robert Habeck. Auf riesigen Werbetafeln und Anzeigen wird die deutsche Bevölkerung eindringlich dazu „ermuntert“ Energie zu sparen. Dem nichtsahnenden Bürger werden dabei ungefragt gleich konkrete Sparmaßnahmen an die Hand gegeben, die es nur noch umzusetzen gilt. So sollen wir von der Regierung lernen uns solidarisch-sparsam zu verhalten. Begeisterten Duschern wird sogar eine eigene Werbeanzeige gewidmet. Mit dem Slogan „Liebe Duschfans, ein Energiespar-Duschkopf spart 30% Energie für Warmwasser“ wird der verantwortungsvolle Duscher dazu aufgefordert, sein Duschverhalten grundlegend zu überdenken.

Geht es nach Habeck sitzen wir bald ungewaschen und stinkend in unserer 19 Grad kalten Wohnung im Dunkeln. Das nennt sich dann „Bestes Deutschland aller Zeiten“. Dabei haben wir eigene Atomkraftwerke im Land, die wir langfristig wieder in Betrieb nehmen könnten. Die Zeit bis zur Wiederinbetriebnahme wäre auch kein Problem – die könnten wir durch die drei noch betriebenen AKW´s Deutschlands überbrücken. Dafür dürften sie allerdings nicht abgeschaltet werden – und das würde unserem Wirtschaftsministers gar nicht gefallen. Selbst davon dass AKW´s jüngst auch von der EU als nachhaltig eingestuft wurden, lässt sich die grüne Front um Habeck wenig beeindrucken. Es wird lediglich eine leidliche Diskussion über die Verlängerung der letzten drei AKW´s bis zur vollständigen Umstellung auf regenerativen Energien geführt.

Würden wir wieder zur Atomkraft zurückkehren, befänden wir uns in guter Gesellschaft mit unseren Nachbarn Frankreich und Großbritannien, die ebenfalls an den Kraftwerken festhalten – ja sogar neue Kraftwerke bauen wollen. Unser Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hofft aber offenbar, die Notwendigkeit von AKW´s noch durch ihre zahlreichen Energiespar-Kampagnen abwenden zu können.

Wir haben mal beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz nachgefragt: Für alle „kommunikativen Maßnahmen rund ums Energiesparen einschließlich Webseite, Publikationen, Social-Media-Kommunikation, Motiventwicklung, Mediaschaltungen etc.“ stehen im Jahr 2022 bis zu 40 Millionen Euro zur Verfügung. 40 Millionen! Was man damit alles schönes machen könnte – zum Beispiel Papier für Schulen kaufen, die Infrastruktur verbessern oder so verrückte Sachen wie die Strom- und Gaskrise in Angriff zu nehmen. Auch wenn man die Krise mit 40 Millionen Euro natürlich nicht Lösen könnte, wäre das Geld hier doch wesentlich besser investiert als in die Waschlappen- und Pullover-Propaganda. 

Außerdem ist die Initiative nicht nur inhaltlich völlig daneben. Es ist auch fraglich, ob sie überhaupt ihrer eigenen Ideologie entspricht oder es sich nicht doch nur um von Doppelmoral triefende, übergroße Werbetäfelchen handelt. Die Initiative „Hamburg Werbefrei“ hat den Finger in die Wunde gelegt und schlägt die Duschkritiker mit ihren eigenen Waffen. Sie kritisieren den hohen Energieverbrauch der Kampagne durch die großen digitalen Werbetafeln. Für den 24-Stunden-Betrieb eines einzelnen zehn Quadratmeter großen „City Light Boards“ würden mehr als 40.000 Kilowattstunden Strom im Jahr benötigt, was in etwa dem Verbrauch von dreißig Single-Haushalten entspricht. Bevor das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz also eindringlich für Energiesparen wirbt und das Stadtbild mit ihrer geschmacklosen Sparpropaganda zupflastert sollte es damit beginnen, sich an die eigene Nase zu fassen. Damit würden die Deutschen nicht nur vor der Doppelmoral der Regierung sondern auch vor geschmackloser bonbonfarbener Einschränkungsverherrlichung verschont bleiben.

 


Anti-Kopftuch-Bewegung im Iran: Deutsche Journalistin wirft Aktivistinnen Verbreitung „westlicher Ideologien“ vor

Von Laura Werz | Masih Alinejad ist mit 7 Millionen Followern in den Sozialen Medien eine der prominentesten Kritikerinnen des iranischen Mullah-Regimes. Sie engagiert sich insbesondere im Kampf gegen den Kopftuchzwang für Frauen in ihrem Heimatland. Besonders viel Aufmerksamkeit erlangte die von ihr unterstütze Bewegung, in der iranische Frauen auf Videos aus Protest gegen patriarchale Gesetze das Kopftuch ablegen. Die jungen Aktivistinnen riskieren in ihrem Heimatland Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren, wenn sie Alinejad solche Videos zusenden. Inzwischen lebt die Journalistin in den USA, wo sie seit drei Jahren auch Staatsbürgerin ist. Doch selbst dort lebt sie nicht ungefährlich. Laut dem FBI wird sie vom iranischen Geheimdienst überwacht und ausspioniert.

Masih Alinejad erfährt nicht nur Zuspruch für ihren Einsatz. Im Gegenteil: Sie muss viel Kritik von westlichen Feministinnen in Kauf nehmen. Vor nicht einmal zwei Wochen hat die taz-Korrespondentin Julia Neumann in einem Kommentar moniert, dass nicht das Kopftuch das Problem sei, das es zu bekämpfen gelte. Laut Neumann bediene Alinejad „die Erzählung, dass Frauen vom Kopftuch und damit vom Islam befreit werden müssten“. In Wahrheit seien das aber „westliche Ideologien“. Ihr Argument: In Deutschland komme ja auch niemand auf die Idee, Nonnen zu ermuntern, ihr Kopftuch abzulegen und so gegen das Patriarchat der Kirche zu kämpfen. Echt jetzt? Was ist das für ein Vergleich? Nonnen können den Orden stets verlassen und es gibt nicht einmal eine strenge Kopftuchpflicht. In Deutschland leben knapp 18.000 Nonnen, von denen manche freiwillig ein Kopftuch tragen. Im Iran hingegen leben über 83 Millionen Menschen, etwa die Hälfte davon Frauen, welche zum Kopftuchtragen verpflichtet sind. Halten sie sich nicht daran, müssen sie die Sittenpolizei und hohe Strafen fürchten.

