Fußball-Fans – das unerwartete Rückgrat der Gesellschaft

Von Jerome Wnuk | Es ist ein Gefühl, das sich nicht nachvollziehen lässt, wenn man es nicht selber gespürt hat. Wenn Zehntausende wie gebannt verfolgen, wie 22 Männer einen runden Ball über eine Rasenfläche bewegen und die ganze Menge sich bei einem Tor elektrisiert in den Armen liegt. Viele sagen, es wäre die schönste Nebensache der Welt. Nebensächlich ist der Fußball jedoch schon lange nicht mehr. Inzwischen schon seit mehr als anderthalb Jahren hält die große Ernüchterung an.

Anstatt wie früher, vor Corona, den typischen Samstagnachmittag im Stadion mit seinen Freunden zu verbringen, sitzt man nun seit Februar 2020 meist auf der heimischen Couch und guckt mal mit mehr, mal mit weniger Euphorie auf seinen Fernseher. Leere, trostlose Ränge in Dortmund, Köln oder Paderborn prägen das Bild des Sportes, der in normalen Zeiten eine so große Wirkung auf das generelle Wohlbefinden einer Gesellschaft hatte und bei Welt/- und Europameisterschaften selbst die Deutschen dazu brachte, ihre Flaggen stolz auf die Straße zu tragen.


Dabeisein ist alles

„Weißt du noch wie’s früher war?“ ist die Frage, die man in Unterhaltungen mit anderen Fußballfans aktuell am häufigsten hört. Nach anderthalb Jahren ist also vor allem eine große Sehnsucht nach den guten alten Fußballzeiten ausgebrochen. Die Fußballseele schwelgt in Erinnerungen an die Vergangenheit und träumt sich in die vollen Stadien in Brasilien oder Rom und an einzigartige Spiele voller Ekstase. Doch die aktuelle Situation hat derartigen Glanz wie noch etwa vor acht Jahren in Brasilien zur WM 2014 verloren und ernüchtert das Fußballherz.

Statt Debatten darüber, welche Fangruppe die beste Choreo hat oder dass die elf Männer auf dem Platz ja die letzten Flaschen sind oder gegebenenfalls Fußballgötter an guten Tagen, muss man sich als Fußballfan Debatten über den Impfstatus eines Joshua Kimmichs anhören. Dabei möchte man doch eigentlich zum Beispiel diesen einfach mal wieder live in einem Stadion spielen sehen und in echt mit dabei sein, wie er im Bayern-Trikot mal wieder zusammen mit den anderen Stars der Bayern deinen Lieblingsverein vernichtet.

Man kann kein Fußballspiel mehr sehen, ohne auch an Politik erinnert zu werden.

Der Sport, der früher die Lieblingsablenkung war, ist jetzt so wie vieles andere nur noch ein weiterer Aspekt des Corona-Alltages geworden. Man kann kein Fußballspiel mehr sehen, ohne auch an Politik erinnert zu werden. Eine der schönsten Eigenschaften des Fußballs, das Unpolitische, bröckelt während Corona also immer mehr weg. Die nie endenden Debatten über Zuschauerzahlen, 2G oder 3G und die Diskussionen darüber, wer geimpft ist und wer nicht, ermüden und belasten den im Kern doch so unpolitischen Sport.

Die Sehnsucht nach Normalität

Der Wunsch nach dem Ende dieser Debatten und der Wunsch wieder ganz normal wie vor Corona seinen Lieblingsverein zusammen mit Freunden und wildfremden Gleichgesinnten, unabhängig von Nationalität, Geschlecht oder Impfstatus,  zu unterstützen, ist riesig. Die Sehnsucht nach Normalität ist in kaum einer Community so groß wie unter Fußballfans. Der 7. März 2020 war das letzte Mal, wo alles noch wie immer war, zumindest für mich. Hertha gegen Bremen, ein aufregendes 2:2. Eine Erinnerung, die fest in mein Gedächtnis eingeprägt ist. Du kannst eigentlich jeden Fan fragen, er wird dir ungefähr sagen können, wann er das letzte Mal so richtig im Stadion war. Und jeder wird dir sagen, dass er es vermisst.

Mit „so richtig“ meine ich: so wie es früher war. Ich war während Corona auch zu einigen Spielen im Stadion, einmal sogar auf einer Aufwärtsfahrt. Auch, wenn ich diese Erlebnisse nicht missen möchte, sie kommen nicht an die Spiele vor Corona heran. Es sind teilweise echt die kleinen Sachen. Früher reichte ein Ticket, um ein Spiel zu sehen, heute bedarf es gefühlt tausend verschiedener Nachweise und ein Informatikstudium, um eine Online-Karte zu kaufen.

Und jeder wird dir sagen, dass er es vermisst.

Aber nicht nur das reine Stadionerlebnis fehlt, auch das „Drumherum“. Ich erinnere mich an die S-Bahn-Fahrten, bei denen man sich teils mit neuen Leuten aus anderen Städten von anderen Vereinen über Fußball und darüber hinaus unterhielt. Da war einem dann auch die Vereinsvorliebe gleichgültig. Auch dieses verbindende Element ist verloren gegangen, besucht man aktuell ein Fußballspiel (in manchen Städten Deutschlands sind noch bis zu 1000 Zuschauer erlaubt), wird man so schnell wie möglich aus den Stadien geschmissen, schnell in verschiedene Bahn-Waggons gebracht. Von Austausch und Kennenlernen ist nichts mehr übriggeblieben.

Anprangernd wird man nun jedes Wochenende, wenn man Fußball guckt, an die Zeit mit vollen Stadien erinnert. Man sieht die leeren grauen Sitzschalen, die einen mahnend in das Gedächtnis rufen, was mal war und sein könnte. Inzwischen hat man sich an diesen trüben Anblick der leeren Fußballarenen zwar mehr und mehr gewöhnt, es bleiben trotzdem kalte, graue und trostlose Bilder aus den Betonschüsseln. Den Gedanken, dass man sonst, wenn alles normal wäre, im Stadion mit dabei wäre, wird man aber trotzdem nicht los und beschäftigt einen inzwischen bei jedem Spiel. Manchmal ist man beim Fußballschauen nicht wie früher vom Alltag abgelenkt, sondern eher noch mehr an die Last des Alltags erinnert.

„Stell dir vor, das jetzt im Stadion“

Ein generelles Gefühl, man verpasst gerade einmalige Erlebnisse, die man sonst miterlebt hätte, eine unstillbare Sehnsucht nach dem elektrischen Gefühl im Stadion quält. Viel öfter als früher schaut man sich inzwischen Videos oder gar ganze Spiele von früher mit Zuschauern an – in der Hoffnung, man könnte dadurch seine Sehnsucht ein wenig stillen. Das geht allerdings genauso in die andere Richtung. Manche Spiele guckt man schon gar nicht mehr, weil man weiß, dass das Spiel ohne die Atmosphäre drumherum nicht das Gleiche ist.

„Stell dir vor, das jetzt im Stadion!“ hat mir mal ein Freund nach einem wichtigen, emotionalen Derbysieg geschrieben. Eine Aussage, die die Sehnsucht nach Normalität gut beschreibt. Klar, Fußball macht auch von zu Hause aus Spaß und kann elektrisieren, aber nicht so wie in einer 70.000-Mann-Arena. Die Sehnsucht, dieses Gefühl von zu Hause aus nachzuempfinden ging bei manchen so weit, dass sie alte Soundaufnahmen von vollen Arenen zu den Geisterspielen abspielten, um eine Stadionatmosphäre zu simulieren. Doch auch diese Mittel ziehen inzwischen nicht mehr, wenn sie überhaupt mal funktioniert haben.

Letzten Samstag habe ich mir ein Zweitligaspiel aus England angeguckt, fußballerisch nicht wirklich ansprechend, aber atmosphärisch genau wie früher. Und wenn zehntausend leicht angetrunkene Engländer ihre Fangesänge anstimmen, wird mir als Fan wieder warm ums Herz.


Ein Blick lohnt sich währenddessen seit kurzem wieder nach England, Spanien oder in die USA. Dort sind die Stadien wieder ausverkauft. Die Menschenmengen strömen wie früher begeistert in die Stadien. In den USA waren es letztens zu einem NFL-Spiel 70.000 Menschen, in England ebenfalls ähnliche Zahlen. Dort macht Fußball wieder Spaß, er verbindet wieder Menschen, er lässt einen wieder höher fliegen und tief fallen. Letzten Samstag habe ich mir ein Zweitligaspiel aus England angeguckt, fußballerisch nicht wirklich ansprechend, aber atmosphärisch genau wie früher. Und wenn zehntausend leicht angetrunkene Engländer ihre Fangesänge anstimmen, wird mir als Fan wieder warm ums Herz. Die Hoffnung, bald wieder selber in seinem Fanblock zu stehen und ähnlich grölen zu können, treibt einen dann doch wieder an, Geduld zu haben.

