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Das große Apollo-Halloween-Battle

Lesen Sie hier: Das große Debattenduell. Halloween-Basher Sven gegen Halloween-Enthusiastin Laura. Ist Halloween wirklich das billige amerikanische Importfest für das es von vielen gehalten wird oder gibt es doch gute Gründe, Halloween zu feiern? 

ACHTUNG: Dieser Beitrag könnte Spuren von Humor enthalten. Weder verbitterte Halloween-Hasser noch -Fans wurden bei der Produktion dieser Kolumne ernsthaft verletzt. Dieser Austausch spiegelt in keiner Weise das Arbeitsklima bei Apollo News wieder, sondern dient schlichtweg Unterhaltungs- und Ausbildungszwecken. Seelsorgerische Unterstützung stand den Autoren zu jeder Zeit zur Verfügung.


HALLOWEEN-BASHER SVEN:

Von Sven Justin Verst | Ach Halloween, ein Fest für Kinder und große Kinder die sich besaufen. Ein weiterer toller amerikanischer Exportschlager. Nein meine liebe Laura, damit eröffne ich nicht meinen Kreuzzug gegen dieses unheilige Fest und die europäische Herkunft ist mir bewusst. Doch leider hat das heutige Halloween hat nicht mehr viel mit seinem Ursprung gemein, aber dazu später mehr. Mittlerweile ist es ein weiteres Fest in jedem säkularen Kalender. Wenn man über Halloween spricht, muss man sich erst mal darauf einigen, worüber genau man überhaupt spricht. Denn dieses „Fest“ hat zwei Seiten. Einerseits ist es ein Familienfest, eher ein Kinderfest, an dem man sich verkleidet (als Kind) und durch die Nachbarschaft zieht, um Süßes zu ergattern (als Kind). Auf der anderen Seite haben wir die Partymäuse, welche es als perfekte Gelegenheit sehen, sich mal wieder würdelos in den Vollsuff zu stürzen. Auch sogenannte Erwachsene (große Kinder) verkleiden sich gerne dafür. Es ist quasi der Karneval bzw. Fasching des Herbstes.

Zum kindlichen Halloween möchte ich gar nicht viel Negatives schreiben. In der Tat lassen sich sogar Vorzüge erkennen. Kinder lernen eigenständig von Haus zu Haus zu ziehen. Allerdings ist dies nur in sicheren Nachbarschaften möglich. Auch der Konsum an Süßigkeiten ist wie an Karneval, besorgniserregend.

Als Teil des Teams: „Trinken ja, Kotzen bah!“, finde ich die alljährlichen Sauforgien zu solch Anlässen wie Halloween, aber auch Karneval eher abschreckend. Alles ist in Maße zu genießen. Leider ist der Koma Suff kein Feiertag exklusiver Sport, sondern findet auch an anderen Tag statt. Aber was stört mich dann? Der Gebrauch von Feiertagen als Ausrede zum Trinken. Seit Jahren nervt es mich, dass Menschen Feiertage als Ausreden für ungesunden Alkoholkonsum vorschieben. Wenn du dich bis zur Kloschüssel besaufen möchtest, tu dies, aber lass den armen Feiertag in Ruhe. Trinkt einfach auch an anderen Tagen unter der Woche, am Wochenende oder auf der Arbeit. Denn wie wir alle wissen: Deutschland wird (auch) an der Theke verteidigt!

Genug Alkohol. Verkleiden. Wunderbar für Kinder. Peinlich für Erwachsene. Gleich vier Probleme werden direkt klar, für jeden was dabei, vielleicht auch für dich Laura. Alle paar Jahre gibt es einen Film oder eine Serie, welche eine perfekte Kostümidee bietet. Weil wir in unserer individualistischen Massengesellschaft so originell sind, verkleidet sich dann jeder als… was war es zuletzt, Hailey Quinn?! In dem Jahr sahen die werten Damen alle gleich aus, nicht dass sie sonst mit ihren weißen Adidasschuhen, blauen Jeans und schwarzem oder weißem Oberteil mehr Vielfalt anbieten würden. Als Argument für die Feminist:innen, welche Apollo vermutlich eh nicht lesen, biete ich noch die Sexualisierung der weiblichen Kostümmöglichkeit zur Kritik an. Sexy Krankenschwester, sexy Katze, sexy Devil, sexy Hotdog, sexy Grandma, die Liste ist endlos. Sexy everything, bis du eine kalte Bierdusche bekommst oder mit dem geliehenen Kostüm in Kotze trittst.

Die zwei weiteren Probleme sind genereller. Zunächst einmal haben wir die Kommerzialisierung von Halloween. Die Menge an Müll, die jährlich in Halloweenoptik produziert wird, ist erstaunlich. Braucht es eine Tasse mit Kürbissen drauf? Braucht die Snapchat-Karte diese Augenkrebs verursachende Umgestaltung? Anscheinend schon, sonst wären sie nicht auf dem Markt. Damit endet das Argument für Planwirtschaft aber auch. Dabei bin ich eigentlich ein Freund des Herbstes, endlich wieder einen schicken Mantel tragen, ein wenig spazieren gehen, von einem Schauer überrascht werden und sich anschließend mit einem Tee ins Bett kuscheln. Wunderbar und es alles funktioniert ohne spooky season Ästhetik.

Zuletzt lässt sich der Punkt anführen, auf den streng religiöse Leser gewartet haben. Halloween zelebriert das Böse. Es wird sich als Teufel verkleidet oder andere düsteren Figuren aus der Mythologie. Eine komplette Verdrehung des eigentlichen Feiertages. Denn seinen Ursprung und auch Namen hat Halloween vom christlichen Feiertag Allerheiligen. Aus All Hallows Eve, also dem Allerheiligen Abend, wurde Halloween. So wurde ein Abend, an dem Toten gedacht werden sollte zu einem an dem als sexy Teufel verkleidet bis in den Tod gesoffen wird.

Trotzdem werde ich mich ein wenig vorbereiten, ganz ohne Eigennutz ein paar Süßigkeiten kaufen, falls dann doch mal ein Kind klingelt. Und wenn sie nicht klingeln, verarbeite ich meinen Frust auf keine Halloweenparty eingeladen geworden zu sein mit einer ungesunden Menge an Twix-Riegeln.


HALLOWEEN-ENTHUSIASTIN LAURA:

Von Laura Werz | Lieber Sven, grundsätzlich verstehe ich ja deine Abneigung gegenüber Halloween. Viele Kritiker betrachten es als Ausgeburt des amerikanischen Kulturimperialismus. Ich stehe amerikanischen Einflüssen und der amerikanischen „Kultur“ selbst kritisch gegenüber und schätze unsere europäisch-christlichen Werte und Lebensweise sehr. Halloween als amerikanischen Importschlager abzutun ist aber zu kurz gegriffen und wird diesem Fest, dass auch unseren europäischen Oktober bereichert, nicht gerecht.

Die Wurzeln von Halloween liegen (sowie die Wurzeln von fast allem amerikanischen, dem man etwas abgewinnen kann) im guten alten Europa. Ja, richtig gehört. Ob du es mir glaubst oder nicht, Halloween ist kein reiner „Amimüll“ der nur über Kommerz den Weg zu uns gefunden hat. Da du an dieser Stelle wahrscheinlich schon die Augen verdrehst helfe ich deinen Geschichtskenntnissen mal auf die Sprünge. Halloween selbst entstand in Irland und hat einen christlichen Ursprung. Oft wird sogar ein noch älterer, keltischer Ursprung vermutet. Die Kelten, die zwischen 800 und 25 v. Chr. Auf den britischen Inseln lebten, feierten Ende Oktober das Fest Samhaim. Man glaubte daran, dass zu dieser Zeit eine Verbindung zwischen der Welt der Toten und der Welt der Lebenden entstünde. Später vermischten sich unter römischer Herrschaft das römische Totenfest und Samhain. Interessant wird es aber insbesondere, wenn wir auf den Ursprung des Namens „Halloween“ eingehen, der einen christlichen Ursprung hat. Aus „All Hallows‘ Eve“ – dem Abend vor Allerheiligen – wurde mit der Zeit „Halloween“. Die irischen Auswanderer brachten den Brauch schließlich nach Amerika, wo er sich weiteretnwickelte. Während man in Irland Kerzen in ausgehölten Rüben vor die Tür stellte, wurden in Amerika geschnitzte Kürbisse kultiviert. Kürbisse waren schlichtweg leichter zu bekommen als Rüben. Dass die Tradition nach Süßigkeiten zu fragen aus Amerika stammt, liegt wohl auf der Hand. Nichtsdestotrotz ist das Von-Tür-zu-Tür-Gehen der Kinder eine bereichernde und kommunikative Tradition, die es doch wert ist, übernommen zu werden. Und jetzt mal im ernst: an einem Tag als Kind mehr Süßigkeiten zu essen als normalerweise (wenn die heutigen Chia-Samen-Work-Life-Balance-Übermütter das überhaupt zulassen sollten) hat noch kein Kind umgebracht.

