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Das L in FDP steht für liberal

Von Sarah Victoria | Im Wahlkampf bekannte die FDP noch ihre Liebe zur Freiheit, doch die Liebe hielt nicht lange. Erst führte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Beziehungspause, dann kam die Blitztrennung mit der Einführung der berufsbezogenen Impfpflicht. Frei nach dem Motto: Heute wird applaudiert, morgen entlassen. Doch vielleicht besteht noch Hoffnung, dass es in Zukunft wenigstens  für eine Zweckbeziehung zur Freiheit reicht. Denn Opportunisten, die in Erklärungsnot geraten, sind offen für Kurswechsel – solange sie dadurch ihren Einfluss behalten.

Ein kurzer Exkurs – was ist ein Opportunist überhaupt? Opportunismus an sich bezieht sich auf Gelegenheiten, die einem zur Verfügung stehen. Sei es in der Politik, in der Wirtschaft oder im Alltag, jeder Mensch handelt vereinzelt opportun. Der Unterschied ist jedoch, dass der durchschnittliche Mensch gewisse Wertvorstellungen, ideologische Überzeugungen oder einfach nur Empathie hat, die ihn davon abhält, dauerhaft opportun zu handeln. Das fehlt dem Opportunisten.

Opportunisten haben keinen guten Ruf, da ihnen eine gewisse kriminelle Begabung anhaftet. Der Opportunist weiß, eine günstige Gelegenheit zum eigenen Vorteil zu nutzen, ohne Rücksicht auf Verluste zu nehmen. Opportunisten sind Meister der Anpassung, können ihre eigene Identität wie Klamotten wechseln und ihr Umfeld manipulieren. Schon seit dem 19. Jahrhundert ist dieser Menschentypus bekannt und fasziniert seither mit seiner Ambivalenz. Sie sind oft charismatisch, vorausschauend und haben eine pragmatische Vorstellung von der Welt. Das macht sie zu begabten Führungspersönlichkeiten und erfolgreichen Politikern. Sie sind feinfühlig für Stimmungswechsel, streben nach der größtmöglichen Zustimmung und können schon mal die eigene Meinung aufgeben, um mehr Chancen für die Teilhabe an Macht und Einfluss zu bekommen.

Die FDP und ihr Verrat an der Freiheit

Zur politischen Verwandtschaft des Opportunisten zählen unter anderem der Karrierist, der Realpolitiker und der bekannte Wendehals. Sie alle lieben Macht und Einfluss, verfolgen aber unterschiedliche Strategien, um diese zu sichern. Sie bewegen sich in einer moralischen Grauzone, nehmen je nach Situation entweder die Rolle des glatten Bösewichts oder des kühnen Heldens ein. Klar ist jedoch, dass sie alle die gemeinschaftlichen Regeln und Normen herausfordern und Systeme dadurch in einem Kontinuum aus De- und Restabilisierung halten. Opportunisten sind einfach nicht für Langzeitbeziehungen gemacht, Loyalität sucht man hier vergebens. Verspricht sich der Opportunist einen Vorteil, wird man mit Lobeshymnen umgarnt und zur Vertrauensperson, nur um bei der nächsten Gelegenheit vom Thron gestoßen zu werden.

Hier eine kleine Übersicht:

Vor der Wahl:

Screenshot Twitter: Fraktion der Freien Demokraten

Nach der Wahl:

Screenshot Twitter: Argo Nerd

Stand 9. Februar:

Screenshot Twitter: Christian Lindner

Verfolgt man das Verhalten der Opportunisten, verirrt man sich schnell in einen gedanklichen Nebel aus Widersprüchen. Analysiert man ihr Verhalten jedoch, fangen die Widersprüche langsam an, Sinn zu ergeben.  Im Falle einer Demokratie heißt das, dass Opportunisten gewillt sind, sich an politische Prinzipien anzupassen, solange sie davon profitieren. Opportunisten haben ein feines Gespür, wann ihr Einfluss zu verschwinden droht und in diesen Momenten sind sie bereit, ihr Verhalten bis zur politischen Kehrtwende zu ändern. 

Das zeigt sich insbesondere in der Tagespolitik. Sei es Ministerpräsident Söder, der in den sozialen Medien auf einmal zum Foodblogger mutiert und von Freiheit spricht oder Staatsphilosoph Karl Lauterbach, der plötzlich seinen Virologen des Vertrauens zum Sündenbock erklärt. Sie haben schon erkannt, dass das Maßnahmen-Schiff auf einen Eisberg zusteuert und bereiten sich auf den Kurswechsel vor. Die Chance also, für eine liberale Route Werbung zu machen.

Kurswechsel in liberale Gewässer

Ich glaube, für einen liberalen Kurswechsel ist es zunächst einmal wichtig, sich auf die Fundamente der liberalen Theorie zurückzubesinnen. Das 1mal1 des Liberalismus ist dabei recht einfach: Die individuelle Freiheit stellt den höchsten Wert dar. Sie ist ein Naturrecht. Aufgabe des Staates ist es, diese Freiheit zu erhalten. Dafür darf auch staatlicher Zwang eingesetzt werden, solange dieser hinreichend begründet ist. Ein Staat muss den Eingriff in dieses Naturrecht ständig rechtfertigen. Das ist für die Machthaber sehr anstrengend und soll dazu führen, dass sich staatliche Macht nicht zu stark ausbreitet.

Strebt ein liberaler Staat nicht nach dem Erhalt individueller Freiheit, verliert er die Legitimität. Bezogen auf die Maßnahmen heißt das also, dass die Regierung jede einzelne ergriffene Maßnahme hinreichend rechtfertigen muss, um die eigene Legitimität zu wahren. Gerechtfertigt ist ein solcher Eingriff grundsätzlich, solange das Ziel möglichst effizient und verhältnismäßig erreicht werden kann. Hierfür soll das mildeste Mittel verwendet werden. Darüber dürften sich alle liberal gesinnten Menschen einig sein.

Uneinigkeit entsteht bei der Frage, wo nun die Grenze zwischen Individuum und Gemeinschaft gezogen werden soll. Freiheit ist immerhin auch vom Verhalten der anderen abhängig. Um besonders gefährdete Personengruppen zu schützen, können staatliche Maßnahmen natürlich diskutiert werden.