Aber bis das wieder in Deutschland möglich ist, schau ich erstmal neidisch nach England und Amerika und erfreue mich dort an vollen Stadien. Damit werde ich wohl auch nicht der einzige sein. Der Politik mag Fußball ja egal sein, eine dämliche Nebensächlichkeit, auf die die hirnlosen Fußballfans ruhig mal verzichten können – sie vermuten unter ihnen kein großes Wählerpotential. Dabei haben sie zu kurz gedacht. Denn ihre arrogante Haltung hält sie davon ab zu realisieren, was für einer Masse an Menschen sie gerade den vielleicht wichtigsten Teil ihrer Freizeit genommen haben. Und gerade weil die meisten Fußballfans nicht unbedingt das engagierte Wählerpotential ausmachen, haben sie auch noch nicht gelernt, dass man in der Politik seine Bedürfnisse heutzutage selbst prophylaktisch zensieren muss. Deshalb hatten die Medien auch so eine große Angst vor Kimmich.  Vielleicht erleben wir eines Tages wie die deutschen Fußballfans zum Rückgrat der Gesellschaft werden – die letzten, die noch wissen, wie sich Freiheit anfühlt. 


Der Niedergang der linken Ideale

Von Jonas Kürsch | Als die über Parteigrenzen hinweg beliebte Linken-Politikerin Sarah Wagenknecht ihr neues Buch „Die Selbstgerechten“ über die thematische Entwurzelung linker Parteien veröffentlichte, war die mediale Empörung groß. Das Buch erschien im April des Jahres 2021 im Campus-Verlag und beschäftigt sich vor allem mit der in Wagenknechts Augen hochignoranten Verleugnung der Lebensrealitäten vieler Bürger durch die linken Parteien. Dabei kritisiert sie vor allem die Intoleranz der sogenannten „Lifestyle-Linken“, also jenem akademisch geprägten Teil der Linken, der sich vornehmlich mit moralistischen Scheinfragen über individuelle Lebensentscheidungen auseinandersetzt und mit seinen kompromisslosen Forderungen nach Gendersternchenpflicht oder allgemeinen Klimasteuern die grundlegenden Probleme vieler Menschen nicht mehr wahrnimmt. Vor allem am linksliberalen Wunschtraum nach einer grenzenlosen, multikulturellen Einwanderungs- und Europapolitik übt Wagenknecht scharfe Kritik, da sie hierin die Gefahr einer noch stärker voranschreitenden Spaltung der Gesellschaft sieht, aber auch die schleichende Entrechtung des einzelnen Bürgers zugunsten antidemokratischer Machtstrukturen befürchtet. 

Infolge der Veröffentlichung ihrer Thesen, attestierten einige Parteigenossen Wagenknecht den Wandel vom Paulus zum Saulus, also von der linientreuen Genossin zur radikalen Rechtspopulistin. Ein Bundesvorstandsmitglied ihrer Partei legte ihr unter anderem den Beitritt zur AfD nahe, andere Mitglieder gingen sogar einen Schritt weiter und versuchten sie mithilfe eines parteiinternen Ausschlussverfahrens zum Schweigen zu bringen. Heute ist sie von der Parteispitze weitestgehend isoliert und kämpft fast im Alleingang für die Rückbesinnung auf klassisch linke Ideale. 

Vom grünen Pazifisten zum überzeugten Kriegshelden

Linkssein hat in der heutigen Zeit nicht mehr viel mit den ursprünglichen Zielen sozialer oder ökologischer Politik zu tun. Gut lässt sich dieser politische Wandel im Hinblick auf die Entwicklung von Bündnis 90/Die Grünen im Rahmen ihres vierzigjährigen Bestehens erklären. Während die Urgrünen um Petra Kelly und Joseph Beuys sich in ihrem Grundsatzprogramm von 1980 noch gegen den „Abbau von demokratischen Rechten“ einsetzten, sind die heutigen Grünen zu dessen willigen Vollstrecker geworden. Die damals geforderte „ungehinderte Versammlungs-, Demonstrations- und Meinungsfreiheit“ wird inzwischen durch ideologische Parteifunktionäre wie den Baden-Württemberger Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, der Demonstranten als „Aasgeier der Pandemie“ bezeichnet und sich öffentlich für die bewusste Umsetzung unverhältnismäßiger Grundgesetzänderungen ausgesprochen hat, aufs Übelste konterkariert. 

Und während „Frieden“ für die Grünen vor einigen Jahrzehnten noch mehr bedeutete als „die (alleinige) Abwesenheit von Krieg“, ist die außenpolitische Doktrin der Öko-Partei heute eine gänzlich andere. So signalisierte die grüne Bundesaußenministern Annalena Baerbock bereits, dass sie für eine Erweiterung der internationalen Bundeswehr-Einsätze absolut gesprächsoffen sei. Damit reiht sie sich in die Tradition Joschka Fischers ein, der als erster grüner Außenminister mit seinem Votum für die Beteiligung am Kosovokonflikt im Jahre 1998 den ersten deutschen Kriegseinsatz seit Bestehen der BRD besiegelte. Es scheint, dass Doppelmoral zum einzigen Wert geworden ist, den die Grünen noch standhaft vertreten. Perfekt zusammengefasst wurde diese traurige Schlussfolgerung von der ehemaligen Bundestagsfraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt in einem ihrer wohl umstrittensten Aussprüche: „Die Grünen waren noch nie eine pazifistische Partei.“ 

Zwischen Arbeitern und Bildungseliten

Auch die Sozialdemokraten haben sich im zeitgenössischen Geflecht aus pseudolinker Identitätspolitik und staatsmonopolistischem Dogmatismus verheddert. Die eigentliche DNA der Partei ist in Vergessenheit geraten. Während der ehemalige SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher es entschlossen ablehnte, „den Blutspender für den geschwächten Parteikörper der Kommunisten abzugeben“, sympathisieren die heutigen Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil offen mit der antifaschistischen Aktion und den von ihnen vertretenen antikapitalistischen Positionen. Die SPD hatte sich einst das Ziel gesetzt, für die unterbezahlten Arbeiter Politik zu machen, man wollte sich für all diejenigen einsetzen, die nicht mehr in der Lage dazu waren, aus eigener Kraft einen menschenwürdigen Lebensstandard mit ihrem Gehalt zu finanzieren. Schaut man aber auf die politische Neuausrichtung der SPD im 21. Jahrhundert, so stellt man schnell fest, dass diese Versprechen nur noch programmatische Randerscheinungen sind: heute kämpft die Partei für die Einführung von CO2-Steuern und Fleischpreiserhöhungen, die es vielen Menschen noch schwerer machen dürften, ein bezahlbares Leben in Deutschland zu unterhalten. Die Krone setzt dem aber ein Bundeskanzler Olaf Scholz auf, der in mehreren Interviews nicht wusste, wie die aktuellen Benzin- und Butterpreise in dem Land aussehen, das er in Zukunft regieren will. Besonders in seiner an Realsatire grenzenden Begründung für diese Wissenslücken spiegelt sich wider, was in der SPD schon seit Langem schiefläuft: „Ich habe ja auch ein ganz ordentliches Einkommen, deshalb gehöre ich ja nicht zu den Leuten, die immer ganz genau auf den Preis hingucken.“ Will man damit etwa Vertrauenswürdigkeit vermitteln? 

Nicht zu übersehen ist auch der ungebremste Niedergang der als ‚Die Linke’ neuformierten SED-Partei. In den 1990er und frühen 2000er Jahren war die Linke noch als nichtetablierte Protestpartei ausgerichtet, die sich gegen die militaristische Rüstungspolitik Schröders und dessen gescheitertes Arbeitslosengeld II einsetzte; heute trägt sie in vier Landesregierungen jene unsoziale und undemokratische Politik mit, die sie vor wenigen Jahren noch lautstark verurteilte. Gut erkennen lässt sich das am Beispiel des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, der die wirtschaftsfeindliche Lockdownpolitik und die von mehreren deutschen Verwaltungsgerichten gekippten 2G+-Regelungen mit seinem rot-rot-grünen Kabinett seit Beginn der Pandemie unterstützt hat. Die daraus resultierende Bildungsarmut von Schulkindern und die horrenden Einnahmeverluste kleiner Mittelstandsunternehmen vergrößern die soziale Ungleichheit in Deutschland nachweislich. Hinzu kommt der verächtliche Umgang der Linken mit den demokratischen Institutionen unseren Landes, wie durch die Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow demonstriert, als sie dem frischgewählten Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) aus blankem Hass den zeremoniellen Blumenstrauß im Plenarsaal des Thüringer Landtags vor die Füße warf. Auf diese Art biedert sich die Partei mit ihrem woken und politisch korrekten Profil den Bildungseliten dieses Landes an und entfernt sich immer weiter von ihren ursprünglichen Gründungsidealen.

