Muss die Fünf-Prozent-Hürde weg? – das große Apollo Battle

Lesen Sie hier: Das große Debattenduell. Safety-first-Simon vs. Anarcho-Jonas. Sollte die Fünf-Prozent-Hürde zum Wohle der Demokratie abgeschafft werden? Oder stürzt das unser ohnehin schon wackeliges System nur vollständig ins Chaos? Sperr-Klausel ja oder nein – wer überzeugt Sie mehr?

Achtung: Dieser Beitrag könnte vereinzelt Spuren von Humor enthalten. Weder Stabilität-Fanatiker noch Chaos-Liebhaber wurden bei der Produktion dieser Kolumne ernsthaft verletzt. Dieser Austausch spiegelt in keiner Weise das Arbeitsklima bei Apollo News wieder, sondern dient schlichtweg Unterhaltungs- und Ausbildungszwecken. Seelsorgerische Unterstützung stand den Autoren zu jeder Zeit zur Verfügung.


Ja zur Hürde – Stabile Demokratie statt Chaos à la Weimar!

Von Simon Ben Schumann | Ich war noch nie in Thüringen – und ich bin ehrlich: bisher hat mich das nicht besonders traurig gemacht. Aber ich hab meine Meinung geändert. Denn vielleicht würde ich meinen Kollegen Jonas dann endlich besser verstehen. Die beschwingende Atmosphäre im Bundesland der Würstchen beflügelt einen bestimmt zu ein paar guten Ideen. Ich meine: gefangen zwischen Björn Höcke, DDR-Apologeten und Rostbratwürsten muss man schon kreativ sein, um nicht wahnsinnig zu werden. Während Jonas auf den endlosen Kuh-Wiesen seines einsamen Heimatdörfchens liegt und an einem Thüringer-Würschtel knabbert, kommen ihm so wahrscheinlich eine Menge Gedanken in den Sinn – ein paar gute und ein paar bekloppte. Letzteres Kaliber ist sein Wunsch nach Chaos – oder in seinen Worten: dem nach der Abschaffung der Fünf-Prozent-Hürde. 

 

Die Hürde abschaffen – das könnte fatal enden

Bevor du anfängst zu toben und mich mit einem getunten Moped über den Haufen fährst: Es gibt ein paar einzelne solide Argumente für ein Wegfallen der Fünf-Prozent-Hürde, das will ich ja gar nicht bestreiten. Aber die werden von der Gegenseite nunmal überwogen und der Rest ist Mist. Das fängt schon beim Kassenschlager Nr. 1 an: Dem Willkür-Argument. „Wer hat sich ausgedacht, dass es genau 5 Prozent sein sollen? In Österreich gibt es eine Vier-Prozent-Hürde. Warum nehmen wir nicht 4,5 oder 3,78 Prozent? Die Grenzsetzung ist doch reine Willkür!“ – Deshalb sollte man, laut Leuten wie Jonas, das Sperrquorum doch wenigstens etwas senken. Immerhin könnte man so doch mehr Vielfalt im Bundestag gewährleisten. Außerdem würden nicht-vertretene Stimmen von Wählern wieder repräsentiert, was zu weniger Politik-Verdrossenheit führen würde.

Bei genauerem Hinsehen wird jedoch klar, dass die Vielfalt in unserem 736-köpfigen Bundestag schon gewährleistet ist. In seinen Häuslichkeit findet man alles: Von Stimmungskanone Claudia Roth, über das brüll-begeisterte AFD-Mitglied Gottfried Curio, bis zu Informatikgenie Philipp Amthor, der in der Mensa versucht parteiübergreifend Mitgründer für seine neueste KI-Firma in Luxemburg anzuwerben. Damit ist doch wohl das ganze Bevölkerungsspektrum vertreten – von einem Extrem zum anderen. 

Aber Spaß beiseite: Eine bessere Repräsentation würde durch eine Absenkung der Hürde auch nicht erreicht. Wenn eine Partei die Vier-Prozent erreicht, aber nicht die Fünf knackt, wird das nach der langen Geschichte unseres Quorums als Klatsche des Wählers verstanden. Außerdem wären entsprechende Fraktionen so klein, dass sie nur wenig bewegen könnten. Der Anteil der unberücksichtigten Zweitstimmen schwankt gerade mal um die fünf Prozent, es kommt nur selten zu Ausreißern. Parteien werden durch die jetzige Sperrklausel nur in Ausnahmen ausgeschlossen.

Jetzt würde der Jonas entgegnen: „Dann ganz weg mit der Hürde! So würde mal wieder etwas Leben in die Bude kommen – und jeder wird vertreten!“ Aber das hat leider schon in der Weimarer Republik nicht funktioniert. Damals gab es keine Hürde, nur eine Mindestanzahl an Stimmen, die für einen Sitz genügten. Theoretisch war das die perfekte Volksvertretung. Stimmen fielen nicht einfach „ungehört“ weg, im Reichstag wurde es aber umso lauter. Es waren nicht nur andauernd zahllose Kleinparteien, wozu auch die Nazis zählten, vertreten. Auch die Koalitionsbildung wurde deutlich erschwert, eine tragende Regierung kam selten zustande. Wenn es wirklich „der Wählerwille“ wäre, einen zersplitterten und arbeitsunfähigen Bundestag zu haben,  sollten wir das dann wirklich machen?

Und ich weiß, als nächstes kommt die Argumentation um die Gleichheit der Wahl nach Art. 38 des Grundgesetzes. Nach aktueller Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist diese aber nicht verletzt; ein funktionsfähiges Parlament sei wichtig genug, um die Klausel zu rechtfertigen. Das Gestaltungsvermögen der Parteien, die es in Parlamente schaffen, würde durch einen Einzug vieler Kleinparteien ebenfalls gefährdet.

Feucht-fröhlicher Stammtisch im Bundestag? Nein Danke!

Eigentlich bin ich ein Fan von mehr Bürgerbeteiligung. Nicht aber, wenn sie das ohnehin gespaltene Deutschland endgültig an die Wand fahren könnte. Die Eltern des Grundgesetzes werden sich schon bewusst dafür entschieden haben, von Anfang an auf Sperrklauseln zu setzen. Zwar wurde die Fünf-Prozent-Hürde auf Bundesebene erst 1954 eingeführt, von Anfang an war aber klar: Deutschland braucht funktionierende Parlamente. Aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, war ein Muss. Selbst in Landtagen gilt die Hürde, weil in auf mehrere Jahre gewählten Parlamenten einfach eine gewisse Grundstabilität da sein muss. Dass dadurch viele Bürger weniger Einfluss haben, ist ein hoher Preis – um explodierende Kosten, chaotische Parlamente und Weimarer Verhältnisse zu vermeiden, sollten wir ihn bezahlen. Ich verstehe, dass du nicht so tief in die Tasche greifen willst, Jonas – aber ich finde, es muss sein.

Ich will ja gar nicht heraufbeschwören, dass bald irgendein NPD- oder MLPD-Mensch im Bundestag seine Hetzreden vorträgt und dafür noch vom Steuerzahler Moneten zugeschoben bekommt. Den Bundestag für Hinz und Kunz zu öffnen, halte ich aber doch für ein wenig leichtsinnig. Also: Arbeiten wir lieber an wirklichen Verbesserungen, statt unsere Demokratie noch mehr zu riskieren, als das während der Pandemie ohnehin getan wurde.

 


Mehr Volkssouveränität, weniger Stabilitäts-Fanatismus – die Fünf-Prozent-Hürde muss weg!

Von Jonas Aston | Als ich neulich erwähnte, dass ich gegen die Fünf-Prozent-Hürde bin, stand Simon die Angst ins Gesicht geschrieben. Man konnte förmlich dabei zusehen, wie vor seinem inneren Auge großangelegte Fackelmärsche durchs Land zogen und das vierte Reich ausgerufen wurde – ich hab mir kurz Sorgen gemacht, dass der Ruhrpotter-Jung, mit dem Herz aus Kohle und Stahl, mir gleich vor Schreck vor die Füße fällt. Deshalb fühle ich mich dazu verpflichtet, dem Simon zu erklären, dass die Abschaffung der Sperr-Klausel mehr bietet, als das angstbesetzte Totschlagargument Weimarer Republik.

 

Die Hürde führt nicht zu Stabilität, sondern zu Versteifung

Erstmal zu was rein rechtlichem – das solltest du aus dem Jura-Studium kennen Simon, also keine Panik: Das Bundesverfassungsgericht hat die Fünf-Prozent-Hürde zwar abgesegnet, da hast du recht, aber sie bleibt verfassungsrechtlich dennoch umstritten. Die Sperrklausel steht im Konflikt mit dem Demokratieprinzip und beschränkt die Volkssouveränität. Denn: das Grundgesetz garantiert die Gleichheit der Wahl. Hierzu gehört neben der Zählwertgleichheit – jede Stimme wird genau einmal gezählt – auch die Ergebniswertgleichheit. Diese ist jedoch nicht mehr gegeben, wenn die von mir gewählte Partei an der Sperrklausel scheitert. Zur Freiheit der Wahl muss es jedoch gehören eine Partei wählen zu können, ohne Angst vor ihrem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde zu haben. Hierdurch werden viele Bürger genötigt einer größeren Partei ihre Stimme zu geben, die ihre Meinung weniger repräsentiert. Andere Bürger gehen erst gar nicht mehr wählen.

Stabilitätsfanatiker und die „safety first“-Fraktion rund um Simon argumentieren dann immer mit der Stabilität, die die ach so geliebte Hürde bringe. Und ja: Stabilität ist wichtig. Es ist jedoch Aufgabe eines guten Staates und einer guten Verfassung einen vernünftigen Mix aus Stabilität und Flexibilität zu finden. In den letzten Jahren war die Fünf-Prozent-Hürde jedoch ein wesentlicher Grund der eben nicht zur Stabilisierung, sondern zur Versteifung der Demokratie geführt hat. Vier Parteien, namentlich FDP, CDU, SPD und Grüne, haben den Staat unter sich aufgeteilt und machen ihn sich zur Beute. Wenn Die Linke Glück hat und es rot-rot-grüne Mehrheiten gibt, dann darf sie auch nochmal ein Wörtchen mitreden.

Zwischen den großen politischen Blöcken hat sich in 70 Jahren tatsächlich relativ wenig verändert. Zur Bundestagswahl 1949 gab es eine knappe bürgerlich-konservative Mehrheit zugunsten der Union. Im jetzigen Bundestag gibt es erneut eine knappe Mehrheit von CDU/CSU, FDP und AfD. Mit dieser schließen CDU und FDP wegen einer Art parlamentarischer Selbstbeschränkung allerdings jegliche Zusammenarbeit aus. Gleichzeitig ringt die AfD der CDU und der FDP so viele Stimmen ab, das ein schwarz-gelbes Bündnis faktisch ausgeschlossen ist. In Schleswig-Holstein, dem einzigen Bundesland in dem Schwarz-Gelb – aufgrund des Ausscheidens der AfD – möglich wäre, begibt sich die CDU ganz freiwillig in eine Koalition mit den Grünen. Somit ist die Bundesrepublik auf Links- oder Mitte-Links-Koalitionen festgenagelt.

 

Was bleibt, ist Politikverdrossenheit

Für jemanden wie Bubatz-Simon, der ja bekanntermaßen ein großer Befürworter der Cannabis-Legalisierung ist, mag das kein Problem darstellen. Immer mehr Bürger wenden sich jedoch von den in den Parlamenten vertretenen Parteien ab. Bei der Bundestagswahl 2021 gaben über Viermillionen Bürger einer Partei ihre Stimme, die nicht im Bundestag vertreten ist. Dies ist der höchste Wert seit Gründung der Bundesrepublik, wenn man von der Wahl 2013 bei der AfD und FDP den Einzug knapp verpassten absieht. Bei den letzten Landtagswahlen wurde die Parteienverdrossenheit noch augenfälliger. Die Abwendung von den etablierten Parteien scheint nach dem letzten Corona-Herbst noch einmal drastisch zugenommen zu haben. In Schleswig-Holstein und in NRW haben bei bestem Wetter (!) knapp die Hälfte der Wahlberechtigten nicht von ihrem Stimmrecht Gebrauch gemacht. Die Grünen, die von grade mal etwas mehr als 10 Prozent der Stimmberechtigten gewählt wurden, stellen nun mit 20 Prozent die zweitgrößte Fraktion im Landtag von NRW. Hendrik Wüst, von der CDU, ließ sich für seinen angeblichen Wahlsieg feiern, obwohl die CDU absolut Stimmverluste verzeichnen musste. Doch das interessierte niemanden – schließlich hatte man an relativen Stimmen hinzugewonnen. 

Es ist also höchste Zeit die Fünf-Prozent-Hürde abzuschaffen. Meiner Meinung nach könnte bei Landtagswahlen auf eine Hürde gänzlich verzichtet werden. In den Parlamenten der Länder sitzen in der Regel „nur“ um die 100 Abgeordnete. Hierdurch ergibt sich eine implizite Hürde. Bei Bundestagswahlen könnte eine Hürde von ein Prozent gelten. So könnte die Arbeitsfähigkeit des Parlaments sichergestellt werden. Die Bombardierung des Parlaments durch zahlreiche rechtsmissbräuchliche Geschäftsordnungsanträge von destruktiven antiparlamentarischen Kräften könnte so weitgehend verhindert werden. Auch wäre weiterhin die sinnvolle Verteilung des Rederechts gewährleistet.

Das die Hürde tatsächlich beseitigt wird, ist aber höchst unwahrscheinlich.  Jene Parteien, die gerade ein Monopol auf Mandate und Ministerämter haben und sich im Staat so schön eingerichtet haben, müssten sich die Konkurrenz schließlich selbst herbeiwählen. Simon kann also wieder ruhig schlafen. Union, SPD, FDP und Grüne werden ihn in dieser Frage nicht im Stich lassen.