Wird einem sterbenden Patienten zum Beispiel das Recht verwehrt, im Kreise seiner Angehörigen von dieser Welt zu gehen, muss hierfür eine hinreichende Rechtfertigung vorliegen. Werden Kinder und Jugendliche Maßnahmen unterworfen, deren Spätfolgen sich nur vermuten lassen, obwohl ihre Überlebensrate auf 100% aufgerundet werden kann, muss eine Bundesregierung handfeste Beweise für solche Freiheitsbeschränkungen vorweisen können. Der erste Reflex sollte sein, Entscheidungen in Gesundheitsfragen so weit wie möglich dem Einzelnen zu überlassen. Ein Adrenalin-Junkie, zu dessen Hobbys Fallschirmspringen und Tiefseetauchen zählen, wird wahrscheinlich eher bereit sein, gesundheitliche Risiken einzugehen, als ein bekennender Hypochonder.

Die Willkür ist die letzten zwei Jahre zur politischen Praxis geworden.

Aufgabe der Politik ist es nun, diese einzelnen Interessen in einen Rahmen zu setzen, der beim Schutz von Gefährdeten möglichst viel Spielraum für individuelle Freiheit lässt. Dieser Rahmen ist minimalistisch gedacht und soll mithilfe der mildesten Mittel gebaut werden – Stichwort Verhältnismäßigkeit. Lange sah die FDP eine Impfpflicht nicht als das mildeste Mittel an, dann der Sinneswandel. Man wolle der Wirtschaft und den Schulen keinen weiteren Lockdown zumuten. Doch was wurde aus der Option, einfach keinen Lockdown mehr durchzuführen? Warum nicht die Kapazitäten des Gesundheitswesens ausbauen? Warum in überteuerte Impfkampagnen investieren, aber nicht in die Ausbildung von Pflegekräften? Die Willkür ist die letzten zwei Jahre zur politischen Praxis geworden.

Gerade jetzt ist es also wichtig, diese Fragen zu stellen. Eine Politik, die sich anmaßt, im Angesicht einer solch ungewissen Faktenlage dauerhafte Grundrechtseingriffe zu verüben, wird nur scheitern, wenn sie ihr Verhalten ständig rechtfertigen muss und dadurch in Erklärungsnot gerät. Die politischen Opportunisten haben bereits erkannt, dass das Schiff auf Kollisionskurs ist und versuchen bereits, sich die Plätze auf den Rettungsbooten zu sichern. Die Chance also, laut Werbung für liberale Ideale zu machen. Ob Opportunist oder nicht, wir sind alle Menschen und sollten gemeinsam am Steuer stehen – im besten Fall als freie Bürger.

 

 


Größenwahnsinn bedeutet Pläne machen: Warum Sokrates sterben musste

Von Sarah Victoria | Es ist soweit, ein weltbekanntes Virus feiert zweiten Geburtstag und manch ein Politiker könnte kaum stolzer auf den kleinen Sprössling sein, der ihm zur Instagram-Prominenz oder Talkshow-Karriere verhalf. Hinter doppelter FFP2-Maske backen sie vielleicht eine Geburtstagstorte nach Anleitung des RKI oder singen dem Geburtstagskind ein kleines Ständchen („Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst!“). Denn das Virus löste nicht nur eine neue Krankheit aus, sondern offenbarte auch tiefe Ängste der Bevölkerung, die nicht neu sind, aber nun politisch genutzt werden können. Vor ein paar Tagen etwa debattierte der Bundestag zum Thema allgemeine Impfpflicht.

Neben interessanten Wortneuschöpfungen wie „Solidaritätsspritze“ oder „die Impflicht als Weg zur gesellschaftlichen Befriedung“ fiel mir vor allem die Selbstverständlichkeit auf, mit der Politiker das Leben als planbar bezeichneten. Wenn wir jetzt alle impfen, wird der Herbst viel besser als letztes Jahr, hieß es da. Also vorausgesetzt, die neue Mutation lernt bis dahin das Lesen. Und wenn ich ab heute nur noch Rohkost esse und täglich eine Runde durch den Ort jogge, kann ich meine Lebenserwartung erheblich verlängern, es sei denn, mir fällt in der Zwischenzeit ein Ast auf den Kopf. Ich finde ja, das Leben ist nicht so leicht planbar.

Unwissenheit gehört dazu

Gerade die letzten zwei Jahre haben das eindrücklich bewiesen. Zumindest glaube ich, nicht die einzige gewesen zu sein, deren innere Glaskugel nicht bis nach Wuhan reichte. Bestimmt bin ich auch nicht alleine mit der Erfahrung, dass es Ereignisse gibt, die das Leben von jetzt auf gleich fundamental verändern; es Momente gibt, in denen das Leben plötzlich einen Richtungswechsel einschlägt und man auf eine neue Strecke geschubst wird, auf der man sich erst zurechtfinden muss.

Ich stelle mir das Leben manchmal vor wie die Fahrt in einem selbstfahrenden Auto, nur dass man nicht weiß, wohin die Reise geht und wann einen dieser Schleudersitz aus dem Auto werfen wird. Der Mensch kann sich dabei vielleicht aussuchen, welche Farbe sein Auto haben soll, welchen Proviant er mitnimmt oder welche Musik im Autoradio läuft. Aber er kann nicht alleine bestimmen, wie lang diese Strecke ist, wohin sie führt und wer ihn wie lange dabei begleiten darf. Die Strecke, die ich vor zwei Jahren geplant hatte, verlief anders. Sie war weniger kurvig, führte nicht durch politische Minenfelder und auf meiner Rückbank nahm auch noch mein Opa Platz. Aber als Mensch wird mein Leben immer Facetten enthalten, die so nicht vorgesehen waren.

Die Annahme, dass der Mensch seine Umwelt nicht nur beeinflussen, sondern auch kontrollieren kann, findet sich auch im Staatsverständnis wieder.