Realitätsverweigerung als oberstes Prinzip

Eine Partei für Notleidende ist ‚die Linke‘ schon lange nicht mehr, weshalb ihre Urwählerschaft mehreren Wahlanalysen zufolge auch zur AfD abgewandert ist. Es ist verwunderlich, dass gerade ‚die Linke‘ sich dem offenkundigen Aussterben sozialer Politik nicht mit allen Mitteln entgegenstellt, wie es Sarah Wagenknecht und Oskar Lafontaine versuchen, sondern den Niedergang linksdemokratischer Politik in ihrem ideologischen Wahn noch befeuert. Dabei bräuchten viele Menschen gerade in diesen Zeiten volksnahe Bürgerbewegungen, die sich für klassische Arbeiteranliegen wie politisch motivierte Berufsverbote oder sinkende Löhne im Gesundheitssektor einsetzen. 

Nun ist das erste Ausschlussverfahren gegen Sarah Wagenknecht vom Parteischiedsgericht abgelehnt worden: Sie darf vorerst in der Partei bleiben. Der Richtungsstreit innerhalb der Linken ist allerdings noch lange nicht beendet. Oskar Lafontaine hingegen hat seinen Kampf gegen das Parteiestablishment im Saarland aufgegeben und wird sich mit der kommenden Landtagswahl vollständig aus der Politik zurückziehen. Trotz Wagenknechts lobenswerter Bemühungen scheint es sehr unwahrscheinlich, dass die Linken in Deutschland ihren Realitätssinn und ihre Bürgernähe zurückfinden werden. In den folgenden Jahren werden wir feststellen, dass Linkspartei, SPD und Grüne im Rahmen ihrer Regierungsarbeiten immer größeren Schaden in unserem Land anrichten und letztlich vom Wähler dafür die Quittung erhalten werden. 


Geld – Apollo Edition 2/2022

Liebe Leser,

wir alle auf der ganzen Welt werden durch eines vereint: Geld. Und niemand hat jemals wirklich genug davon. Deshalb predigen ja auch die alten glatzköpfige Männer in Sandalen lauthals, dass man ohne Geld glücklich werden und zu viel Geld sogar schaden könne – und sie werden als Intellektuelle gefeiert. Aber mal im Ernst, die wollen doch auch bloß Geld. Und wie heißt es doch so schön: Wer glaubt, dass Geld nicht alle Probleme lösen kann, hatte einfach noch nie genug davon.

Geld ist der Mittelpunkt aller Ideologien und Verschwörungstheorien (den echten mit Marsmenschen und so, nicht den angeblichen), dabei ist es doch nichts als ein Tauschmittel. Ein Tauschmittel, das aber leider an Wert verlieren kann. Vor allem dann, wenn der Staat an jeder Ecke die Hand ausstreckt. Wäre ja in Ordnung, wenn die Politiker dann für das viele Geld auch mal arbeiten würden. 

Allerdings würden die eine Inflation nicht mal dann bemerken, wenn sie ihnen einen Booster in den Hintern rammt. Man muss also selbst sein Geld beisammen halten. Wie? Keine Ahnung. Wirtschafts- oder gar Steuer-Unterricht gibt es ja an den Schulen nicht. Wahrscheinlich haben die Angst, dass wir alle wirtschaftsliberal werden, wenn wir erstmal wissen, was alles an Steuern und Inflation drauf geht. 

Deshalb haben wir mal zusammen getragen, wer alles auf euer Geld aus ist und wo es dann am Ende landet. Wir präsentieren euch unsere neue Edition – mit Raubtierkapitalisten-Garantie.

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Elisa David

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Europa: Wo Rechtsbruch zur Tugend wird

Von Jonas Kürsch | Der ungewöhnlich frühe Amtsbesuch von Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem italienischen Amtskollegen Mario Draghi sorgte zunächst für große Verwunderung in den Medien. Es wurde allerdings recht schnell deutlich, dass es sich bei diesem Treffen in erster Linie nicht um ein freundschaftliches Kennenlernen handelte. Denn eines der Hauptthemen, das von den beiden Regierungschefs ausführlich diskutiert wurde, war die finanzielle und wirtschaftliche Aufstellung der Europäischen Union in den kommenden Jahren.

Besonders Ministerpräsident Draghi und der französische Präsident Emmanuel Macron hatten in den vergangenen Wochen und Monaten vermehrt eine radikale Reform der europäischen Haushaltsverträge gefordert. Vor allem würde diese eine Aufweichung der sogenannten „Konvergenzkriterien“ zur staatlichen Neuaufnahme von Schulden mit sich ziehen. Diese fanden erstmals im Vertrag von Maastricht Erwähnung und schreiben den europäischen Mitgliedsstaaten vor, dass das nationale Haushaltsdefizit einer Regierung auf 3% sowie die staatliche Gesamtverschuldung eines Landes auf 60% der Wirtschaftskraft zu begrenzen ist. Besonders diese beiden Grenzwerte wollen Macron und Draghi europaweit außer Kraft setzen, unter anderem mit der Begründung, dass die dramatischen Krisen der Gegenwart mit solchen Regelungen kaum zu überwinden seien und die nationalen Regierungen dadurch handlungsunfähig gemacht würden.

Die Kriterien wurden 1992 eingeführt, um die finanz- und wirtschaftspolitische Stabilität der europäischen Gemeinschaft zu bewahren. Vor allem verfolgte man mit den monetären und ökonomischen Vorgaben dabei das Ziel, die entstehende Eurozone durch die Kreation eines nachhaltigen Rechtsrahmens zu fördern und gleichzeitig die fiskalische Souveränität der einzelnen Mitgliedsstaaten vertraglich abzusichern. Man schloss die kontinentale Vergemeinschaftung von nationalen Schulden daher auch explizit aus. Die Auflockerung dieser harmonisierten Werte könnte hingegen einen gravierenden wirtschaftlichen Kontrollverlust der Nationalstaaten mit sich ziehen und die Einflussbereiche der europäischen Institutionen (vorrangig der EZB, des Rates und der Kommission) um ein Vielfaches erweitern.

Maastricht-Kriterien und das Vertrauen der Bürger sind nur zum Brechen da

Zugegeben, ganz neu ist der durch Corona popularisierte Trend zur Aushebung der Kriterien von Maastricht eigentlich nicht: bereits in den frühen 2000er Jahren wurden mehrere Staaten in die europäische Gemeinschaft aufgenommen, deren Verschuldung in keinem Fall den vertraglich geregelten Werten entsprachen. Das berühmteste Beispiel ist vermutlich Griechenland, dessen Neuverschuldung ein Jahr vor der Aufnahme in die Europäische Union bei stolzen 104,4% des BIP lag. Mit der Weltfinanzkrise 2007 brach Griechenlands Wirtschaftskraft auf dramatische Weise ein und die hochverschuldete Nation steuert seitdem auf die Staatspleite zu.

Auch die Stabilität der Eurozone ist damit vollends ins Wanken geraten. Ab 2010 versuchten die politischen Protagonisten das marode Währungssystem innerhalb der Europäischen Union durch die Einführung des kontrovers diskutierten Euro-Rettungsschirms künstlich am Leben zu halten. Der vertragswidrige Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB und die Einführung sogenannter „Notbürgschaften“ sind damit endgültig zur neuen Normalität geworden.

Doch anstatt auf mehr Transparenz, Kommunikation und institutionelle Zurückhaltung zu setzen, sehen die Vertreter eines europäischen Superstaats in der Installation skurriler Finanzmechanismen ihre langersehnte Chance darauf, die nationale Souveränität der Einzelstaaten immer weiter einzuschränken.