In Deutschland tauchte die neue Tradition verstärkt in den 90ern auf und wurde insbesondere durch Film und Fernsehen nach Europa gebracht. Ich kann dir Recht geben, dass natürlich marktwirtschaftliche Interessen dahinterstanden. Auch Süßwaren- und Kostümhersteller förderten den Trend in Deutschland aus wirtschaftlichem Eigeninteresse. Aber was ist denn dagegen auch einzuwenden? Du wünschst dir doch auch eine fluktuierende Marktwirtschaft, oder nicht? Schließlich profitieren nicht nur die Hersteller. Angebot und Nachfrage – die Nachfrage nach den Süßigkeiten, Kostümen und Gruselfilmen ist nicht ohne Grund da. Übrigens schätze ich saisonale Tassen sehr und hole sie Jahr für Jahr wieder aus den hinteren Ecken meines Schrankes hervor.

In Europa haben wir neben Halloween kein Fest in der Herbstzeit. In Amerika wird mit Thanksgiving im Herbst das Fest des Jahres gefeiert. Es ist aber offenkundig verfrüht, sich bereits im Oktober auf unser Jahreshighlight Weihnachten einzustellen. Bevor man die Lichterketten rausholt, wäre es doch schön, auch die bunten Blätter, das kühlere Wetter und den Herbst zu feiern. Und wie ginge das besser als mit einem eigenen Fest?

Halloween ist in diesem Sinne nicht nur ein wunderbares Event für die Kleinen, sondern das einzige Event der ganzen Jahreszeit. Und bevor du mir jetzt mit dem Martinstag kommst: so sehr ich diesen Tag auch liebe und mit guten Kindheitserinnerungen, Martinsfeuer und Martinshörnchen verbinde: 1. spielt der Feiertag in vielen Teilen des Landes keine Rolle, 2. stellt er kein vergleichbares Event für Kinder dar und am allerwichtigsten 3. hat er nicht das Potential eine ganze Saison zu prägen, wie Ostern, Weihnachten oder eben auch Halloween. Auch das Potenzial von Karneval ist schnell erschöpft, immerhin kennen die meisten Norddeutschen den Brauch nur von der Bolognese am 11. 11. aus der Grundschule. Für Erwachsene muss Halloween außerdem nicht auf den Anlass zum Trinken, der es für manche wenige leider wirklich ist, reduziert werden. In erster Linie ist Halloween ein Fest für die Kinder. Aber auch Erwachsene nehmen den 31. Oktober gerne zum Anlass einen gemeinsamen Abend mit schaurig-schöner Halloweenatmosphäre zu verbringen und mit ihrem Kostüm noch mal das innere Kind auszuleben.

Du siehst Sven, Halloween hat auch in Europa eine Daseinsberechtigung verdient. Als Fest, das unabhängig von Konfession, Kultur und Alter gefeiert werden kann, hat es Potential den teils so grauen und dunklen Herbst aufzupeppen und festlicher zu gestalten. Warum sollten wir uns in Europa dieses Spektakel nehmen lassen, nur um uns auf „die konservativen Werte“ zu besinnen?

Das kann schnell in unbegründete Ablehnung alles Neuem ausufern. Wir sollten Kulturimporte kritisch betrachten und hinterfragen um uns anschließend zu überlegen, ob wir die Bräuche übernehmen möchten oder nicht. Eine kategorische Ablehnung ist schlichtweg kurzsichtig. Und bei Halloween sprechen die besseren Gründe schlichtweg für die Übernahme dieser Tradition. Lieber Sven, ich wünsche dir wirklich, dass du am 31. Oktober von deinem nationalhistorischen Ross absteigen kannst und dir den weiteren Feiertag nicht von deinem Antiamerikanismus nehmen lässt, sondern einen guten Gruselfilm bei Kürbissuppe und Süßigkeiten schaust.

 


„Cleverländ“ – Waschlappen-Kretschmann gibt wieder Energiespartipps!

Von Pauline Schwarz | Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist nicht nur der Mann mit dem lustigen Bürstenhaarschnitt, er ist auch der wohl cleverste Energiesparfuchs. Schon in den 1980er Jahren revolutionierte Kretschmann die Klosettspülung mit seiner Forderung nach zwei Knöpfen – „viele haben damals gelacht, aber dieses Sparprinzip hilft uns heute allen“. Deshalb ist er nun zurück, um uns alle mit seinen Tipps zu erleuchten. Im Zuge seiner neuen Kampagne „CLEVERLÄND“ zeigt der Mann, der etwa 20.000 Euro im Monat verdient, wie der Otto-Normalbürger Energie sparen kann. Nicht nur für den eigenen – vergleichsweise wohl eher mickrigen – Geldbeutel, sondern auch aus Solidarität mit der Ukraine und für die Rettung des Klimas.

„CLEVERLÄND“ bietet dabei mehr als nur Mut zum stinken, wie ihn uns Waschlappen-Kretschmann schon in der Vergangenheit vorgelebt hat. Unterstützt wurde er damals von seiner Parteikollegin und Bürgermeisterin von Berlin, Bettina Jarrasch – sie outete sich morgens nur Katzenwäsche zu machen und brach damit eine weitere Lanze für die Fraktion Waschlappen statt Duschen.

Clever-Kretschmann im Einsatz – Screenshot via YouTube

In seinem Videostatement appelliert Kretschmann nun an die Bürger, dass wenn alle soldarisch sind und gemeinsam an einem Strang ziehen, auch Kleinvieh Mist macht: „Einfach vorm ins Bett gehen den Thermostat runterdrehen“, sagt er – „Ein Grad weniger heizen spart sechs Prozent Energie; zwei Grad weniger sparen zwölf Prozent; vier Grad schon ein Viertel der Heizkosten.“ Frieren lohnt sich also – zu hohe Raumtemperaturen seien sowieso nur ungesund und steigern die Gefahr von Erkältungen.

Aber das ist noch nicht alles: Kretschmann hat gleich 34 „clevere“ Tipps und zahlreiche weiterführende Links für uns parat. Halten Sie sich fest: Einfach beim Heizen die Türen schließen, Topfdeckel auf die Töpfe und mit Fußpower „Kalorien- statt Spritverbrauch“. Legen sie Brötchen nicht in den Ofen, sondern auf den Toaster und sparen Sie damit unglaubliche 40 Cent pro Frühstück! Dann noch ein bisschen „Stand-by-bye“ hier und ein bisschen „Watt denn?“ da und schon klingen sie nicht nur so charmant und witzig wie die Baden-Würtembergische Regierung, sondern haben auch richtig Geld gespart! Wer braucht da noch bezahlbaren Strom durch fossile Energie?

Also: Seien Sie clever, hören sie auf auf den Mann mit dem Waschlappen und holen Sie sich auf der großen Cleverländ-Tour jede Menge Energiesparwissen „to go“!


Sommer, Sonne und Bikini im Freibad? – Das war einmal.

Von Pauline Schwarz | Ich bin als Kind für mein Leben gerne baden gegangen – vor mir war kein Swimming Pool, kein Froschteich voll Entengrütze und nicht mal eine große schlammige Pfütze sicher. Das mit den Pfützen war aber eine ziemlich schmutzige Angelegenheit und die Entengrütze wieder aus den langen Haaren zu kriegen für meine Mutter jedes Mal eine ziemliche Herausforderung. Also hieß es bei gutem Wetter: Ab ins Freibad! Und ich hatte Glück – das nächste Bad war grade mal zehn Minuten mit dem Auto entfernt. Grüne Wiesen, drei große blaue Becken: eine richtige Oase mitten in der Hauptstadt – zumindest am Anfang. Umso älter ich wurde, desto mehr entpuppten sich die Berliner Bäder als Albtraum.

Das erste Mal, als ich zu spüren bekam, dass das Freibad mehr und mehr zu einem Spießroutenlauf mutierte, war ich vielleicht sieben-acht Jahre alt und wollte mich mit meiner Freundin grade gemütlich ins Kinderbecken setzen, um ein bisschen herum zu planschen. Bevor wir auch nur einen Fuß ins kühle Nass setzen konnten, baute sich aber ein mindestens zehn Jahre älterer türkischer oder arabischer junger Mann vor uns auf und zischte „nich für euch, verpisst euch“. Etwas verängstigt und verwirrt gingen wir zurück – ein anderer Junge hörte nicht sofort, wollte sich an dem Mann vorbei stehlen und wurde dafür brutal zu Boden gestoßen. Während wir etwas traurig die ausgelassene Männerrunde im Kinderplanschbecken beobachteten, ahnten wir noch nicht, dass uns an der Rutsche ein paar Meter weiter dasselbe passieren sollte.

Ab diesem Tag wurde es ungemütlich. Wir bekamen keinen Platz mehr am Beckenrand, weil unsere Sachen einfach weggenommen und achtlos in irgendeine Ecke geworfen wurden – first come first serve war einmal, jetzt galt das recht des Stärkeren. Auf der ehemals schönen Wieso etwas weiter wollte man seine Tasche aber auch nicht liegen lassen, weil man seine Wertsachen sonst nie wieder zu Gesicht bekam. Das schöne grüne Fleckchen vermüllte zunehmend, im Becken schwammen nicht nur Pflaster und Zopfgummis, sondern immer wieder Fäkalien.