Ich werde immer in meinen Fähigkeiten begrenzt sein, weil meine Existenz einfach an Bedingungen geknüpft ist. Sei es die Bedingung, dass ich atmen muss, denken kann oder eines Tages sterben muss. In Zeiten des wissenschaftlichen Fortschritts sind diese Bedingungen oft immer weiter in den Hintergrund gerückt. Die Annahme, dass der Mensch seine Umwelt nicht nur beeinflussen, sondern auch kontrollieren kann, findet sich auch im Staatsverständnis wieder. Viele Menschen erwarten vom Staat Sicherheit, eine Erlösung von der ständigen Angst, die Kontrolle zu verlieren. Doch wie soll die Politik Umstände schaffen, die das Leben an sich anders gestaltet? Das Leben besteht aus Bereichen, die der Mensch beeinflussen kann und aus solchen, an die er sich anpassen muss.

Karl Lauterbach, die Impfpflicht und der Größenwahn 

Grenzt es nicht an Allmachtsfantasien, wenn Parlamentarier mit an Kriegsrhetorik erinnernden Pathos verkünden, in die privatesten Lebensbereiche eines Menschen eingreifen zu müssen, um Kontrolle über einen unkontrollierbaren Bereich des Lebens zu erlangen?  

Das ist zumindest mein Eindruck, wenn ich mancher Rede im Parlament lausche, bei der Abgeordnete stolz verkünden, Verantwortung für die Gesundheit eines ganzen Landes übernehmen zu wollen. Denn wir wissen alle, dass nur unverantwortliche Menschen krank werden und Intensivstationen nur für solidarische Mitmenschen gedacht sind. Und solidarisch sein heißt, die neuen Maßnahmenkataloge zu befolgen, sich in jedes Körperteil boostern zu lassen und täglich zu überprüfen, ob der Impfstatus schon aberkannt wurde.

Warum Sokrates sterben musste

Wenn man eines aus der Philosophiegeschichte lernen kann, dann ist es Bescheidenheit. Schon Sokrates wusste, dass er nichts wusste und dabei war er einer der schlauesten Menschen seiner Zeit. Diese Bescheidenheit wurde offenbar nicht von seinen Mitmenschen geteilt. Wer weiß, welche Erkenntnisse er noch mit seinem Schüler Platon hätte teilen können, wäre er nicht – demokratisch wohlgemerkt – zum Tode verurteilt worden.

Nein, der kategorische Imperativ verlangt keine Impflicht und nein, es ist keine gute Idee, als Mensch Gott spielen zu wollen.

Menschen, die denjenigen, die sich selbst für allmächtig halten, den Spiegel vorhalten, wurden schon damals nicht gerne gesehen. Was Herrn Lauterbach wohl nicht davon abhalten wird, die Ideen von Philosophen wie Kant oder Hegel zu verunglimpfen. Nein, der kategorische Imperativ verlangt keine Impflicht und nein, es ist keine gute Idee, als Mensch Gott spielen zu wollen. Das Leben ist komplex und enthält viele Variablen, die nicht in der Kontrolle des Menschen liegen, Variablen von denen er mitunter gar nichts weiß und die er, auch mit der besten Absicht, nicht beeinflussen kann.  Eine Tatsache, die frustrierend ist, aber nach Bundestagsdebatten auch beruhigt. Der Einfluss des Menschen ist begrenzt und damit auch der von Parlamentariern.

Mir tun diese Abgeordneten fast Leid, weil sie sich einer Aufgabe hingegeben haben, die von Beginn an zum Scheitern verurteilt war. Sie sind voller Angst, weil sie auf einem wackeligen Konstrukt aus fadenscheinigen Argumenten stehen. Die Bevölkerung ist voller Angst, weil Konformität gegen Grundrechte eingetauscht wurde. Teile haben Angst, ihre Privilegien zu verlieren und andere bangen um ihren Lebensinhalt oder ihre Zukunft.

Nichts als Angst

Gerade in Zeiten der Angst ist es umso wichtiger, das „Warum“ nicht aus den Augen zu verlieren. Sich nicht nur zu fragen, für was man lebt, was man erschaffen möchte oder vor was man Angst hat, sondern zu fragen, warum man lebt. Dieses „Warum“ kann Menschen durch die schwersten Schicksale tragen. Es kommt nicht darauf an, eine eindeutige Antwort auf diese Frage zu finden. Vielmehr ist es wichtig, nicht Platzhalter an die Stelle von Sinn oder Eigenverantwortung zu setzen.

Wenn es um die Frage nach Lebenssinn geht, lohnt sich die Lektüre von Viktor Frankls Büchern. Viktor Frankl war ein österreichischer Psychologieprofessor, der unter anderem Auschwitz überlebte. Er beobachtete Menschen, die unvorstellbares Leid erfahren mussten und stellte dabei fest, dass der Umgang mit Leid vor allem mit dem Innenleben des Menschen zu tun hat. In seinem Buch „Trotzdem ja zum Leben sagen“ schreibt er unter anderem: „ Die psychologische Beobachtung der Lagerhäftlinge hat vor allem ergeben, daß nur derjenige in seiner Charakterentwicklung verfällt, der sich zuvor geistig und menschlich eben fallen gelassen hat; fallen ließ sich aber nur derjenige, der keinen inneren Halt mehr besaß!“. Und nein, ich möchte hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Gerade weil unsere Lage noch um einiges besser ist, sollte uns das Hoffnung geben. 

 Ich kann vielleicht nicht planen, ob mir der besagte Ast auf den Kopf fällt, aber ich habe Kontrolle darüber, wie ich Momente davor gedacht habe. Ich habe die Kontrolle darüber, ob ich in diesem Moment als mündiger Mensch durch den Wald gelaufen bin, oder meinen Impfpass fest umklammert hielt, falls 2G auch in Wäldern gelten sollte. Herr Lauterbach kommt mit seinem Impfausweis vielleicht in den Bundestag, aber in meinem selbstfahrenden Auto hat seine Angst keinen Platz – die passt nämlich nicht zur Inneneinrichtung.  


»Die letzte der menschlichen Freiheiten besteht in der Wahl der Einstellung zu den Dingen.«
–Viktor Frankl


 


Die kuriosesten Steuern Deutschlands – von denen kaum jemand etwas weiß

Von Sarah Victoria | Die Frage, wie sich der Staat finanziert, spielte in meinem Lebenslauf bislang keine große Rolle, was vor allem daran liegt, dass ich ihn bis heute nicht finanziert habe. Der Staat will nur mein Bestes – mein Geld, und davon habe ich keins. Damit das auch so bleibt habe ich extra ein geisteswissenschaftliches Studium gewählt. Dabei gibt sich gerade der deutsche Staat so viel Mühe, seinen Bürgern die Angst vor dem Griff in den Geldbeutel zu nehmen.

