Von Simon Rabold | Es gibt ein legendäres Interview mit dem ehemaligen Torhüter Oliver Kahn nach einem verlorenen Spiel des FC Bayern. Auf die Frage des Reporters, was denn der Mannschaft gefehlt hat, antwortet Kahn präzise: „Eier.“ Und nach einer weiteren Nachfrage konkretisiert er dies: „Eier, wir brauchen Eier. Und Sie wissen, was das heißt.“ Er konnte zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, dass er exakt den aktuellen Zustand im Bundestag beschrieben hat. Denn dort haben nur noch die wenigsten Eier. Ach so, bevor es zu einem Shitstorm kommt, „Eier haben“ ist keine Frage des Geschlechts, sondern der Taten. Nehmen wir mal exemplarisch die Abstimmung über die einrichtungsbezogene Impfpflicht im Bundestag:

Auf jeden Fall keine Eier hat Wolfgang Kubicki. Dieser spuckt zwar oft große Töne und positioniert sich freiheitlich, stimmte sodann aber wie fast alle anderen FDP-Abgeordneten für die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Auch die CDU/CSU scheint ihre Eier in der Opposition noch nicht gefunden zu haben. Denken die Abgeordneten, sie regieren noch? Opposition heißt ja eigentlich, dagegen zu sein, Kritik zu äußern, jedoch unterstützen die Abgeordneten die meisten der Regierungsvorhaben der Ampel. Bis auf fünf Ausnahmen. Ich muss diese namentlich nennen, denn diese fünf Abgeordneten haben noch Eier – und das verdient in unserer heutigen Zeit Anerkennung und Respekt. Jana Schimke, Dr. Hans-Peter Friedrich, Manfred Grund, Jens Koeppen und Andreas Mattfeldt.

Das Grundgesetz schreibt in Artikel 38 I 2, dass die Abgeordneten nicht an Aufträge und Weisungen gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. So weit die Theorie.

Die Fraktion „Die Linke“ enthielt sich, bis auf eine prominente Ausnahme: Dr. Sahra Wagenknecht. Wer hätte gedacht, dass sie mal freiheitlichere Politik als die FDP machen würde? Die AfD stimmte geschlossen dagegen, auch dies soll hier nicht unerwähnt bleiben. Hier kann die CDU/CSU sich noch eine Scheibe abschneiden. Wohl die dicksten Eier im gesamten Deutschen Bundestag hat aber wohl Ulrich Lechte. Jetzt werden sie sich bestimmt fragen, wer um alles in der Welt Ulrich Lechte sein soll. Es ist tatsächlich der letzte echte FDPler, denn er war der einzige der „Liberalen“, der gegen die Impfpflicht stimmte. Man mag sich nicht vorstellen, welchem Druck er von seinen Chefs ausgesetzt gewesen sein mag. Das gilt übrigens auch für die anderen Abgeordneten. Mit dicken Eiern rumzulaufen, ist letztlich harte Arbeit und wohl nicht immer einfach.

Dabei sollte es eigentlich immer so sein. Das Grundgesetz schreibt in Artikel 38 I 2, dass die Abgeordneten nicht an Aufträge und Weisungen gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. So weit die Theorie. In der Praxis bestimmen die Partei- und Fraktionschefs, wie abgestimmt werden soll. Man kann dann zwar anders abstimmen, muss dann wohl aber damit rechnen, Hinterbänkler zu bleiben, erleidet also einen Karriereknick.

Genau das aber ist es, was fehlt. Personen mit Eiern, die so abstimmen, wie sie selbst – und nur sie selbst – es für richtig halten, ihr freies Mandat also wirklich voll ausschöpfen. Umso schlimmer, dass man dazu Eier braucht. Umso besser, dass es wenigstens noch ein paar gibt, die Eier haben.