Die neuen 20er – Apollo Edition 9/2022

Lieber Leser, 

es gibt wohl kaum eine Ära, die so beliebt in Film und Fernsehen ist, wie die 20er. Die ganze Ästethik – Gold, Silber, Champagner, Perlen und Federn. Die Frauen in der typischen Silhouette mit kunstvoll drapiertem Haar, androgen aber doch verführerisch, die Männer sehen natürlich alle aus wie Leonardo Di Caprio in seiner Rolle in The Great Gatsby. Alle tanzen ausgelassen und mit Lebensfreude, lachen und feiern, die Sittenpolizei hat kaum eine Chance im Kampf gegen den Exzess. Es ist das goldene Jahrzehnt zwischen den zwei großen Kriegen, direkt nach einer großen Pandemie und mitten in der Inflation. Hatte das ausgelassene Partyvölkchen nicht ahnen können, was für dunkle Gräueltaten sie in Zukunft erleben oder zu welchen sie im Stande sein werden? Dass der von Hunger und Armut geschürte Hass sie in eine Zeit stürzten würde, die man nicht mit Feiern in die Vergangenheit verschwinden lassen kann? Oder war schon damals nicht alles gold, was glänzt?

Die 20er sind eine mysteriöse Zeit für uns heutzutage und sicher auch stark romantisiert. Zum größten Teil lebt die Ära von der Legende, damals wie heute – genau 100 Jahre später. Wir sind ganz sicher nicht die ersten, die die 1920er mit den 2020ern vergleichen und wir werden auch ganz sicher nicht die letzten sein. Retrospektiv wird der Vergleich sicher noch sehr interessant werden. Doch auch schon heute lassen sich eindeutige Parallelen ausmachen – Pandemie, Inflation, sogar Krieg, wenn auch nicht annähernd in der gleichen Dimension, was hoffentlich so bleiben wird. Unsere Generation wird gerne als sehr behütet bezeichnet, doch wir sprechen wieder über die gleichen Themen. Die ganzen Schattenseiten wiederholen sich in Abwandlungen – doch eins wird ausgelassen: die Orgie. 

Es gibt keine Partys, obwohl die Masken gefallen sind, die Impfpflicht gescheitert. Es gibt keine Champagnertürme, obwohl die Währung sich schneller entwertet als man hinschauen kann und Sparen keinen Sinn mehr hat. Unser ganze Autorenschaft ist zurzeit eingenommen von der Auswertung der Akten der Berliner Wahl, doch wir haben uns etwas Zeit genommen, um in dieser kleinen Edition dem Mysterium der 20er auf den Grund zu gehen.

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Elisa David

Chefredakteurin

Orgien, Lebenslust und wilde Gelage – aber nur für die Kamera

Von Pauline Schwarz | Es ist so weit. Die Corona-Maßnahmen sind weg. Jetzt heißt es: endlich raus auf die Piste, in die Bars, Restaurants und Clubs. Also: Halleluja, wir können wieder leben! 

Die Frau der 20er Jahre – sexy und emanzipiert

Von Laura Werz | In den 20er Jahren, geprägt von politischen Unruhen, Inflation und Armut, hat sich die „moderne Frau“ in einer neuen gesellschaftlichen Rolle wiedergefunden.

Lieber Bubikopf als Jogginghose

Von Selma Green | Noch vor einiger Zeit kam ich durch kein Einkaufs-Center, ohne dass meine Hände vom Tragen der vielen Taschen schmerzten und meine Füße irgendwann schwer wie Blei wurden.

Movie Review: Downton Abbey 2 ,,A New Era’’ – man sollte aufhören, wenn es am schönsten ist 

Von Elena Klagges | Endlich war es mal wieder so weit: Ich war nach Ewigkeiten im Kino und habe mir als großer Downton Abbey Fan den lang ersehnten 2. Film ,,A New Era’’ ausgesucht. Eine Zeitreise in die britischen 1920er und 1930er Jahre. 

Sie ist wieder da – Die Inflation 

Von Jonas Aston | Als ich das letzte Mal über die Inflation schrieb, hatte die EZB gerade ihre Inflationsprognose von 1,7 % auf 3,1 % erhöht. Grund: Man hatte sich verrechnet und die explodierenden Energiepreise nicht einkalkuliert. 

Die Autoindustrie von heute: grün, grüner, am grünsten

Von Johanna Beckmann | Deutschland ist ein Land, welches bekannt für die Produktion der besten Autos ist. Noch. Dieser Industriezweig erlangte seinen hohen Rang in den 1920ern. 

Nach der Pandemie die Party? Die Feierwut der jungen Leute zeigt nur ihre innere Leere

Von Jonas Kürsch | Die staatlichen Zwangsmaßnahmen zur Bekämpfung der Coronapandemie haben tiefe und deutlich sichtbare Narben hinterlassen. 

Hat jeder Wohlstand ein Ende? Deutschlands Parallelen zu Japan

Von Simon Ben Schumann | Die Corona-Krise scheint sich langsam zu verflüchtigen. Mit ihr fallen weltweit starke Einschränkungen von Grundrechten, Hass gegen Andersdenkende ist zumindest momentan weniger zu vernehmen. 



Freie Waffen für freie Bürger? – das große Apollo Battle

Lesen Sie hier: Das große Debattenduell. Kalaschnikow-Jonas vs. Wasserpistolen-Gesche. Sollte es jedem Bürger frei stehen eine Waffe zu besitzen und bei sich zu tragen? Oder sollten die Deutschen lieber die Finger davon lassen? Wer überzeugt Sie mehr?

Achtung: Dieser Beitrag könnte vereinzelt Spuren von Humor enthalten. Weder Waffen-Hilbillies noch Kanonen-Verweigerer wurden bei der Produktion dieser Kolumne ernsthaft verletzt. Dieser Austausch spiegelt in keiner Weise das Arbeitsklima bei Apollo News wieder, sondern dient schlichtweg Unterhaltungs- und Ausbildungszwecken. Seelsorgerische Unterstützung stand den Autoren zu jeder Zeit zur Verfügung.

 


Get your Guns! – Waffen sollten legal sein

Von Jonas Kürsch | “Guns don’t kill people, people kill people“ ist inzwischen zu einem geflügelten Schlagwort in den Vereinigten Staaten geworden. Der non-binäre und linksliberale (wer hätte das gedacht!) Comedian Eddie Izard ergänzte diese Aussage noch um die sarkastische Bemerkung: “Well, I think the gun helps.“ Diese Sichtweise ist unter Befürwortern härterer Waffengesetze – so Leuten wie Gesche, die anscheinend zu viele schlimme Filme geguckt hat – weit verbreitet. Ihnen zufolge sei es die nahezu ungehinderte Zugänglichkeit von Waffen, die es mordenden Straßenräubern, Amokläufern und Terroristen leicht möglich macht, ihre abscheulichen Verbrechen auszuüben. 

Obwohl ich diese Besorgnis grundsätzlich nachvollziehen kann und die Gefahr durch solche Menschen durchaus ernst nehme, halte ich es für hochgradig fahrlässig, dem freien Menschen seine selbstverantwortliche und vernünftige Handlungsfähigkeit mit solchen Totschlagargumenten gänzlich abzusprechen. Es gibt gute Gründe für die Legalisierung des privaten Waffenbesitzes – ob du willst oder nicht, liebe Gesche. 

Waffen dienen dem defensiven Bürger

Der Besitz einer Schusswaffe bedeutet in erster Linie die Gewissheit darüber zu haben, sich selbst vor Angreifern verteidigen zu können. Und genau das wird im „besten Deutschland, das es jemals gab“ für viele Menschen zu einer immer größeren Notwendigkeit – da kannst du wohl kaum widersprechen Gesche, ich denke mal du liest ab und an Nachrichten. Wenn nicht, gebe ich dir hier mal ein Beispiel: Einer jungen Studie des Statista Research Department zufolge sind Vergewaltigungsdelikte in Deutschland seit 2015 von 8,6 auf 11,9 pro 100.000 Einwohner angestiegen, der zwischenzeitliche Höchstwert lag sogar bei über 13 Vergewaltigungen pro 100.000 Einwohner. Und auch in anderen Bereichen der Kriminalstatistiken zeigen sich klare Tendenzen in Richtung einer immer höher ausfallenden Quote von Gewaltverbrechen. Salopp gesagt: unsere Straßen werden unsicherer. Und daher kann ich dir nur ans Herz legen, die deutlichen Worten der amerikanischen Lyrikerin Lydia Lunch mal auf dich wirken zu lassen: “Women, get your guns!“ – ich unterstütze das jedenfalls zu 100 Prozent. 

Außerdem sollten wir nicht vergessen, dass das StGB im Rahmen von §32 das Recht auf Selbstverteidigung (also die Möglichkeit, sich selbst und sein Eigentum gegen rechtswidrige Angriffe zu verteidigen) als legitimen Bestandteil eines demokratischen Rechtsstaates anerkennt. Der Besitz von Waffen zum Schutze unserer individuellen Freiheit ist vor allem im Hinblick auf diese Tatsache, anders als Gesche behauptet, also keine wirre Spinnerei, sondern eine durchaus logische Schlussfolgerung.

Führen Waffen zwangsweise zu mehr Gewalt?

Die klare Antwort: nein. Schauen wir doch einfach mal in die Schweiz – ihre Verfassung gibt jedem unbescholtenen Bürger das Recht auf den Besitz einer Waffe. Trotzdem liegt die jährliche Mordrate der Eidgenossenschaft weit unter der Homizidrate unserer schwerregulierten Bundesrepublik – wie erklärst du das jetzt? Und wenn dir ein Beispiel nicht reicht: In Serbien zeigt sich ein ähnliches Bild – ein Großteil der Bevölkerung ist in Besitz von funktionsfähigen Schusswaffen und dennoch ist die Mordrate des Landes in den letzten zehn Jahren insgesamt zurückgegangen. 

Und ich weiß schon Gesche: Als nächstes wirst du die brutalen Amokläufe in den USA als Argument gegen die Einführung von liberaleren Waffengesetzen anführen, doch so schrecklich diese Verbrechen auch sein mögen, sollte man gerade bei solchen Fallbeispielen über den Tellerrand hinausschauen und die wahren Ursachen hinter diesen Anschlägen erforschen. Einer der brutalsten und international bekanntesten Mordzüge ist vermutlich der Amoklauf an der Columbine High School aus dem Jahr 1999, der etlichen Menschen das Leben kostete. In diesem Fall stellt sich vor allem die Frage, weshalb weder Lehrer, noch Eltern bei den schweren Verhaltensauffälligkeiten und morbiden Gewaltfantasien der Täter nicht schon vorher aufmerksam geworden sind. Die meisten Täter leiden unter schweren (häufig auch früh wahrnehmbaren) psychologischen Störungen, die leider nur allzu selten ernst genommen oder behandelt werden. 

Auch der Täter des jüngsten Massakers an der Robb Elementary School litt nachweislich an schweren sozialen Störungen, die unter anderem durch das problematische Verhältnis zu seiner drogenabhängigen Mutter verursacht worden sind. Es sind nicht die Waffen, die Menschen vom einen auf den anderen Tag zu einem Gelegenheitsmörder machen, sondern das jeweilige Umfeld der Täter und ein vollkommen falscher Umgang mit bedenklichen Warnsignalen in deren Verhalten. Wenn man das Problem an der Wurzel anpacken will, gilt es solche Taten durch Aufmerksamkeit und Wachsamkeit zu verhindern, schließlich könnten die Täter ihre Waffen im Zweifelsfall auch über das Darknet erwerben, was nicht allzu selten auch schon passiert ist – das sollte doch jedem klar sein.

Freie Waffen für freie Bürger

Insgesamt gibt es viele Gründe, die den privaten Besitz von Schusswaffen legitimieren. Vor allem der Schutz der eigenen individuellen Sicherheit sollte in dieser Diskussion nicht außen vorgelassen werden. Der Forderung nach stärkeren Waffeneinschränkungen und neuen Verboten, gerade auch in den USA, sollte man daher mit den Worten der republikanischen Politikerin Sarah Palin entgegentreten: „We say keep your change, we’ll keep our God, our guns, our constitution.“ 

 


Vernunft und Eigenverantwortung als Fremdwort, aber Waffen für alle? – Nein, danke!

Von Gesche Javelin | Auch wenn der Jonas als Kind gerne Cowboy werden wollte und das deshalb vielleicht schick findet – ich will mir nicht vorstellen, dass jeder in unserer Gesellschaft mit einer Waffe herumlaufen kann. Und das liegt nicht nur an den grotesken Bildern aus Amerika, wo man sich selbst beim friedlichen Spaziergang im Park oder an der Supermarkt-Kasse eine Kalaschnikow umschnallt. Das liegt daran, dass ich – entgegen Jonas Ausführungen – ganz nüchtern die deutsche Realität betrachte. Schauen Sie sich doch mal in ihrer Wohngegend um – würden Sie sich wirklich sicherer fühlen, wenn der halbstarke Prolet von Gegenüber und die Schnapsnase zwei Ecken weiter eine Waffe tragen würden? Auch wenn Sie selber eine Glock am Gürtel haben? Ich nicht. Allein die Vorstellung, dass mein Mathelehrer eventuell eine Waffe zu Hause haben könnte, treibt mir Schweißperlen auf die Stirn. Wobei der mit Sicherheit noch einer der Harmloseren wäre.