Steuern sind unser Wegbegleiter, durch fast alle Lebensbereiche hindurch und ein jeder zahlt, von morgens bis abends, bewusst oder unbewusst. Wie auch in der Integrationspolitik heißt es, Angst durch Berührungspunkte zu nehmen, Steuern in den Alltag zu integrieren und Vorurteile abzubauen. Zwar wurde bislang noch nicht vor Finanzämtern geklatscht oder „Kein Fiskus ist illegal“ auf T-Shirts gedruckt, aber nach meiner Recherche weiß ich jetzt: Von wegen deutsche Beamte hätten hinter der juristischen Sprachbarriere keinen Humor – manche Steuerarten können doch nur ein Witz sein.

Der Staat will nur mein Bestes – mein Geld, und davon habe ich keins.

Grundsätzlich handelt es sich bei Steuern um Zwangsabgaben, also Abgaben, die ohne Gegenleistung auf Güter, Dienstleistungen oder Geschäftsvorfälle erhoben werden. Das Steuersystem ist dabei keine Erfindung der Neuzeit, sondern begleitet die Menschheit schon mehrere Jahrtausende durch die Geschichte, sei es zu Zeiten von Kaisern, Zaren, Monarchen oder Demokraten gewesen. Nur die Steuererklärung und Begriffe wie „Lenkungssteuer“, also die Besteuerung mit guter Absicht, haben sich erst in der Moderne etabliert. Steuern können auf der Bundesebene, der Länderebene oder der Kommunalebene, also in den Gemeinden, eingenommen werden.

Dadurch gibt es auch unterschiedliche Gestaltungsspielräume, so dass die Gemeinden ihrer Kreativität mehr freien Lauf lassen können als etwa die Bundesregierung. Die musste bisher damit vorlieb nehmen, alte Steuerarten modern zu halten.  Kuriositäten lassen sich dabei vor allem bei den Verbrauchssteuern, also den Steuern auf Grundnahrungsmittel und bei der Besteuerung von Luxusgütern finden. Die Verbrauchssteuern werden dabei vom Zoll erhoben, allein 2020 wurden hier 63 Mrd. Euro eingenommen. Zum Vergleich, das ist mehr Geld, als die Ampelkoalition plant im gesamten nächsten Jahr zu investieren!

Hier eine kleine Auswahl an den kuriosesten Steuern, die ich finden könnte:

 

Die Kassenschlager

⇒ Biersteuer

Die Biersteuer wird als Verbrauchssteuer ausnahmsweise, auf Bestreben Bayerns natürlich, durch die Länder eingenommen. Der Steuersatz ergibt sich aus einer Kombination von Stammwürzgehalt und Produktionsmenge. Für Hobbybrauer (die sich übrigens beim Zoll registrieren müssen) wird es ab einer Menge von 200 Litern gefährlich. Alkoholfreies Bier ist übrigens nicht steuerpflichtig, Radler aber schon.

Einnahmen 2020: 617 Mio. Euro

⇒ Totalisatorsteuer

Totalisatorsteuer ist der Spitzname für die Versteuerung von Wetteinsätzen bei Pferderennen, Sportwetten und Lotterien. Scrabble-Liebhaber aufgepasst, die offizielle Abkürzung lautet RennwLottG-Steuer. Sie ist schon 1922 eingeführt worden, feiert dieses Jahr also 100. Geburtstag. Die Gelegenheit also, die Wetteinsätze etwas zu erhöhen, die Landeskasse gewinnt immer. Ganz vorne mit dabei sind übrigens Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg .

Einnahmen 2020: 2,4 Mrd. Euro


⇒ Tabak- und Kaffeesteuer

Nicht nur den Pflegekräften gebührt unser Dank, nein auch die Raucher und Kaffeetrinker haben durch ihren Konsum den Bundeshaushalt in den Pandemiejahren flüssig gehalten. Tabak und Zigaretten sorgen schon seit Jahrhunderten für Staatseinnahmen, die jetzige Gesetzesfassung stammt aus dem Jahr 1953 und wurde 2009 überarbeitet.

Einnahmen 2020: 14,65 Mrd. Euro und 1,06 Mrd. Euro

Die besonders Kreativen

⇒ Alkopopsteuer

Die Alkopopsteuer wird dieses Jahr volljährig (*2004)  und ist eine Sondersteuer auf alkoholhaltige Süßgetränke. Sie fällt neben der Schaumweinsteuer in den Topf der Alkoholsteuer. Das Alkoholsteuergesetz war bis 2018 noch bekannt unter dem Branntweingesetz und stammt aus dem Jahr 1919, finanzierte aber schon Jahrhunderte davor den Staatshaushalt. Insgesamt hat die Alkoholsteuer 2020 2,2 Mrd. Euro in die staatlichen Kassen gebracht.

Einnahmen 2020: 11 Mio. Euro

Bagatellsteuern

Bagatellsteuern sind kommunal erhobene Steuern mit einem besonderen Erhebungsgrund. Sie werden meist als belanglos abgetan, aber gerade dadurch finden sich hier besondere Schätze beamtlicher Kreativität. Diese Kreativität hat im Jahr 2020 insgesamt über eine Mrd. Euro in die Staatskassen eingebracht. Bislang wurden folgende Steuermöglichkeiten genehmigt:

⇒ Hunde- und Pferdesteuer

Gerechtfertigt wird dies als Aufwandsentschädigung für die erhöhte Verschmutzung von kommunalen Wegen. Aufpreis gibt es bei bestimmten Hunderassen. Eine Katzensteuer gab es seit der Gründung der Bundesrepublik nicht mehr.

⇒ Kinosteuer

Die Kinosteuer fällt unter die örtliche Vergnügungssteuer und wird seit den 30er Jahren auf die Vorführung von Filmen erhoben.