Neben den wirtschaftlichen Konsequenzen führte dieser Vertragsbruch auch zu idealistischen Umbrüchen innerhalb der EU: ihre Mitbürger haben sich im Rahmen dieser Politik voneinander und von der europäischen Institution entfremdet. Das über Jahrzehnte hinweg geknüpfte Vertrauen bröckelt bis heute. Doch anstatt auf mehr Transparenz, Kommunikation und institutionelle Zurückhaltung zu setzen, sehen die Vertreter eines europäischen Superstaats in der Installation skurriler Finanzmechanismen ihre langersehnte Chance darauf, die nationale Souveränität der Einzelstaaten immer weiter einzuschränken. Hinzu kommt die von der EZB konsequent betriebene Maßnahmenpolitik mit dem Zweck, das Zinsniveau innerhalb der Eurozone durch radikale Einschnitte so niedrig wie möglich zu halten, um die Kreditaufnahme (nahezu) bankrotter Staaten weiterhin auf einem bezahlbaren Level zu halten.

Inflation? Die kennen wir nicht

Der damit vorangetriebenen Inflation wird allerdings kaum Beachtung geschenkt. Die Profiteure dieser Politik sind vor allem Spekulanten und Banken, ihre Verlierer sind Sparer und Normalverbraucher. Anscheinend ist man bereit, zur Rettung der Eurozone alles zu opfern, „whatever it takes“, um einen ehemaligen Präsidenten der EZB zu zitieren. Beachtlich ist auch die Nonchalance, mit der diese Regelbrüche bis heute begangen werden. Christine Lagarde, die amtierende Präsidentin der EZB, wurde von den Reportern eines bekannten Medienportals sogar so verstanden, dass die Akteure der EU bewusst alle wirtschaftspolitischen Regeln gebrochen hätten, um den Euro wirklich zu retten.

Noch schamloser wurde dieses skrupellose Vorgehen vom ehemaligen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker in einem älteren Interview mit dem Spiegel beschrieben:
 „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“
– Jean-Claude Juncker über die Einführung des Euros in Die Brüsseler Republik, Der Spiegel, 27. Dezember 1999


Mit den während der Pandemie neueingerichteten Wiederaufbaubonds in Rekordhöhe von 750 Milliarden Euro, wurden die Grenzen des europäischen Rechtsrahmens ein weiteres Mal aufgeweicht. Blockiert wird das Vorhaben lediglich durch das Bundesverfassungsgericht, welches das Staatsanleihenkaufprogramm der EZB noch im Mai 2020 für kompetenzwidrig erklärte. Nur die Zeit wird zeigen, ob die EU weiterhin auf diesem planwirtschaftlichen Irrweg schlafwandeln oder eines Tages doch zur Rechtsstaatlichkeit zurückfinden wird.


»Wenn man 50 Dollar Schulden hat, so ist man ein Schnorrer. Hot jemand 50.000 Dollar Schulden, so ist man ein Geschäftsmann. Wer 50 Millionen Dollar Schulden hat, ist ein Finanzgenie. 50 Milliarden Dollar Schulden haben – das kann nur der Staat.«
– unbekannt


 


Wie Inflation und Zentralbanker der Jugend eine Zukunft in Wohlstand verwehren

Von Jonas Aston | Noch vor einem Jahr wurden Inflationssorgen mit einem Lächeln abgewunken. Ganz im Gegenteil: Die Deflation bestimmte die Debatten. Doch nun wird die Politik von der Realität eingeholt. Die Inflation hat beschlossen, sich nicht mehr an das Ziel der EZB „nahe zwei Prozent“ zu halten. Vergangenen September lag die Preissteigerung in Deutschland bei 5,3 Prozent. In den USA liegt sie sogar bei 6,8 Prozent.

Während der Lockdowns zwangsangespartes Kapital sucht sich seinen Konsum und permanente Erhöhungen von Verbrauchssteuern tun ihr übriges. Auch scheint sich Milton Friedmans Erkenntnis doch wieder zu bestätigen. „Inflation ist stets ein monetäres Phänomen“, hat also damit zu tun, wie viel Geld von den Banken in Umlauf gebraucht wird.

Doch die Währungshüter von der Zentralbank sind anscheinend unfähig, die Problematik zu begreifen oder verteilen Beruhigungspillen an die Bürger. Monatelang erklärte das deutsche EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel, dass die höhere Inflation nur von vorübergehender Dauer sein werde. Doch wieder droht der Ausnahmezustand sich zum Normalzustand zu entwickeln. Der neue Bundesbank-Präsident Joachim Nagel sieht „die Gefahr, dass die Inflationsrate länger erhöht bleiben könnte, als gegenwärtig erwartet“.

Nun räumt die EZB sogar ein, dass sie sich verrechnet habe.

Nagels Vorgänger Jens Weidmann ist vor kurzem zurückgetreten. Offiziell aus „persönlichen Gründen“. Es wird aber auch gemunkelt, dass damit zu tun habe, dass Weidmann seine Vorstellungen einer guten, nämlich restriktiven Geldpolitik, nicht durchsetzen konnte. Nun räumt die EZB sogar ein, dass sie sich verrechnet habe. Die Inflationsprognose für 2022 wurde von 1,7% auf 3,1% angepasst. Man habe die explodierenden Energiepreise nicht bedacht.

Die Gewinner und Verlierer der Inflation

Wie immer im Leben produziert die Inflation Gewinner und Verlierer. Gewinner sind Besitzer von Sachwerten und Schuldner, also Personen, Staaten oder Unternehmen, die einen Kredit aufgenommen haben und deren Tilgungsraten durch die Inflation verbilligt werden. Verlierer sind vor allem die Gläubiger, also all jene, die über angespartes Geld verfügen.

Die Jugend sei nicht Verlierer der Inflation. Wer nichts habe, könne schließlich auch nichts verlieren. Dies entspricht jedoch nicht der Wahrheit. Gerade der knappe Geldbeutel der Jugend wird durch die Preissteigerungen enorm belastet. Den Teuerungen stehen keine vergleichbaren Einkommenserhöhungen gegenüber. Da sich die derzeitige Inflation insbesondere auf Grundbedürfnisse bezieht, an denen nicht gespart werden kann, trifft sie die Jugend um so mehr. Noch gravierender wirkt sich die Inflation langfristig aus.

Während sich im Alter unsere Eltern vom Ersparten schöne Urlaube leisten können, werden wir wohl mit einer mickrigen Rente abgespeist.

Auf klassischem Wege kann derzeit kein Vermögen aufgebaut werden. Vielmehr schmilzt das Ersparte bei mehr als 5% Inflation und einem Zins bei 0% auf dem Sparbuch weg.  Anders als unsere Eltern können wir folglich nicht von dem Zinses-Zins profitieren. Unser Geld wird sich also nie einfach so vermehren. Während sich im Alter unsere Eltern vom Ersparten schöne Urlaube leisten können, werden wir wohl mit einer mickrigen Rente abgespeist. Wollen wir nicht auf staatliche Brosamen angewiesen sein, müssen wir auf alternative Anlagemethoden umsteigen.


»Bankier: ein Mensch, der seinen Schirm verleiht, wenn die Sonne scheint, und ihn sofort zurück haben will, wenn es zu regnen beginnt.«
– Mark Twain


 


Bürgergeld & Harz IV– oder: Wo das Geld auf Bäumen wächst

Von Pauline Schwarz | Seit meiner Jugend war ich immer stolz darauf, in einem Land zu leben, in dem die Bürger über die Jahrzehnte so viel Wohlstand und Wirtschaftskraft aufgebaut haben, dass man heute niemanden mehr auf der Straße verenden, verhungern oder erfrieren lassen muss. Im Gegenteil: Diejenigen, die sich selbst nicht helfen können, die keine finanziellen Möglichkeiten und auch keine Angehörigen haben, werden bei uns bestens versorgt und gepflegt. Unser Sozialhilfesystem soll den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens ermöglichen, „das der Würde des Menschen entspricht“ – und das ist in einem modernen und (zumindest noch) wohlhabenden Land wie Deutschland auch gut so.

Das Problem ist nur, dass die Begriffe „Leistungsberechtigter“ und „minimale finanzielle Existenzsicherung“ von unserer Regierung in den letzten Jahren zielstrebig immer weiter ausgedehnt und ad absurdum geführt wurden. Statt ihre Bürger (und Neubürger) dazu anzuhalten, sich aufzuraffen, ihren Hintern hochzukriegen und etwas zu leisten, schafft der Staat immer mehr Erleichterungen und Möglichkeiten, sich als Faulenzer oder angehender Sozialschmarotzer völlig anstrengungsfrei rundumversorgen zu lassen – auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung. Die neue Ampelregierung hat diesen Kurs pflichtbewusst aufgenommen und in ihrem Koalitionsvertrag gleich einen Vorschlag unterbreitet, wie man unseren Sozialstaat noch ein bisschen weiter aufblähen könnte: Mit dem Bürgergeld.