 

Kriminalität ist ein Problem für die Polizei, nicht für meinen Waffenschrank

Und ja Jonas, ist mir schon klar – diejenigen, die unbedingt an Waffen herankommen wollen, die bekommen sie auch jetzt schon. Wir reden dann aber hauptsächlich von Kriminellen – von Drogendealern, Dieben und sonstigen Irren. Und für die gibts in einem Rechtsstaat eigentlich schon eine Zuständigkeit – nennt sich Polizei, hast du bestimmt schonmal gehört. Wenn du schon auf die Verfassung und das Strafgesetzbuch pochst: Die Frage ist doch eher, warum unsere Polizei der Lage nicht mehr Herr wird. Warum können sich überall Kriminelle herumtreiben? Warum kann man im Park um die Ecke überhaupt illegal Waffen kaufen? Dass du über meine Sicherheit als Frau besorgt bist, rührt mich – wirklich, ich weiß das zu schätzen. Ich wünschte unsere Bundesregierung würde diese Sorge teilen und entsprechend Handeln. Zum Beispiel durch mehr Geld für die Polizei, statt den zweihundertsiebenundachtzigsten Gender-Lehrstuhl. Oder auch durch eine Abkehr von ihrer ach so geliebten „Toleranz“-Politik.

Genau das ist es wahrscheinlich auch, was uns von der Schweiz unterscheidet. Die Schweizer Politik ist nicht perfekt, aber sie ist lange nicht so bekloppt wie unsere. Ich hätte zumindest nicht davon gehört, dass die Schweiz 2015 genauso bedenkenlos die Tore aufgemacht hätte, wie wir – du etwa Jonas? Ne, die denken noch ein bisschen mehr nach. Und das ist nur eins von vielen Beispielen. Die mögen auch immer noch ihr Geld und sowas wie Gesetze und deren Durchsetzung – das suche ich bei uns inzwischen vergeblich. 

 

Fatale Unfälle

Aber weg von den Kriminellen, hin zu den „normalen“ Leuten – immerhin gibt es (noch) genug Menschen, die eine gewisse Hemmschwelle bei Illegalem haben. Wenn es auf einmal legal wird, eine Waffe zu kaufen, dann wird es automatisch normaler eine Waffe zu besitzen – und damit habe ich aus mehreren Gründen ein Problem.

Der erste ist ganz einfach, den verstehst du bestimmt auch Jonas: Wenn ich eine Waffe zu Hause habe, dann kann es natürlich auch sein, dass diese in Benutzung kommt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du wirklich willst, dass selbst dein gruseliger Nachbar auf einmal mit einer Schusswaffe ankommt, nur weil er ein verdächtiges Geräusch gehört hat. Vielleicht bringst du nur nichtsahnend den Müll raus und schmeißt eine Tonne um – er erschreckt sich und -zack- liegst du am Boden. Hältst du für utopisch? In Amerika sind solche Unfälle nicht selten. Ich habe mal von einem Fall gehört, bei dem ein alter Mann mit Sehschwäche in Amerika ausversehen seinen Sohn erschossen hat, nur weil der unangemeldet vorbei kam. Hätte er ihm „nur“ eins mit dem Baseballschläger übergebraten, hätte der Mann mit Glück einen verletzten und wahrscheinlich sehr wütenden Sohn, aber er hätte noch einen.


Waffen für alle – auch für die Bekloppten

Ich denke schon, dass ein Großteil der Menschen grundsätzlich einschätzen kann, was eine Waffe ausrichten kann und verantwortungsbewusst damit umgehen könnte. Doch wenn man Waffen legalisiert, macht man sie für jeden zugänglich; auch für weniger vernünftige Menschen. Denk doch mal an die ganzen komischen Gestalten in der Gegend Jonas – irgendwelche Angeber-Prolls, Hypochonder, besonders penetrante Moralapostel oder so richtig Verrückte. Es gibt natürlich auch die Möglichkeit der Liberalisierung, sodass man beispielsweise ein psychologisches Gutachten braucht, um eine Waffe zu besitzen. Doch selbst ein psychologisches Gutachten ist am Ende nur eine Momentaufnahme. Und welcher Psychologe möchte schon dafür verantwortlich sein, dass ein Attentäter an eine Waffe gekommen ist?

Ich finde außerdem, dass wir in Deutschland generell ziemlich realitätsfern leben. Dazu nur ein paar Beispiele: Wir verbringen durchschnittlich knapp vier Stunden pro Tag am Smartphone. Ich setze mich vor den PC und bekomme ein Maschinengewehr in die Hand gedrückt, kann Panzer fahren und Menschen töten; aber es ist ja nur im Spiel. Nicht real. Ich sitze in der Schule und bekomme gesagt, dass ich gegen den Ukraine-Krieg eine Minute kürzer duschen soll. Ich laufe durch die Stadt und die Straßen sind leer, weil man sich vielleicht draußen – wahrscheinlich auch mit Abstand – anstecken könnte. Beim Thema Corona wurde besonders deutlich, wie gerne wir die Realität verlassen und die Verantwortung abgeben. Die Deutschen wollen Versicherungen, Regeln über Regeln, ein „gutes“ Gewissen und bald vielleicht auch noch das bedingungslose Grundeinkommen. Wieso nicht? „Der Staat kümmert sich“ –  egal was passiert.

Und jetzt stellen wir uns vor, diese realitätsferne Gesellschaft bekommt legal Zugang zum Waffenmarkt. Ein Blick rüber nach Amerika und man bekommt eine Vorstellung wie es bei uns laufen könnte, auch wenn die USA natürlich nochmal ein anderes Kaliber sind als Deutschland. Immerhin trennen wir Deutschen unseren Müll. Das heißt, wir sind eindeutig zivilisierter – oder in einigen Fällen vielleicht auch ein bisschen fanatisch. Ganz ehrlich, wenn ich mir manche FridaysforFuture-Aktivisten anhöre, dann will ich denen keine Waffe in die Hand drücken. „Die Menschen sind Umweltsünder und Böse.“ Da kommt nicht selten der Spruch, dass die Welt eine bessere wäre, wenn die Menschen einfach ausgerottet oder zumindest auf ein Minimum reduziert werden. 


Back to Reality

Eigenverantwortung und Freiheit sind mir sehr wichtig – dem Jonas auch, dass weiß ich. Aber der Gute ist einfach zu idealistisch. Wenn ich mir unsere heutige Gesellschaft angucke, frage ich mich schon, ob manche überhaupt noch das Wort Eigenverantwortung kennen. Der Staat macht doch alles für uns. Er gibts uns vor wie wir zu leben haben, welche Werte wir haben sollten und eigentlich auch, was wir denken sollen. Deswegen finde ich: Unser Land sollten erst mal wieder in die Realität zurückkommen, bevor wir uns überlegen, reale Schusswaffen salonfähig zu machen.


Sollte man Cannabis legalisieren? – das große Apollo Battle

Lesen Sie hier: Das große Debattenduell. Bubatz-Simon vs. Spießer-Pauline. Die Ampel-Regierung plant Cannabis zu legalisieren – aber ist das wirklich eine gute Idee oder doch eher ein fataler Fehler? Für welches Team fiebern Sie mit?

Achtung: Dieser Beitrag könnte vereinzelt Spuren von Humor enthalten. Weder Cannabis-Boys noch Spießer-Tanten wurden bei der Produktion dieser Kolumne ernsthaft verletzt. Dieser Austausch spiegelt in keiner Weise das Arbeitsklima bei Apollo News wieder, sondern dient schlichtweg Unterhaltungs- und Ausbildungszwecken. Seelsorgerische Unterstützung stand den Autoren zu jeder Zeit zur Verfügung.


Ja zur Legalisierung, Nein zur Fremdbestimmung: Cannabis muss erlaubt sein!

Von Simon Ben Schumann | Die rechte Hand auf der Tastatur, in der Linken mein Joint mit gefährlichem „Stoff“ – so stellt sich Pauline mich bestimmt vor. Keine Selbstkontrolle mehr, lethargisch, süchtig, kurz: Am Ende. Während sie durch das idyllisch-unschuldige Berlin radelt und Nachbarn auf Hundescheiße im Treppenhaus hinweist, ist Simon der Asoziale aus dem „Ruhrpott“. Denn nur verblendete Kiffer könnten schließlich eine Legalisierung befürworten.

Was sie nicht ahnt: Auch als Nichtkonsument kann man gegen das Kriminalisieren ganz normaler Leute sein. Cannabiskonsum ist hierzulande weit verbreitet; nach Tabak und Alkohol liegt die Droge auf dem dritten Platz. Ca. 40,00% der jungen Erwachsenen in Deutschland haben schon einmal konsumiert.

Die validen Argumente gegen ein Cannabis-Verbot sind so zahlreich wie die netten Briefe, die Pauline ihren Nachbarn Gerüchten zufolge an die Wohnungstür nagelt. „Sehr geehrte Familie Rammo, wenn Sie mittags um 12 durch den Block rasen, wecken Sie meine Aquariumsfische aus ihrem Power-Nap. Könnten Sie das bitte unterlassen?“ – so oder ähnlich kann ich mir den Tugend-Terror in Kreuzberg vorstellen. Ob sie während des Ramadan Grillpartys im Garten steigen lässt, um ihren muslimischen Nachbarn das Fasten madig zu machen?

 

Eine Analyse der Gegenposition

Wenn Cannabis legalisiert würde, dann könnte es sein, dass sich die Leute noch mehr abschießen. Haben wir nicht durch Alkohol schon genug Probleme? Warum noch eine Droge gesellschaftsfähig machen? Klingt einleuchtend, aber: Schon jetzt ist Cannabis für jeden verfügbar, der es haben will. Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass man im „Görli“ an keinen Dealern vorbeikommt. Jeder kennt irgendeinen Ort, an dem er sich (theoretisch) Drogen beschaffen könnte. Außerdem gibt es in Ländern, in denen Cannabis legal ist, keine „Kiffergesellschaft“, in der alle süchtig sind und nicht mehr klarkommen.

Im US-Bundesstaat Colorado wurde „Gras“ 2013 legalisiert – und trotzdem denkt man beim Namen des Staates nicht an heruntergekommene Innenstädte, verlorene Jugend und Junkies. In Portugal ging man sogar noch weiter und entkriminalisierte um die Jahrtausendwende alle Drogen. Besitz von selbst harten Substanzen wie Heroin gilt dort nicht als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit. Von ca. 350 Überdosis-Toten in den 1980er- und 1990er Jahren ist diese Zahl auf 63 im Jahr 2019 gesunken. Statt Junkies in den Knast zu schicken, hilft man ihnen dort lieber. Und wer vernünftig konsumieren kann, darf das auch.

Dazu kommt, dass man bei einer Cannabis-Legalisierung den Verkauf kontrollieren könnte. Kleinpackungen mit Marihuana an der Supermarktkasse klingen erstmal erschreckend, aber wie bei anderen akzeptierten Drogen kann so eine einfache Alterskontrolle kombiniert mit Diebstahlschutz durchgesetzt werden. 15-jährige aus schwierigen Verhältnissen kommen dann nicht mehr so leicht an „Gras“, um sich abzuschießen – und freie, selbstbestimmte Erwachsene werden entkriminalisiert.

Klar, jetzt kann man sagen: Dann schickt man als Minderjähriger eben einen Erwachsenen vor. Aber wer so dringend Cannabis will, würde wahrscheinlich auch zum Dealer gehen. Dann ist es besser, wenn das Cannabis wenigstens nicht gestreckt ist. Das wird leider oft übersehen: Man kann zwar mittlerweile überall Drogen von Dealern kaufen, diese sind aber teils gefährlicher als die ursprünglichen Varianten. Gestreckt mit Weiß-Gott für Zeug kann aus Cannabis schnell richtig gefährliches Gift werden. Auch diese Gefahr ist mit einer Legalisierung gebannt, die Herkunft der Produkte nachverfolgbar. Der Schwarzmarkt wird ausgetrocknet. Durch die Erhebung der Steuer hat der Staat sogar was davon. Ich sehe dafür zwar schwarz, aber ein Teil des Erlöses könnte theoretisch in Suchtaufklärung und –prävention gesteckt werden.

 

Wir müssen lernen, mit der Realität umzugehen

Als wir Kinder waren, wurde uns durch unser Umfeld vermittelt, dass die Welt gefährlich ist und wir aufpassen müssen. Gerade im „Babylon“ Berlin. Und zurecht: Merkte man sich das „Links-rechts-links“ nicht, konnte der Schulweg sehr riskant sein. Okay: Meine Mama meinte mit dem Merksatz den Straßenverkehr, für Pauline ging es um kapuzenverhüllte Gestalten neben ihrer Haustür. Das Prinzip bleibt das gleiche. Verständlicherweise ist sie jetzt in dieser Haltung gefangen. Sollten wir uns die Dinge nicht lieber objektiver anschauen?

Als angehende Psychologin spreche ich Pauline auf keinen Fall ihr Urteilsvermögen ab. Neben den alltäglichen Belästigungen durch Dealer und so weiter, hat sie bestimmt schon oft gesehen, wie auch das vergleichsweise ungefährliche Cannabis Leben zerstört hat. Zwar stirbt fast niemand unmittelbar an der Droge, doch können auch hier Süchte entstehen; die Effekte des Konsums haben Folgen. Leider ändert sich das aber nicht, wenn weiter auf Kriminalisierung gesetzt wird.

Erwachsene, die in ihrer Freizeit selbstbestimmt und in Maßen konsumieren, sollten das dürfen. Für so etwas sind wir ein freies Land. Ihnen das zu verbieten, fördert nur den Schwarzmarkt, riskantes Strecken und die Verfügbarkeit für Jugendliche. Und ein moralischer Impetus ist meiner Ansicht nach mal überhaupt nicht angebracht. Es ist vielleicht unschön, aber Drogen sind ein Bestandteil des Alltags. Alkohol ist mehr als gesellschaftsfähig, er wird überall konsumiert. 2018 waren 1,6 Millionen Menschen deutschlandweit alkoholabhängig. 74.000 Menschen sterben geschätzt jährlich direkt oder indirekt am „Muntermacher aus der Flasche.“ Bei Cannabis ist die Lebensgefahr deutlich geringer.