⇒ Sexsteuer

In manchen Kommunen müssen Prostituierte auf bestimmten Straßen eine Standgebühr bezahlen, in anderen wurde eine Zusatzabgabe für Bordellbesitzer eingeführt. Pro Prostituierte werden hierbei – wirklich – genau 6 Euro pro Veranstaltungstag eingenommen.

Was lernen wir also daraus? Der Staat wendet gerne umgekehrte Psychologie an, um die leeren Kassen zu füllen. Gerade in Deutschland gilt: Umsonst ist nur der Tod und selbst der kostet was. Eigentlich müssten wir den Rauchern, Kaffeetrinkern und Glückspiel-Süchtigen danken, dass sie unseren Staatshaushalt am Leben erhalten. Die neue Bundesregierung hat dieses Prinzip erkannt und mit der Legalisierung von Cannabis Werbung gemacht, immerhin winken hier Schätzungen von 2,5 Mrd. Euro Steuereinnahmen. Wer sagt, dass Steuern zahlen langweilig sein muss? Im Zweifel heißt es einfach: Ist wieder mal die Kasse leer, muss eine neue Steuer her!

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Mehr zum Thema:

Zahlen des statistischen Bundesamtes: https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Steuern/Steuereinnahmen/_inhalt.html

Schon fast 50 Jahre führt der Bund der Steuerzahler ein Schwarzbuch über die Verschwendung von Steuergeldern: https://www.steuerzahler.de/aktion-position/steuerrecht/steuernvonabisz/


»Nichts in dieser Welt ist sicher – außer dem Tod und den Steuern.«
– Benjamin Franklin



Die Ära des Aufbruchs: In den politischen Widerstand!

Von Sarah Victoria | Willkommen 2022! Ein neues Jahr hat begonnen, voller neuer Möglichkeiten. Doch gerade freiheitlich gesinnte Menschen spüren, dass diese Möglichkeiten vor allem neue Virusvarianten, neue Ampelstände oder neue Verbote bedeuten. Begleitet von einer brandneuen Bundesregierung und, man glaubt es kaum, einem neuen Kanzler. Doch keine Sorge, bei so viel Veränderung ist auch etwas gleich geblieben. Das politische Narrativ der Pandemie-Jahre wird auch vom neuen Kanzler fürsorglich übernommen, das „Wir schaffen das“ aus der Merkel-Ära als gekürztes „Wir“ weitergeführt, das in jedem zweiten Satz vorkommt. Wir halten zusammen, wir haben Respekt, wir lassen uns impfen. Wer zu diesem wir gehört, wird demnächst verraten. In seiner Neujahrsansprache spricht Olaf Scholz vom Jahrzehnt der Aufbrüche und bereitet uns alle schon einmal auf radikale Reformen vor. Der größte Wirtschaftsumbau seit mehr als 100 Jahren, das Erreichen der Klimaneutralität bis 2045 und nicht zuletzt der Sieg über Corona – und das alles soll schon 2022 angegangen werden. Doch vor dem Aufbruch in diese durchgeplante Zukunft möchte ich einen kurzen Blick in die Vergangenheit werfen.

Vieles hat sich 2021 verändert und das meiste nicht im liberalen Sinn. Vor einem Jahr war das Thema Impfpflicht noch eine Verschwörungstheorie, heute ist sie medial salonfähig und auch schon Realität. Einen weiteren Lockdown wird es nicht geben, hieß es – und der weitere Lockdown war da. Nur noch einmal durchhalten, wurde gesagt – doch bis zur nächsten Welle gemeint. Intuitiv lässt das bei mir nicht nur ein Warnlicht angehen, nein, das ganze innere Amaturenbrett blinkt in schrillen Farben und schreit Gefahr. Ich finde Politik, die Wortbruch betreibt und immer mehr ins Private eingreift, ist willkürlich und trägt das Potential in sich, riskant zu werden. Riskant für Freiheitsrechte, für Menschenrechte und die theoretischen Fundamente unseres politischen Systems. Und auch wenn ich weiß, mit diesen Sorgen nicht alleine zu sein, fühlt man sich als Mensch mit liberalem Gedankengut manchmal wie ein Alien. Zwar begleitet mich dieses Gefühl schon länger als Corona die Politik, aber gerade dieses Jahr wurde es noch einmal stärker. Ich kann nicht anders, als ständig ein „aber“ einzuwerfen, wenn die neuen Maßnahmen verkündet werden. Mich zu empören, wenn ich Berichte aus Kinder- und Jugendpsychatrien lese. Während andere Menschen es hinnehmen können, dass sie für ihre Weihnachtseinkäufe den Impfpass einscannen müssen, stehe ich ungläubig daneben und frage mich, seit wann Ladenbesitzer Mitarbeiter des Gesundheitsamts geworden sind. Ich bin gefühlt eines nachts als unbescholtener Bürger eingeschlafen und im politischen Widerstand aufgewacht.

Doch ich meine, nicht der erste Mensch zu sein, dem so etwas passiert ist. Der Wunsch nach Freiheit führte schon den ein oder anderen liberalen Denker in den politischen Widerstand, von denen wir jetzt lernen dürfen. Ein Beispiel hierfür ist etwa Walter Eucken, einer der wichtigsten Theoretiker des Ordoliberalismus, also einer der Denkschulen, auf denen unser Wirtschaftssystem – also zumindest bis jetzt – beruht. 1891 geboren, erlebte er beide Weltkriege, den ersten als Soldat an der Westfront, den zweiten als oppositioneller Wissenschaftler.  In einem Zeitschriftsartikel rezensierte Eucken die Rede des DVP-Abgeordneten Otto Most. Ein Satz, den ich nicht vergessen konnte, lautete: Es gilt, die Freiheit der Persönlichkeit zu erkämpfen und zu vertreten gegen die Diktatur der Masse.“ Dieses Zitat stammt aus dem Jahr 1925 und wird bald 100 Jahre alt.