Laut Koalitionsvertrag soll das Bürgergeld künftig das sogenannte Harz IV, also die Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende (nach SGB II), ersetzen. Dadurch soll „die Würde des Einzelnen geachtet und [die] gesellschaftliche Teilhabe besser gefördert“ werden – das heißt: neues Label, gleicher Inhalt. Aber mit ein paar dicken Haken. Schon das „alte“ Harz IV-System bot wenig Anreize, dafür viel Geld für wenig Zutun und massive Fehler- und Manipulationsanfälligkeit – das konnte ich in den acht Jahren, die ich in einem Berliner Betreuungsbüro arbeite, weit mehr als einmal miterleben. Ich habe in meinem Leben schon tausende Anträge auf Arbeitslosengeld II gestellt und, so gut es ging, dafür gesorgt, dass unsere Schäfchen ihr Geld erhalten. Auch wenn sie es nicht immer verdient hatten.

Wieso arbeiten? Sie kriegen das Geld doch sowieso

Um Arbeitslosengeld zu erhalten, muss ein Mensch erwerbsfähig sein, also mindestens drei Stunden am Tag arbeiten können, und gleichzeitig hilfebedürftig sein – das heißt, dass er seinen Lebensunterhalt nicht selbst mit seinem Einkommen oder Vermögen sichern kann. Die meisten unserer Klienten sind entweder körperlich oder psychisch krank und langzeitarbeitslos. Nur die wenigsten von ihnen nehmen Vermittlungsangebote oder Weiterbildungsangebote der Arbeitsagentur wahr – obwohl sie es zum Teil durchaus könnten. Und das, obwohl die Angebote zum Teil sehr lukrativ sind. Einer unserer Ex-Knackis bekam von der Arbeitsagentur das Angebot, eine Ausbildung zum Kraftfahrer zu machen. Führerschein und sonstige Hilfsmittel natürlich inklusive. Ein verführerisches Lockmittel – immerhin hätte man ihm um die 2.000 Euro und einen Arbeitsplatz geschenkt, ohne dass er dafür einen Finger krumm machen muss (mit dem Bürgergeld wäre sogar noch ein Bonus für die Teilhabe drin gewesen). Aber er hatte schlicht keine Lust. Warum sollte er sich auch anstrengen? Er kriegte sein Geld ja sowieso.

Und das ist das Problem. Eigentlich müsste man jemandem, der kann, aber einfach nicht will, die Leistung kürzen – immerhin soll das Harz-IV-System die Leute ja dazu anhalten, wieder in die Arbeitswelt einzutreten. Eigentlich nur logisch und meines Wissens wurde das früher auch so gemacht, aber bevor jemand meckert: Ich weiß, das kommt gar nicht in Frage, das wäre ja unmenschlich! Also lief und läuft alles so weiter. Unser Klient konnte auf der faulen Haut liegen und Steuergeld kassieren, während ich mich zusammenriss, nicht vor Zorn in die Tastatur zu beißen. Diesem jungen, sehr wohl (und weit mehr als drei Stunden täglich) arbeitsfähigen Mann wurde das Geld nur so hinterhergeworfen, während sich mein Kollege am Schreibtisch gegenüber den Arsch abrackerte, um sich seinen Führerschein zu finanzieren.

Mein allerliebstes Beispiel für die gespielte Unfähigkeit, sich selbst zu versorgen, ist und bleibt aber der Mann einer unserer Betreuten, die ebenfalls im Arbeitslosegeldbezug war und mit ihrem schauspielerisch talentierten Gatten eine sogenannte Bedarfsgemeinschaft bildete. Wie sie, wollte auch er nicht arbeiten. Fragte man ihn, war er ein ganz besonders armer Tropf. Immerhin saß er im Rollstuhl, hatte starke Schmerzen und das alles auch noch in der integrations- und behindertenfeindlichen Stadt Berlin. Ständig beschwerte er sich und forderte Geld für Sonderleistungen und Beförderungsmöglichkeiten – Geld, das er bekam, aber nicht verdient hatte. Das klingt jetzt vielleicht herzlos, hat aber einen Grund. Meine Chefin traf ihn mehrmals zufällig auf der Straße, ohne dass er sie bemerkte. Er war gerade beschäftigt, musste arbeiten. Genauer gesagt: Drogen dealen. Und – es war ein Wunder geschehen. Der Mann konnte plötzlich wieder laufen, brauchte den Rolli überhaupt nicht mehr, war vital und bewegungsfroh. Nur offiziell leugnete er das natürlich. Vor den „wichtigen“ Leuten saß er wieder wie ein Häufchen Elend in seinem Rollstuhl und jammerte über die Grausamkeiten der Welt und seine ach so schlimmen Schmerzen.

Im Gegensatz zu den vielen größtenteils gesunden, wenn auch psychisch nicht ganz sauberen, Harz-IV-Empfängern, arbeiten unsere körperlich oder geistig teils schwer behinderten Klienten zu großer Zahl sehr gerne und viel.

Für jeden wirklich behinderten Menschen muss so etwas ein Schlag ins Gesicht sein. Es muss schlimm sein, wenn man darum kämpft, mit seinen eigenen Einschränkungen zurecht zu kommen und ein möglichst normales Leben zu führen, während andere das Leid ausnutzen, um sich Staatsknete zu erschleichen. Meiner Erfahrung nach, wollen sich die meisten Behinderten eben nicht in ihrem Leid suhlen. Im Gegensatz zu den vielen größtenteils gesunden, wenn auch psychisch nicht ganz sauberen, Harz-IV-Empfängern, arbeiten unsere körperlich oder geistig teils schwer behinderten Klienten zu großer Zahl sehr gerne und viel. Sie arbeiten meist in Behindertenwerkstätten – backen, töpfern, tischlern oder machen Sonstiges – und verdienen im Schnitt 200 bis 500 Euro im Monat. Ich weiß von einigen unserer Klienten, dass es ihnen ein gutes Gefühl gibt zu arbeiten und sie auf ihre, wenn auch noch so unspektakuläre oder einfache, Tätigkeit stolz sind. Die Arbeit gibt ihnen außerdem einen festen Tagesrhytmus und hilft nicht wenigen, so besser mit ihrem Alltag und ihren Problemen zurechtzukommen. Und manch einer findet bei seiner Arbeit sogar neue Freunde, was für einen schwer geistig behinderten Menschen sicher auch nicht immer einfach ist.

Wenn Arbeitsverweigerern das Arbeitsverweigern erleichtert wird

Aber zurück zu den Arbeitsunwilligen: Mit dem Bürgergeld sollen die Antragsformalitäten und Leistungsvoraussetzungen nun noch weiter vereinfacht, „digitalisiert und pragmatisch“ werden. Bisher wurde vor der Leistungsgewährung das Vermögen des Antragsstellers geprüft und auf die Leistung angerechnet (das heißt, vom Anspruch abgezogen). Die Schonvermögensgrenze – also Vermögen, das anrechnungsfrei bleibt – liegt aktuell bei 5.000 €. Mit dem Bürgergeld soll das Schonvermögen noch weiter erhöht und das Vermögen in den ersten zwei Jahren völlig außer Acht gelassen werden. Das heißt im Prinzip, dass egal wie viele tausend Euro man auf dem Konto hat, zwei Jahre Vollversorgung durch den Steuerzahler garantiert sind. Konkret bedeutet das: 449 Euro Regelbedarf pro Person plus Kosten für Unterkunft und Heizung, Krankenkasse und etwaige Mehrbedarfe. Teilhabeleistungen für Schule, Arbeit und Kultur kann man als Einmalzahlungen obendrauf beantragen. Ich habe sogar schon mal von einem Fall gehört, in dem das Jobcenter den Transport eines Klaviers von einem ins andere Bundesland finanziert hat. Ob das wirklich zum Leben notwendig war?