Auch Paulines heiß geliebter „Soja Latte“ enthält den Wachmacher Koffein, der weltweit und regelmäßig konsumiert wird – das ist auch eine Art Droge. Statt andere dafür zu verurteilen, fände ich einen vernünftigen und differenzierten Umgang mit Drogenkonsum am besten.

Auch in Kreuzberger Gotteshäusern tönt es schließlich immer wieder Sonntags: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Chiasamen.“


Schluss mit Liberalalala – Cannabis sollte verboten bleiben!

Von Pauline Schwarz | Haben Sie schonmal von der „Bubatz“-Fraktion gehört? Ne? Ich bis vor kurzem auch nicht – dabei dachte ich, dass ich durch mein Leben in Berlin-Kreuzberg schon jeden Blödsinn gesehen und jede Wahnsinnsidee gehört habe. Ich meine, ich bin damit aufgewachsen, dass der Typ an der Ecke mit dem Aluhut glaubte, Merkel wäre ein Alien und habe ihm einen Computerchip in sein Hirn gepflanzt, um seine Gedanken zu kontrollieren. Klingt irre? Ist es auch. Im Vergleich mit den Wahnvorstellungen der Bubatz-Fraktion scheint mir die Merkel-Alien-Theorie aber schon fast naheliegend. Jetzt fragen Sie sich sicher, wer diese Bubatz-Leute sind – ich will es Ihnen verraten: Das sind solche wie Simon. Solche, die ein Christian Lindner-Poster über ihrem Bett haben und dreimal am Tag davor niederknien, um ihrem König zu huldigen und ihm dafür zu danken, dass er sich mit den wirklich wichtigen Problemen in unserem Land auseinandersetzt – zum Beispiel mit der Legalisierung von Bubatz – das ist Super-Fancy-Coolen-Sprech für Cannabis.

Wenn es nach Legalize-Lindner und seine rot-grün-gelben Kollegen geht, soll der feuchte Traum jedes verlotterten Kiffers und jedes libertären Hohlkopfs bald also endlich wahr werden – und anscheinend auch der von Simon. Dabei habe ich gedacht, dass ich so komische Leute nur in den Tiefen des Görlitzer Parks und nicht bei Apollo treffen würde. Und ich dachte eigentlich auch, dass der Simon ein ganz schlauer Bursche und so insgesamt recht gesittet ist – immerhin studiert der Jura. Bei seiner Beurteilung der geplanten Gesetzesänderung scheint der Gute aber entweder selbst high gewesen zu sein oder schlicht nicht zu wissen, wovon er da eigentlich redet. Die Cannabis-Legalisierung wird mitnichten zur Bekämpfung des Drogen-Handels und auch nicht zum Schutz der Konsumenten beitragen. Simon, tut mir echt leid dich zu enttäuschen, aber wir leben nicht in Bullerbü. Das Einzige, was passiert, ist die Normalisierung einer Droge voranzutreiben, die alles andere als harmlos ist.

Eines der ersten Argumente, das seit jeher für die Legalisierung von Marihuana aus der Debatierkiste gekramt wird, ist die Bekämpfung des illegalen Drogenumschlags – kurz: der Drogendealer. Auch Simon scheint vor Verwirrung von den ganzen Paragraphen in seinem Juristen-Kopf auf den alten Trick reingefallen zu sein. Er sieht das genauso wie unser neuer Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD), als einen der ausschlaggebenden Gründe, die für die geplante Legalisierung sprechen: „Unser Ziel ist, die Gesundheit der Konsumenten zu schützen, Kinder und Jugendliche vom Konsum fernzuhalten [und] den Schwarzmarkt trocken zu legen“. Doch, mit Verlaub, ohne dem SPD-Mann zu nahe treten zu wollen oder ihm eine etwas zu große Leidenschaft für seinen Beruf zu unterstellen – an dieser Aussage ist einfach alles falsch. Zu glauben, die Dealer würden ihre Drogenpäckchen wegschmeißen und einen ordentlichen Beruf ergreifen, nur weil der Staat ein paar „Coffee Shops“ aufmacht, ist mehr als nur naiv – schreib dir das mal hinter die Ohren Simon. Ich weiß du kennst die fiesen, dunklen Gestalten mit den Drogen-Tütchen nur aus dem Fernsehen. Deswegen erklär ich dir jetzt mal, wie´s wirklich läuft: Sollten den jungen Männern tatsächlich ein paar Kunden abhandenkommen, werden sie maximal die Preise ein bisschen runter drehen – und da kommen wir zum ersten Knackpunkt.

 

Von wegen Konsumenten-Schutz

Wer wie ich am Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen ist, kennt die mehrheitlich afrikanischen Drogendealer, besser als ihm lieb ist – und weiß, dass die „Jungs“ ungern schlechte Geschäfte machen. Das sieht man an ihren teuren Klamotten, iPhones, Dr. Dre Kopfhörern und an der Tatsache, dass sie sich gegenseitig die Köpfe einschlagen, wenn jemand in ihr Revier eindringt – ich habe das unfreiwillig schon einige Male miterlebt. Innerhalb von Sekunden wird aus einem Zischen ein Brüllen, dann greifen sie zu Flaschen, Messern oder im schlimmsten Fall zu Schusswaffen. Die Männer verstehen also wenig Spaß, wenn es an ihre Knete geht. Müssen sie jetzt mit dem Preis runter gehen, ja was werden sie dann wohl machen? Den Shit strecken, bis kein Halm mehr auf der Wiese steht – und ja ich meine hier wortwörtlich Grashalme, die stopfen sie nämlich gerne in ihre Drogentütchen. Allerdings ist das noch das Harmloseste. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als vor etwa zehn Jahren das Gras im großen Stil mit Rattengift gestreckt wurde. Eine nicht unübliche Methode, die unter anderem auch in den USA zu Todesfällen führte, weil die Konsumenten teilweise schwere Blutungen durch fehlende Blut-Gerinnung hatten. 

Jetzt denkt der Simon vielleicht: „Ja genau, das meint ich doch, man muss den Konsumenten schützen!“ – aber so einfach ist das nicht. Sicher wird es Leute geben, die in die staatlichen Shops rennen, um sich ungestreckten Shit zu holen, aber das wird nicht die Masse sein. Das sind Leute, die sich schon vorher bei ihrem Dealer qualitativ hochwertigeres Zeug beschafft haben – nicht die, die an den üblichen Umschlagplätzen verkehren. Ich meine im Ernst Simon: Hast du dir so einen durchschnittlichen Cannabis-Konsumenten mal angesehen? Du kommst doch aus´m Pott, da gibt’s doch auch so komische Gestalten. Die meisten Leute, die heute in den Görlitzer Park gehen, um Drogen zu kaufen, werden dort auch in Zukunft weiter „shoppen“ gehen und sich das richtig miese Zeug reinziehen – ganz einfach, weil es billiger ist und sie sich so mehr kaufen können.

Das betrifft zum einen Leute, die nicht selten schwere Suchterkrankungen und wenig Geld haben, und zum anderen Jugendliche. Der vermeintliche Jugendschutz ist damit das größte Hirngespinst, das die Ampel-Partner in die Welt gesetzt haben. Wenn sie nicht in die staatlichen Shops dürfen, gehen sie in den Park – so wie sie es schon immer gemacht haben. Da kriegen sie alles, was sie wollen, zum kleinen Preis, ohne Nachfragen. Und künftig, wenn die Dealer tatsächlich nicht mehr so viel Weed verticken können, wahrscheinlich noch schneller, mehr und günstiger auch harte Drogen wie Ecstasy, Kokain, Christal Meth, Speed und was das Drogi-Herz sonst noch so begehrt – vielleicht sogar mit Probier-Angeboten, das wäre auch nichts Neues oder Ungewöhnliches. Wenn man darauf einmal eingeht, kommt man nicht mehr so schnell runter. Ich habe so mehr als nur einen meiner alten Freunde an die völlige Verwahrlosung und Beschaffungs-Kriminalität verloren – ich weiß ja nicht, ob Simon der nächste meiner Bekannten sein will, der so endet. Lustig ist das jedenfalls nicht, zwei von ihnen führte das am Ende bis in den Knast.

 

Mit Cannabis in den Abgrund

So eine Abwärtsspirale fängt eigentlich immer mit dem Konsum von Cannabis an – was ist es also für ein Signal, diese Droge als „Genussmittel“ zu legalisieren? Marihuana ist und bleibt eine Einstiegsdroge, das ist keine Floskel – und das ist nicht dasselbe wie mit Alkohol – zumindest, wenn man sich nicht jeden Tag ins Koma säuft -, und schon gar nicht wie bei Zigaretten oder Koffein. Jeder meiner früheren Freunde hat mit dem Joint hinter der Turnhalle oder auf der Parkbank angefangen. Aus einem wurden schnell zwei, drei, vier und mehr. Dann ist man morgens, mittags und abends stoned, wartet nur noch darauf, sich den nächsten Bong-Kopf oder XL-Joint reinzuziehen – auch in der Schule und selbst bei Abitur-Klausuren. Und ehe man sich versieht, kickt das Zeug irgendwann nicht mehr so richtig. Man hat sich so daran gewöhnt, dass es kaum noch für den Rausch und das „gute Gefühl“ reicht. Wenn man Drogen nimmt, macht man das in der Regel aber aus einem bestimmten Grund: Weil man sich wegballern will. Weg von seinen Problemen, weg vom Alltag und weg von schlechten Gefühlen. Reicht das Gras nicht mehr dafür aus, werden härtere Geschütze aufgefahren – bei mir in der Schule war das als erstes Ecstasy, dann Kokain und Pilze. Am Ende nahmen eine paar Freunde von mir sogar schon im Sportunterricht Speed, um schneller laufen zu können. Umso mehr man in der Szene drin ist und so mehr man ausprobiert hat, desto kleiner wird die Hemmschwelle sich an das ganz schwere Zeug zu wagen.

Marihuana ist aber nicht nur als Einstiegsdroge gefährlich, das grüne Zeug selbst wird maßlos unterschätzt. Es schadet seinen Konsumenten gerade bei regelmäßigem Gebrauch psychisch und körperlich massiv. Es kann ihr ganzes Leben zerstören – wie etwa bei einem frühen Freund von mir. Er fing mit fünfzehn an zu kiffen, weil er cool sein wollte. Ab dem Zeitpunkt wurden seine Noten immer schlechter, er bekam Ärger mit den Lehrern, weil ihm alles egal war und er grade, wenn er high war, auf jede Autorität und alle Konsequenzen gepfiffen hat. Kurze Zeit später flog er nach zahllosen Tadeln und Verweisen von der Schule – und von da an, ging es nur noch bergab. Auf unseren Partys trank er jeden unter den Tisch und das, obwohl wir alle ziemlich abgehärtet waren – in Kombination mit Marihuana endete das oft übel. Kurze Zeit später gesellten sich zur „guten alten Mary Jane“ Pilze und Ecstasy. Manchmal trank er zum Spaß eine ganze Flasche Kodein. Etwas später drückte ihm auf einem Festival irgendjemand eine Pulle in die Hand, die der naive Dauer-Stoner – ein eigentlich netter aber völlig verwahrloster Kerl – ohne zu zögern aussoff. Minuten später war er klinisch tot – konnte von Sanitätern aber Gott sei Dank noch wiederbelebt werden. Ich habe immer gesagt: „Der? Der wird niemals älter als dreißig“ – und habe mir damit einiges an Ärger mit unseren Freunden eingehandelt, aber ich habe das nicht böse gemeint. Ich hatte Angst um ihn und habe das wirklich geglaubt. Ob er heute noch lebt? Keine Ahnung. Das letzte was ich von ihm gehört hab, ist das er mit 22 ein Kind bekommen hat – ausversehen.

Simon kennt solche Leute wahrscheinlich nicht – und das ist ja eigentlich auch gut so. Wenn er gesehen hätte, was ich erlebt habe, wäre er aber wahrscheinlich nicht so naiv. Denn dieses Schicksal ist leider kein Einzelfall – die Leute, die dem Gras verfallen und übel geendet sind, kann ich lange nicht mehr an zwei Händen abzählen. Selbst unseren Schulbesten hat´s damals erwischt. Er war ein absoluter Überflieger, ein Ass in Mathe und Sport, nachdem er das Gras für sich entdeckte, machte er aber am Ende ein wesentlich schlechteres Abitur als ich. Danach verfiel auch er den harten Drogen und bekam mit 20 ein Kind, um das er sich nicht kümmern wollte.  

Cannabis ist aber nicht nur als Einstiegsdroge gefährlich – es birgt ernste gesundheitliche Gefahren. Der Konsum kann bei Jugendlichen unter anderem die normale Hirnentwicklung stören. Er erzeugt unter Umständen Gedächtnisschwächen, vermindert die Koordinationsfähigkeit und kann im schlimmsten Fall -etwa bei Veranlagung gepaart mit massivem Konsum- zum Auftreten von Psychosen führen. Und das ist dann gar nicht mehr lustig, denn dann ist das normale Leben für immer vorbei. Psychosen wie Schizophrenie sind chronische, nicht heilbare Krankheiten, die zu völligem Realitätsverlust, Wahnvorstellungen, Paranoia und damit verbundenen Fehlhandlungen, wie etwa Gewaltausbrüchen, führen können.