Walter Euckens Vater, Philosoph und Literaturnobelpreisträger Rudolf Eucken, diagnostizierte der neuen Epoche schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine tiefe Sinnkrise.  Während sich die meisten Menschen zu Beginn des neuen Jahrhunderts gefestigt fühlten, sprach er schon um 1900 von einem nahenden Erdbeben, das die Welt erschüttern würde. Warnhinweise sah er etwa in der umgreifenden Widersprüchlichkeit in politischen, ökonomischen oder kulturellen Fragen, die durch die Zersplitterung der sich modernisierenden Welt entstanden. Was er zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte – dieses Erdbeben war erst der Auftakt für die krisenreiche erste Hälfte des neuen Jahrhunderts.

Rudolf Eucken starb 1926 und erlebte die Krise des Nationalsozialismus nicht mehr. Sein Sohn Walter Eucken bildete 1938 zusammen mit anderen Gelehrten den Freiburger Kreis, ein Gesprächskreis, in dem Oppositionelle Ideen diskutierten. Mitglieder waren (ordo)liberale Wirtschaftswissenschaftler, aber auch Christen, Historiker und Juristen. Ihre Einfälle prägten die Nachkriegsordnung maßgeblich, die soziale Marktwirtschaft etwa geht aus den theoretischen Vorarbeiten des Gesprächskreises hervor. Walter Eucken warnte in seinen Schriften oft vor der Auslöschung der Persönlichkeit durch kollektives Denken. Er kritisierte, durch die völlige Vereinnahmung des Einzelnen durch den Staat eine vermeintliche innere Einheit finden zu wollen. Aufgabe des Staates solle es eher sein, die freie Sphäre des Privaten auszuweiten und gegen Eingriffe des Staates zu schützen. Euckens Wunsch war es, Menschen selbstverantwortlich leben zu lassen. Dieser Wunsch nach Selbstverantwortung ist der Grundstein des liberalen Denkens. Er findet sich in den Ursprüngen des klassischen Liberalismus bei Immanuel Kant oder John Locke, in John Stuart Mills Verfassungsliberalismus, im Wirtschaftsliberalismus von Adam Smith, Ludwig Mises oder Friedrich von Hayek oder auch bei Walter Eucken. Die Selbstverantwortung ist der rote Faden der liberalen Tradition.

Und Widerstand muss nicht heißen, als hauptberuflicher Aktivist durch das Land zu ziehen. Widerstand fängt bereits im eigenen Denken an.

Ich persönlich nehme aus diesem Rückblick vor allem zwei Erkenntnisse mit: Zum einen fühle ich mich in meinem unguten Gefühl bestätigt, dass die Freiheit im Moment wirklich in Gefahr ist. Seien es paternalistische Züge der Politik, kollektivistische Muster oder das Einführen neuer Dogmen – die Lage ist ernst, die Krise ist da. Daraus ergibt sich aber die schönere zweite Erkenntnis: Krisen sind Chancen. Auch wenn es oftmals bitter ist zu beobachten, wie Fundamente wegbrechen, bietet sich dadurch auch die Chance für einen Neuanfang. Gerade jetzt hat liberales Gedankengut die Chance, sich wieder Gehör zu verschaffen. Und Widerstand muss nicht heißen, als hauptberuflicher Aktivist durch das Land zu ziehen. Widerstand fängt bereits im eigenen Denken an. Kants Spruch der Aufklärung lautete: „Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Und auch, wenn er der französischen Revolution kritisch gegenüberstand und sich mit Handlungsanweisungen zurückhielt, lässt sich darin der Kern des politischen Widerstands finden. Und der ist ganz simpel: Selber denken und sich selbst reflektieren. Denn erst wenn ich meine eigene Position kenne, kann ich diese auch kommunizieren und auf das Gegenüber eingehen.

Welche Handlungsschlüsse der Einzelne daraus zieht, ist ihm natürlich selbst überlassen. Jeder hat andere Komfortzonen und Voraussetzungen, um für die eigene Überzeugung einzustehen. Während die einen ihre Freunde selbst ohne Impfausweis zur Haustür reinlassen, gehen andere alle paar Tage auf eine Demonstration, während wieder andere eine ganze Bewegung gegründet haben. Es kommt vor allem darauf an, die eigene Integrität so gut es geht  zu schützen und sich nicht aufzugeben. Die 2020er Jahre als Aufbruch in den politischen Widerstand. Wahrscheinlich nicht ganz die Intention von Olaf Scholz, aber für das Fortbestehen der Freiheit unerlässlich. Denn auch wenn so mancher Politiker alles dafür gibt, die Pandemie so lange wie möglich am Leben zu erhalten –  ihre Dauer ist begrenzt, sie wird eines Tages vorbei sein. Und davor haben wir die Chance, schon einmal unsere Immunität gegen politische Willkür zu stärken und darüber nachzudenken, wie es in einer Zeit ohne Pandemie weitergehen soll.


Weihnachten 2021: 3G, 2G, kein G in Kirchen – doch wo ist der Glaube geblieben?

Von Sarah Victoria | Weihnachten, das bedeutet für mich Tannenduft, ganz viel Essen und ein Spaziergang durch die Nachbarschaft auf dem Heimweg aus der Kirche. Viele Jahre saß ich mit meiner Familie erst im Familiengottesdienst, später in der Christmette unserer kleinen evangelischen Gemeinde. Dieser Besuch war mit meinen Eltern nicht verhandelbar, wobei ich sowieso nicht auf die Idee gekommen wäre, stattdessen zu Hause zu bleiben. Zum einen fand ich es schön, an Weihnachten ein bisschen religiösen Kontext herzustellen, sich zu besinnen und vielleicht bekannte Gesichter zu treffen. Außerdem war ich einige Jahre Mitglied der Jugendarbeit und damit an der Gestaltung des Familiengottesdienstes beteiligt. Und das heißt an Weihnachten natürlich nichts anderes als Teil des Krippenspiels zu sein.

Zwecks Personalmangel wurde das schauspielerische Resümee schnell gefüllt, vom Hirten über die heiligen drei Könige (damals schon geschlechtsneutral interpretiert), von klassischer und moderner Inszenierung, mit und ohne Gesangseinlagen, war alles dabei. Irgendwann fand diese Karriere ihr Ende, aber die Tradition des Kirchenbesuchs blieb. Die kleine evangelische Kirche platzte dabei immer aus allen Nähten, es wurden bis zuletzt so viele Stühle wie möglich rein getragen, dazu aufgerufen, sich noch etwas enger an den hustenden Sitznachbarn zu kuscheln und wenn wirklich alles voll war, wurden die letzten Besucher noch mit auf die Orgelbank gequetscht. Niemandem wäre es in den Sinn gekommen, an diesem Tag Stühle abzuzählen, Leute vor der Tür stehen zu lassen oder gar Teilnehmerlisten zu führen. Gerade letztere werden in einer bayerischen Kleinstadt sowieso mündlich geführt.