Insgesamt haben die meisten Harz-IV-Empfänger wahrscheinlich ein ähnliches, wenn nicht sogar höheres Einkommen als Studenten. Der deutsche Durchschnitts-Student verdient etwa 900 Euro im Monat und da sind Miete und Krankenkasse noch nicht drin. GEZ übrigens auch nicht – ein Sozialhilfeempfänger kann sich von der Rundfunkgebührenpflicht befreien lassen, wir können das nicht. Trotzdem klagt niemand über die menschenunwürdigen Umstände, unter denen Studenten leben müssen. Aber Harz-IV? Geht gar nicht. Und am allerschlimmsten sind die Sanktionen, deswegen werden sie mit dem Bürgergeld gleich abgeschafft. Bisher gab es nämlich zumindest eine Mitwirkungspflicht im Leistungsbezug – was nicht mehr bedeutet, als dass man etwa einen Kontoauszug oder eine Vermögenserklärung einreichen muss, wenn das Jobcenter danach verlangt. Wer nach zweimaliger Erinnerung immer noch keine Dokumente eingereicht hat, dem wurde im schlimmsten Fall die Leistungen gekürzt – aber auch das nur selten und maximal um 30 Prozent, alles andere gilt seit 2019 als verfassungswidrig.

Geht das so weiter, könnte uns der ganze Apparat irgendwann noch um die Ohren fliegen.  

Alles in allem scheint das Bürgergeld also nichts Weiteres als ein kleines Wohlfühlprojekt unserer neuen Regierung zu sein. Es ändert zwar insgesamt nicht viel, bietet aber noch mehr Menschen als ohnehin schon den Weg in unser Sozialhilfesystem und schafft zusätzlich die letzten Anspruchsvoraussetzungen an den Antragsteller ab. Die Zahl der Sozialleistungsempfänger in Deutschland ist schon jetzt immens und steigt immer weiter an. Die Nachrichten über Leute, die gleich in zwei, drei oder vier Bundesländern unter unterschiedlichen Namen Harz-IV kassieren, werden auch nicht weniger, sondern eher mehr. Und das alles, während unsere Wirtschaftskraft und unser Wohlstand zielsicher zusammenschrumpfen. Geht das so weiter, könnte uns der ganze Apparat irgendwann noch um die Ohren fliegen.  


»Politik ist die Kunst, von den Reichen das Geld und von den Armen die Stimmen zu erhalten, beides unter dem Vorwand, die einen vor den anderen schützen zu wollen.«
– unbekannt



Was man in 13 Jahren Schule über Steuern lernt (nix)

Von Michael Friese | Dieses Jahr wird für mich spannend. Meine Schullaufbahn neigt sich dem Ende entgegen, nachdem sie sich bereits über drei Jahrzehnte erstrecken konnte (naja, von 2009 bis 2022) und den Großteil meines Lebens dominierte. Es wird bald Zeit, in die Welt hinauszugehen und ein eigenständiges Leben zu beginnen. Was aber haben mir nun diese 13 Jahre Schule über das Erwachsenenleben, insbesondere über das omnipräsente Geld und die Steuern, gelehrt? In meinem Fall:ichts. Die Schule sollte den Schüler eigentlich auf das Leben als Erwachsener vorbereiten. Natürlich haben die Eltern dahingehend ebenfalls eine gewisse Verantwortung zu tragen, aber die Schule könnte viele Sachen lehren, die viele Eltern nicht könnten.

Zu diesen Dingen gehören auch Geldmanagement und Steuern. Das deutsche Steuersystem gehört mit zu den kompliziertesten der Welt (und selbstverständlich rangiert Deutschland auch in Sachen Steuerlast in der Oberliga) und mit Geld wird man als Erwachsener durchgehend zu tun haben, ob man will oder nicht. Es gibt bestimmt Eltern, welche ein wenig Ahnung von der Materie haben – sie mussten schließlich bereits länger damit klarkommen – aber es gibt dann eben auch andere, die nur über rudimentäres oder gar kein Wissen verfügen und dementsprechend viel beziehungsweise wenig weitergeben können. Hier wäre die Schule äußerst hilfreich. Ein in dem Gebiet ausgebildeter Lehrer nimmt sich mit den Schülern ab den höheren Klassenstufen das Geld und wie man damit umgeht als Thema und könnte so vielen jungen Erwachsenen den Start ins Leben deutlich erleichtern.

Wenn man zwar Integralrechnung kann, aber nicht mal weiß, was Steuern sind

Eine Vorstellung, die von der Realität leider so weit entfernt ist, wie unsere Sonne von Sirius A. Wer denkt, dass man im Politik- bzw. Wirtschaftsunterricht (bei mir heißt es „WiPo“) wenigstens einmal Steuern oder Geld behandelt hat, der irrt sich gewaltig. Es wurde kaum ein Wort darüber verloren und wenn man über Geld geredet hat, dann im Kontext großer Prozesse wie Entwicklungshilfe, Inflation oder das deutsche Rentensystem. Man verstehe mich nicht falsch: Die Rente wird für viele von uns vermutlich wichtig werden, sie aber immer nur im großen Bild zu betrachten, bereitet einen nicht auf das eigene Leben vor.

Man kommt in den meisten Fällen mit sechs Jahren in die Schule; in diesem Alter weiß man mit gutem Recht noch gar nicht wie man „Steuern“ überhaupt buchstabiert. Man wird nach und nach in die Grundlagen verschiedener Wissensbereiche eingeführt, sei es Deutsch, Englisch, Mathematik oder Sport. Doch ein fundamentales Problem des deutschen Schulsystems ist, dass es bis zur 13. (oder zwölften) Klasse in genau diesem Muster verbleibt. Es gibt eine Vielzahl an Fächern, die sehr spezifisches Wissen in einem Fachbereich anbieten, wie die Naturwissenschaften, welches sich aber eigentlich nur lohnt zu erlernen, wenn man seine berufliche Zukunft darauf aufbauen will. Fächer, die alltägliche Aufgaben, Herausforderungen und Fähigkeiten behandeln, gibt es so gut wie gar nicht, wenn man von den an manchen Schulen vorhandenen Kochkursen absieht.

Bevor ich also das Hotel Mama verlasse, werde ich mir vermutlich noch einiges an Wissen aneignen müssen.

Und genau deshalb frieren mir bei der Erwähnung des Wortes „Steuern“ sofort die Arterien zu. Ich weiß nicht einmal im Ansatz, was man in diesem Bereich überhaupt vorfindet, geschweige denn machen muss. Ich kenne lediglich ein paar grundlegende Begriffe wie Mehrwertsteuer, Grundsteuer, Steuer-ID und Steuernummer, aber das war es dann auch. Bevor ich also das Hotel Mama verlasse, werde ich mir vermutlich noch einiges an Wissen aneignen müssen. Und wie macht man das am besten? Indem man eine Ausbildung zum Steuerfachangestellten macht. Klingt im ersten Moment vielleicht meschugge, aber so könnte ich alles über dieses leidige Thema erfahren und es dabei noch zu meinem Beruf machen. Wenn man den Leuten helfen kann, Steuern zu sparen und mit dem “Hass“ auf Finanzämter so auch noch Geld macht – was gibt es Schöneres?

Und was das Geld angeht, habe ich das Gefühl, bereits jetzt die ersten Symptome eines Geizkragens und Knausers anzunehmen. Denn eins habe ich bis jetzt über Geld lernen können: Wenn du es ausgibst und du hast am Ende nichts davon, ist es in vielen Fällen weg. Ein einfaches Beispiel hierfür wäre eine Currywurst, die einem aus der Hand fällt.


»Das Finanzamt hat mehr Männer zu Lügnern gemacht als die Ehe«
– Robert Lembke


 


Wenn Linke Wirtschaft unterrichten – oder auch nicht…

Von Selma Green | Er rollte die Augen und ließ zwei Cent in meine Hand rieseln. „Es war mir eine Freude, mit Ihnen Geschäfte zu machen”, flötete ich und verstaute die zwei Cent in meinem Portemonnaie. „Paul, hast du die zehn Cent dabei?”, Kopfschütteln. Ich setzte den neunten Strich hinter seinen Namen und betrachtete mein Werk. Ich hatte alle Schüler aufgelistet, die mir noch Geld für ein Blatt Papier schuldeten. Selbstverständlich habe ich die Blätter verzinst: pro Tag ein Cent.

Es klingt absurd, doch in der siebten Klasse entdeckte ich meinen Geschäftssinn. Die Jungs aus meiner Klasse sind zu faul, zu verplant oder beides und vergessen ihre Collegeblöcke andauernd und drehen sich dann mit großen Augen zu mir um. Ich sehe nicht ein, dass sich die halbe Klasse auf meine Kosten durchfüttert, also habe ich den Spieß umgedreht. Mein Blätterunternehmen funktionierte wie am Schnürchen, am Ende des Jahres hatte ich zwei Euro verdient. Sie lernen eben doch nichts draus, vielleicht kann ich im nächsten Quartal sogar die Preise anheben? Ob das auch so in etwa in Unternehmen funktioniert?

