Steigen Sie beim großen Apollo-Battle mit in den Ring. Heute:  Sollten wir wirklich schwere Waffen an die Ukraine liefern? Oder lieber doch auf andere Hilfen setzen? Diese Frage teilt aktuell das ganze Land – und unsere Autoren Sebastian und Jonas. Sie stellen sich hier und heute dem Debattenduell. Wer überzeugt Sie mehr?


 

Schluss mit hilflosen Friedensappellen und zahnlosen Forderungen – auch unsere Sicherheit steht auf dem Spiel

Von Sebastian Thormann | Waffenlieferungen in Kriegsgebiete? Noch vor kurzem haben Grüne und Linke so etwas vehement verteufelt. Jetzt gab es bei vielen auf einmal ein Umdenken. Und in Teilen des bürgerlichen Lagers gibt es einen Reflex auf alles was auf einmal „Mainstream“ ist, mit einer Anti-Haltung zu reagieren. Nach dem Motto: Weil die Grünen für etwas sind, dann muss es schlecht sein. Nun wäre es unangemessen jedem Gegner der Waffenlieferungen an die Ukraine so eine Motivation zu unterstellen, aber es ist eine Haltung, die auf einen Teil zutrifft. Und man muss zugeben, eine gewisse Grundskepsis ist sicher auch gesund. Also: Zeit einen Schritt zurückzugehen, raus aus den Berliner Politikerphrasen, und Klartext zu reden:

Warum die Ukraine unterstützen?

Aus Mitleid? Weil wir den Krieg damit sofort beenden? Die Wahrheit ist, Waffen für die Ukraine beenden den Krieg nicht von heute auf morgen. So schrecklich er ist, ihn noch heute und um jeden Preis beenden  zu wollen, kann auch nicht das Ziel sein. Denn wie Ronald Reagan einmal sagte: „Es gibt nur einen garantierten Weg, um Frieden zu haben – und Sie können ihn in der nächsten Sekunde haben – indem Sie sich ergeben.“ Aber das wollen die Ukrainer ganz offensichtlich nicht – aus guten Gründen, und unser Ziel sollte es auch nicht sein.

Ja, wir sollten ein Ende des Krieges anstreben, aber nicht nach Putins Wünschen, sondern soweit möglich zu unseren Bedingungen. Das bedeutet: Nachdem die Ukraine so viel wie möglich ihres Landes zurückerobert hat. Man wird darüber streiten können, wann und unter welchen Zugeständnissen es zu einem Waffenstillstand kommen sollte – am Ende ist es eine Entscheidung der Ukrainer, es ist ihr Land.

Die Ukraine verteidigt auch unsere Sicherheit

Wir sollten Waffen liefern, weil auch unsere Sicherheit auf dem Spiel steht. Wenn die Ukraine fällt, wer ist als nächstes dran? Moldawien? Bekommt das Baltikum bald Besuch von mysteriösen „grünen Männchen“? Mit hilflosen Friedensappellen und zahnlosen Forderungen nach einem Kriegsende wird Putin nicht davon abgehalten die Ukraine zu besiegen. Und wenn der Westen Moskaus Eroberungsfeldzüge zulässt, werden wir keine Deeskalation sehen, sondern neue Konflikte, näher an Deutschland, und womöglich gegen unsere Verbündeten – vielleicht nicht von heute auf morgen, aber langfristig, denn Diktaturen wie Russland oder China schauen nicht bloß auf die nächsten paar Jahre, sondern auf die nächsten Jahrzehnte. Für Deutschland als bevölkerungsreichste und wirtschaftsstärkste Nation in Europa kann das niemals in unserem Interesse sein, es ist eine Bedrohung unserer Sicherheit.

Ein häufiges Argument lautet dann: „Aber wenn wir ‚schwere Waffen‘ liefern, dann ist es ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und dem Westen“ Ja, ist es und wir sind schon längst mittendrinnen – aber eben in genau dem, einem Stellvertreter-Krieg und keiner direkten militärische Konfrontation zwischen Russland und der NATO. Und dazu muss es auch überhaupt nicht kommen, nur weil europäische Länder einen Nachbarn beliefern, der von Russland angegriffen wurde. Durch all die Jahrzehnte des Kalten Krieges haben West- und Ostblock auf vielen Flecken der Erde oft noch viel blutigere Stellvertreterkriege geführt – ohne, dass beide Seiten sich einen nuklearen Schlagabtausch geliefert haben. Bei manchen geistertet die Idee einer Flugverbotszone rum, in anderen Worten, russische Flugzeuge vom Himmel zu schießen. So etwas wäre tatsächlich eine direkte militärische Konfrontation – Waffenlieferung sind es eben nicht.

Das Weltuntergangsszenario ist unrealistisch

Aber man dürfe Putin trotzdem nicht „provozieren“ oder „demütigen“ heißt es, denn sonst drückt der den Atomknopf. Wenn die rote Linie für einen potenziellen Atomkrieg etwas anderes als eine direkte Auseinandersetzung ist, dann steht praktisch alles was eine andere Nation macht zur Debatte. Dann lassen wir uns vollends auf nukleare Erpressung ein und können uns alle zwischenstaatlichen Beziehungen direkt von Moskau diktieren lassen. Nein, das ist kein valides Argument, das weiß auch der Kreml, der schließlich einst selbst die Gegner der Amerikaner im Vietnamkrieg bewaffnete. Ganz abgesehen, davon dass so ein Weltuntergangsszenario aus rein praktisch Gründen völlig unrealistisch ist: Unsere Verbündeten haben bereits „schwere Waffen“ geliefert, ohne atomar ausradiert zu werden.