Diese Zeiten erscheinen gerade so fremd, obwohl sie erst ein paar Jahre zurückliegen. Der Weihnachtsgottesdienst wird auch dieses Jahr wieder stattfinden. Doch dieses Jahr muss man, so wie letztes Jahr, erst bei der Gemeinde anrufen, um einen Platz zu reservieren. Es gibt kein Krippenspiel, keinen Kinderchor, kein gemeinsames Singen. Dafür Maske, Abstand und einen Spender Desinfektionsmittel am Eingang. Das schon fast obligatorische Duo für einen Gottesdienst, der mit Reizhusten geplagte ältere Herr und das unglückliche Neugeborene, werden dieses Jahr vermutlich nicht anwesend sein. Zu groß das Risiko, sich mit einem Virus anzustecken, oder gar in den Verdacht zu geraten, nicht gesund, also unsolidarisch, zu sein. Und unsolidarisches Verhalten wird weder von der evangelischen, noch von der katholischen Kirche toleriert.

Das Problem ist nur, dass jeder den Begriff Solidarität anders interpretiert. Die einen lassen sich aus Solidarität impfen, die anderen aus Solidarität testen und manche sogar beides. Als Glaubensgemeinschaft verbunden durch den gemeinsamen Glauben, geteilte Werte oder wenigstens die goldene Regel – dachte ich immer. Doch dann folgten bereits Einschnitte ins Gemeindeleben. Immer mehr Kirchgemeinden entschieden sich, erst die 3G und mittlerweile die 2G-Regel in Pfarrheimen und Gemeindehäusern einzuführen. Teilweise, weil es die Infektionsschutzverordnung oder der „Ampelstand“ so vorsah, teilweise aber auch aus Überzeugung oder Bequemlichkeit. In unserer Stadt entschied sich etwa die katholische Kirche für die 2G-Regel in ihrem Pfarrheim.

Was zur Folge hat, dass Ehrenamtler, die bis vor kurzem noch Gottesdienste geplant, die Jugendarbeit gestaltet oder sich sozial engagiert haben, nicht mehr im Pfarrheim erwünscht sind, sollten sie nicht vollständig geimpft oder genesen sein. Wer weiß, wie lange es noch dauert, bis an der Kirchentür ein großes „2G“ hängt und verkündet, dass nur noch solidarische Gläubige das Gotteshaus betreten dürfen. Der Rest darf dann draußen beten, während innen von genau dem Kind erzählt wird, das in einem Stall geboren wurde, weil die Eltern von allen Herbergen abgewiesen wurden. Soviel Ironie kann man sich kaum ausdenken.

Statt empört, oder zumindest lautstark besorgt, über die Einschränkung der Religionsfreiheit zu sein, freut sich die Amtskirche über die Selbstverständlichkeit, Gottesdienste ohne G-Regeln veranstalten zu dürfen. Und während die meisten Gemeinden dieses, von der Bundesregierung gnädigerweise erteilte, Privileg annehmen und auf eine Hygienekontrolle am Eingang verzichten, entscheiden sich andere Kirchenvorstände für die Einführung der 2G-Regel in ihren Gotteshäusern, manche mit dem Zugeständnis, dass sie über die Weihnachtsfeiertage immerhin einen Gottesdienst für Getestete anbieten.

Der Landesbischof der ELKB, Heinrich Bedford-Strohm, entschuldigt sich ausdrücklich für diese anmaßende Freiheit der Kirchen und betont, dass die Gottesdienste im Rahmen staatlicher Vorgaben mit Anmeldungen und Abstand stattfinden. „Im Lichte dieser bewährten Schutzmaßnahmen ist das Feiern dieser Gottesdienste auch zu verantworten“, heißt es in seiner Stellungnahme. Diese findet sich auf der Internetseite der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayerns (ELKB), auf der das RKI und bayerische Gesundheitsministerium bald öfter zitiert werden als die Bibel. Seit ein paar Monaten unterstützt die evangelische Landeskirche auch die Impfkampagne der Bundesregierung mit dem Slogan „Corona-Impfung? Na klar!“, verteilt Buttons und lässt Kirchen zu Impfzentren werden. Die Kirche und der Staat verschmelzen gefühlt immer mehr zu einer Einheit, was gerade für die evangelische Kirche, die Luther sogar im Namen führt, bedenklich ist (Stichwort: Zwei-Reiche-Lehre).  

Die Kirche entfernt sich durch diese enge Verknüpfung mit der Politik Schritt für Schritt von ihrem Dasein als Wächter, greift in Sphären ein, die eigentlich dem Weltlichen überlassen sein sollten. Sowohl die evangelische, als auch die katholische Kirche, setzen bei ihrer Planung der Weihnachtsgottesdienste auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirchengemeinden. Den Gemeinden ist es grundsätzlich erlaubt, Gottesdienste zu feiern, ob mit G-Regeln oder ohne ist ihnen allerdings freigestellt. Dieses Prinzip, das sich bei der evangelischen Kirche auch historisch bewährt hat, möchte ich gar nicht kritisieren. Kirchengemeinden sollten das Recht haben, Entscheidungen über ihre Gottesdienste zu treffen. Mich stört eher die Beeinflussung dieser Entscheidungen durch politische Narrative, die im Gegensatz zu theologischen Inhalten stehen. Denn solche Narrative sollten, gerade von einer evangelischen Amtskirche, immer hinterfragt werden. Und ich habe den Eindruck, dass der gesellschaftliche, von Angst geprägte Grundtenor immer mehr in die theologische Arbeit übergreift.