Ich versuchte mit meinen kleinen Freunden damals auf andere Freibäder in der Nähe auszuweichen, aber auch da war die Lage nicht besser, sondern eher noch schlechter. Im berühmt berüchtigten Columbia-Bad in Neukölln durften die Kinder nicht mehr auf den Sprungturm, weil er von jungen ausländischen Männern belagert wurde. Sie machten Hahnenkämpfe, denen wir nur hilflos zusehen konnten – wir und der Bademeister, der seine Ordnungsfunktion aufgrund der Übermacht schon lange aufgegeben hatte.

Die jungen Männer pöbelten und schubsten sich zum Spaß gegenseitig herum. Solange, bis die Lage eskalierte – und das konnte sehr schnell gehen. Sobald man irgendwo die Worte „deine Mutter“ hörte, hieß es: schnell weg, gleich bricht die Hölle los. Und das tat sie. Aus dem Streit zweier Hitzköpfe wurde in Sekunden eine brutale Massenschlägerei, in der nicht selten auch Messer zum Einsatz kamen. Dann mussten tausende Badegäste das Gelände per Flucht verlassen – und so geht das bis heute, jedes einzelne Jahr. Immer wenn ich mit dem Auto den Columbiadamm herunterfahre, warte ich nur darauf die Sirenen zu hören und die panischen Badegäste aus dem Gelände strömen zu sehen.

Als ich in die Pubertät kam, war es mit mir und den Freibädern dann endgültig vorbei. Ich war grade mal elf Jahre alt und wusste selbst noch nicht so richtig, was mit mir und meinem Körper passierte – aber ich spürte die Blicke. Und nicht nur die. An einem Tag bin ich innerhalb von grade mal zehn Minuten erst von einem Mitzwanziger und dann von einem zehn-Jährigen brutal im Schwimmbecken begrapscht worden. Das war nicht das erste und nicht das letzte Mal, dass ich diese Erfahrung machen musste – aber das letzte Mal, dass ich ein Freibad von innen gesehen habe.

Ab diesem Tag hatte ich nicht mehr das Gefühl, dass ich als junges Mädchen die Freiheit hatte, in einem Bikini oder zu kurzen Röckchen rumzuspringen, ohne dass ich in bestimmten Gegenden oder an Orten wie dem Freibad Konsequenzen fürchten musste. In Kreuzberg propagierte zwar jeder den freien Körper Kult, die Gleichberechtigung und den Feminismus, die Lebensrealität sah aber zunehmend anders aus.


Meine Grundschulzeit – ich habe vielleicht nicht viel gelernt, aber dafür lauter tolle Zertifikate

Von Pauline Schwarz | Meine Einschulung war für mich ein großer Tag – und das nicht nur wegen der gigantischen Schultüte mit all den köstlichen kleinen Leckereien, die ich mir erhoffte. Ich hatte ein Jahr lang meine ältere Schwester genervt, ob ich nicht auch mal ihre Hausaufgaben machen könnte, und nun stand ich endlich davor, auch zu den Großen zu gehören, und meine eigenen Schulaufgaben zu kriegen. Ich war wahnsinnig aufgeregt und hatte ziemlich Angst, als ich das große Schulgelände betrat – alles war neu, voller fremder Kinder und Erwachsener. Während ich mich fest an meine Schultüte klammerte und versuchte, mich zu entscheiden, ob ich das jetzt schrecklich oder schön finden sollte, kam ein fremder Erwachsener auf mich zu und drückte mir als Einschulungsgeschenk eine grüne Brotbüchse mit der Aufschrift „Bündnis 90 – Die Grünen“ in die Hand. Damals konnte ich mit dem Namen nicht besonders viel anfangen – dieses kleine Geschenk sollte aber symbolisch für die nächsten sechs Jahre meines Lebens voll von Öko-Propaganda, Esoterik und blindem Toleranzgehabe stehen.

 

Inklusion um jeden Preis

Meine Grundschule galt damals als eine der besten Schulen Kreuzbergs und rühmte sich „so bunt, lebendig und vielfältig“ zu sein, wie der Kiez um sie herum. Ich verstand das Konzept einer Inklusionsschule mit meinen sieben Jahren noch nicht, wusste aber, dass wir eine „Schule für alle“ waren. Dass mindestens die Hälfte meiner Klassenkameraden ausländische Wurzeln hatte, wunderte mich nicht – als Kreuzberger Zögling war das für mich das normalste der Welt. Und alle, das waren eben alle aus meinem Kiez. Ich sollte aber schnell lernen, dass „alle“ nicht nur verschiedene Herkünfte und Einkommensklassen meinte. Es bedeutete, dass in jede einzelne Klasse mehrere verhaltensauffällige Schüler und mindestens ein geistig oder körperlich schwer behindertes Kind gesteckt wurden. Dann sollten wir zusammen Unterricht machen, als gäbe es keinerlei Unterschiede zwischen uns – doch das fiel mir, zumindest am Anfang, sehr schwer.

Das behinderte Mädchen in meiner Klasse konnte weder sprechen, noch laufen. Sie konnte kaum ihren Kopf grade halten oder ihren Mund schließen und schrie manchmal plötzlich völlig unverständlich herum – das machte mir Angst. Ich hatte in meinem kurzen Leben noch nie mit einem so schwer behinderten Menschen zu tun, wusste nicht, was das bedeutet, und wie ich damit umgehen sollte. Doch danach fragte mich niemand. Ich sollte mich, wie jeder in meiner Klasse, ab sofort und teilweise auch ohne die Hilfe von Erwachsenen um das Mädchen kümmern. Den „Selin-Dienst“, wie wir ihn nannten, fand ich am Anfang grauenhaft. Ich war dazu verdonnert, Zeit mit einem Kind zu verbringen, mit dem ich nichts anfangen konnte – wir konnten uns weder unterhalten, noch toben oder zusammen malen. Und nicht nur das: Ich musste ihr helfen, zur Toilette zu gehen, und ihr Essen geben, dass sie mir -unbeabsichtigt- wieder entgegen spuckte – ich fand das, um ehrlich zu sein, ziemlich eklig und verinnerlichte statt Toleranz immer mehr Abneigung durch meinen Zwangsdienst. Aber trotzdem gewöhnte ich mich daran und war irgendwann sogar richtig scharf darauf – denn dann durfte man endlich auch mal Fahrstuhl fahren und gratis in der Mensa essen. Um Selin ging’s dann zwar kein bisschen, aber so erkauften sich die Lehrer unsere Mitarbeit.

 

Staatlich zertifizierter Gemüseaktivist

Rückblickend bin ich ziemlich erstaunt, dass wir für unseren unermüdlichen Einsatz und die stupide Gleichmacherei damals keine Urkunden zum vollausgebildeten Integrations-Schüler bekommen hatten – sowas bekam man an meiner Schule nämlich wirklich für jeden Scheiß. Nur nicht für sinnvolle Dinge, wie eine erfolgreiche Mathe-Olympiade oder hervorragende sportliche Leistungen. Aber wer brauch sowas auch? Statt Mathe hatten wir vom Senat geförderte „Schulobst- und Gemüseprogramme“. Um unsere Auszeichnung zum „5 am Tag“-Kid zu bekommen, wurden wir eine Woche lang durch die Bio-Höfe und Markthallen unserer Stadt gejagt. Ich musste mir zig Vorträge darüber anhören, welche grauenvollen Krankheiten mich schon bald ereilen, dass ich fett werde und mit dreißig tot umfalle, wenn ich nicht genug Grünzeug in mich reinfuttern würde.

 

Meine neu gewonnene Leidenschaft – ich fand Gemüse zwar immer noch widerwärtig, aber die Urkunde klebte immerhin ein paar Tage lang in meinem Zimmer – sollte ich dann kurze Zeit später mit der Teilnahme am Wettbewerb „Bio find ich kuh-l“ beweisen. Bei dem vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz ausgerichteten Schülerwettbewerb stellte sich meine Klasse dem bundesweiten Wettkampf um das beste Öko-Propaganda-Video. Wir fuhren für unsere Aufnahme extra zum Bio-Bauernhof in Dahlem und ließen uns dort zunächst in Stimmung bringen – wir liefen herum und bekamen ausführlichste Informationen darüber, wie man die armen kleinen Tierchen in der Massentierhaltung quälen, sie schlagen, ihnen jeden Knochen brechen und sie verelenden lassen würde. Bei den Gedanken an die kleinen lustigen Ferkelchen, die ihrer Mutter entrissen werden, und die armen putzigen Küken, die man mit Haut und Federn in den Schredder warf, brach mein kindliches Herz. Danach war ich Feuer und Flamme für das Projekt.