 

Das Legalize it-Märchen

Für mich ist die Legalisierung von Marihuana aus all diesen Gründen ein fataler Fehler. Sie hilft weder Konsumenten, noch schützt sie Jugendliche oder vergrault irgendwelche Drogendealer. Sie führt nur zu einer Normalisierung des Drogenkonsums und dazu, dass das stinkende Zeug noch ungenierter in der Öffentlichkeit konsumiert werden kann – am Ende wahrscheinlich in jedem Café, jeder Bar und auf dem Kinderspielplatz. Und da frag ich dich nochmal Simon, willst du das wirklich? Und ich frag dich noch was: Du bist doch Jurist – glaubst du nicht, dass es Leute gibt, die etwas nur deswegen nicht tun, weil es verboten ist? Ich bin davon überzeugt, dass zumindest ein paar wenige Leute gibt, die nur deshalb kein Cannabis konsumieren, weil es verboten ist. Es gibt sie noch, die Leute, die Angst vor der Polizei und strafrechtlichen Konsequenzen haben – sicher sind´s nicht viele, aber ich kannte ein Paar. Und schon deshalb, selbst wenn es nur Einzelne betreffen sollte, finde ich, dass das Zeug verboten bleiben sollte.

Die Milliarden an Steuereinnahmen, die man sich durch den Verkauf verspricht, sind für mich weder den zunehmenden gesellschaftlichen und sozialen Verfall noch die Verwahrlosung eines einzelnen Menschen wert. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem es normal ist, dass auf der Straße offen Drogen konsumiert werden – sei es Heroin oder Marihuana. Oder siehst du das anders Simon? Dann bin ich in diesem Punkt vielleicht weniger freiheitlich als du, aber ich steh dazu. Ich mag es, wenn die Leute wie normale Menschen aussehen und sich auch so benehmen können.

Wenn man den Schwarzmarkt wirklich „austrocknen“ und Jugendliche schützen will, geht das nur durch eine strikte Strafverfolgung und Null-Toleranz – ich finde dafür könntest du dich mal einsetzen. Wie wär´s wenn du mit dem Liberalala-Mist aufhörst und der nächste „Richter Gnadenlos“ wirst? Ich wäre dein größter Fan.


Unter dem Teppich – Apollo Edition 8/2022

Liebe Leser,

Ihr habt es wahrscheinlich mitbekommen, vielleicht ist das auch der Grund, weshalb ihr hier seid: Wir sind gerade dabei, die Berlin-Wahl zu stürzen (ganz bescheiden gesagt). Unser größter Erfolg seit Max Mannhart unseren Blog mit 15 Jahren in seinem Kinderzimmer gegründet hat. 

Sämtliche unserer Rechercheergebnisse, die auf Tichys Einblick veröffentlicht wurden, wurden von großen Medien wie der Welt, der Berliner Zeitung und dem Tagesspiegel übernommen – ohne Quellenangabe versteht sich. Wir nehmen das als Kompliment: Wenn diese großen professionellen Medienhäuser unsere Geschichten übernehmen, ohne es für nötig zu halten zu erwähnen, dass sie von einem Haufen Jugendlicher ohne Journalistenausbildung und teilweise sogar noch ohne Schulabschluss aufgedeckt wurden – na dann müssen wir echt gut sein. Unser Anti-Establishment Konzept zur Ausbildung von Nachwuchsjournalisten scheint große Wirkung zu zeigen.

Es fing an mit bloßem Aktenwälzen, von dem wir uns nicht viel erhofft hatten, weil Berlin ja schon dezent am Ende ist. Doch es endete nun mit einer ausrastenden Präsidentin des Berliner Verfassungsgerichts, einer Wahlleitung, die indirekt Falschaussagen eingestehen musste, mehreren Strafanzeigen gegen die Verantwortlichen und einem ganz einfachen Fazit: Wir konnten alle Argumente, die gegen eine Wahlwiederholung sprachen, widerlegen.

Mehr kann man als Journalisten auch nicht machen. Nun liegt es an der Politik und der Justiz, wieder für Ordnung zu sorgen. Ein Versprechen können wir jetzt schon geben: Wir haben uns festgebissen und wir werden nicht locker lassen. Auch wenn die Verantwortlichen denken, sie könnten es unter den Teppich kehren – wir sind Nervensägen und das werden wir auch bleiben. 

Unsere Recherchen sind im Auftrag von Tichys Einblick entstanden und auch dort erschienen. Alle Exklusivberichte werden wir auch weiterhin dort veröffentlichen, behaltet also ein Auge darauf. Was wir hier auf Apollo bieten, ist ein Blick hinter die Kulissen: Wie lief das ganze genau ab, wer sind wir überhaupt, was kommt als nächstes?

Aber wir haben auch Blut geleckt. Neben der Berlin-Wahl gab es in den letzten Jahrzehnten in der Deutschen Politik immer wieder Skandale, die eigentlich ganz offen auf dem Tisch lagen, doch dann auf wundersame Weise verschwunden sind. Alle großen Aufdeckungen der letzen Jahre, auf die nichts gefolgt ist, haben wir deshalb wieder unter dem Teppich hervor gekehrt. 

Also präsentiere ich, die erste Apollo-Edition unserer neuen Ära!

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Elisa David

Chefredakteurin

Unsere Berlin-Story

Sind wir heimlich alle 60-Jährige? Leaks zu unserem Apollo-Ausbildungsprogramm

Von Larissa Fußer | Wer steckt hinter Apollo News? Wir zeigen es Ihnen. So arbeitet Deutschlands dynamischstes Jugendmagazin.

Eindrücke zur Berlinwahl-Recherche: drei Autoren erzählen

Von Laura Werz, Selma Green, Jonas Kürsch | Unser junges Team erzählt von seiner Recherche und der Spurensuche im Aktendschungel der Affäre rund um die Berliner Wahl 2021.

Berlin-Wahl: Die Rechnung, von der der Berliner Senat nicht möchte, dass Sie sie verstehen

Von Max Mannhart | Unser wichtigstes Rechercheergebnis kurz zusammengefasst: Der Berliner Senat verpfuschte die Wahl – und manipulierte dann den Auszählungsprozess um das zu vertuschen.

Die vergessenen Skandale

Die Marke Scholz: Das macht doch nichts, das merkt doch keiner 

Von Jonas Kürsch: Wirecard, Warburg, Brechmittel: Die Frage ist nicht, ob Scholz längst hätte zurücktreten müssen, sondern wie oft.

Der Staat – ein beliebter Kooperationspartner für Influencer

Von Johanna Beckmann | Der Staat finanziert politische Influencer – und will so die Jugend für sich gewinnen.

Muttis Erbe 

Von Gesche Javelin: Deutschland leidet an einer General-Amnesie. Russlandpolitik, Energiewende, Verteidigung: Angela M.? Nie gehört.

Die Pflege-Impfpflicht – Grundrechtseingriffe an der Tagesordnung, aber niemanden interessiert‘s 

Von Anna Graalfs | Die Impfpflicht für alle ist gescheitert, die Pfleger-Impfpflicht läuft einfach weiter. Die große Empörung bleibt aus. Wie kann das sein?

Antisemitismus finanziert mit deutschem Steuergeld: Das schmutzige Geschäft der UNRWA 

Von Selma Green | Die UNRWA, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen in Palästina, ist von der Hamas unterwandert. Deutschland & Co. finanzieren sie weiter.

“Taxlandia“ – das Steuerpropaganda-Handyspiel, das die EU 155.000€ gekostet hat 

Von Jerome Wnuk | Um junge Menschen für das Steuerzahlen zu begeistern, greift die EU tief in die Tasche. Früher nannte man das Staatspropaganda, heute Peanuts.

Markus Söder: Maskenaffären, ein fragwürdiges Menschenbild und katastrophale Personalentscheidungen

Von Jonas Aston | In der Corona-Politik machte er alles falsch, was man falsch machen kann. Doch Konsequenzen trägt er keine – wie kann das sein?

Unterm Strich: Ungenügend – ein Zwischenzeugnis für Frau Lambrecht

Von Noemi | Frau Lambrecht ist zur falschen Zeit am falschen Ort und scheint kein Interesse daran zu haben, an ihrem Dauerversagen etwas zu ändern. Aber das richtige Parteibuch regelt das scheinbar.

Lufthansa und der Antisemitismus: Turbulentes aus der Luftfahrt 

Von Simon Ben Schumann | Der Kranich hat ein Problem mit Antisemitismus – und ansonsten läuft es auch kaum rund. Ob ihr eine sanfte Landung noch gelingen wird? „Tower warning: bad weather.“ 

Andere Wühler

Tim Röhn und die Kunst des Presseanfragen-Terrors

Von Larissa Fußer |  Tim Röhn lässt Lauterbach & Co. schwitzen. Es gibt ihn noch, den Investigativjournalismus.

Timur Husein – die Einmann-Armee gegen den Kreuzberger Wahnsinn

Von Pauline Schwarz |  In Berlin-Kreuzberg für die CDU – puh. Ein einsamer Kommunalpolitiker auf den Spuren des Wahnsinns.



Eindrücke zur Berlinwahl-Recherche: drei Autoren erzählen

Selma (16):


Am Dienstagmorgen, den 17. Mai, trottete ich nicht, wie sonst, zur Schule. Nein, an dem Tag marschierte ich zum Kammergericht in Berlin. Ich ließ 8 Schulstunden und einen Mathetest sausen und setzte mich vor sieben Ordner, mit je 500 Seiten. Haben sie schon mal 4000 Seiten am Stück fotografiert? Kamera nach links: klick!, Kamera nach rechts: klick!, umblättern, Kamera nach links: klick!, Kamera nach rechts…so ging es weiter, für neun Stunden. Nun, es war der Sinn der Sache, der mich antrieb, all diese Seiten zu fotografieren: Es geht schließlich um unsere Demokratie! Außerdem: bei der Arbeit, so dumpf sie auch klingt, gab es doch eine gewisse Spannung, denn jedes zweite Wahllokal hatte eine andere Story über eine Wahlpanne zu bieten. Neun Stunden lang arbeitete ich mich durch die Wahlunterlagen der Berlinwahl und habe alles mögliche gesehen: Protokolle auf blankem Papier, auf gelbem Papier und sogar auf einem Stück Pappe! Wahlhelfer, die kein Deutsch können, Wahlhelfer, die Leute zwei Mal wählen lassen und Wahlhelfer, die nicht verstanden haben, was sie da ausfüllen. Nicht zu fassen wie mit dieser Wahl umgegangen wird. Ich bin vielleicht erst 16 Jahre alt und war noch nie an einer Wahl beteiligt, doch selbst ich rieche, dass da was faul ist.


Laura (19):


Zwei Tage der letzten Woche verbrachte ich im Kammergericht Berlin, zwischen Kisten und Aktenstapeln, mit dem Handy in der Hand, Fotos knipsend. Statt in die Uni zu gehen, habe ich mich durch die Wahlunterlagen von Neukölln und Lichtenberg gearbeitet. Wir haben teilweise stillschweigend, konzentriert und stringent hintereinanderweg ein Foto nach dem anderen gemacht. Die Zusammenarbeit der beiden Tagen hat mich besonders beeindruckt. Anders wären diese Aktenmengen auch nicht zu bewältigen gewesen. Wir wussten stets, wie viel noch zu schaffen ist, wer welchen Bezirk gerade bearbeitet und welche Daten noch übertragen werden müssen. So trocken, wie diese Fleißarbeit klingt, hat sie doch auch sehr lustige Momente geboten. So machten wir immer wieder unterhaltsamen Entdeckungen, welche über amüsante dokumentierte Zwischenfälle bis hin zu sympathischen anonymen Wählerbriefen reichten. Am Ende beider Tage fuhr ich mit einem wirklichen Erfolgsgefühl nach Hause. Wir haben gemeinsam, als Team, lange und konzentriert aus Überzeugung gearbeitet, in der Hoffnung, auf irgendetwas zu stoßen, das die Mühe wert wäre. Bei den Auswertungen der Unterlagen zu Hause wurden unsere Erwartungen schließlich sogar übertroffen. Dieses Teamwork zu erleben und jetzt zu sehen, dass sich unsere Fotosessions gelohnt haben, ist ein sehr gutes Gefühl.

 

Jonas (20):


In den vergangenen Wochen habe ich mich, wie viele meiner Kollegen bei Apollo News, durch die tausenden digitalisierten Ordnerseiten der Berliner Wahlen aus dem vergangenen Jahr geblättert. Unregelmäßigkeiten waren bei dieser Wahl keine Ausnahme, sondern der Regelfall. In so gut wie jedem Wahllokal ergaben sich hohe Differenzen zwischen den abgegebenen Wahlzetteln und den im offiziellen Verzeichnis eingetragenen Wählern, die in den meisten Fällen unaufgeklärt blieben. Zudem kam es in etlichen Fällen zur Ausgabe von vertauschten Wahlzetteln, die in vielen Wahlgebieten zur nachträglichen Ungültigkeit tausender abgegebener Stimmen führten. In anderen Wahlkreisen erklärte man diese ungültigen Stimmen dann im Nachhinein doch wieder für gültig, selbst wenn die auf dem Stimmzettel angegebenen Kandidaten überhaupt nicht in den von Verwechslungen betroffenen Wahlkreisen ansässig waren.
Ich ziehe daher folgendes Fazit aus der Auswertung dieser Unterlagen: die Wahlen in Berlin hatten nur wenig mit der demokratischen Legitimierung unserer Volksvertreter zu tun. Sie war unprofessionell, intransparent und für den Wähler verwirrend. Das vom Apollo-Team aufgedeckte Chaos in der Hauptstadt wäre vielleicht in einem jungdemokratischen Dritte-Welt-Land zu erwarten gewesen, nicht aber im „besten Deutschland, das es jemals gegeben hat“ (Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier). Es ist daher auch skandalös und keinesfalls nachvollziehbar, dass sich Oberbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) eigenen Angaben zufolge nicht als eine von „denen (sieht), die sich jetzt schon Gedanken über den nächsten Wahlkampf machen.“


Team Amber oder Team Johnny? – Das große Apollo Battle

Lesen Sie hier: Das große Debattenduell. Team Amber vs. Team Johnny. Der Rosenkrieg zwischen Amber Heard und Johnny Depp ist vorerst vorbei – doch auf Apollo geht die Schlammschlacht weiter! 