Ich wollte wissen, was es mit der Börse, der Inflation und den Aktien, von denen mein Mitschüler jede Pause schwärmte, auf sich hat.

„Meine Nestle Aktien sind gestiegen!”, wie in jeder Pause plapperte der Mitschüler über seine Aktien und die Börse. Bei mir kam nur “Bahnhof” an. Mich interessierte das Thema Wirtschaft und ich wartete nur darauf, dass wir es endlich im Unterricht behandeln. Ich wollte wissen, was es mit der Börse, der Inflation und den Aktien, von denen mein Mitschüler jede Pause schwärmte, auf sich hat. Auf dem Öko-Gymnasium, das ich in der siebten Klasse besuchte und nach einem Jahr verließ, wurde Fleischessen verteufelt. Der Mainstream war der Meinung, man dürfe nur Bio-Fleisch von „glücklichen” Kühen kaufen, damit die konventionelle Tierhaltung, der Feind, boykottiert wird. Mich nervten Parolen wie “Ihh, du isst Fleisch” oder “Du isst ja Leichen”. Doch das Thema begann, mich zu beschäftigen. Fleisch von “glücklichen” Tieren kann sich nicht jeder leisten. Gäbe es die konventionelle Viehzucht nicht, müsste es doch für die Fleischindustrie kontraproduktiv sein, auf viel Land nur wenig Vieh zu züchten, denn dann entstehen weniger Produkte.

Hilfe, ich werde von Linken unterrichtet!

Mein Verständnis von Wirtschaft war nicht groß, doch mir Gedanken darüber zu machen, führte mich zu meinem Interesse für Wirtschaft. Seit der siebten Klasse hielt ich das Thema für gar nicht mal so blöd. In der achten Klasse war es soweit: “Jetzt machen wir einen kleinen Schwenker in die Wirtschaft”, kündigte die Politiklehrerin an. Ich lernte, was Planwirtschaft, soziale und freie Marktwirtschaft sind, soweit so gut. Das nächste Thema auf der Agenda lautete: „bedingungsloses Grundeinkommen”. “Ihr müsst dann gar nichts tun und bekommt monatlich 1000 Euro. Die Reichen machen Verluste und die Armen bekommen mehr Hilfe.”, schepperte es aus dem Lautsprecher. Das Erklärvideo, das wir uns zum Thema anschauten, verdarb mir den Geschmack auf den Wirtschaftsunterricht. Wie bitte? 

Wer übernimmt dann die unattraktiven Berufe, wenn es gar keinen Leistungsdruck mehr gibt? Die Reichen müssen für die Armen aufkommen. Der Mittelstand würde sich verkleinern und die Anzahl der Sesselfurzer steigen, oder etwa nicht? Das hat alles enorme Auswirkungen, denn könnte es nicht soweit kommen, dass wohlhabende Menschen deshalb aus Deutschland emigrieren? Dann würde der Wohlstand und das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland sinken. Naja, ich möchte auch einmal reich werden, um mir ein schönes Leben finanzieren zu können. Müsste ich noch zusätzlich für andere schuften, würde ich ehrlich gesagt auch emigrieren. Ich will selbst etwas auf die Beine stellen und nicht noch zusätzlich andere über Wasser halten müssen, damit die sich ausruhen können. Geht es nicht darum, finanziell eigenständig zu sein? Das ist auf jeden Fall mein Ziel später. Mich regte es auf, dass wir im Unterricht nur solchen linken Quatsch lernen. Das bedingungslose Grundeinkommen funktioniert von vorne bis hinten nicht.

Mich regte es auf, dass wir im Unterricht nur solchen linken Quatsch lernen.

Ich habe mir einen Wirtschaftsunterricht gewünscht, denn das Thema, angefangen mit dem Fleischkonsum, beschäftigte mich. Jetzt fürchte ich, genau solcher, linker Quatsch, wie das “bedingungslose Grundeinkommen”, würde mich in einem Wirtschaftsunterricht in Massen erwarten. Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als mir die Grundlagen selbst beizubringen. Solche Sozialisten, wie meine Lehrer sind, könnten die mir wohl eh nichts beibringen. Und bis ich so weit bin, habe ich ja noch meine Erfahrungen aus meinem Mini-Geschäft (ich komme ja jetzt aus der Papier-Branche). Ich hoffe nur, dass ich jetzt kein Gewerbe anmelden muss – ich hab nämlich keine Ahnung, was das ist. 


»Eine Investition in Wissen bringt immer noch die besten Zinsen.«
– Benjamin Franklin


 


Die kuriosesten Steuern Deutschlands – von denen kaum jemand etwas weiß

Von Sarah Victoria | Die Frage, wie sich der Staat finanziert, spielte in meinem Lebenslauf bislang keine große Rolle, was vor allem daran liegt, dass ich ihn bis heute nicht finanziert habe. Der Staat will nur mein Bestes – mein Geld, und davon habe ich keins. Damit das auch so bleibt habe ich extra ein geisteswissenschaftliches Studium gewählt. Dabei gibt sich gerade der deutsche Staat so viel Mühe, seinen Bürgern die Angst vor dem Griff in den Geldbeutel zu nehmen.

Steuern sind unser Wegbegleiter, durch fast alle Lebensbereiche hindurch und ein jeder zahlt, von morgens bis abends, bewusst oder unbewusst. Wie auch in der Integrationspolitik heißt es, Angst durch Berührungspunkte zu nehmen, Steuern in den Alltag zu integrieren und Vorurteile abzubauen. Zwar wurde bislang noch nicht vor Finanzämtern geklatscht oder „Kein Fiskus ist illegal“ auf T-Shirts gedruckt, aber nach meiner Recherche weiß ich jetzt: Von wegen deutsche Beamte hätten hinter der juristischen Sprachbarriere keinen Humor – manche Steuerarten können doch nur ein Witz sein.

Der Staat will nur mein Bestes – mein Geld, und davon habe ich keins.

Grundsätzlich handelt es sich bei Steuern um Zwangsabgaben, also Abgaben, die ohne Gegenleistung auf Güter, Dienstleistungen oder Geschäftsvorfälle erhoben werden. Das Steuersystem ist dabei keine Erfindung der Neuzeit, sondern begleitet die Menschheit schon mehrere Jahrtausende durch die Geschichte, sei es zu Zeiten von Kaisern, Zaren, Monarchen oder Demokraten gewesen. Nur die Steuererklärung und Begriffe wie „Lenkungssteuer“, also die Besteuerung mit guter Absicht, haben sich erst in der Moderne etabliert. Steuern können auf der Bundesebene, der Länderebene oder der Kommunalebene, also in den Gemeinden, eingenommen werden.

Dadurch gibt es auch unterschiedliche Gestaltungsspielräume, so dass die Gemeinden ihrer Kreativität mehr freien Lauf lassen können als etwa die Bundesregierung. Die musste bisher damit vorlieb nehmen, alte Steuerarten modern zu halten.  Kuriositäten lassen sich dabei vor allem bei den Verbrauchssteuern, also den Steuern auf Grundnahrungsmittel und bei der Besteuerung von Luxusgütern finden. Die Verbrauchssteuern werden dabei vom Zoll erhoben, allein 2020 wurden hier 63 Mrd. Euro eingenommen. Zum Vergleich, das ist mehr Geld, als die Ampelkoalition plant im gesamten nächsten Jahr zu investieren!

Hier eine kleine Auswahl an den kuriosesten Steuern, die ich finden könnte:

 

Die Kassenschlager

⇒ Biersteuer

Die Biersteuer wird als Verbrauchssteuer ausnahmsweise, auf Bestreben Bayerns natürlich, durch die Länder eingenommen. Der Steuersatz ergibt sich aus einer Kombination von Stammwürzgehalt und Produktionsmenge. Für Hobbybrauer (die sich übrigens beim Zoll registrieren müssen) wird es ab einer Menge von 200 Litern gefährlich. Alkoholfreies Bier ist übrigens nicht steuerpflichtig, Radler aber schon.

Einnahmen 2020: 617 Mio. Euro

⇒ Totalisatorsteuer

Totalisatorsteuer ist der Spitzname für die Versteuerung von Wetteinsätzen bei Pferderennen, Sportwetten und Lotterien. Scrabble-Liebhaber aufgepasst, die offizielle Abkürzung lautet RennwLottG-Steuer. Sie ist schon 1922 eingeführt worden, feiert dieses Jahr also 100. Geburtstag. Die Gelegenheit also, die Wetteinsätze etwas zu erhöhen, die Landeskasse gewinnt immer. Ganz vorne mit dabei sind übrigens Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg .

Einnahmen 2020: 2,4 Mrd. Euro


⇒ Tabak- und Kaffeesteuer

Nicht nur den Pflegekräften gebührt unser Dank, nein auch die Raucher und Kaffeetrinker haben durch ihren Konsum den Bundeshaushalt in den Pandemiejahren flüssig gehalten. Tabak und Zigaretten sorgen schon seit Jahrhunderten für Staatseinnahmen, die jetzige Gesetzesfassung stammt aus dem Jahr 1953 und wurde 2009 überarbeitet.

Einnahmen 2020: 14,65 Mrd. Euro und 1,06 Mrd. Euro

Die besonders Kreativen

⇒ Alkopopsteuer

Die Alkopopsteuer wird dieses Jahr volljährig (*2004)  und ist eine Sondersteuer auf alkoholhaltige Süßgetränke. Sie fällt neben der Schaumweinsteuer in den Topf der Alkoholsteuer. Das Alkoholsteuergesetz war bis 2018 noch bekannt unter dem Branntweingesetz und stammt aus dem Jahr 1919, finanzierte aber schon Jahrhunderte davor den Staatshaushalt. Insgesamt hat die Alkoholsteuer 2020 2,2 Mrd. Euro in die staatlichen Kassen gebracht.

Einnahmen 2020: 11 Mio. Euro

Bagatellsteuern

Bagatellsteuern sind kommunal erhobene Steuern mit einem besonderen Erhebungsgrund. Sie werden meist als belanglos abgetan, aber gerade dadurch finden sich hier besondere Schätze beamtlicher Kreativität. Diese Kreativität hat im Jahr 2020 insgesamt über eine Mrd. Euro in die Staatskassen eingebracht. Bislang wurden folgende Steuermöglichkeiten genehmigt:

⇒ Hunde- und Pferdesteuer

Gerechtfertigt wird dies als Aufwandsentschädigung für die erhöhte Verschmutzung von kommunalen Wegen. Aufpreis gibt es bei bestimmten Hunderassen. Eine Katzensteuer gab es seit der Gründung der Bundesrepublik nicht mehr.

⇒ Kinosteuer

Die Kinosteuer fällt unter die örtliche Vergnügungssteuer und wird seit den 30er Jahren auf die Vorführung von Filmen erhoben.

⇒ Sexsteuer

In manchen Kommunen müssen Prostituierte auf bestimmten Straßen eine Standgebühr bezahlen, in anderen wurde eine Zusatzabgabe für Bordellbesitzer eingeführt. Pro Prostituierte werden hierbei – wirklich – genau 6 Euro pro Veranstaltungstag eingenommen.

Was lernen wir also daraus? Der Staat wendet gerne umgekehrte Psychologie an, um die leeren Kassen zu füllen. Gerade in Deutschland gilt: Umsonst ist nur der Tod und selbst der kostet was. Eigentlich müssten wir den Rauchern, Kaffeetrinkern und Glückspiel-Süchtigen danken, dass sie unseren Staatshaushalt am Leben erhalten. Die neue Bundesregierung hat dieses Prinzip erkannt und mit der Legalisierung von Cannabis Werbung gemacht, immerhin winken hier Schätzungen von 2,5 Mrd. Euro Steuereinnahmen. Wer sagt, dass Steuern zahlen langweilig sein muss? Im Zweifel heißt es einfach: Ist wieder mal die Kasse leer, muss eine neue Steuer her!

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Mehr zum Thema:

Zahlen des statistischen Bundesamtes: https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Steuern/Steuereinnahmen/_inhalt.html

Schon fast 50 Jahre führt der Bund der Steuerzahler ein Schwarzbuch über die Verschwendung von Steuergeldern: https://www.steuerzahler.de/aktion-position/steuerrecht/steuernvonabisz/


»Nichts in dieser Welt ist sicher – außer dem Tod und den Steuern.«
– Benjamin Franklin



Kreidetafel in der Raumschiffschule

Von Selma Green | „Das kann ja heiter werden“, dachte ich mir, als die Handwerker gerade die geliebte Kreidetafel unserer Mathelehrerin aus dem Schulgebäude schleppten. An deren Stelle thronte jetzt ein Smartboard. „Die Mathelehrerin kennt sich so gut mit Technik aus, wie Rapunzel mit Haareschneiden“, seufzte ich. Meine Schule stockt neuerdings auf mit modernem Zeugs wie iPads und neuen Smartboards. Damit können die meisten älteren Herrschaften meiner Schule wenig anfangen. Nein, unsere Biologielehrerin entstaubt dann lieber den Overheadprojektor. In meiner Klasse geht ein Raunen durch die Menge, wenn wir allein die quietschenden Reifen des Tisches mit dem Overheadprojektor hören. Die Glühbirne ist nicht mehr die stärkste, sodass sich die letzte Reihe mit zusammengekniffenen Augen die Hälse verrenken muss, um etwas zu erkennen.

Unsere DDR-Mathelehrerin hat sich einmal an das Smartboard gewagt, um uns ein Video auf YouTube zu zeigen. Es scheiterte schon, als sie die Suchzeile suchte und nicht verstand, was sie machen soll. „Hoppla, was muss ich denn hier tun?“ Mehrere Schüler versuchten sie zu navigieren: „Da oben diese lange weiße Zeile!“, ein anderer rief: „Mit dem Symbol, mit der Lupe!“, wieder ein anderer plapperte rein: „Sie müssen mit der Maus darauf klicken!“ Die Mathelehrerin blickte fragend in die Runde. Als sie merkte, dass es hoffnungslos war, bat sie einen Schüler, das Video aufzurufen.

Wir bekommen haufenweise neue Technik, mit der sich nur die Hälfte der Lehrer auskennt. Die Overheadprojektoren werden an meiner Schule immer öfter hervorgekramt und gleichzeitig erhielt meine Schule vor zwei Jahren das Qualitätssiegel „Exzellente digitale Schule Berlin 2020-2024“. Ich habe keine Ahnung, wie meine Schule an dieses Siegel gekommen ist. „Exzellent digital“ ist was anderes. Einige Lehrer versuchten einmal, eine Kunstausstellung von Schülern live über YouTube zu filmen. Das Bild blieb hängen und der Ton wollte auch nicht mitspielen. Es lag am Internet, das genauso gut funktionierte wie mein Kindheitswunsch, Prinzessin zu werden. Auf einer Veranstaltung für den 10. Jahrgang stellten Lehrer den Grund- und Leistungskurs ihres Faches vor. Das Mikrofon hatte den Geist aufgegeben, obwohl es noch von der Verpackungsfolie glänzte. Mit hochroten Köpfen mussten uns die Lehrer also entgegen brüllen, wie toll ihre Kurse sind. Ich habe trotzdem nur die Hälfte verstanden. Na toll, da bin ich schon auf einem MINT-Gymnasium mit einem Haufen von Schülern und Lehrern, die Informatik mögen, und die Technik spinnt, nicht einmal das Internet funktioniert richtig. Mein Gymnasium ist eines der Top Fünf in Berlin und man bemüht sich nicht einmal um funktionierende Technik.

Von all dem Technikkram an meiner Schule kann man sich auf den Overheadprojektor und vielleicht noch auf die Smartboards verlassen. Hinter dem Qualitätssiegel „Exzellente digitale Schule Berlin 2020-2024“ verstecken sich ein Haufen von Technikproblemen an meiner Schule, das finde ich bitter. Ich vermute, dass meine Schule in Zukunft immer wieder mit neuen Geräten vollgestopft wird. Am Ende versteht nur die halbe Lehrerschaft etwas von der Technik und der Overheadprojektor kommt wieder zum Einsatz. Innovation als Selbstzweck heißt die Devise. Denn dieser ganze Kram soll nicht den Lehrern die Arbeit leichter machen und das tut es auch kein Stück, eher im Gegenteil. Es soll auch nicht uns dabei helfen, den Lernstoff besser zu lernen – eher wird uns wertvolle Unterrichtszeit geraubt, weil die Suche nach dem Safari-Symbol jede Stunde aufs Neue anfängt. Nein, das Ganze soll nur dafür sorgen, dass unsere Schule sich mit neuen Titeln behängen kann und die Politiker sich auf die Schulter klopfen können, weil sie ja ganz toll für Digitalisierung an den Schulen gesorgt haben. Da nehm ich doch lieber die Kreidetafel.