 

Brotbüchsenkontrolle im Spalier

Der Öko-Aktivismus meiner Lehrer beschränkte sich aber nicht nur auf Bildungsprogramme vom Berliner Senat – man setzte auf härtere Bandagen, um zu überprüfen, ob wir wirklich fest an der Gemüsefront standen. Das bedeute, dass wir uns auf Kommando alle paar Tage in Reih und Glied aufstellen und unsere Brotbuchsen vorzeigen mussten. Jede einzelne wurde streng begutachtet. Ich hatte eine höllische Angst, wenn ich bei der Brotbüchsenkontrolle dran war, denn es wurde immer mindestens ein Kind angebrüllt und vor den anderen dafür gedemütigt, dass es ungesundes Essen dabeihatte – Todsünden wie Weißbrot, Nutella oder Süßigkeiten. Meine Hände zitterten jedes Mal vor Angst, obwohl ich sowieso nur langweiliges Graubrot mit Salat in meiner grünen Brotbüchse hatte. Mir fiel jedes mal ein Stein vom Herzen, wenn meine Lehrerin nach einem skeptischen Blick weiter zum nächsten Kind schritt – und es zornentbrannt dabei erwischte, mit seinen Leckereien die Kollektivmoral der ganzen Klasse zu gefährden.

In unserem Unterricht ging es generell sehr viel um Disziplin – aber nicht um solche, die man an einer Schule erwarten und für angemessen halten würde. Ich weiß von einer Freundin aus Bayern, dass die Kinder dort immer aufstehen und den Lehrer förmlich begrüßen mussten, sobald er in die Klasse kam. Verhielt sich jemand respektlos oder machte seine Schulaufgaben nicht, gab es jede Menge Ärger. Das alles sah bei uns etwas anders aus. Leistung war nicht so wichtig, dafür legte meine Lehrerin großen Wert darauf, dass wir morgens fehlerfrei dem Sonnengott Aton huldigten. Mir wurde so intensiv eingetrichtert, dass ich die Sonnenhymne fühlen und meinem ganzen Körper präsentieren sollte, dass ich bis heute manchmal spontane Flashbacks bekomme und von meinem Ohrwurm gezwungen werde zu murmeln: „Strahlend steigst du am Rand des Himmels, Aton, der du lebst seit Anbeginn…“.

 

 

Die „Porno-Nonne“, das Chakra und die Aura

Als wäre das alles noch nicht skurril genug, sollten wir nur kurze Zeit später mit Atemübungen beginnen – die uns von der „Porno-Nonne“, einer kleinen merkwürdigen Frau beigebracht wurden. Sie hatte sich ihren Namen durch ihre Kutten-ähnliche Kleidung und die Übungen verdient, bei denen wir immer wieder in die Hocke gehen und dabei laut stöhnen mussten. Das fanden wir sehr sexuell und damit extrem peinlich – auch wenn wir mit neun-zehn Jahren in echt natürlich keine Ahnung von Sexualität hatten. Um mich aus der unangenehmen Situation irgendwie zu befreien, versuchte ich immer wieder das ganze ins Lächerliche zu ziehen, in dem ich die Übungen absichtlich falsch machte und blöde Grimassen zog. Aber das ließ ich bald wieder, denn es hagelte nicht nur der Zorn der Porno-Nonne, sondern auch jede Menge Strafarbeiten.

Was blieb mir übrig, als mich den Atemübungen und der darauffolgenden Lehre von der Energie und den Chakren zu fügen. Ich war damals mindestens genauso verstört, wie fasziniert, als die kleine graue Frau ihre Augen weit aufriss und voller Inbrunst anfing über Energiefelder zu sprechen, die wir in uns sammeln und mit viel Konzentration an unseren Nachbar weiterreichen konnten. Sie sprach von der Macht der Chakren und über die Aura, die einen jeden von uns umgibt. Unter keinen Umständen durften wir die Aura eines anderen unerlaubt berühren und verletzen – das wäre, als würden wir direkt und unerlaubt in seine Seele greifen. Wir sollten sie schätzen und respektieren.

So viel zur Theorie – in der Praxis interessierte es niemanden, ob wir uns gegenseitig respektierten oder an die Gurgel gingen. Auf dem Pausenhof gab es beinah täglich Schlägereien. Meine Lehrer wussten, dass wir uns regelmäßig zur Schlacht der Geschlechter verabredeten, wo Jungs und Mädchen gegeneinander aufmarschierten und dann aus Spaß an der Sache aufeinander einprügelten – aber es schien sie nicht zu besorgen. Ein blaues Auge, eine blutige Nase? Das sind doch nur Spielerein und hat noch keinem geschadet. Je nach Situation nahm man es mit seinen Moralvorstellungen und seinem pädagogischen Auftrag einfach nicht mehr so eng – wenn Türken und Kurden aufeinander einschlugen, kniff man einfach ganz fest die Augen und Ohren zu, tat so, als würde man nichts mitbekommen, und sang das Lied von der Toleranz. Schon war alles wieder gut.

 

Am Ende kommt die Quittung

Am Ende haben sechs Jahre links-grünes Brainwashing leider seine Spuren an mir hinterlassen – während meiner Oberschulzeit war ich eine ziemliche Nervensäge, die an jeder Ecke Rassismus und Intoleranz witterte. Und ich hatte ein Problem: Ich sollte plötzlich Englisch-Arbeiten schreiben, obwohl ich bisher nur Lieder von Farmer Richiburg und Old McDonald gesungen hatte – meine Lehrerin nahm mich damals aus der Klasse, um mir zu sagen, dass mir jegliche Grundlagen fehlten und ich den Unterricht so nicht schaffen würde. Da stand ich nun: Ich hatte all die Jahre nichts gelernt, aber dafür mindestens fünf Urkunden, die sagten, was für ein tolles Anti-Rassismus-, Vielfältigkeits- und Öko-Toleranz-Kid ich doch bin.


Lachen oder weinen? – Wie ich die Wahl-Recherche erlebte

Von Pauline Schwarz | Das am Wahlsonntag in der Hauptstadt nicht alles rund laufen würde, war wohl jedem klar. Sonst wäre Berlin nicht Berlin – vom Marathon, bei dem schon unter normalen Umständen Chaos ausbricht, mal ganz abgesehen. Das was sich am großen Wahltag dann wirklich abspielte, übertraf meine schlimmsten Vorstellungen aber bei weitem. Als ich kurz nach der Wahl die Nachrichten las, war ich schon geschockt, doch erst jetzt blieb mir wirklich die Spucke weg. Ein Blick in die Wahlunterlagen offenbarte uns das ganze Ausmaß der Berliner Wahl-Katastrophe: schlechte Planung, Personalmangel, Überforderung, absolute Ahnungslosigkeit und sogar aktiver Wahlbetrug.

Für mich persönlich fing der große Wahltag in Berlin erstmal recht harmlos an. Ich ging morgens zu dem kleinen Kreuzberger Wahllokal bei uns um die Ecke und wartete mir -wie gewohnt, denn das war nicht meine erste Wahl- die Füße platt. Nach einer halben Stunde hatte ich es bis zur Eingangstür geschafft, als mein Handy klingelte – und mir zum ersten Mal bewusst wurde, dass es nicht überall so „rund lief“ wie bei uns. Eine Bekannte von mir meldete sich aufgebracht aus dem Prenzlauer Berg, wo sie schon seit einer gefühlten Ewigkeit auf den Einlass in das Wahllokal wartete. Unter den wütenden Leuten bei ihr in der Schlange kam das Gerücht auf, dass die Letzten abends nicht mehr wählen könnten, wenn das so weiter geht. Dass sowas wirklich möglich seien würde, habe ich bis zu diesem Moment nicht geglaubt – doch Berlin hat mir meine Naivität ausgetrieben und mich eines Besseren belehrt.

Im Laufe des Tages wurden aus immer mehr Wahllokalen und verschiedenen Bezirken extreme Schlangen und Wartezeiten von mehreren Stunden gemeldet. Doch das war noch nicht alles. In mehreren Wahllokalen gingen die Stimmzettel aus, während in anderen falsche Wahlunterlagen für Unruhe sorgten und zum Teil unbedacht oder unbemerkt an die Bürger ausgegeben wurden. Neue Stimmzettel zu besorgen war aufgrund des Marathons quasi unmöglich. Am Peak der Verzweiflung versuchten Wahlhelfer mit dem Taxi oder auf dem Fahrrad neue Stimmzettel zu holen, während man in Kreuzberg den Kopierer anschmiss. Einige Wahllokale mussten über Stunden den Laden dicht machen und die Wahl unterbrechen, weshalb zahlreiche Bürger noch weit nach 18 Uhr in den Schlangen standen – zu einer Zeit, als die ersten Hochrechnungen schon veröffentlicht wurden.