Achtung: Dieser Beitrag könnte Spuren von Humor enthalten. Keine Deppianer oder Amberioten wurden bei der Produktion dieser Kolumne ernsthaft verletzt. Dieser Austausch spiegelt in keiner Weise das Arbeitsklima bei Apollo News wieder, sondern dient schlichtweg Unterhaltungs- und Ausbildungszwecken. Seelsorgerische Unterstützung stand den Autoren zu jeder Zeit zur Verfügung.


Warum Johnny Depp nicht mein Sugar-Daddy ist

 

Von Simon Ben Schumann | Man kann mir ja wirklich vieles vorwerfen – zum Beispiel, dass ich wie ein „Beta Male“ wirke. Wie eine dürre, undynamische Gestalt neben der sogar ein Strohhalm aussieht wie Carsten Stahl. Aber eines bin ich ganz sicher nicht: Ein „Simp“ – also ein Mann, der bei Frauen schleimt, um zu landen. Doch genau das ist der Vorwurf, den jedes Mitglied von „Team Amber“ trifft. „Du willst doch nur dieselbe Frau wie Elon Musk!“, ist nur einer der Sprüche aus dem Depp-Lager, die mir schon an den Kopf geknallt wurden. Aber das lässt mich kalt. Denn auch wenn Deppianer dafür völlig blind sind, es gibt gute Argumente für Heards Ansicht.

Sugar-Daddy Johnny Depp verteidigen – bei der Vorstellung wird mir übel. Supererfolgreiche Männer mit gebrochenem Herzen sind zwar populär. Als ein Nicht-Abonnent von „Bunte“ und sonstigen Boulevardmagazinen bin ich dagegen aber immun. You hear me, Elisa?

 

Fanatismus im „#TeamJohnny“: Wenn Jack-Sparrow-Fans verrücktspielen

Ich verstehe, dass man auf der Seite von Johnny Depp stehen kann. Er ist sympathisch, beliebt und darüber hinaus einer der erfolgreichsten Schauspieler weltweit. Mit „Fluch der Karibik“ hat er eine globale Fanbase hinter sich. Aber seine Supporter gehen hier oft zu weit.

Ich erinnere mich noch gut an unsere letzte Apollo Zoom-Konferenz. Irgendwie kamen wir auf das Thema des Prozesses zu sprechen und ich sagte gedankenverloren: „Ich finde, es gibt auch gute Argumente für Amber Heard.“ – Damit war mein Todesurteil gefällt und rechtskräftig. Ein ohrenbetäubender Sturm aus Entrüstung, Beschimpfungen und schallendem Gelächter brach los. Ich solle noch ein paar Cousins einpacken, „dann klären wir das am Alex“, war Elisas erster Vorschlag für den Disput. Für sie Alltag, für mich ein absoluter Schock. Zum Glück akzeptierte sie – zwar zähneknirschend – doch noch ein schriftliches Battle.

Ein Gerichtsprozess wird zum Zankapfel. Wer im Recht ist? Egal, was zählt ist, wessen Fan du bist. Gerade bei einem so ernsten Thema wie der häuslichen Gewalt sollten wir aber genauer hinschauen. Und nein, Elisa: Damit meine ich nicht „Johnnies“ neue Ohrringe.

 

Amber Heard – Ein unsympathisches Opfer häuslicher Gewalt?

Stets gestylt und attraktiv; eine oberflächlich betrachtet schöne Frau. Erfolgreiche Schauspielerin. Dafür ein Charakter, der auch Dantes Kreisen der Hölle entspringen könnte – das ist Amber Heard. Ihr Äußeres konnte keinen so weit trügen, sie für einen Engel zu halten. Doch sie zu dämonisieren, halte ich für falsch. Außerdem können die Fehler der einen die Fehler des anderen nicht annullieren.

Nüchtern – ob Elisa dieses Wort kennt? – betrachtet geht es im Prozess um Diffamierung. Die Aufgabe der Jury ist es nicht, festzustellen, wer von beiden der schlechtere Mensch ist. Von außen gesehen haben beide ihre Schattenseiten. Amber Heard machte Ton- und Videoaufnahmen ohne Erlaubnis, provozierte und betrog Johnny Depp womöglich in seinem eigenen Appartement. Depp betrank und bekokste sich über jedes Maß, zerschmetterte Möbel und Geschirr und ritzte sich in Gegenwart seiner Ehefrau – während sie ihn bat, damit aufzuhören. Beide nahmen gemeinsam eine Menge Drogen, z. B. Ecstasy. Dass Amber Heard gewalttägig wurde, beweisen ihre aufgezeichneten Aussagen.

Nichtsdestotrotz ist ihr der Vorwurf der Diffamierung nur schwer nachzuweisen. In dem betreffenden Artikel, welcher 2018 in der Washington Post veröffentlicht wurde, fällt der Name „Johnny Depp“ nämlich gar nicht. Direkt attackiert und damit diffamiert hat sie ihn also nicht. Besonders umstritten ist die Überschrift des Artikels: „I spoke up about sexual violence – and faced our culture’s wrath. That has to change.“ Sie bezieht sich indirekt auf Depp, Amber Heard’s Team bestreitet jedoch, dass der Titel überhaupt von ihr stammt.

Und auch wenn Elisa es nur ungerne zugibt, ergibt sich aus der Beweislast, dass auch der Depp gerne mal ausflippt. Er soll ein Handy nach Amber Heard geworfen haben, das wirkt auf mich nicht unwahrscheinlich. Es gilt zwar „Beyond a reasonable doubt“ – aber sollten Frauen jetzt wirklich unhinterfragbar beweisen müssen, gewaltsam angegangen worden zu sein, um nicht am Ende vor Gericht als Lügnerin dazustehen? Eine solche Evidenz ist in vielen Fällen häuslicher Gewalt schlicht nicht aufzubringen. Hier greift das klassische juristische Totschlagargument: „Das kann nicht sein.“ Außerdem liegt die Beweisschuld bei Depp; er muss belegen, diffamiert worden zu sein. Doch dieser Beweis liegt meiner Ansicht nach nicht vor – Urteil hin oder her.

 

Gehören private Streitereien in die Öffentlichkeit?

Ich finde, es ist Johnny Depp absolut zuzutrauen, dass auch er in der Beziehung handgreiflich wurde. Manche Zeugenaussagen und auch filmische Beweise deuten in diese Richtung. Ein Beispiel dafür ist ein illegal von Heard aufgenommenes Handyvideo, in dem Depp sich abschießt und beginnt, verschiedene Teile seinen Innenrichtung brutal zu zerlegen. Allerdings sind alle menschlichen Zeugen voreingenommen, eindeutige Beweise gibt es nicht. Das ganze Verfahren ist in gewisser Hinsicht nicht zufriedenstellend auflösbar. Amber Heard hat Johnny Depp vermutlich nicht „diffamiert“, da ihre Aussagen unmöglich bewiesen oder widerlegt werden können, einiges aber ihren Wahrheitsgehalt untermauert. Deswegen ist es aber genauso falsch, Johnny Depp als Täter hinzustellen. Beide lebten in einer weltentfremdeten, vergifteten Beziehung voller Streit, Hass, Drogenmissbrauch und Gewalt.

Ich kann – Elisa, Überraschung! – Depps Motivation für die Klage völlig nachvollziehen. Mitunter durch den Artikel in der Washington Post verlor er mehrere Filmprojekte, obwohl er nie als „Schläger“ verurteilt wurde. Er verlor aber auch schon vor dem Diffamierungsprozess wegen dem gleichen Themenkomplex vor Gericht. Trotzdem: „Guilty until proven innocent“ ist ein Maßstab, nach dem niemand bewertet werden sollte. Sowohl Amber Heard als auch Johnny Depps Leben wurden durch dieses Verfahren in Mitleidenschaft gezogen. In den USA dürfen Prozesse, anders als in Deutschland, gefilmt und verbreitet werden. Privateste Momente gelangten so an die Öffentlichkeit. Wir diskutieren als Zuschauer dann darüber – einerseits cool, dass das möglich ist. Aber ist es auch angemessen?

Mein Plädoyer: Amber Heard wäre in diesem Prozess im Recht gewesen, da ihr keine Diffamierung mit Falschbehauptung nachgewiesen werden kann. Johnny Depp hingegen ist in einer äußerst schwierigen Lage – weder Opfer noch Täter, vielleicht aber beides, wie seine Ex-Frau. Seinen Ruf zu verteidigen, bleibt eine Mammutaufgabe.

Die erwachsene Lösung wäre vielleicht: Differenzierter Umgang mit der Vergangenheit statt einem einzigen Schuldspruch. Denn leider ist unsere Realität selten schwarz oder weiß; sie ist beides zugleich.


Schluss mit Krokodilstränen und Affentheater – wir sind hier nicht im Zoo

 

Von Elisa David | Also erstmal: das mit dem Alex hab ich nur gesagt, weil ich dachte, der gute Simon fängt hier gleich an mit Flaschen zu werfen, wenn man sich auf die Seite des Monsters stellt, das seine geliebte Amber auf 10 Millionen verklagt. Da wollte ich halt gerne Zeugen haben. Außerdem lasse ich erstmal keine Amberanhänger in meine Wohnung, erst recht nicht, wenn da ein Bett steht.

 

#metoo für die Medien

Es ist nun sechs Jahre her, dass Amber Heard Johnny Depps Leben und Karriere fast vollkommen zerstört hat. Sie hat öffentlich gemacht, dass sie ein Opfer häuslicher Gewalt wäre, genau zum Höhepunkt des #metoo Movements. Aber sie hat ihn nicht etwa angezeigt oder so. Nein, sie hat entschieden, diesen Krieg über die Medien auszutragen. Hat auch ganz gut geklappt. Bis Johnny Depp beschlossen hat, sie vor Gericht zu ziehen. Da kann sie keine herzzerreißenden Phrasen schwingen oder Dinge behaupten, die sie nicht bewiesen kann. Da muss sie ruhig auf ihrem Platz sitzen und warten bis sie dran ist. Und es zählen keine Emotionen, sondern Fakten. 

Ich glaube dieser Frau kein Wort mehr. Ich habe gesehen, wie sie im Gerichtssaal gegrinst hat, während Audiodatein angespielt wurden, in denen sie furchtbare Dinge gesagt haben soll. Ich habe gehört, wie sie in den Audios Johnny Depp angebrüllt hat, sich über ihn lustig gemacht hat – reagiert so ein Opfer auf den Täter, vor dem sie ja sooo große Angst hatte? Wir reden hier übrigens nicht nur darüber, ob er ihr mal eine geklatscht hat, oder nicht. Sie hat behauptet, dass er sie gewürgt hätte, sie verprügelt hat, bis ihr fast die Nase gebrochen wäre – für nichts davon gibt es medizinische Akten. Sogar mit einer Wodkaflasche soll er sie vergewaltigt haben. Wenn das wahr wäre, würde dieser Mann hinter Gitter gehören. Doch sie kann nicht mal beweisen, dass er ihr auch nur eine Backpfeife gegeben hat. 

 

Ihr Zauber-Make-up hätte ich auch gerne 

Ihre Geschichte ergibt keinen Sinn. Wenn man nicht auf ihre Krokoilstränen und ihr Affentheater reinfällt – weil wir hier nun mal nicht im Zoo sind, dann sieht das auch jeder. Sie behauptet sie habe ihre blauen Flecken und Wunden im Gesicht mit Make Up wegkaschiert und das wäre der Grund weshalb nie jemand was geahnt hat, nicht mal ihre Ärzte. Die Jury bestand aus fünf Männern und zwei Frauen. Viele haben sich deshalb gewundert, ob das aus Sicht von Ambers Verteidigung nicht kontraproduktiv wäre. Ich denke nicht, dass es kontraproduktiv wäre, ganz im Gegenteil. 

Männer lassen sich von Frauen in der Opferrolle einlullen. Ne, Simon? Dabei merken sie gar nicht, ob die Tränen echt sind oder nicht, sie sind auf andere Dinge konzentriert – im besten Fall auf ihren Beschützerinstinkt. Es wundert mich auch nicht, dass in diesem Apollo-Battle ich als Frau, die auf der richtigen Seite bin, während mein Kollege Simon hier den Simp gibt. Ich bin ihm nicht böse, er kann nichts dafür – so eine schöne Frau. 

Männer haben noch nie verzweifelt versucht Augenringe oder Hautunebenheiten oder was weiß ich, mit Concealer abzudecken nur um dann immer noch genauso auszusehen wie vorher. Wenn man aber nicht so viel mit Frauen zu tun hat, kann man das ja nicht wissen. Wobei, nicht ganz genau wie vorher. Die komplette Hautfarbe stimmt nicht mehr überein, man bekommt Flecken und von dem Farbunterschied zwischen Gesicht und Hals will ich gar nicht erst anfangen. Man sieht aus wie aus Plastik, nur die Stelle, die man gerne abdecken wollte, hält sich wacker. Aber klar, wenn dann Amber Heard um die Ecke kommt, sagt „Der böse Johnny mit Ringen an jedem Finger hat mir so lange ins Gesicht geschlagen, dass ich es nicht zählen konnte. Aber ich hab ein bisschen Eis drauf getan und etwas Puder aufgelegt und dann ging es.“, will jeder Mann der erste sein, der sie tröstend in den Arm nimmt.

 

Schminke aus der Zukunft

Ich denke mir dabei nur: Amber, die Make Up Palette hätte ich gerne, kannst du mir nicht unter Frauen einen Tipp geben, wo man sowas her kriegt? Moment mal, im Eröffnungsplädoyer hat ihre Anwältin doch sogar eine Make Up Palette hochgehalten und gesagt, dass sie genau die während der Ehe benutzt hat.

Warum hat sie dann nicht gleich einen Werbevertrag mit der betreffenden Firma bekommen? Ach ja richtig, weil die Firma Milani Cosmetics ja bekannt gegeben hat, dass das Produkt zur Zeit der Ehe noch gar nicht auf dem Markt war, sondern viel später rausgekommen ist. 