Weitere Top-Argumente von Neumann: Männer im Iran würden ja auch einem Kleidungszwang unterliegen. Außerdem sei es ein furchtbarer kolonialistischer Gedanke, dass weiße Männer Frauen im Iran schützen wollen. Ja, genau! Die armen iranischen Männer müssen ja auch Knie und Schultern verdecken! Und wenn sie es einmal wagen, im Tanktop aus dem Haus zu gehen, stürzen sich plötzlich prügelnde Frauenhorden auf sie. Ist doch so! Wir im Westen sollten uns da nicht einmischen. Vielleicht sind die iranischen Männer, die öffentlich auf Frauen eindreschen, die kein Kopftuch tragen, ja eigentlich ganz sensible und nette Gesellen. Das können wir aus der Ferne doch gar nicht beurteilen.

Bei solchen Aussagen zieht sich bei mir alles zusammen. Bis zu einem gewissen Punkt schätze ich ja persönlich ebenfalls politische Zurückhaltung, wenn es zu fremden Kulturen und Bräuchen kommt, die man selbst nicht aus der eigenen Realitätserfahrung kennt. Der wesentliche Unterschied ist hier aber: Masih Alinejad ist Iranerin, daran ändert auch ihr amerikanischer Pass nichts. Sie weiß, wovon sie spricht. Schließlich hat sie es selbst erlebt.

Julia Neumann versucht in ihrem Kommentar, den Aktivismus von Masih Alinejad mit unhaltbaren Vergleichen und antiwestlichen Schimpftiraden zu delegitimieren. Dabei lässt sie die eigenen Lebenserfahrungen von Masih Alinejad vollkommen unerwähnt. Selbst wenn einem das Vorgehen von Masih Alinejad nicht in dem Kram passt, man muss doch anerkennen, dass Frauen im Iran auch mit Hilfe der Reichweite von Alinejad für mehr Rechte kämpfen. In Julia Neumanns Kommentar bekommt man jedoch den Eindruck, dass die iranischen Frauen heulende Mimosen seien, die mal lieber mehr Verständnis für die islamische Kultur zeigen sollten, anstatt sich für ihre egoistischen Nischen-Interessen einzusetzen.

Neumann schreibt: „Wer wirklich etwas für Frauen tun möchte, muss das Patriarchat bekämpfen – und steht damit vor einem Konstrukt aus globaler Politik, Kapital, Macht und Institutionen.“ Ja genau, Julia, an der Unterdrückung iranischer Frauen ist eigentlich die kapitalistische Weltverschwörung schuld – nicht das iranische Scharia-Regime.  

Das Kopftuch wird im Islam als Zeichen der Unterdrückung genutzt und hat mehr als einen reinen Symbolcharakter. Die Abkehr von einem derartigen Unterdrückungssymbol kann sehr wohl ein erster Schritt zu mehr Gleichberechtigung darstellen. Um diese Gleichberechtigung herzustellen, braucht es die Öffentlichkeit. Es braucht die Kritik westlicher Länder an den frauenfeindlichen Gesetzen des Mullah-Regimes. Nur mit Druck auf die iranische Regierung kann vielleicht erreicht werden, dass diese eines Tages den Kopftuchzwang abschafft, um sich weiter politisch halten zu können.

Es ist absurd, dass westliche Feministinnen jeden Tag die vermeintliche Unterdrückung der Frau in ihrem Heimatland anklagen, aber sich beim Kopftuch-Thema auf die Seite der Unterdrücker stellen. Zum Glück gibt es Frauen wie Masih Alinejad, die bei diesem Irrsinn nicht mitmachen.


Unruhe im Senegal – schlechte Nachricht für Deutschland

Von Laura Werz | Der Senegal gilt als demokratisches Vorbild Westafrikas. Seit der Unabhängigkeit 1960 gab es friedliche Machtwechsel demokratisch gewählter Regierungen. Ganz zum Kontrast der Nachbarländer, wie Guinea, Gambia oder der Elfenbeinküste, in welchen Präsidenten zum Machterhalt die Verfassungen veränderten oder sich über sie hinwegsetzten. Im März 2021 erlebte der Senegal jedoch, so sagen Beobachter, die schwersten Unruhen in seiner Geschichte. Tagelang gingen Zehntausende Menschen überall im Land auf die Straßen, um gegen die Festnahme des Oppositionspolitikers Ousmane Sonko zu protestieren.

Nun wurde am 31. Juli 2022 im Senegal ein neues Parlament gewählt. Für die Regierung gab es immer stärkeren Gegenwind – trotz des Wirtschaftswachstums im Land. Der Wahl gingen heftige Spekulationen voraus, da Kritiker dem seit 2015 amtierenden Präsidenten Macky Sall der sozialliberalen Koalition vorwarfen, entgegen der Verfassung für eine dritte Amtszeit im Jahr 2024 kandidieren zu wollen. Die Vorwürfe rühren daher, dass sich Sall bislang diesbezüglich nicht klar geäußert hat und Parteifreunde öffentlich sogar diese Möglichkeit angedeutet haben. Diese Diskussion hat den politischen Diskurs maßgeblich mitbestimmt. Sie war höchstwahrscheinlich ausschlaggebend für den Verlust der absoluten Mehrheit des Regierungslagers.