Die Meldungen über Wahlpannen rissen auch Wochen nach dem Wahltag nicht ab, im Gegenteil: Es kam immer mehr ans Licht. Von nicht gekennzeichneten Schätzungen, die als Auszählungs-Ergebnisse veröffentlicht wurden bis zur Wahl Minderjähriger oder Stimmzetteln im Müll hinterm Rathaus. Bis jetzt blieb das alles aber abstrakt und anekdotisch – umso aufgeregter war ich, als wir es schafften uns exklusiv, als Erste und Einzige, einen Blick in die Berge von Wahlunterlagen zu erkämpfen. Mit einem zehnköpfigen Team arbeiteten wir ab sofort daran, das Geheimnis – oder besser: den Skandal – der Berlin-Wahl aufzudecken. Da saßen wir nun, zwischen riesigen Aktenbergen, im Herzen des Berliner Verfassungsgerichts und konnten gar nicht glauben, was sich vor uns für Abgründe auftaten. In den Zeilen der krakeligen Protokolle, die teilweise zerknüllt, teilweise unvollständig waren, stand all das geschrieben, was schon zuvor berichtete wurde – und vieles mehr. Wirklich erschreckend war aber vor allem die Dimension des Ganzen. In Kreuzberg waren in der Hälfte aller Wahllokal, die ich innerhalb von vier Stunden durchging, Stimmen ungültig, weil man den Leuten Stimmzettel aus Charlottenburg-Wilmersdorf gegeben hatte. In einem waren sogar ein Fünftel aller Stimmen ungültig. Es wurden über hundert Leute um ihr Wahlrecht betrogen – direkt bei mir um die Ecke – das hätte auch mein Wahllokal seien können.

Bei einer Akte war ich so fassungslos, dass ich meinen Apollo-Kumpel Jerome als Augenzeugen rekrutieren musste – damit er mir sagt, dass ich mir das alles nicht einbilde. Da stand doch tatsächlich, dass die Wahlhelfer vom Bezirkswahlamt die Anweisung bekommen hatten, mit den falschen Stimmzetteln aus Charlottenburg-Wilmersdorf fortzufahren. Zwei Stunden später gabs dann die Information: Kommando zurück. Alles ungültig – 82 ahnungslose Bürger verloren ihre Stimmen, nur drei kamen von sich aus zurück und konnten neu wählen. Dafür war direkt und ohne Zweifel das Bezirksamt verantwortlich, es hatte selbst dafür gesorgt, dass die Wahl irregulär weitergeführt und verfälscht wird. Während ich mir vor Fassungslosigkeit das Lachen kaum verkneifen konnte, rätselten wir im Team inzwischen darüber, was es mit dem roten Korrekturstift auf den Kreuzberger Wahlunterlagen auf sich hatte. Nach der ersten Auswertung wurde klar: Hier wurden eine beträchtliche Anzahl ungültiger Stimmen von Zauberhand wieder für gültig erklärt – organisierte sich das traditionell rot-grüne Kreuzberg so allen Ernstes ein paar zusätzliche Stimmen? Oder war es Vertuschung?

Zunächst hatten wir nur eine Ahnung, aber noch keinen Überblick. Wir wurden von der Masse an Unterlagen, Fehlern und Wahlverfälschungen in allen Berliner Bezirken völlig überflutet. Die Arbeit – bei der wir uns ständig den misstrauischen und nicht grade wohlwollenden Blicken der Mitarbeiter des Gerichts aussetzen mussten – war verdammt anstrengend und nicht gerade spaßig, trotzdem machten wir unermüdlich weiter. Denn: Jeder von uns hatte schon nach kurzer Zeit Blut geleckt. Wir waren sauer und schockiert. Obwohl wir alle schon vorher wussten, dass es viele Pannen gab, wurde das Ausmaß erst jetzt richtig klar. Jetzt war die Wahl-Katastrophe real, wir konnten sie sehen – sie lag vor uns auf dem Tisch. Ich fühlte mich zunehmend um mein Wahlrecht betrogen und fragte mich die ganze Zeit, ob meine Stimme auch für ungültig erklärt wurde. Und so ging es nicht nur mir. Wir waren uns alle einig: Die Wahl muss wiederholt werden – alles andere wäre nicht rechtens.


Timur Husein – die Einmann-Armee gegen den Kreuzberger Wahnsinn

Von Pauline Schwarz | In meinem Heimat-Ort Berlin-Kreuzberg wird seit ich denken kann traditionell rot-rot-grün gewählt – und dementsprechend leider auch regiert. Die Früchte der stolzen Koalition kann man nicht nur täglich beim Dealen an der Straßenecke beobachten, sie sind der Welt auch bei der Wahl in voller Schönheit präsentiert worden. Bei uns steckt man wertvolle Wahlprotokolle in Bierkisten, setzt auf Spontanität statt auf Planung und interpretiert Regeln und Gesetze, so wie sie einem grade gefallen. Aber das war letztlich auch nur ein kleiner Eindruck in das alltägliche Kreuzberger Chaos. Bei uns funktioniert generell nichts – außer der sukzessiven Aufmöbelung mit Straßenpollern. Und auch wenn ich bis heute jeden Tag einen hysterischen Anfall kriegen könnte – ich bin daran gewöhnt. Vor allem daran, dass die Kriminalität, der Dreck und das ganze Gesocks kaum jemanden stören. Umso irritierter war ich, als ich im letzten Wahlkampf Plakate mit der Forderung nach mehr Polizei sah. Ich dachte mir nur: Wat is denn dit für einer? Ist das Fake?


Aber das war es nicht. Der Mann, der mit seinen Plakaten den Unmut vieler Sprayer und Vandalen auf sich zog, heißt Timur Husein – und ist ein echter Polit-Rowdy. Der CDU-Mann – ja, tatsächlich scheint´s die als Kleinstpartei selbst bei uns zu geben – hat noch so veraltete Werte wie „Sicherheit“ und „Rechtsstaatlichkeit“. Außerdem liebt er anscheinend nichts mehr, als die Grünen zu ärgern – und dafür liebe ich ihn. Ständig macht der Kerl so fiese Aktionen, wie einen Schutthaufen, der sinnlos einen Parkplatz blockiert und von allen Zuständigen wegignoriert wird, zu fotografieren, dann eine Anfrage beim Bezirksamt zu stellen und darauf zu lauern, ob doch mal einer seinen Hintern bewegt und seine Arbeit macht. Im Fall des Schutthaufens wurde als Gegenmaßnahme erstmal ein Zäunchen drumgebaut – ein echtes Sinnbild für Kreuzberg und ein neuer Tweet für Timur Husein.

Ich warte bei Twitter immer richtig ungeduldig darauf, dass Herr Husein wieder zuschlägt. Egal ob es um einen fehlenden Basketball-Korb, ein kaputtes Flutlicht oder einen Berg aus 75 Tonnen-schweren Findlingen vor einem Wohnhaus geht – mir wird jedes Mal warm ums Herz, wenn ich mir die vor Wut erröteten Gesichter unserer grünen Bezirksregierungs-Vertreter vorstelle. Einmal wurde unsere letzte Bezirksbürgermeisterin, Monika Hermann, sogar richtig sauer und verpasste Herrn Husein einen kräftigen Rüffel. Der Unhold hatte einfach so Frau Hermanns geplante „psychodelische“ Stadtführungs-Prozession für schlappe 5.000 Euro abgelehnt und auf Twitter hinterfragt, wie es eigentlich um die Kreuzberger Schultoiletten steht. Frau Hermann beschwerte sich daraufhin allen Ernstes beim BVV-Vorsteher über die Vorkommnisse und mahnte zu mehr Verantwortung im Umgang mit „zum Teil sensiblen Informationen“ – drohte Husein sogar mit Ordnungsgeld.

Aber Herr Husein lässt sich nicht unterkriegen. Er hat Monika Hermann überlebt und ärgert inzwischen ihre Nachfolgerin Clara Hermann. Auch der lässt er keine „grüne Wohlfühlaktion ohne Substanz“ durchgehen – und dass selbst dann, wenn es nur um (sicherlich steuerfinanzierte) fairtrade Bezirksschokolade geht.

Der selbstständige Rechtsanwalt setzt im Gegensatz zu seinem grünen Kollegen auch auf Bürgerbeteiligung und hinterfragt die allseits propagierte Kreuzberger Sehnsucht nach autofreien Straßen. Das geplante Verbot privater Parkplätze im Gräfekiez kommentierte er gegenüber der BZ so: „Hier werden alle Anwohner für einen Versuch in Haft genommen und sollen dafür auch noch bezahlen. Ich hoffe, dass jemand dagegen klagt – ich würde ihm als Rechtsanwalt zur Verfügung stehen“ – das wäre doch mal Einsatz.

Timur Husein kämpft für das, was ich mir für Kreuzberg (unter anderem) auch wünschen würde: Weniger Kriminalität, mehr Polizei und keine sinnlose Steuergeldverschwendung. Statt bescheuerten Parkletts könnte man unser Geld zum Beispiel für die neue Polizeiwache am Kottbusser Tor – einem der gefährlichsten Orte in ganz Berlin, voller Junkies, Dealer und Taschendiebe – ausgeben. SPD, Linke und Grüne sind da nicht so „amused“, aber wie sagt Herr Husein: „Sicherheit kostet Geld, keine Sicherheit kostet Freiheit“. Und da kann ich ihm aus 26-Jahren Kreuzberg-Erfahrung als junge Frau nur aus vollem Herzen.