Die Debatte müssen wir also nüchtern und ohne apokalyptische Drohkulisse führen: Wollen wir einen russischen Sieg über die Ukraine zulassen? Macht so ein Ausgang, Europa zu einem sichereren Ort? Die Antwort lautet Nein, und daher hat die Ukraine unsere Unterstützung, mit Waffen nicht nur mit leeren Worten, verdient – völlig unabhängig davon, ob einige Linke und Grüne jetzt auf einmal ihre Meinung zu Waffenlieferungen geändert haben.

 


Die Lieferung schwerer Waffen führt uns in eine Eskalationsspirale

Von Jonas Kürsch | Mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine hat sich scheinbar alles verändert. Steigende Lebensmittelpreise, horrende Energiekosten und die Angst vor einem dritten Weltkrieg sind allumgebend. Auch in Deutschland sind diese mit Kriegsausbruch verbundenen Unsicherheiten klar zu spüren. Besonders die über Jahre hinweg kaputtgesparte Bundeswehr und unser jahrelanger Mangel an diplomatischem Feingefühl rächen sich nun. 

Die Stimmung ist – im wahrsten Sinne des Wortes – hochexplosiv. Das Leiden in der Ukraine ist unverkennbar groß und die Anzahl der Todesopfer dieses Krieges steigen tagtäglich an. Es ist daher absolut richtig, dass die Deutschen sich für ein Ende dieses brutalen Blutvergießens einsetzen müssen. Allerdings hege ich, ebenso wie ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung, enorme Zweifel an der vermeintlich positiven Wirkung schwerer Waffenlieferungen in die Ukraine: denn Waffen haben noch nie einen Konflikt nachhaltig lösen können.

Wir verlassen den neutralen Boden

Erst vor kurzem hat Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) die Ausbildung ukrainischer Soldaten an Artilleriesystem auf deutschem Boden angekündigt. Diesen Gedanken empfinde ich als gefährlich, schließlich sind sich die meisten Völkerrechtsexperten weitestgehend darüber einig, dass gerade durch die Kampfausbildung einer Konfliktpartei der gesicherte Boden der Neutralität verlassen werde. In Kombination mit den im vergangenen April von der Bundesregierung angekündigten schweren Waffenlieferungen, ist daher nicht länger auszuschließen, dass Deutschland von Russland als aktive Kriegspartei wahrgenommen werden könnte – womit die Regierung unser Land einem unberechenbaren Risiko aussetzt.

Der zweite Artikel des Zwei-plus-Vier-Vertrages, der nach dem Fall des eisernen Vorhanges durch die Staatschefs der BRD und der DDR unterzeichnet wurde, besagt, „dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird.“ Durch die Entsendung schwerer Artillerie würde man diesen gesetzlichen Vorsatz zunichtemachen.

Das Scheitern deutscher Waffeneinsätze

Besonders die öffentlichen Aufrufe von ranghohen Politikern wie Finanzminister Christian Lindner, der auf dem vergangenen FDP-Parteitag verlautbaren ließ, man müsse alles mögliche tun, um den Sieg der Ukraine und die Niederlage Russlands sicherzustellen, empfinde ich als unbedacht. Gerade die Konflikte der vergangenen Jahre haben doch gezeigt, dass moderne Kriege nur allzu selten durch militärische Gewinner und Verlierer entschieden wurden: schon der Kosovokrieg von 1998 wurde letztlich durch die Unterzeichnung des Abkommens von Kumanovo beendet, nicht aber durch das schwere Bombardement unschuldiger Zivilisten in Belgrad, die bis in die frühen 2010er Jahre mit den durch die NATO zerbombten Ruinen leben mussten.

Ein noch extremeres Beispiel für das Scheitern deutscher Waffeneinsätze ist der vor wenigen Monaten beendete Afghanistankrieg. Fast 20 Jahre lang hat Deutschland sich an der militärischen Mission beteiligt. Das Leiden der Zivilbevölkerung konnte nicht verhindert werden, stattdessen konnte das völlig desolate Land trotz eines 20 Jahre andauernden Schusswechsels ohne Mühen von den Taliban erobert werden. Die Freiheit am Hindukusch konnte leider nicht mit deutschen Waffen sichergestellt werden.

Wollen wir einen neuen Weltkrieg riskieren?

Wir könnten uns mit der Lieferung schwerer Waffen in eine niemals enden wollende Eskalationsspirale begeben, welche die Kluft zwischen dem Westen und Russland immer größer werden lässt. Ich schließe mich daher ganz klar den Worten des Brigadegenerals a.D. Erich Vad an: „Der Weg in die Hölle ist bekanntlich immer mit guten Vorsätzen gepflastert.“ Vad sieht in der Eskalationslogik der Bundesregierung einen gefährlichen Trend und mahnt zur Notwendigkeit eines Friedensabkommens. 

Noch können beide Seiten an den Verhandlungstisch zurückkehren. Zu glauben, man dürfe mit Putin aus moralischer Sicht nicht verhandeln, ist in meinen Augen keinesfalls logisch. Vor allem im Hinblick auf „die Zeit danach“ sollten wir uns um eine möglichst gewaltfreie und schnelle Deeskalation des Krieges bemühen. Niemand weiß, wohin diese Konfliktsteigerung letztlich führen könnte, und mir stellt sich die Frage, ob wir wirklich einen neuen Weltkrieg mit direktem Konfrontationspotenzial riskieren wollen. Mir erscheint dieses Risiko in Anbetracht der geringen Erfolgsaussichten des deutschen Interventionismus als nicht sinnvoll.