Nach den vorläufigen Ergebnissen der Wahl, die noch offiziell bestätigt werden müssen, hat die sozialliberale Regierungskoalition „Benno-Bokk-Yaakar“ (BBY) 43 der 165 Sitze verloren und kommt nun auf 82 Sitze. Der Verlust der absoluten Mehrheit stellt ein historisches Ergebnis dar: Es ist das erste Mal seit 1960, dass die Regierungskoalition nicht mehr die absolute Mehrheit innehat. Das größte Oppositionsbündnis „Yewwi – Wallu“ gewann 80 Sitze. Dabei handelt es sich um eine Wahlkoalition, die selbst aus zwei großen politischen Koalitionen besteht, sodass sie in der nationalen Presse auch als „Inter-Koalition“ bezeichnet wird. Besonders junge Menschen stärken die eher links geprägte Opposition. Mehr als ein Dritter der senegalesischen Bevölkerung ist jünger als 18 Jahre, dementsprechend noch nicht wahlberechtigt und doch potenzieller zukünftiger Wähler der Opposition. Die Oppositionskoalition umfasst auch die PASTEF-Partei des Oppositionsführers Ousmane Sonko, der Korruption und Vetternwirtschaft der Regierung kritisiert, sowie auch die Nationalpopulisten einer gegen Frankreich gerichteten Bewegung „France dégage“ (Frankreich hau ab). Außerdem findet sich in der Koalition eine der ältesten liberalen Partien Afrikas, die 1974 gegründete „Parti Democratique Senegalais“ (PDS). Dazu kommen noch mehrere bürgerliche Parteien. Ousmane Sonko ist heute der Hoffnungsträger vieler junger Senegalesen. Daran ändern auch Vergewaltigungsvorwürfe von Seiten der Regierung nichts, welche von seinen Anhängern als politisches Komplott gewertet werden.

Die Opposition rief vor der Wahl landesweit zu Demonstrationen gegen die Zurückdrängung der Demokratie auf. Es gab schon vor der Parlamentswahl heftige Kritik an der bevorstehenden Wahl. So wurden die Regelungen zu den Unterstützungsunterschriften, Verstöße, gegen die paritätisch zu besetzenden Wahllisten und die Fristen für die Einreichung der Kandidaturen kritisiert. Ousmane Sonko wollte die Wahl dementsprechend vorerst nicht akzeptieren. Er forderte den Vorsitzenden der Nationalversammlung auf, die Stimmauszählung zu pausieren, um Unregelmäßigkeiten überprüfen zu können. Die Opposition behauptete, dass es von der Regierungskoalition vorgefertigte Protokolle ohne Unterschrift gäbe. Es war von einem massiven Betrug, der nicht weniger als 200.000 Stimmen betreffe, die Rede. Der französische Präsident Emmanuel Macron bezeichnete die Wahlen hingegen als „friedlich und transparent“.

Das Oppositionsbündnis hat bereits Einspruch gegen das vorläufige Wahlergebnis eingelegt. Nichtsdestotrotz wertet man das Ergebnis dort bereits jetzt als „historischen Erfolg“. Es ging der Opposition insbesondere darum, dem Regierungslager eine Kohabitation (eine Zusammenarbeit des Präsidenten mit einer Regierung einer anderen politischen Richtung, wie derzeit in Frankreich), wie es sie im Senegal noch nie gab, aufzuzwingen. Mit einem starken Ergebnis wollten sie eine erneute Kandidatur Salls im Jahr 2024 verhindern. Der Verfassungsrechtler Ngouda Mboup von der staatlichen Universität Cheikh Anta Diop in Dakar hat sich diesbezüglich wie folgt geäußert: „Die Frage nach einer dritten Amtszeit von Sall ist vom Volk bereits bei dieser Wahl definitiv geregelt worden. Mit diesem Wahlergebnis und mit den Kräfteverhältnissen im neuen Parlament hat er keine Möglichkeit mehr, die Verfassung entsprechend für ein drittes Mandat zu ändern“

Die sonst relativ stabile, senegalesische Demokratie wackelt – das ist auch für Deutschland eine schlechte Nachricht. Denn wenn es nach Bundeskanzler Olaf Scholz geht, soll der Senegal bald eine wichtige Rolle für Deutschlands Energieversorgung spielen. Ab Herbst 2023 will das westafrikanische Land Flüssiggas exportieren – unter anderem nach Europa. So will Scholz  zumindest einen Teil der Lücke füllen, die durch das fehlende Gas aus Russland entstanden ist. Im Mai besuchte der Bundeskanzler das Land und beschwor die Energiepartnerschaft – Instabilität im Land wäre da mehr als unpassend. Auch über Gas hinaus ist der Senegal Kooperationspartner Europas, etwa in Sicherheitsfragen.


Studentenwahl in Berlin: Queerfeministisch, grün und sozialistisch

Von Laura Werz | Sozialistisch, feministisch, antifaschistisch – das sind die Prinzipien der meistgewählten Liste des „Studierendenparlaments“ 2022/23 der Humboldt Universität. Als Studentin war ich wahlberechtigt und habe als Wahlhelferin auch einen Blick hinter die Kulissen der 30. Wahl des Studierendenparlaments erhalten können. Die Wahl wurde vom Wahlvorstand tatsächlich gut organisiert und ist problemlos verlaufen. Am Wahltag selbst konnte ich mich von den Bergen an Stimmzetteln überzeugen – wir waren auf alle Unwägbarkeiten vorbereitet. 1172 Studenten haben von ihrem Stimmrecht schlussendlich sogar Gebrauch gemacht. Für mich war es als Studentin im 2. Semester das erste Mal, dass ich mich an der Wahl beteiligen durfte. Das Problem war nur, dass ich nicht wusste, wo ich mein Kreuzchen setzten sollte. Dieses Gefühl werden einige auch von den Landtags- und Bundestagswahlen kennen.

Bei der Wahl zum Studierendenparlament wurde dem Studenten eine Wahl abseits von links-grün allerdings praktisch unmöglich gemacht. Es beginnt schon damit, dass sich die Wahlprogramme Großteiles lesen, wie ihre eigene Parodie. Solange man sie sich mit dem nötigen Humor und ohne wirkliches Interesse an dem Wahlergebnis anschaut, sind sie auch tatsächlich äußerst unterhaltsam. Nachdem ich allerdings erfahren musste, dass unser Studierendenparlament gar nicht so wenig Einfluss hat, wie ich zunächst dachte, betrachtete ich die Listen mit weniger Amüsement. Das Parlament entscheidet nämlich, wie unsere Studentenbeiträge verwendet werden. Ein Drittel wird für Sozialausgaben der Studentenschaft verwendet, ein weiteres Drittel geht an die verschiedenen Fachschaften und vom letzten Drittel werden selbstverwaltete studentische Projekte finanziert. Darüber hinaus wählt unser fröhliches Parlament die Mitglieder des „Referent*innenrates“ – desselben RefRats, welcher maßgeblich an dem Boykott des Vortrags der Biologin Marie-Luise Vollbrecht im Rahmen der langen Nacht der Wissenschaft beteiligt war. Unser RefRat betrachtet sich selbst als politische Vertretung der „Studierendenschaft“ und ist bereits in der Vergangenheit durch linksradikale und ideologiegeleitete Projekte aufgefallen. Die Wahl des Studierendenparlaments erschien vor diesem Hintergrund daher plötzlich nicht mehr unwichtig, sondern sogar sehr relevant und erhielt schlagartig eine ganz andere Bedeutung.  