Ich hoffe, dass Herr Husein den Kreuzberger Grünen noch viele schlaflose Nächte bereitet. Es gibt viel zu wenig Politiker, die den Dreck auf den Tisch hauen, statt in unter den Teppich zu kehren


Orgien, Lebenslust und wilde Gelage – aber nur für die Kamera

Von Pauline Schwarz | Es ist so weit. Die Corona-Maßnahmen sind weg. Jetzt heißt es: endlich raus auf die Piste, in die Bars, Restaurants und Clubs. Also: Halleluja, wir können wieder leben! Junge Leute können wieder junge Leute sein, das Leben genießen, tanzen, feiern, trinken und lachen. Und das tun sie ausgiebig – zumindest für Social-Media. Heutzutage versucht man sich bei Instagram, TikTok, SnapChat und Co nämlich gegenseitig zu überbieten, wer am meisten Spaß oder den geileren Urlaub hat und wer die fetteste Party macht. Es geht um den perfekten Hintergrund, coole Klamotten, kurze Röckchen, Bikini-Posen, fesche Tanz-Moves und Champagner-Sausen. Das Leben ist schön – doch dann geht die Kamera aus. Plötzlich lacht keiner mehr. Jeder sitzt an seinem Handy, man hat sich nichts mehr zu sagen.

 

Das Social-Media-Universum war schon immer ein Verein von Selbstdarstellern und Realitätsaufhübschern – deshalb habe ich irgendwann selbst Facebook gelöscht. Ich war noch nie besonders fotobegeistert, hatte keine Influencer-Ambitionen und interessierte mich auch nicht dafür, was irgendein entfernter Bekannter gestern wieder Tolles gegessen hat – geschweige denn, welchen neuen kreativen Fitness-Trick er sich ausgedacht hat. So à la „ich mache Liegestütze mit meinem Hund auf dem Rücken und balanciere dabei einen Grünkohl-Smoothie auf meinem Kopf. Ich bin die Lässigkeit in Person“. Die Heuchelei ist also nichts Neues und bis zu einem gewissen Grad ist das ja auch noch okay, denn: Klar, jeder will ein bisschen cooler wirken als er ist – sei es auf Social-Media oder der Straße, wenn gerade ein interessanter Typ oder ein hübsches Mädel vorbeiläuft. Mit der Post-Corona-Lebensglücks-Darstellung haben wir aber eine neue Eskalationsstufe auf der Seht-mich-alle-an-ich-bin-ach-so-glücklich-und-toll-Skala erreicht. Denn so richtig glücklich scheinen die meisten Leute nicht – im Gegenteil.

 

Meine Feldstudie im Urlaub

Während meines letzten Urlaubs konnte ich eine kleine Feldstudie an jungen Leuten aus aller Welt durchführen – der Social-Media-Virus ist nämlich wirklich eine nationenüberschreitende Seuche. Und das Ergebnis war heftig. Ich hatte den Eindruck, dass kaum einer mehr ausgeht, um jemanden kennenzulernen, sich ein bisschen was zu trauen und auszuprobieren oder schlicht, um mit seinen Freunden einen schönen Abend zu verbringen. Eigentlich wirkten die meisten jungen Leute verdammt depressiv – sie brauchten immer erst so drei bis vier in einem Affenzahn runtergekippte Drinks, um überhaupt ein paar Worte miteinander zu wechseln. War der Kontakt-Pegel erreicht, startete man langsam, aber sicher, seinen Kampf an der Instagramm-Front. Dafür muss als erstes irgendein cooles Gimmick her, z. B. eine Shisha. Hat man seine Requisiten beisammen, wird ein Video nach dem anderen abgedreht, in dem man lässig den Rauch in die Kamera bläst, während man seine Hüften im Takt der Bässe kreisen lässt und ab und an nochmal den Arm als Party-Statement nach oben schwingt.

 

Man muss sich das so vorstellen: Da sitzen -zum Beispiel- zwei irische Jungs Anfang zwanzig mit einem blonden Mädel mit ausladendem Dekolleté und mehr als nur kurzen Röckchen am Tisch und trotzdem schenkt keiner der kurvigen Blondine Beachtung. Sie selbst beschäftigt sich auch lieber mit ihrem Handy, als mit einem der Kerle. Jeder macht für sich ein Video oder gleich einen Live-Call mit irgendeinem Freund in der Heimat, dem man zeigen will, wie neidisch er auf den Urlaub des anderen sein sollte. Das Gegenüber wird höchstens als weitere Requisite in das SnapChat-Video eingebaut – und hat damit, allen Ernstes, nicht mehr Relevanz als die Shisha. Zwischen den Videos wird kein Wort gesprochen. Es wird auch nicht mehr getanzt oder auch nur mit dem Kopf zur Musik gewippt. Schaut man sich die Gesichter der aufgestylten Jungs und Mädels genauer an, sehen sie eigentlich ziemlich traurig und fertig aus. Für sie scheint die Lösung ihrer Depression: jede Menge Alkohol und eine kräftige Portion Selbstdarstellung.

 

Ich hoffe, ihre Mütter sind zu alt, um das Internet zu benutzen

Ein anderes Musterbeispiel kam aus Italien: Ein Kerl Anfang dreißig betrat die Bar, in der ich gerade die ulkigen Iren beobachtete, mit einem Kamera-T-Shirt – ja richtig gehört. In das T-Shirt des Typen war eine Kamera integriert. Und das war nicht nur ihm, sondern auch seinen zwei torkelnden Komparsinnen, sehr bewusst und wichtig. Die Frauen konnten keine drei Meter weit laufen, ohne ihren Hintern mindestens einmal in die Kamera zu halten und ihn kräftig zu schütteln – ich dachte nur: hoffentlich sind ihre Mütter, Väter und Omas zu alt, um zu wissen, wie man das Internet benutzt. Und das dachte ich in diesem Urlaub wirklich oft, denn am Strand war es mindestens genauso schlimm, wie abends in der Bar.

 

Die jungen Leute können und wollen anscheinend selbst dort überhaupt nicht mehr entspannen – nicht mal bei Sommer, Sonne, Sonnenschein und 30 Grad am Meer. Aber wie soll das auch gehen, eine gute Story zu posten ist harte Arbeit und die Jugend von heute arbeitet wirklich rund um die Uhr. Ohne dass noch so etwas komisches, wie Schamgefühl in den Leuten hochkommen würde, wird in aller Öffentlichkeit kräftig rumposiert. Der Hintern wird über Stunden in jeder erdenklichen Pose vor dem Meer in die Kamera gestreckt, während der rekrutierte Fotograf Anweisungen gibt, wie kleine Speckröllchen am Bauch verschwinden oder der Allerwerteste noch ein bisschen runder und voluminöser aussieht. Ist unter den siebenhunddertfünfundachtzig Bildern eines, das gefällt, wird vielleicht nochmal das Gesicht abgebildet – am besten mit einem Cocktail. Bei dreißig Grad in der Sonne wird um 12 Uhr nämlich nicht selten schon das vierte Bier, die zweite Flasche Schampus oder der obligatorische Sex on the Beach geköpft.

 

Eigentlich ist es nicht lustig, sondern traurig

Solange das nicht in lautem Grölen, Gekotze und dem unerlaubten Tanz auf meinem Handtuch endet – have fun. Und ja, ich geb‘s zu: Die angesüffelt-süffisanten Instagrammer und Influencer belustigen mich bis zu einem gewissen Grad – wenn die junge spanische Chica beim Posen im Wasser über einen Stein stolpert und mit dem Gesicht voran hinein plumpst, sieht das schon ziemlich witzig aus. Und lästern tu ich als stolze Vertreterin der weiblichen Spezies eh gerne. Die ganze Sache an sich ist aber eigentlich nicht lustig, sondern traurig. Die jungen Leute von heute, vom Schulalter bis in die Dreißiger, wissen überhaupt nicht mehr, wie man im hier und jetzt, also in der Realität, lebt. Sie essen komische Dinge, die nicht schmecken und quälen sich so lange im Fitness-Center, bis sie den vermeintlich perfekten Körper haben. Den stellen sie dann im Internet zur Schau – freilich nicht, ohne noch drei Filter drauf zu klatschen, so dass man sie am Ende überhaupt nicht mehr wiedererkennt. Und dabei tun sie dann unter Zuhilfenahme von Alkohol auch noch so, als hätten sie nach dem heißersehnten Ende der „Pandemie“ nun die Zeit ihres Lebens.

 

In Wirklichkeit scheinen viele junge Leute ihre Lebenslust und Freude, sofern sie nicht schon durch Körper- oder Klimawahn ausgetrieben wurde, in den letzten zwei Jahren sozialer Isolation und Panikmache völlig verloren zu haben. Darüber täuscht auch kein aufgesetztes Lächeln, keine Bootstour auf Santorini und keine Champagner-Sause hinweg.