Tut mir leid, meine Meinung steht fest. Und mit jedem Zeugen von Johnny Depps Seite, der souverän die Fakten dargelegt hat und jedem Zeugen von Ambers Seite, der sich nur stotternd in Widersprüchen verfängt, steht meine Meinung noch mehr fest. Und am Ende scheint es der Jury ähnlich gegangen sein.


Unser Team erzählt von seiner Recherche zur Berlin-Wahl

Als in unserer Redaktion die Nachricht rumging, dass händeringend Leute für das Durchwühlen der Berliner Wahlakten gesucht werden, brauchte es nicht lange, bis sich alle Apollo-Autoren aus Berlin und Umgebung Tag für Tag dazu bereit erklären. Manche fünf Tage, manche nur einen – je nachdem wie das Studium, die Schule oder sonstige Termine es zuließen. Wir waren für Tichys Einblick unterwegs und stolz endlich wie richtige Journalisten an einem Projekt teilzuhaben, von dem nichts geringeres als die Basis der deutschen Demokratie abhängt. 

Stufe 1 war das Berliner Kammergericht, doch als wir da fertig waren, war es noch lange nicht vorbei. Stufe 2: die Auswertung. Hier kamen und kommen auch Autoren dazu, die nicht vor Ort sind. Zig Tausend Dateien wurden durchgeblickt, nach Besonderheiten und Unstimmigkeiten gesucht und Zahlenberge in Excel-Tabellen eingetragen. Alle größeren und relevanteren Pfunde wurden exklusiv auf Tichys Einblick veröffentlicht. Ohne TE hätten wir weder die Ressourcen, noch das Know How gehabt, um so eine Aktion durchzuziehen. Die Akteneinsicht hatten wir Marcel Luthe zu verdanken. Er ist den Unstimmigkeiten der Berliner Wahl schon seit dem ersten Tag auf den Grund gegangen und hat sich auch von nichts aufhalten lassen, weiter nachzuhaken. Das ganze Projekt ist also eine Teamarbeit. 

Wir haben alle zusammen gearbeitet, weil es hier um viel geht. Nicht nur eine große Story oder eine Möglichkeit sich zu profilieren, sondern das Recht eines jeden Bürgers in Deutschland, an den demokratischen Wahlen teilzunehmen. Dieses Recht wurde Hunderten Bürgern allein in Berlin – der Hauptstadt Deutschlands und das Herzstück der deutschen Politik – genommen. Einige scheinen das nicht so ganz verstanden zu haben. Neben der Berliner Zeitung, dem Tagesspiegel, der BZ auch die Welt am Sonntag – sie alle stellten es als ihre Recherche dar. Statt unserem Beispiel nachzufolgen und zusammen zuarbeiten, haben sie Tichys Einblick nicht zitiert. Während Wahlmanipulation und Verstrickungen zwischen Justiz und Politik aufgedeckt werden, haben diese Medien scheinbar nichts besseres zu tun gehabt, sich um ihren Ruf zu sorgen. Korrekt zitiert werden wir dabei lediglich von Gunnar Schupelius von der BZ, der auflagenstärksten Zeitung der Hauptstadt.

Hätten wir die Akten nicht durchgewühlt t – hätten die ganzen anderen Journalisten, die diese Story vom Schreibtisch aus abgeschrieben haben, immer noch nichts besseres zu tun, als über den Erdbeerkuchen von Manuela Schwesig zu philosophieren. Verstehen Sie uns nicht falsch: wir sind stolz, dass all diese Elite-Blätter unsere Arbeit als ihre eigene ausgeben konnten – das zeigt wie gut wir sind. Und für die gute Sache kann man da mal drüberhinweg sehen. Trotzdem wollen wir doch den betreffenden Journalisten die folgende Einsicht nicht ersparen: ihr habt bei 16-27 Jährigen abgeschrieben. 

Und wenn ihr euch nicht mal bald wieder darauf besinnt, welche Aufgabe die Presse in der Demokratie spielen sollte, werdet ihr das in Zukunft noch öfter tun müssen. 

Hier die Eindrücke einiger der Apollo News-Journalisten, die an diesem Projekt mitgearbeitet haben:


Hauptstadtgöre vs. Dorfprolet – Runde II

Lesen Sie hier: Das große Debattenduell. Soja-Latte-Pauline und Mistgabel-Jonas steigen wieder in den Ring – und tragen den Stadt-Land-Konflikt auf der virtuellen Bühne aus. Für wen fiebert ihr in Runde zwei mit: Team Kuhkaff oder Team Assikiez? 

 


Achtung: Dieser Beitrag könnte Spuren von Humor enthalten. Keine Dorfproleten oder Hauptstadtgören wurden bei der Produktion dieser Kolumne ernsthaft verletzt. Dieser Austausch spiegelt in keiner Weise das Arbeitsklima bei Apollo News wieder, sondern dient schlichtweg Unterhaltungs- und Ausbildungszwecken. Seelsorgerische Unterstützung stand den Autoren zu jeder Zeit zur Verfügung.


 

Lieber ab und an ’ne Schießerei, als ständige Angst vor’m grunzenden Tod 

 

Von Pauline Schwarz | „Mauer drum, Schloss zu und Schlüssel weg“, sagte mein Apollo-Kollege Jonas mal zu mir, als es um meine Heimatstadt Berlin ging. Bei uns gebe es doch eh nur Bekloppte und jede Menge Kriminalität. Und ich meine, ja, wo er recht hat, hat er recht – in der Kriminalitätsstatistik sind wir nicht nur die Sieger der Herzen. Vor zwei Jahren haben wir Frankfurt am Main im hohen Bogen vom Thron der gefährlichsten Stadt Deutschlands gestoßen und halten seitdem beharrlich daran fest, endlich mal nicht der erste von hinten zu sein – auch wenn uns das in diesem Fall gut tun wurde. Dem Jonas passt das alles natürlich super in den Kram, um weiter gegen die Großstadt zu hetzen. Der sitzt da süffisant grinsend auf seinem Heuballen irgendwo im Nirgendwo und fühlt sich verdammt sicher. Aber ist er das wirklich? In Berlin gibt es vielleicht ein paar Taschendiebe und Drogendealer, im Dorf aber lauert in jeder dunkeln Ecke und hinter jedem Gebüsch der Tod auf vier Hufen.

Ich bin in meinem Leben noch nicht besonders oft durch die Einöden unseres Landes spaziert und musste mich dementsprechend selten durch das tückische Unterholz eines 300-Einwohner Kuh-Kaffs in Süd-Thüringen schlagen. Das eine Mal, als ich als Jugendliche in einen besonders abgelegenen Wald geschleppt wurde, wäre aber fast mein letztes gewesen. Ich bin in Berlin schon beklaut, begrapscht und bedroht worden. Ich war Zeuge diverser Schlägereien und bin damit aufgewachsen, dass am Platz um die Ecke hunderte Patronenhülsen zwischen den Fugen der Steine steckten, ohne dass sich jemand daran störte. Ich habe also schon viel Gewalt gesehen und war in so vielen gefährlichen Situationen, dass sie locker für drei (Großstadt-)Leben reichen würden. So nah, wie in diesem Moment damals im Wald, war ich dem Tod aber noch nie.

Erst raschelte es nur im Gebüsch – man hörte ein Scharren und Schnauben. Und dann kam es plötzlich aus dem dunklen Unterholz: Ein riesiges Ungeheuer mit langen messerscharfen Eckzähnen, glühenden Augen und einem borstigen Kopf. Zweihundert Kilo vor Wut schäumende Kampfkraft rannten auf uns zu. Ich sah schon mein kurzes Leben an mir vorbeiziehen, während ich grade die Beine in die Hand nehmen wollte, als jemand im Hintergrund brüllte: „Ruhe bewahren, Weglaufen ist zwecklos! Der ist schneller.“ – und ich dachte nur: „Na super, das war´s. Ich habe den Görlitzer Park, das Kottbusser Tor und den Berliner Alexanderplatz überlebt. Und wofür? Damit ich mitten im Wald von einem Ungetüm zerfetzt und meine Überreste zwischen den Wurzeln maroder Bäume verteilt werden?“

Doch ich kam grade nochmal mit dem Schrecken davon. Der riesige Keiler galoppierte so schnell wie er gekommen war, wieder in die Dunkelheit. Er verzehrte sich an diesem Abend wohl nicht nach Homo Sapiens, sondern nach ein paar Eicheln und einem schönen Schlammbad, ohne dass ihn irgendwelche nervigen Wanderer dabei störten. Aber das war Glück, immerhin sind die Viecher während der Brunst oder bei der Verteidigung ihres Nachwuchses nicht zu Scherzen aufgelegt. Und sie verfügen über enorme Kräfte. Muskeln wie Stahlplatten, einen Kiefer, mit dem sie mühelos menschliche Oberschenkelknochen zermalmen können und Hauer, die dank dem ständigen Wetzen so scharf sind, dass sie einem die Arterien aufschlitzen können – wenn man nicht grade durch die Lüfte geschleudert wird.

Ich mache mir Sorgen um Jonas, immerhin ist er dieser Gefahr ständig ausgesetzt. Ich kann mich im Berlin zum Schutz vor Dealern, Dieben und sonstigem Gesocks im Auto einsperren und damit selbst zum Briefkasten fahren. Aber was ist mit Jonas? Vor dem grunzenden Tod ist er auch im Auto nicht sicher. Die Tiere rennen auf die Fahrbahn und, ZACK, dreifacher Überschlag. Einem Bekannten von mir ist das passiert – da brauchst’e im schlimmsten Fall keine weit entfernte Dorf-Disse, drei Liter Korn und einen Baum am Wegesrand, um den frühen Dorf-Tod zu sterben.

Bei der Suche nach Pilzen oder der Beobachtung von Wildvögeln – viel andere Beschäftigungsmöglichkeiten gibt’s bei den Dorfpommeranzen nicht, außer vielleicht Kühe umschubsen – wird Jonas im Falle eines Angriffs auch niemand zu Hilfe eilen. Wer auch? Wo der herkommt, gibts mehr Hühner als Einwohner – aber ein Wildschwein, das kommt selten allein. In Berlin gibt’s immerhin die Möglichkeit, dass einem jemand zu Hilfe eilt. Zugegeben: Die Berliner ham´s nicht so mit Zivil-Courage. Selbst bei Übergriffen auf Frauen sehen die deutschen Männer schneller Weg, als man „Hilfe“ sagen kann. Aber ich habe immerhin die Chance, dass ein anständiger Türke seinem Ehrgefühl folgt und die schwache Frau in Schutz nimmt. Wer soll sich auf Jonas Seite schlagen? Ein einsamer Wolf, der noch ein Hühnchen mit dem Eber zu rupfen hat, weil der dem letzten die Jagd-Tour vermasselt hat? Ich glaube kaum.

Im Gegenteil: Der hungrige Wolf ist nur ein weiter Grund, warum das Dorfleben vielleicht gar nicht so sicher ist, wie die Leute vom Ländle sich das gerne einreden. Und im Ernst, wir sind damit doch noch lange nicht am Ende. Neben dem Keiler, der Bache und dem Wolf gibt es tollwütige Füchse, rasende Rinder, giftige Kreuzottern, bisswütige Spitzmäuse, Killer-Hornissen, Bandwürmer und eine ganze Armada von Deutschlands wohl gefährlichstem Tier: der Zecke. Wenn einen davon nichts dahinrafft, tut es vielleicht der „Witwenmacher“. Dann heißt es „Tod durch Totholz“ – oder auch: Dem is´n Ast auf den Kopp gefallen.

Wenn ich in Berlin bei einer Schießerei drauf gehe, dann gibt’s danach wenigstens ’ne gute Story und ’ne fette Diskussion in Politik und Medien. Wenn Jonas von nem Heuballen überrollt oder vom Keiler massakriert wird, kriegt das wahrscheinlich kaum einer mit.

 


Lieber um 20 Uhr Schotten dicht, als Parks voller Textil-Fachkräfte

 

Von Jonas Aston | Ich habe mich neulich wieder mit meiner Apollo-Kollegin Pauline unterhalten und ich muss sagen, inzwischen steigt ihr der viele Soja-Tee zu Kopf. Ich erzählte gerade von der guten Landluft und netten Gesprächen mit netten Nachbarn, da fiel Pauline mir plötzlich ins Wort. Sie faselte etwas von „elendiger Vertrautheit“. Anonymität wisse ich überhaupt nicht zu schätzen. Dann schoss sie den Vogel endgültig ab und meinte: „So lange nicht wieder einer meiner Nachbarn vor mein Fahrrad in den Hof kackt, ist es mir herzlich egal, was sie treiben“. Bei mir schrillten alle Alarmglocken. Die Großstadt hat sie anscheinend völlig abgestumpft. Normalerweise wäre das der Punkt gewesen, an dem ich Pauline die Nummer der Telefonseelsorge aufgeschrieben hätte. Aber als angehende Psychologin kennt sie diese ja sogar auswendig.

Ich traue mich wegen solcher katastrophalen Zustände nur selten nach Berlin. Einmal ging es aber nicht anders. Die Schule verdonnerte uns zu einem Trip in die Hauptstadt. Wir besuchten den Bundestag, das Brandenburger Tor, das Museum der deutschen Geschichte und den Checkpoint Charlie. Besonders in Erinnerung sind mir jedoch die vielen Berliner Parks geblieben. Dort herrschte am späten Nachmittag rege Betriebsamkeit. Mir und meinen Freunden wurde alle paar Meter „Stoff“ angeboten. Mein 15-Jähriges Ich war sehr verwirrt. In der Bundeshauptstadt wird anscheinend viel genäht, dachte ich. Doch die Straßenverkäufer kamen mir gar nicht wie Fachkräfte der Textilindustrie vor. Nur unsere Lehrerin war von den Vorgängen im Park sehr schockiert. Sie rief bei der Polizei an. Nach dem Telefonat war sie sogar noch wütender. Die Antwort, die sie erhielt, muss wohl in die Richtung „und in China ist ein Sack Reis umgefallen“ gegangen sein.