Die „OffeneListeKritischerStudierender“, stellte mit ihren Forderungen ein passendes Entree für das was noch folgen sollte dar, indem es den nichtsahnenden wahlwilligen Studenten erbarmungslos mit der links-grünen Universitätsrealität konfrontierte. Meinen „kritischen Mitstudenten“ zufolge, zeigen sich auf dem Campus nämlich rechtskonservative Kreise zunehmend aggressiver bei ihren „Angriffen auf studentische Strukturen und Freiräume“. Gruppen wie „Studenten stehen auf“ hätten sogar „verschwörungsideologische Mythen“ auf den Campus getragen. Auch an der Lehrqualität darf der Vollständigkeit halber im Wahlprogramm natürlich kein gutes Haar gelassen werden. Diese wird mit einem Wirtschaftsunternehmen gleichgestellt, bei welchem es daran mangele, gesellschaftliche Veränderungen zu befördern.   

Die „Juso-Hochschulgruppe“ stellt mit 252 Stimmen wie bereits im Vorjahr die meistgewählte Liste dar und steht für „sozialistische, feministische und antifaschistische“ Werte ein. Unter Parolen wie „Reiche Eltern für Alle!“, „The future is feminist!“, oder „Kein Fußbreit dem Faschismus!“, setzten sie sich nicht nur für mehr BAFöG und Zuschüsse, sondern kämpfen insbesondere gegen die sehr problematische Unterrepräsentation von Frauen in Forschung und Lehre. Gefordert wird „Gleichberechtigung“ (wahrscheinlich ist die Gleichberechtigung von Frau und Mann gemeint, obgleich das nicht genauer ausgeführt wird), welche selbstverständlich mit der konsequenten Besetzung der Professuren von „mindestens 50% Frauen“ einhergeht. Um auch potenzielle Wähler zu gewinnen, deren Persönlichkeit nicht darin besteht, sich als Frau prinzipiell diskriminiert zu fühlen, wird darüber hinaus auch den bösen Verschwörungstheoretikern der Kampf angesagt. In unserer Pandemiezeit seien Verschwörungstheorien, Antisemitismus und rechte Parolen in der Uni wieder salonfähig geworden. Fraglich ist natürlich, wie sich das schlechte Gedankengut in der Uni verbreiten konnte, wenn diese doch ihre Türen aus Angst vor dem tödlichen Virus geschlossen hielt. Nichtsdestotrotz, nach der Juso-Hochschultruppe, gehört das rechte Gedankengut ordentlich von der Solidargemeinschaft bekämpft. Achja, und die Uni muss natürlich nachhaltiger werden! Durch die Textbeschränkung war wohl nicht mehr drin als ein kleiner Absatz am Ende des Programms, in welchem noch kurz und knackig bekundet wird, dass man auch eine klimaneutrale Hochschule fordere – „und zwar jetzt!“

Kampfbekundungen gegen Rechts sind beim Wahlkampf auf dem Campus ganz oben im Kurs. Das wurde mir spätestens beim Lesen der dritten Liste, der „IYSSE“, oder auch „International Youth and Students for Social Equality“ klar, welche sich als Priorität ebenfalls die Verbannung ungewollten Gedankenguts der Universität ausgeguckt hat. Darüber hinaus wird sich hier für den Sozialismus in der Uni und wenn’s gut läuft auch deutschlandweit und – sie wollen ja nicht kleingeistig erscheinen – weltweit eingesetzt. Unter dem Slogan „Für eine sozialistische Bewegung gegen Faschismus und Krieg!“ wird dem Wähler erklärt, dass nur „eine internationale sozialistische Bewegung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus einen erneuten Rückfall der Barbarei und einen dritten Weltkrieg stoppen“ kann.

Gleich nach dem Sozialismus begrüßte mich auf der nächsten Seite der Wahlprogramme die „Queer-feministische LGBT*Q-Liste“, welche mit der wahrscheinlich längsten Programmbezeichnung überzeugen kann: „*FeministischesLesBiSchwulQueerTranssexuellesTransidentischesIntersexuellesAsexuelles-Transgender-Programm*“. Für alle, die beim Lesen trotz guten Willens kläglich gescheitert sind wurde darunter zur Verdeutlichung aber auch noch einmal klargestellt: „Wir sind queer_feministisch – emanzipatorich – links!“. Als „les_bi_schwule_trans* und sonstige Dissident_innen“ möchten die Vertreter „Marginalisierte sichtbar machen, vertreten und ins Zentrum rücken“, indem man „über binäre Strukturen hinaus denkt und hinausgeht“. Ein „gradliniges“ Studium sei abzulehnen – was man sich unter einem kurvigen Studium vorstellt, bleibt an dieser Stelle der Kreativität des Wählers überlassen. Viel schöner und freier wäre in jedem Fall ein „herrschaftskritisches, feministische-queeres Studieren für ALLE“.

„Grünboldt“ hat sich bei der Namensgründung offensichtlich für ganz besonders innovativ und kreativ gehalten. Sie betrachten sich selbst als die grün-alternative Liste im Studierendenparlament (wobei ich ihnen dieses Alleinstellungsmerkmal zu meinem Bedauern nicht zusprechen würde) und setzten sich für mehr Freiräume für Studenten ein, um „ein freiheitliches Studium zu ermöglichen“. Dazu benötige es die Abschaffung der Zulassungsbeschränkungen um auch den letzten aufkommenden Leistungsgedanken im Keim zu ersticken.