Der Geist des Winterkriegs

Von Pauline Schwarz | Seit Putin seine Truppen in die Ukraine einmarschieren ließ und damit den wohl brutalsten Angriffskrieg auf europäischem Boden seit Ende des zweiten Weltkriegs entfesselte, gerieten die Überzeugungen so einiger EU-Staaten ins Wanken. Während das sonst so pazifistische Deutschland plötzlich seine Bundeswehr aufmöbeln will, bröckelte in Schweden und Finnland angesichts der neuen Bedrohungslage das jahrzehntlange Festhalten an der strikten militärischen Neutralität. Entgegen allen früheren Trends, wurden die Stimmen für einen Nato-Beitritt in Politik und Bevölkerung nicht nur immer lauter, die Eintrittsanträge wurden bereits eingereicht – trotz aller Drohungen aus Moskau. In Finnland, das sich eine 1340 Kilometer lange Grenze mit dem russischen Nachbarn teilt, wurde bis vor kurzem noch im Alleingang militärisch aufgerüstet – und zurückgedacht. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar sagte Finnlands Präsident Niinistö, die gegenwärtige Lage erinnerte ihn an die Zeit vor dem Winterkrieg. Eine Zeit, als Stalin geglaubt habe, das finnische Volk spalten und ihr Land leicht einnehmen zu können. Doch das Gegenteil war der Fall: Die Finnen sind enger zusammengerückt. Sie haben ihre Gebiete, obwohl zahlenmäßig und ausrüstungstechnisch völlig unterlegen, lange, erfolgreich und bis aufs Blut verteidigt.

Stalin hatte im Jahr 1939 wohl gedacht, dass es ein Leichtes werden würde, den finnischen Nachbar zu überfallen und zu überwältigen. Nach Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Paktes im August 1939, stellt Stalin im September weitreichende Gebietsansprüche an den finnischen Staat – im „geheimen Zusatzprotokoll“ wurde nämlich nicht nur Polen unter den zwei Großmächten aufgeteilt. Estland, Lettland, später Litauen und Finnland wurden den „Interessensphären“ der Sowjetunion zugesprochen. Als die finnische Regierung die Forderungen zurückwies, kündigte Stalin am 28. November 1939 den seit sieben Jahren bestehenden Nichtangriffspakt und ließ seine Armee zwei Tage später -nach einem vorgetäuschten Überfall von Finnen auf ein russisches Dorf im Grenzgebiet- nach Finnland vorrücken. Da die Finnen sich nicht freiwillig unterwarfen, wollte er sich seine Beute aus dem Hitler-Stalin-Pakt wohl mit Gewalt holen.

Die Rote Armee überschritt die Grenze mit fast 500.000 Soldaten, 1.500 Panzern und 3.000 Flugzeugen. Finnland standen hingegen nur etwa 150.000 Mann zur Verfügung. Sie hatten nicht mehr als veraltete Geschütze, kaum Panzer und Flugzeuge – aber dafür einen herausragenden Kommandanten. Carl Gustav Emil Mannerheim war ein ehemaliger russischer General, hatte Zar Nikolaus II. bei seiner Krönung als Teil der Leibgarde zur Seite gestanden, 30 Jahre in Russland gelebt und war nun fest entschlossen sein Heimatland gegen die Invasoren zu verteidigen – als zarentreuer Offizier hatte er der Sowjetunion schon nach der Machtergreifung der Bolschewiki den Rücken gekehrt. Er war es auch, der als Oberbefehlshaber der bürgerlichen Kräfte die „Roten Garden“ im finnischen Bürgerkrieg 1918 zurückgeschlagen hatte. Danach war er kurzfristig Reichsverweser und diente ab 1933 wieder als Feldmarshall. Als die Rote Armee in Finnland einfiel, sollte er erneut zum „Retter Finnlands“ werden.

Mannerheims Truppen konnte den Vormarsch der Sowjets dank einer dünnen Befestigungslinie, die sich über die Karelische Landenge zog, nach nur wenigen Tagen aufhalten. Das einfache System aus Bunkern, Schützengräben und Drahtverhauen wurde später als „Mannerheim-Linie“ weltbekannt. Sie lief entlang des Flusses Vuoksi, dessen seeartige Ausläufer kaum von einer motorisierten Armee überwunden werden konnten. Doch allein um bis zur Mannerheim-Linie zu gelangen, brauchten die sowjetischen Truppen eine ganze Woche. Dann lief sich die Offensive fest – auch wegen des einsetzenden Winters mit bis zu 50 Grad minus. Während die kleinen finnischen Infanterie-Einheiten ausgerüstet mit Schneeanzügen auf Skiern durch die Wälder glitten, hatten die sowjetischen Soldaten weder Winterausrüstung noch Tarnanzüge. Ihre Waffen versagten, weil das Schmieröl gefror. Die Fahrzeuge verbrauchten immense Mengen Treibstoff, weil der Motor ständig am Laufen gehalten werden musste – Unmengen, die über die dünnen Nachschubwege unmöglich ersetzt werden konnten. Die Kampfmoral muss ebenfalls gelitten haben – unter der Kälte, wie unter falschen Versprechungen. Denn den Soldaten soll gesagt worden sein, dass das unterdrückte Proletariat Finnlands sie als Befreier empfangen und sich auf ihre Seite schlagen würde. Aber das Gegenteil war der Fall.

Mannerheim nutzte den taktischen Vorteil von Wetter- und Landschaftskenntnis und setzte auf die „Motti-Taktik“, bei der man sowjetische Einheiten von ihren rückwärtigen Verbindungen abschnitt und einkesselte. Die Finnen nutzen außerdem die Taktik der „verbrannten Erde“. Sie brannten ihre eigenen Dörfer nieder und zerstörten alles, was den Feinden nützlich sein könnte – selbst Nutztiere sollen mit Sprengfallen versehen worden sein. Außerdem lauerten überall Scharfschützen, die im tödlichen Weiß wohl beinah unsichtbar gewesen sein müssen. Die Finnen waren ausdauernd und einfallsreich. Eine bis heute weltbekannte Erfindung der finnischen Truppen ist eine mit Benzin gefüllte Flasche, die mit einem Stofffetzen entzündet wird – der „Molotow-Cocktail“. Für die Finnen war der Cocktail die sarkastische Antwort auf eine Erklärung des sowjetischen Außenministers Molotow, der propagierte, die sowjetischen Flugzeuge würden statt Bomben nur Brotsäcke für die arme hungernde Bevölkerung abwerfen: Zum Brot gab´s nun das passende Getränk.

Neben dem Willen und dem Einfallsreichtum der finnischen Truppen war wohl auch Stalin selbst Grund für die enormen Verluste und die -zumindest zeitweilige- Unterlegenheit seiner Truppen. Stalin hatte getrieben von seinem Verfolgungswahn im Zuge der Parteisäuberungen 1937 seinen gesamten Offizierskorps als Verschwörer und Verräter verhaften und töten lassen. Dem internen Terror fielen etwa 10.000 Offiziere zum Opfer – die Armee wurde von der eigenen Führung zersetzt. Sie soll sich davon bis zum Beginn des zweiten Weltkriegs nicht erholt haben. Den sowjetischen Soldaten in Finnland könnte es demnach an sachkundiger Führung gefehlt haben – angesichts der Tatsache, dass sie nicht mal Winterkleidung hatten, wohl nicht besonders weit hergeholt.

Erst als die Truppen der Roten Armee stark verstärkt wurden, gelang ihnen im Februar 1940 der Durchbruch der Mannerheim-Linie. Die Finnen hatten verloren – und doch gewonnen. Über 200.000 Russen sollen im Winterkrieg ihr Leben gelassen haben – wurden erschossen, versprengt oder sind schlichtweg erfroren. Auf finnischer Seite beklagt man etwa 27.000 Tote. Stalins Armee war zu diesem Zeitpunkt in so schlechter Verfassung, dass er seinen Plan, ganz Finnland wieder in die Sowjetunion einzugliedern, aufgeben musste. Er bekam eine 35.000 Quadratkilometer große Schutzzone um Leningrad. Finnland verlor damit einen Teil seines Gebiets, aber es hatte sich seine Souveränität bewahrt. Seither gilt der Winterkrieg als Sinnbild für die Schlacht von David gegen Goliath – für den Moment als Finnland dicht zusammenstand und sich auch keiner noch so großen Übermacht beugen wollte. Er steht für den finnischen Unabhängigkeitswillen.


Lambrechtorghini – die Frau, die einfach alles anpackt

Von Pauline Schwarz | Meine sehr verehrten Damen und Herren, setzen Sie sich hin und halten Sie sich fest, denn als nächstes erwartet Sie eine ganz besondere Attraktion. Nur hier, heute und bei uns präsentieren wir Ihnen die einzigartige, die herausragende, die atemberaubende, Christana Lambrechtorghini – die Frau, die mehr stemmen kann als jeder Mann und jeder andere vor ihr! Sehen und staunen Sie über ihre Kraft!

Christana, die im bürgerlichen Leben den Namen Christine Lambrecht trägt, ist in Mannheim geboren und wuchs im beschaulichen Viernheim auf – genau wie mein Vater, und damit war mir alles klar. Die „Viernemmer“ sind harte Burschen und Burschinnen. Sie san ned unbedingt die schlausten, aber anpacke könn´se. Aus Christana muschte also ane eschte Powerfrau werde. Wär se ned do her, wär beschtimmt alles anderscht kumme. Aber so konnte die bezaubernde SPD-Genossin -die im Gegensatz zu vielen Kollegen in ihrem Leben sogar schonmal einen echten Beruf, nämlich den des Rechtsanwaltes, ausgeübt hat- im Bundestag so richtig Karriere machen. Sie war Bundesjustizministerin, nach Giffey Entlassung dann auch noch Familienministerin, und wurde im letzten Jahr zur Verteidigungsministerin gekürt – und zur Stöckelschuh-Ministerin unserer Herzen.