Doch nicht nur die Textilindustrie hat sich in dem Park angesiedelt. Auch vor Medizinern muss es nur so gewimmelt haben. Am Wegesrand sahen wir überall gebrauchte Spritzen. Für die Messer und zahlreichen Patronenhülsen habe ich jedoch auch keine Erklärung. Später wurde uns dann mitgeteilt, dass ein berüchtigter Clan in jenem Park sein Unwesen treibe. Schießereien seien an der Tagesordnung. In diesem Zusammenhang stelle ich mir folgende Frage: Was macht Pauline, wenn ihr spät abends auffällt, dass ihre Qinoa-Samen zur Neige gehen? Das Leben stellt sie in diesem Fall vor ein unmenschliches Dilemma. Zuhause bleiben und sich der Gefahr des Hungertods aussetzen? Oder sich vor die Haustür wagen und mit dem Heldentod konfrontiert werden? Bisher scheint Pauline dem Survival of the Fittest standzuhalten. Deswegen möchte ich ihr an dieser Stelle meine Bewunderung aussprechen. Wie sie sich Tag für Tag durch den Großstadt-Dschungel hangelt, nötigt mir wirklich Respekt ab. Ihr Überlebensinstinkt muss stark ausgeprägt sein.

Zum Glück gibt es Orte, an denen die Welt noch normal ist – nämlich in meinem Dorf. Am späten Abend kann ich hier nirgendwo Qinoa-Samen kaufen. Das liegt daran, dass Qinoa-Samen hier überhaupt nicht angeboten werden und ich gebe ja auch gerne zu, dass alle Läden in der Region nach 20:00 Uhr geschlossen haben. Für uns ist das aber kein Problem. Anders als die Berliner, denken wir länger als von 12 bis mittags. Spritzen am Wegesrand, Patronenhülsen, Messerstechereien? Fehlanzeige! Schlägereien gibt es höchstens bei der Kirmes. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass in meinem Dorf jemals eingebrochen wurde. Ganz im Gegenteil: Von Kriminalität ist mein Ort vollkommen unbelastet. Mopeds und Motorräder stehen ohne jede Schutzvorrichtung einfach auf dem Hof herum. Passiert ist noch nie etwas. Selbst Häuser und Autos werden hier nur selten abgeschlossen.

Ich hoffe, ich habe jetzt nicht zu viel verraten. Also liebe Pauline: Bitte bleib mit deiner Gang in Berlin und raube nicht mein Dorf aus!

 

 

 

 


Waffenlieferungen an die Ukraine? – Das große Apollo-Battle

Steigen Sie beim großen Apollo-Battle mit in den Ring. Heute:  Sollten wir wirklich schwere Waffen an die Ukraine liefern? Oder lieber doch auf andere Hilfen setzen? Diese Frage teilt aktuell das ganze Land – und unsere Autoren Sebastian und Jonas. Sie stellen sich hier und heute dem Debattenduell. Wer überzeugt Sie mehr?


 

Schluss mit hilflosen Friedensappellen und zahnlosen Forderungen – auch unsere Sicherheit steht auf dem Spiel

Von Sebastian Thormann | Waffenlieferungen in Kriegsgebiete? Noch vor kurzem haben Grüne und Linke so etwas vehement verteufelt. Jetzt gab es bei vielen auf einmal ein Umdenken. Und in Teilen des bürgerlichen Lagers gibt es einen Reflex auf alles was auf einmal „Mainstream“ ist, mit einer Anti-Haltung zu reagieren. Nach dem Motto: Weil die Grünen für etwas sind, dann muss es schlecht sein. Nun wäre es unangemessen jedem Gegner der Waffenlieferungen an die Ukraine so eine Motivation zu unterstellen, aber es ist eine Haltung, die auf einen Teil zutrifft. Und man muss zugeben, eine gewisse Grundskepsis ist sicher auch gesund. Also: Zeit einen Schritt zurückzugehen, raus aus den Berliner Politikerphrasen, und Klartext zu reden:

Warum die Ukraine unterstützen?

Aus Mitleid? Weil wir den Krieg damit sofort beenden? Die Wahrheit ist, Waffen für die Ukraine beenden den Krieg nicht von heute auf morgen. So schrecklich er ist, ihn noch heute und um jeden Preis beenden  zu wollen, kann auch nicht das Ziel sein. Denn wie Ronald Reagan einmal sagte: „Es gibt nur einen garantierten Weg, um Frieden zu haben – und Sie können ihn in der nächsten Sekunde haben – indem Sie sich ergeben.“ Aber das wollen die Ukrainer ganz offensichtlich nicht – aus guten Gründen, und unser Ziel sollte es auch nicht sein.

Ja, wir sollten ein Ende des Krieges anstreben, aber nicht nach Putins Wünschen, sondern soweit möglich zu unseren Bedingungen. Das bedeutet: Nachdem die Ukraine so viel wie möglich ihres Landes zurückerobert hat. Man wird darüber streiten können, wann und unter welchen Zugeständnissen es zu einem Waffenstillstand kommen sollte – am Ende ist es eine Entscheidung der Ukrainer, es ist ihr Land.

Die Ukraine verteidigt auch unsere Sicherheit

Wir sollten Waffen liefern, weil auch unsere Sicherheit auf dem Spiel steht. Wenn die Ukraine fällt, wer ist als nächstes dran? Moldawien? Bekommt das Baltikum bald Besuch von mysteriösen „grünen Männchen“? Mit hilflosen Friedensappellen und zahnlosen Forderungen nach einem Kriegsende wird Putin nicht davon abgehalten die Ukraine zu besiegen. Und wenn der Westen Moskaus Eroberungsfeldzüge zulässt, werden wir keine Deeskalation sehen, sondern neue Konflikte, näher an Deutschland, und womöglich gegen unsere Verbündeten – vielleicht nicht von heute auf morgen, aber langfristig, denn Diktaturen wie Russland oder China schauen nicht bloß auf die nächsten paar Jahre, sondern auf die nächsten Jahrzehnte. Für Deutschland als bevölkerungsreichste und wirtschaftsstärkste Nation in Europa kann das niemals in unserem Interesse sein, es ist eine Bedrohung unserer Sicherheit.

Ein häufiges Argument lautet dann: „Aber wenn wir ‚schwere Waffen‘ liefern, dann ist es ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und dem Westen“ Ja, ist es und wir sind schon längst mittendrinnen – aber eben in genau dem, einem Stellvertreter-Krieg und keiner direkten militärische Konfrontation zwischen Russland und der NATO. Und dazu muss es auch überhaupt nicht kommen, nur weil europäische Länder einen Nachbarn beliefern, der von Russland angegriffen wurde. Durch all die Jahrzehnte des Kalten Krieges haben West- und Ostblock auf vielen Flecken der Erde oft noch viel blutigere Stellvertreterkriege geführt – ohne, dass beide Seiten sich einen nuklearen Schlagabtausch geliefert haben. Bei manchen geistertet die Idee einer Flugverbotszone rum, in anderen Worten, russische Flugzeuge vom Himmel zu schießen. So etwas wäre tatsächlich eine direkte militärische Konfrontation – Waffenlieferung sind es eben nicht.

Das Weltuntergangsszenario ist unrealistisch

Aber man dürfe Putin trotzdem nicht „provozieren“ oder „demütigen“ heißt es, denn sonst drückt der den Atomknopf. Wenn die rote Linie für einen potenziellen Atomkrieg etwas anderes als eine direkte Auseinandersetzung ist, dann steht praktisch alles was eine andere Nation macht zur Debatte. Dann lassen wir uns vollends auf nukleare Erpressung ein und können uns alle zwischenstaatlichen Beziehungen direkt von Moskau diktieren lassen. Nein, das ist kein valides Argument, das weiß auch der Kreml, der schließlich einst selbst die Gegner der Amerikaner im Vietnamkrieg bewaffnete. Ganz abgesehen, davon dass so ein Weltuntergangsszenario aus rein praktisch Gründen völlig unrealistisch ist: Unsere Verbündeten haben bereits „schwere Waffen“ geliefert, ohne atomar ausradiert zu werden.

Die Debatte müssen wir also nüchtern und ohne apokalyptische Drohkulisse führen: Wollen wir einen russischen Sieg über die Ukraine zulassen? Macht so ein Ausgang, Europa zu einem sichereren Ort? Die Antwort lautet Nein, und daher hat die Ukraine unsere Unterstützung, mit Waffen nicht nur mit leeren Worten, verdient – völlig unabhängig davon, ob einige Linke und Grüne jetzt auf einmal ihre Meinung zu Waffenlieferungen geändert haben.

 


Die Lieferung schwerer Waffen führt uns in eine Eskalationsspirale

Von Jonas Kürsch | Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine hat sich scheinbar alles verändert. Steigende Lebensmittelpreise, horrende Energiekosten und die Angst vor einem dritten Weltkrieg sind allumgebend. Auch in Deutschland sind diese mit Kriegsausbruch verbundenen Unsicherheiten klar zu spüren. Besonders die über Jahre hinweg kaputtgesparte Bundeswehr und unser jahrelanger Mangel an diplomatischem Feingefühl rächen sich nun. 

Die Stimmung ist – im wahrsten Sinne des Wortes – hochexplosiv. Das Leiden in der Ukraine ist unverkennbar groß und die Anzahl der Todesopfer dieses Krieges steigen tagtäglich an. Es ist daher absolut richtig, dass die Deutschen sich für ein Ende dieses brutalen Blutvergießens einsetzen müssen. Allerdings hege ich, ebenso wie ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung, enorme Zweifel an der vermeintlich positiven Wirkung schwerer Waffenlieferungen in die Ukraine: denn Waffen haben noch nie einen Konflikt nachhaltig lösen können.

Wir verlassen den neutralen Boden

Erst vor kurzem hat Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) die Ausbildung ukrainischer Soldaten an Artilleriesystem auf deutschem Boden angekündigt. Diesen Gedanken empfinde ich als gefährlich, schließlich sind sich die meisten Völkerrechtsexperten weitestgehend darüber einig, dass gerade durch die Kampfausbildung einer Konfliktpartei der gesicherte Boden der Neutralität verlassen werde. In Kombination mit den im vergangenen April von der Bundesregierung angekündigten schweren Waffenlieferungen, ist daher nicht länger auszuschließen, dass Deutschland von Russland als aktive Kriegspartei wahrgenommen werden könnte – womit die Regierung unser Land einem unberechenbaren Risiko aussetzt.

Der zweite Artikel des Zwei-plus-Vier-Vertrages, der nach dem Fall des eisernen Vorhanges durch die Staatschefs der BRD und der DDR unterzeichnet wurde, besagt, „dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird.“ Durch die Entsendung schwerer Artillerie würde man diesen gesetzlichen Vorsatz zunichtemachen.

Das Scheitern deutscher Waffeneinsätze

Besonders die öffentlichen Aufrufe von ranghohen Politikern wie Finanzminister Christian Lindner, der auf dem vergangenen FDP-Parteitag verlautbaren ließ, man müsse alles mögliche tun, um den Sieg der Ukraine und die Niederlage Russlands sicherzustellen, empfinde ich als unbedacht. Gerade die Konflikte der vergangenen Jahre haben doch gezeigt, dass moderne Kriege nur allzu selten durch militärische Gewinner und Verlierer entschieden wurden: schon der Kosovokrieg von 1998 wurde letztlich durch die Unterzeichnung des Abkommens von Kumanovo beendet, nicht aber durch das schwere Bombardement unschuldiger Zivilisten in Belgrad, die bis in die frühen 2010er Jahre mit den durch die NATO zerbombten Ruinen leben mussten.

Ein noch extremeres Beispiel für das Scheitern deutscher Waffeneinsätze ist der vor wenigen Monaten beendete Afghanistankrieg. Fast 20 Jahre lang hat Deutschland sich an der militärischen Mission beteiligt. Das Leiden der Zivilbevölkerung konnte nicht verhindert werden, stattdessen konnte das völlig desolate Land trotz eines 20 Jahre andauernden Schusswechsels ohne Mühen von den Taliban erobert werden. Die Freiheit am Hindukusch konnte leider nicht mit deutschen Waffen sichergestellt werden.

Wollen wir einen neuen Weltkrieg riskieren?

Wir könnten uns mit der Lieferung schwerer Waffen in eine niemals enden wollende Eskalationsspirale begeben, welche die Kluft zwischen dem Westen und Russland immer größer werden lässt. Ich schließe mich daher ganz klar den Worten des Brigadegenerals a.D. Erich Vad an: „Der Weg in die Hölle ist bekanntlich immer mit guten Vorsätzen gepflastert.“ Vad sieht in der Eskalationslogik der Bundesregierung einen gefährlichen Trend und mahnt zur Notwendigkeit eines Friedensabkommens. 

Noch können beide Seiten an den Verhandlungstisch zurückkehren. Zu glauben, man dürfe mit Putin aus moralischer Sicht nicht verhandeln, ist in meinen Augen keinesfalls logisch. Vor allem im Hinblick auf „die Zeit danach“ sollten wir uns um eine möglichst gewaltfreie und schnelle Deeskalation des Krieges bemühen. Niemand weiß, wohin diese Konfliktsteigerung letztlich führen könnte, und mir stellt sich die Frage, ob wir wirklich einen neuen Weltkrieg mit direktem Konfrontationspotenzial riskieren wollen. Mir erscheint dieses Risiko in Anbetracht der geringen Erfolgsaussichten des deutschen Interventionismus als nicht sinnvoll.