Die „Linke Liste der HU“, welche sich selbst den sympathischen Spitznamen „LiLi“ gegeben hat, kann an 7. Stelle des Wahlprogramms leider keine nennenswerten ergänzenden Programmpunkte mehr vorweisen. Der Kampf gegen Rechts findet auch von „LiLi“ ausdrücklich Beachtung: „Keine rechten Mitarbeiter_innen und Strukturen an der Uni: keine Namenslisten für Faschos! Keine Forschungszentren für Rechte!“ Dabei bekommt Liste 7 sogar noch Konkurrenz von Liste 8, „Die Linke.SDS HU Berlin“. Diese versteht sich als Zusammenschluss linker Studierender, was an dieser Stelle von „LiLi“ abzugrenzen ist, welche eine parteiunabhängige Hochschulgruppe darstellt. Die Linke.SDS steht wiederum der Linken nahe und setzt sich hauptsächlich für den Sozialismus ein. Das die Wahlprogramme nahezu identisch sind, ist Nebensache.  

Zu guter Letzt, auf Liste 9, folgt „RCDS – Demokratisch. Praktisch. Gut.“. Der RCDS glänzt als Schlusslicht leider mit dem kürzesten Wahlprogramm. Das einzige Alleinstellungsmerkmal der Liste ist die offene Kritik des ehemaligen Parlaments: „Die aktuelle Mehrheit im Parlament versteht ihre Aufgabe darin, sich mit Randthemen zu beschäftigen, die 99% der Studentinnen und Studenten niemals betreffen werden“. Neben dieser Feststellung und dem Verzicht auf Gendersprache im Wahlprogramm, unterscheidet den RCDS außerdem seine Forderungen nach einer Neugestaltung der Mensen und dem weiteren Uni-Betrieb im Herbst. Er konnte sich immerhin mit 151 Stimmen den dritten Platz, welchen er sich mit „LiLi“ teilt, sichern und besetzt damit 8 der 60 Sitze des Parlaments.

Unser Studentenparlament ist für die neue Legislatur ebenso links aufgestellt, wie bereits im Vorjahr. Die „Juso-Hochschulgruppe“ und die „OffeneListeKritischerStudierender“ besetzen als die beiden stärksten Fraktionen gemeinsam 22 der 60 Sitze, wohingegen die einzige nicht-links-grüne Fraktion, der RCDS, mit immerhin 8 Sitzen vertreten ist. Bereits in meinem ersten Studienjahr an der HU habe ich gemerkt, dass dieses Wahlergebnis dem allgemeinen Meinungsbild der Studentenschaft entspricht und die meisten Studenten sich eher für Scheindebatten und Ideologien, statt für Wissenschaft und Lehre einsetzen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass es nur eine von neun Listen gibt, welche nicht vollends im Mainstream aufgeht. Hoffentlich wird zumindest diese eine als Fels in der Brandung bestehen bleiben und das Feld der Konkurrenz nicht vollständig überlassen. In diesem Fall würde knappen 13% der wählenden Studenten eine Wahl des Studentenparlaments nach ihren Vorstellungen und Werten tatsächlich gänzlich unmöglich gemacht werden würde.

 


Japan – Deutschlands heimliches Vorbild?

Von Laura Werz | In den letzten Jahren hat Japan einen unglaublichen weltweiten Hype erlebt. Auf einmal interessierte sich ein Großteil der hippen Jugendszene für die „Kultur“ des kleinen Landes in Süd-Ost-Asien – zumindest für den Teil, der erfolgreich vermarktet wird. So kam nicht nur Sushi, sondern auch Cosplay, Bubble Tea und Macha Latte als erfolgreiche Exportschlager zu uns. Mit der ursprünglichen Kultur und Mentalität hat das allerdings nicht viel zu tun. Zwar kommen die Trenderscheinungen ursprünglich aus dem Land der Samurai. Doch spiegeln sie nichts der Jahrtausende alten Geschichte des Landes oder des tatsächlichen Lebens in Japan wider. Leider erstreckt sich das Interesse der meisten westlichen Japan-Fans nicht auf das wirkliche Japan – den Alltag, die Geschichte, Politik oder das Zusammenleben der Menschen im Land. Unsere Vorstellung von Japan wird durch einen Hype verklärt, der dem in Wirklichkeit vielseitigen Land in keiner Hinsicht gerecht wird. In dieser verrückten, bunten und schnelllebigen Welt meinen sich orientierungslose und kultur-desinteressierte jungen Menschen der westlichen Gesellschaft heute wiederzufinden. Für mich ist Japan aber mehr als Sushi und Bubble Tea – ich möchte euch einen ganz persönlichen Einblick in das Land der aufgehenden Sonne geben.   

Einblicke in die tatsächliche Kultur Japans

Mein eigenes Interesse für Japan wurde wie bei vielen durch einen Anime geweckt. In meinem Fall war es der Anime „Detektiv Conan“. Die Kinder- und Jugendserie handelt von einem Oberschülerdetektiv, der sich durch ein Gift im Körper seines 7-jährigen Ichs wiederfindet und tagtäglich die kniffligsten Kriminal- und Mordfälle löst. Die Fälle sind stets so ausgebufft, dass niemand auf eine vergleichbar geniale Falllösung kommt, wie sie sich der Autor Gosho Aoyama für jede Folge minutiös ausdenkt. Die Serie hat mich lange durch meine Kindheit und Jugend begleitet. Anders als die meisten Kinderserien heute, die sich durch viele Bilder, Szenenwechsel, grelle Farben und rekordverdächtige Sprechgeschwindigkeiten auszeichnen, ist Detektiv Conan eine intelligent gemachte Krimiserie, welche ich mir auch noch 10 Jahre später gerne ansehe. Die Serie ist realitätsnah gestaltet, so werden tatsächlich existierende Orte Japans naturgetreu dargestellt und auch die Kleidung der Figuren und die Schauplätze entsprechen der Wirklichkeit.