Besonders in ihrem neuen Job muss sich Christana nun echten Herausforderungen stellen. Aber kein Problem, Frau Lambrecht packt das schon. Ukraine-Krieg? Easy, die kriegen 5.000 Helme – oder auch nicht, bzw. irgendwann später halt. Ist doch eigentlich auch egal, immerhin ist und bleibt das doch ein ganz deutliches Signal unserer Solidarität und das ist ja wohl das wichtigste. So souverän, wie Frau Lambrecht die für unser Land zutiefst peinliche Helm-Affäre schön geredet hat, agiert die Hessin auch gegenüber ihrer Truppe und hochrangigen Militärs – ja, oder auch (mal wieder) nicht, denn Christana spricht nicht so gerne mit diesen ruppigen, kahlköpfigen Männern. Sie soll sich lieber von politischen als von militärischen Beratern Tipps geben lassen. Vielleicht trägt sie deswegen selbst im Einsatzgebiet in Mali 10-Zentimeter Pumps. Ich glaube jeder Militär hätte ihr davon abgeraten, allein wegen der Skorpione – den Respekt der Truppe mal ganz außer Acht gelassen. Bei denen hatte sie mit ihrer Personalpolitik sowieso schon für „Irritationen“ gesorgt.

Aber wer wäre die große Lambrechtorghini, wenn sie sich um ihre Außenwirkung oder irgendwelche Sicherheitsvorschriften scheren würde. Was die Bundeswehrangehörigen, die nigerianischen Soldaten und die deutsche Bevölkerung denken, ist doch zweitrangig. Denn wenn das mit dem Amt alles nicht so klappt und man das vorgefunden Häufchen Elend, dass sich unsere Bundeswehr schimpft, noch weiter gegen die Wand fahren muss, sollte schließlich wenigstens das Outfit sitzen. Ob es der Zweiteiler in rosa Küchentuch-Optik oder der Rubik-Cube´s-Pump ist, Christanas Style sitzt – und sie sticht aus der Masse hervor. Sieht man sich im Vergleich die Verteidigungsminister anderer Länder an, ist sie etwas ganz besonders. Während einem beim Anblick des amerikanischen oder des russischen Verteidigungsministers angst und bange wird, denkt man sich bei Frau Lambrecht nur: „Ach die liebe Oma Christa, die hat immer so leckeren Tee und Kekse!“. Und damit versteht man auch, warum die Gute immer so hohe Schuhe trägt – ich würde vor den ganzen Militärs und hochrangigen Beamten anderer Länder, wenn ich sie wäre, auch gerne größer wirken als ich bin.

Die „Verweigerungs-Ministerin“ hat einen schweren Stand. Ihr Beliebtheitsgrad sank schneller als die Titanic, wenn sie zwei Eisberge gerammt hätte. Selbst Maggus Söder findet, dass Christana unser Land „blamiert“. Und auch „Schattenkanzler“ Scholz will die 100 Milliarden für die Bundeswehr lieber selbst verwalten, als sie in die Hände von Frau Lambrecht zu geben – vielleicht hat er Angst, dass sie passend zu den Bundeswehrtaschen und Schwangerschaftspanzern eine eigene Pumps-Collection entwickelt, statt neue Waffen oder eine gescheite Ausrüstung für die Soldaten zu beschaffen.

Christana Lambrechtorghini bleibt einzigartig – eine unserer größten Attraktionen. Sie ist die Frau, die alles anpackt und doch nichts gebacken kriegt. Sie hat die Tupperwaren-Party direkt zur Bundeswehr gebracht und der Welt eindrücklich gezeigt, dass Deutschland militärisch weder will noch irgendetwas kann. Sollte man sie tatsächlich zum Rücktritt drängen, wird sie uns für immer in Erinnerung bleiben. Allein für die Assoziationen, die sie ausgelöst hat, als sie in Litauen aus einem Militärfahrzeug stieg


Apollo History: Das Baumhaus an der Mauer

Von Pauline Schwarz | Vor bald 61 Jahren wurde die deutsche Teilung in Berlin durch Stacheldraht und festes Mauerwerk zementiert. In der Nacht zum 13. August 1961 wurden die Sektorengrenzen durch die NVA und bewaffnete Grenzpolizisten abgeriegelt. Sie rissen das Straßenpflaster auf, errichteten Barrikaden, verlegten Stacheldrahtverhaue und fuhren Geschütze und Panzer auf. In dieser Nacht begann der Bau der Berliner Mauer – einem 155 Kilometer langen steinernen Symbol des Kalten Krieges, das Ost- und West-Berliner mehr als 28 Jahre voneinander trennten sollte.

Der „Antifaschistische Schutzwall“ verlief mitten durch Berlin. Aus rein praktischen Gründen aber nicht überall exakt entlang der Gebietsgrenze. Weil man darauf verzichtete die Mauer im Zick-Zack zu bauen, entstand zwischen Kreuzberg und Mitte ein kleines Stück Niemandsland. Für die 350 Quadratmeter große Brachfläche fühlte sich niemand zuständig – Niemand, außer einem türkischen Rentner.

Osman Kalin war im Jahre 1983 gerade in Rente gegangen und laut seinem Sohn zutiefst gelangweilt. Der Mann, der immer schwer auf dem Bau geschuftet haben soll, wollte nicht rumsitzen, sondern wieder etwas mit seinen Händen tun. Also trat er vor die Tür und sein Blick viel auf die Mauer. Genauer gesagt auf einen ganzen Haufen Schrott, Schutt und Müll. Direkt vor seinem Wohnhaus lag eine kleine Verkehrsinsel – in West-Berlin und doch gehörte sie dem Osten. Man hatte die Mauer gerade entlang des Bethaniendamms gebaut und die kleine Ecke ausgespart, womit das Grundstück außerhalb der Zugänglichkeit des Ostens und außerhalb der Zuständigkeit des Westens lag. So verkam das kleine Stück Niemandsland zu einer ungepflegten Brachfläche. „Verschwendung“, hat sich Osman vielleicht gedacht. Er griff zur Tat, räumte den Müll beiseite und setzte die ersten Zwiebeln. Kurze Zeit später hatte der alte Mann mitten in DDR-Hoheitsgebiet einen großen Gemüsegarten angelegt – was ihm zu dieser Zeit noch gar nicht bewusst gewesen sein soll.

Vielleicht merkte er es erst, als DDR-Grenzsoldaten durch eine Luke oder Tür in der Mauer zu ihm herüberkamen. Es entbrannte ein Streit zwischen dem widerborstigen türkischen Rentner und einem Grenzoffizier. Mehmet Kalin, der Sohn von Osman, sagte im Jahre 2007 der alte Vater hätte den verdutzten Grenzsoldaten damals angeblafft: „Ich bin ein Nachfahre der Osmanen, der nur ein wenig gärtnern will auf seine alten Tage“. Und ob es nun genauso war oder nicht, die Grenzer ließen von dem alten Mann ab. Laut Deutschlandfunk hätten die Grenzsoldaten später vom Wachturm aus gesehen, wie West-Berliner Polizisten den alten Mann ebenfalls vertreiben wollten und waren spätestens ab diesem Zeitpunkt auf Osmans Seite – so nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Laut Mehmet habe sich sein Vater ein paar Monate später wirklich mit den Grenzsoldaten angefreundet. Sie hätten sich gegrüßt und in Ruhe gelassen – kurz vor Weihnachten soll es dann jedes Jahr Geschenke gegeben haben: „Gebäck und eine Flasche Wein“.

Im Niemandsland geduldet, baute sich der alte „osmanische Bauer“ zwischen zwei Bäumen ein Häuschen aus alten Schrott-Teilen – ein Haus, das noch immer steht und heute als „Baumhaus an der Mauer“ bekannt ist. Das Westberliner Bezirksamt soll von dem Projekt damals wenig begeistert gewesen sein und dem alten Mann gedroht haben, doch was sollten sie machen? Immerhin war das offiziell Ost-Gebiet. Also baute Osman weiter, pflanzte Kirsch- und Pflaumenbäume und legte große Gemüsebeete an. Seine Ernte verkaufte er viele Jahre auf dem Markt am Kreuzberger Maybachufer. Nach der Wende hatte man dann zunächst andere Probleme als sich um den alten Mann und sein Grundstück zu kümmern. Erst um die Jahrtausendwende wollte das Bezirksamt Mitte der illegalen Nutzung dann ein Ende setzten.

Doch Osman hatte Glück, die Grenze wurde 2004 begradigt. Sein Grundstück fiel nun in die Zuständigkeit des grün regierten Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg und das gestattete ihm das Nutzungsrecht – mit illegalen Haus- und Grundstücksbesetzern kennt man sich hier bei uns ja bekanntermaßen gut aus. Aber egal wie man das auch finden mag, das Baumhaus ist bis heute eine Touristenattraktion und ein kleiner wie skurriler Teil der Berliner Mauergeschichte.