Über Jahre hatte ich somit Einblicke in die japanische Welt, den Alltag japanischer Familien und lernte die Kultur des Landes kennen. Musik, Sprache, Darstellungsweise und vor allem die Verhaltensweisen der Charaktere untereinander unterschieden sich sehr stark von meinen eigenen Wirklichkeitserfahrungen. In den Darstellungen der Kinderserie bemerkte ich immer wieder große Verhaltensunterschiede zwischen den Japanern und dem mir bekannten Kulturkreis. Sehr oft konnte ich beispielsweise Reaktionen oder Aussagen meiner Lieblingsfiguren nicht nachvollziehen. Die Menschen schienen distanzierter zu sein, stellten ihre eigenen Bedürfnisse auf mir nicht verständliche Art und Weise zurück und pflegten einen von Grund auf anderen Umgang miteinander in der Öffentlichkeit. Wie authentisch die japanische Mentalität in meinem Lieblingsanime tatsächlich dargestellt wurde, erkannte ich erst später. Mit meinem stetig wachsenden Interesse für das Land, begann ich mich zunehmend mit den kulturellen Unterschieden zwischen Japan und der westlichen Welt zu beschäftigen.

Die Eigenheiten japanischer Umgangsformen

Japaner gelten auch international als sehr höfliches und zurückhaltendes Volk. Wenn wir die japanische Mentalität verstehen wollen, dürfen wir „Höflichkeit“ und „Zurückhaltung“ allerdings nicht nach europäischen Maßstäben messen. Ein Tabu in Japan ist beispielsweise das Wort „Nein“. Man sucht elegantere Wege, seine Abneigung zum Ausdruck zu bringen. Die deutsche Direktheit, die hierzulande untereinander nicht selten geschätzt und sogar erbeten wird, ist in Japan unvorstellbar. Das eigene Anliegen, eine Bitte oder auch eigene Bedürfnisse kommuniziert man subtil und dezent, andernfalls wird man als grob unhöflich wahrgenommen. Die Folge ist nicht selten, dass die eigenen Bedürfnisse nicht berücksichtigt oder gehört werden. Viele Japaner bewältigen ihre Probleme und Ängste mit sich allein. Gefühle zu zeigen, ist äußert unüblich. Sowohl Trauer als auch Ärger oder Wut versuchen Japaner vor der Öffentlichkeit zu verbergen und öffnen sich nur gegenüber ihren engsten Familienangehörigen – wenn überhaupt. Die höchste Tugend ist es, seine Gefühle zu verstecken. Diese Mentalität galt nicht nur zur Zeit der Samurai, sondern überdauert bis heute und drückt sich unter anderem dadurch aus, dass schon Kindern beigebracht wird, sich zu zügeln, Gefühle nicht zu zeigen und Disziplin zu wahren.

In Deutschland wird ganz zum Kontrast eine transparentere und offenere Kommunikation von Gefühlen gewünscht und sogar eingefordert. Nicht nur, dass Männer entsprechend der „toxischen Männlichkeit“ ihre Gefühle angeblich seit Anbeginn der Zeit in westlichen Kulturkreisen unterdrücken mussten und durch neue Verhaltensnormen endlich von diesem Leiden befreit werden. Sondern es wird auch eine allumfassende Rücksicht auf die Gefühle anderer gefordert. Fühlt sich jemand verletzt, diskriminiert oder nicht genug gesehen, dann muss dieses Gefühl kommuniziert und bis ins Bodenlose ausdiskutiert werden. Eine stille Zurückhaltung wie in Japan wäre da manchmal Balsam für jede nicht-woke Seele.

Die Lösung für alles stellt meistens die obligatorische Entschuldigung dar. „Es tut mir leid, ich wollte niemanden verletzen. Jetzt sehe ich es ein. Das werde ich nicht wieder sagen/tun/machen/denken.“ Wie ehrlich diese eingeforderten Bekenntnisse tatsächlich sind, ist fraglich. An dieser Stelle sind wir der japanischen Mentalität wieder einen Schritt näher – auch dort ist eine Entschuldigung à la „Gomen-nasai“ stets gern gesehen. Nebensächlich ist an dieser Stelle, ob man wirklich einen Fehler begangen hat. Solange man sich bei seinem Gegenüber entschuldigt, gilt der gegenseitige Respekt und die Höflichkeit in Japan als gewahrt. Ein wesentlicher Unterschied zu Deutschland ist allerding, dass diese Entschuldigungskultur in Japan über Jahrhunderte gewachsen ist. Obwohl diese Mentalität von den Japanern noch gelebt wird, wird sie doch zunehmend in Frage gestellt und kritisch betrachtet. In Deutschland wiederum führen wir diese Verhaltensnorm selbst herbei und zwingen sie einander auf. Vielleicht sollten wir vorher noch einen Blick auf das Land der aufgehenden Sonne werfen, wo sich eine stetige Sorge, etwas Falsches zu sagen, in der berühmten Zurückhaltung ausdrückt, man sich lieber zwei Mal zu viel entschuldigt und das gesellschaftliche Zusammenleben mehr Schein als Sein ist.

Das japanische Kollektiv

In Japan herrscht ein enormer Gruppenzwang. Schon unter Kindern im Klassenkollektiv, aber auch später unter Kollegen im Berufsleben, spielt die Gemeinschaft eine zentrale Rolle. Man lernt von klein auf sich anzupassen, die eigenen Bedürfnisse zurückzustellen und stets an erster Stelle an das Kollektiv zu denken. Kinder und Jugendliche in Japan sind neben dem sehr hohen Leistungsdruck außerdem enormen sozialem Druck ausgesetzt. Nicht ohne Grund ist ab einem Alter von ca. 10 Jahren Selbstmord in Japan die häufigste Todesursache bei Kindern, Jugendlichen, sowie jungen Erwachsenen. Zunehmend viele Japaner isolieren sich und meiden die Öffentlichkeit, um den Erwartungen und dem enormen Druck zu entfliehen. Die Folge ist nicht selten die absolute soziale Vereinsamung und Isolierung der Betroffenen, wofür es in Japan sogar ein eigenes Wort existiert: „Hikikomori“. Auch die Regierung hat die zunehmende Isolation als Problem der Nation erkannt und möchte sich dieser unter anderem durch die Schaffung eines „Ministers für Einsamkeit“ annehmen. Insgesamt ist die Selbstmordrate Japans eine der höchsten weltweit. Im Oktober 2020 starben in Japan beispielsweise mehr Menschen durch Suizid als insgesamt an Covid-19 bis zu diesem Zeitpunkt. Laut japanischer Polizeibehörden gab es im Oktober 2020 2.153 Suizide und bis Ende Oktober 2020 insgesamt 1.765 Todesfälle aufgrund Covid-19.

Die Gruppendynamik in Japan, welche Menschen zu Marionetten des gesellschaftlichen Konsenses degradiert oder bis in die Vereinsamung drängt, ist beispiellos und ebendiese adaptiert Deutschland zunehmend. In letzter Zeit konnte mit Worten wie „Solidarität“ und „Gemeinschaft“ nahezu alles gerechtfertigt werden. Während einerseits Selbstverwirklichung und Individualismus schon in den Grundschulen gepredigt wird, wurde der übermächtige Kollektivgedanke längst durch die Hintertür eingeführt. Diese Doppelmoral existiert so nicht mal bei den Japanern.

Abweichende Meinungen werden nicht zugelassen

Aber nicht nur das Gemeinschaftsgefühl schauen wir uns von den Japanern ab, sondern auch die Intoleranz gegenüber anderen Meinungen. Japan ist kein Land, das für seine Toleranz bekannt ist. Es gilt seit jeher als konservatives und zurückgezogenes Land, in dem man lieber unter sich bleibt und andere Völker und Kulturen meidet. Diese Mentalität zeigte sich besonders deutlich in der außenpolitischen Abschließung Japans welche von 1630 bis ins Jahr 1853 andauerte. Ziel war es, das Handelsmonopol in Japan zu schützen und dem wachsenden westlichen Einfluss und der Verbreitung des Christentums entgegenzuwirken. Über Jahrhunderte hinweg hat sich Japan isoliert von der restlichen Welt entwickelt und so sind bis heute Eigenarten und eine gewisse Fremdenfurcht im Land präsent. Die Japaner blieben lange weitgehend vor anderen Weltanschauungen und kritischen Stimmen verschont und bauten ihr Land gewissermaßen in einer Blase auf, die erst durch die erzwungene Öffnung 1853 zum Platzen gebracht wurde. Eine Debattenkultur, in der Schubladendenken und Schwarz-Weiß-Malerei peu-à-peu verabschiedet wird, wurde in Japan nie etabliert.

Deutschland wird Japan immer ähnlicher

Die japanischen Verhaltensmuster, welche mir als Kind, als ich meinen Lieblingsanime schaute, noch so fremd erschienen, bemerke ich inzwischen täglich in Deutschland. Ähnlich wie es in Japan schon seit Jahrhunderten gepflegt wird, haben heute viele Menschen auch in Deutschland eine private und eine öffentliche Meinung. Intoleranz wird in Deutschland konsequent unter dem Deckmantel des Minderheitenschutzes getarnt. So ist es kaum noch salontauglich, berechtigte Kritik zu äußern oder eine kritische Frage zu stellen, da sich stets jemand findet, der diese zum Anlass nimmt, sich in der Opferrolle in den Mittelpunkt zu spielen.

Wir laufen Gefahr, ähnliche Fehler wie die japanische Gesellschaft zu machen, indem wir den kritischen Diskurs abschaffen und es nur „die richtige Meinung“ gibt, wodurch Menschen entweder in eine Spirale der Abhängigkeit des Gemeinschaftsgefüges getrieben werden oder in die Einsamkeit bis hin zur Isolation. Nach Sushi und Matcha ist nun also auch die japanische Mentalität samt ihres Kollektivdenkens, der Intoleranz und Scheinheiligkeit in Deutschland angekommen. Hätten wir nicht bei der Begeisterung für Animes bleiben können?

Nichts sagen ist eine Blume –

Japanisches Sprichwort


Pädagogischer Spielraum und Machtmissbrauch

Von Laura Werz | Die „mündliche Mitarbeit“ ist ein Dauerbrenner, wenn es zu einer Diskussion um das Schulsystem in Deutschland kommt. Sie stellt nicht nur das wesentliche Bewertungssystem in unseren Schulen dar, sondern bestimmt maßgeblich den schulischen Alltag und begründet ein untragbares Abhängigkeitsverhältnis zwischen Lehrern und Schülern. Mindestens 50% der Gesamtnote hängt davon ab, wie oft man seinen Finger in einer 45-minütigen Stunde in die Luft hält. Nicht selten sind es sogar 70%, welche der Willkür des Lehrers unterworfen sind. Ich habe die Schule vor nunmehr fast einem Jahr, mit dem Abitur in der Tasche, verlassen können und bin jeden Tag glücklich, diesen Ort der blinden Willkür, Anbiederung und Abhängigkeit nie wieder betreten zu müssen. Schon zu Schulzeiten war es für mich unbegreiflich, warum den Lehrern diese Form der Macht über die Schüler gegeben wird.

Die Folgen, Konsequenzen und vermeintlichen Vorteile habe ich 7 Jahre lang auf dem Gymnasium täglich beobachten und selbst erfahren müssen. Aber was spricht überhaupt dafür, Lehrern einen so großen subjektiven Bewertungsspielraum einzuräumen? An erster Stelle wird gerne angeführt, dass es in der Schule nicht nur um Wissensvermittlung geht, sondern auch menschliche Komponenten berücksichtigt werden müssen, wie die Sozialkompetenz, die Teamfähigkeit, oder das Engagement. In meiner Schulzeit habe ich wohlbemerkt zu jedem Zeugnis noch ein zusätzliches „Sozialzeugnis“ bekommen, in welchem eben diese Kompetenzen bewertet wurden – und trotzdem durfte sich mein Physiklehrer 70% meiner Fachnote ertanzen. Dabei zeigen gerade die schriftlichen Leistungen am besten, ob der Schüler das nötige Fachwissen aufweist und im entscheidenden Moment abliefern kann. Grundsätzlich stimme ich zu, dass auch menschliche Aspekte in der Schule Berücksichtigung erfahren sollten. Allerdings sollte dabei keinesfalls vergessen werden, was schlussendlich der wesentliche Auftrag der Schulen ist: das Lehren und Lernen. Die Erziehung und Sozialisierung ist in allererster Linie Aufgabe der Eltern – auch wenn unsere Regierung konsequent versucht, sich dieses Privileg der Eltern peu à peu durch absurde Lehrpläne zu eigen zu machen.

Die Bewertung der „sozialen Mitarbeit“ führt zu einer bodenlosen Vernachlässigung des Lehrauftrags, sowie der Lernwilligkeit der Schüler. Schüler merken schnell, ob die notwendige Sympathie von Seiten des Lehrers vorhanden ist, um die gewünschte Note zu erzielen. Es ist demensprechend frustrierend, wenn man von vorherein weiß, dass man seine hart erarbeitete schriftliche Note nie auf dem Zeugnis bewundern wird, weil die Chemie zwischen Lehrer und Schüler einfach nicht stimmt. Ich möchte Lehrern nicht generell unterstellen, ihre Lieblingsschüler zu gut und andere extra schlecht zu bewerten – wobei auch das keine Seltenheit ist. Das ein subjektiver Eindruck des Lehrers von dem jeweiligen Schüler allerdings immer Ausschlag in der mündlichen Note findet, ist nicht von der Hand zu weisen. Menschen können nicht absolut objektiv sein und es ist närrisch absolute Objektivität von ihnen zu fordern – doch ebendiese Objektivität setzt das schulische Bewertungssystem voraus. Darüber hinaus ist zweifelhaft, wie fundiert der Eindruck eines Lehrers von einem Schüler überhaupt sein kann, welchen er 45 Minuten in der Woche in einem Meer von 30 weiteren Schülern zu Gesicht bekommt. Da ist es nicht sonderlich verwunderlich, dass er am Ende des Jahres von dem ein oder anderen noch nicht einmal den Namen kennt.

Die allermeisten Schüler werden bei der obligatorischen Notenbesprechung vor den Zeugnissen folgenden Satz gehört haben: „Du bist leider ein wenig zu still“, oder „Ich gebe dir dieses Mal nur eine drei, um dich für nächstes Jahr zu motivieren“. Was maßen sich die Lehrer eigentlich an, Schülern aufgrund ihres Bewertungsspielraums, eine schlechtere Note zu geben – zur Motivation?! Ganz abgesehen davon, dass diese Motivationsstütze ihren vermeintlichen Zweck in den seltensten Fällen erfüllt. Früher oder später geht es allerdings nicht mehr nur um die Frustrationsgrenze der Schüler, sondern um die Bewerbung an einer weiterführenden Schule, oder einer Universität. An dieser Stelle entfalten die 50% oder 75% Bewertungsspielraum ungeahnte Möglichkeiten der nachhaltigen Diskriminierung von ruhigen und zurückhaltenden Menschen.

Das System geht zu Lasten der „zu stillen“ Schüler, von welchen der Großteil sich schlichtweg nicht in übertriebener Selbstdarstellung und Aufmerksamkeitserregung selbstverwirklichen kann und will. Es gib nun einmal extrovertierte und introvertierte Menschen. Warum muss die eine Gruppe in der Schule konsequent und systematisch benachteiligt werden? Wir erziehen in Schulen Labertaschen, Schleimer und Ichdarsteller heran. Das meistedessen, was im Unterricht von den großen Mitarbeitern zum Besten gegeben wird, bringt weder den Unterricht noch sie selbst in fachlicher Weise oder sonst irgendjemanden weiter, denn Quantität geht vor Qualität und wird mit guten Noten belohnt. Ziel der Schüler ist es dementsprechend, eine Dauerpräsenz aufrecht zu erhalten, damit der Lehrer sich am Ende des Schuljahres doch noch an ihren Namen erinnert.

In den letzten beiden Schuljahren, die ja für das Abitur zählten, habe ich ein mir zuvor völlig unbekanntesBuhlen um die Zuneigung der Lehrer erleben müssen. Mich selbst kann ich an dieser Stelle fairerweise nicht ausnehmen. Wie die meisten meiner ehrgeizigen Freunde, hatte ich einen bestimmten Notenschnitt zum Ziel, den ich für mein Wunschstudium erreichen musste und gute Noten sind bekanntermaßen gleichbedeutend mit der Beliebtheit bei den Lehrern. Schriftlich eine 5 zu schreiben ist kein Problem, solange der Lehrer dich aufgrund herausragender mündlicherBeteiligung noch auf eine Gesamtnote von 2 emporheben kann. Da erscheint es effizienter, seine Zeit und Energie in die Meinung des Lehrers, statt in das Pauken von Fachwissen zu stecken. Es war nie so leicht, ein sehr gutes Abitur zu machen, ohne jemals den Dreisatz verstanden- oder Faust gelesen zu haben.

Ehrgeizige Schüler glänzen vorrangig nicht mehr durch Wissen oder Leistung, sondern dadurch, zu wissen, was der Lehrer hören möchte und die Meinung des Lehrers stets schmeichelnd zu bestätigen. Und jene uninteressierten und auch schlechten Schüler, welche früher als Zappelphillips und Quatschtanten in die Geschichte eingingen, profitieren heute von ihrer extrovertierten Natur und werden auf Kosten der Lernwilligen trotz unterdurchschnittlicher Leistungen von unserem Schulsystem mitgetragen. Das Ergebnis sind Massen von Abiturienten aus einerseits ungebildeten Dauerquatschernund andererseits anbiedernden autoritätshuldigenden jungenMenschen, welche allesamt zu den Universitäten pilgern, um unbedingt zu studieren.

Wir haben aus unseren Schulen vor vielen Jahren den Leistungsgedanken verbannt und züchten obrigkeitshörende unreflektierte und unkreative Menschen heran, denen nie gelehrt wurde, selbstständig zu denken und zu hinterfragen. Es ist daher mehr als überfällig, die Gewichtung der mündlichen Noten stark zu reduzieren und irgendwann ganz abzuschaffen, sodass eine Abhängigkeit der Schüler von den Lehrern die Lehrer nicht mehr von ihrer Lehrpflicht befreit und den Schülern nicht mehr die Lernbereitschaft raubt.