Dabei sollten doch gerade Kirchen Orte der Begegnung sein, ihre Vorstände Verteidiger eines religiösen Menschenbildes, das sich gegen den materialistischen Zeitgeist wendet, das Spaltungen kritisiert und alles daran setzt, Brücken zwischen Menschen zu schaffen. Und welche Geschichte eignet sich mehr für die Übermittlung dieser Botschaft als die Weihnachtsgeschichte?  Ich weiß ja nicht, was sich Matthäus und Lukas beim Verfassen der Weihnachtsgeschichte gedacht haben, aus meiner Zeit als Krippenspiel-Darstellerin ist mir aber vor allem eine Botschaft hängen geblieben, die genau drei Wörter enthält und brandaktuell ist: Fürchtet euch nicht! Ob geimpft, genesen, getestet, für Kirchen sollte eigentlich nur ein G zählen – und das ist der Glaube.


Weihnachten 2021: 3G, 2G, kein G in Kirchen – doch wo ist der Glaube geblieben?

Von Sarah Victoria | Weihnachten, das bedeutet für mich Tannenduft, ganz viel Essen und ein Spaziergang durch die Nachbarschaft auf dem Heimweg aus der Kirche. Viele Jahre saß ich mit meiner Familie erst im Familiengottesdienst, später in der Christmette unserer kleinen evangelischen Gemeinde. Dieser Besuch war mit meinen Eltern nicht verhandelbar, wobei ich sowieso nicht auf die Idee gekommen wäre, stattdessen zu Hause zu bleiben. Zum einen fand ich es schön, an Weihnachten ein bisschen religiösen Kontext herzustellen, sich zu besinnen und vielleicht bekannte Gesichter zu treffen. Außerdem war ich einige Jahre Mitglied der Jugendarbeit und damit an der Gestaltung des Familiengottesdienstes beteiligt. Und das heißt an Weihnachten natürlich nichts anderes als Teil des Krippenspiels zu sein.

Zwecks Personalmangel wurde das schauspielerische Resümee schnell gefüllt, vom Hirten über die heiligen drei Könige (damals schon geschlechtsneutral interpretiert), von klassischer und moderner Inszenierung, mit und ohne Gesangseinlagen, war alles dabei. Irgendwann fand diese Karriere ihr Ende, aber die Tradition des Kirchenbesuchs blieb. Die kleine evangelische Kirche platzte dabei immer aus allen Nähten, es wurden bis zuletzt so viele Stühle wie möglich rein getragen, dazu aufgerufen, sich noch etwas enger an den hustenden Sitznachbarn zu kuscheln und wenn wirklich alles voll war, wurden die letzten Besucher noch mit auf die Orgelbank gequetscht. Niemandem wäre es in den Sinn gekommen, an diesem Tag Stühle abzuzählen, Leute vor der Tür stehen zu lassen oder gar Teilnehmerlisten zu führen. Gerade letztere werden in einer bayerischen Kleinstadt sowieso mündlich geführt.

Diese Zeiten erscheinen gerade so fremd, obwohl sie erst ein paar Jahre zurückliegen. Der Weihnachtsgottesdienst wird auch dieses Jahr wieder stattfinden. Doch dieses Jahr muss man, so wie letztes Jahr, erst bei der Gemeinde anrufen, um einen Platz zu reservieren. Es gibt kein Krippenspiel, keinen Kinderchor, kein gemeinsames Singen. Dafür Maske, Abstand und einen Spender Desinfektionsmittel am Eingang. Das schon fast obligatorische Duo für einen Gottesdienst, der mit Reizhusten geplagte ältere Herr und das unglückliche Neugeborene, werden dieses Jahr vermutlich nicht anwesend sein. Zu groß das Risiko, sich mit einem Virus anzustecken, oder gar in den Verdacht zu geraten, nicht gesund, also unsolidarisch, zu sein. Und unsolidarisches Verhalten wird weder von der evangelischen, noch von der katholischen Kirche toleriert.

Das Problem ist nur, dass jeder den Begriff Solidarität anders interpretiert. Die einen lassen sich aus Solidarität impfen, die anderen aus Solidarität testen und manche sogar beides. Als Glaubensgemeinschaft verbunden durch den gemeinsamen Glauben, geteilte Werte oder wenigstens die goldene Regel – dachte ich immer. Doch dann folgten bereits Einschnitte ins Gemeindeleben. Immer mehr Kirchgemeinden entschieden sich, erst die 3G und mittlerweile die 2G-Regel in Pfarrheimen und Gemeindehäusern einzuführen. Teilweise, weil es die Infektionsschutzverordnung oder der „Ampelstand“ so vorsah, teilweise aber auch aus Überzeugung oder Bequemlichkeit. In unserer Stadt entschied sich etwa die katholische Kirche für die 2G-Regel in ihrem Pfarrheim.

Was zur Folge hat, dass Ehrenamtler, die bis vor kurzem noch Gottesdienste geplant, die Jugendarbeit gestaltet oder sich sozial engagiert haben, nicht mehr im Pfarrheim erwünscht sind, sollten sie nicht vollständig geimpft oder genesen sein. Wer weiß, wie lange es noch dauert, bis an der Kirchentür ein großes „2G“ hängt und verkündet, dass nur noch solidarische Gläubige das Gotteshaus betreten dürfen. Der Rest darf dann draußen beten, während innen von genau dem Kind erzählt wird, das in einem Stall geboren wurde, weil die Eltern von allen Herbergen abgewiesen wurden. Soviel Ironie kann man sich kaum ausdenken.

Statt empört, oder zumindest lautstark besorgt, über die Einschränkung der Religionsfreiheit zu sein, freut sich die Amtskirche über die Selbstverständlichkeit, Gottesdienste ohne G-Regeln veranstalten zu dürfen. Und während die meisten Gemeinden dieses, von der Bundesregierung gnädigerweise erteilte, Privileg annehmen und auf eine Hygienekontrolle am Eingang verzichten, entscheiden sich andere Kirchenvorstände für die Einführung der 2G-Regel in ihren Gotteshäusern, manche mit dem Zugeständnis, dass sie über die Weihnachtsfeiertage immerhin einen Gottesdienst für Getestete anbieten.

Der Landesbischof der ELKB, Heinrich Bedford-Strohm, entschuldigt sich ausdrücklich für diese anmaßende Freiheit der Kirchen und betont, dass die Gottesdienste im Rahmen staatlicher Vorgaben mit Anmeldungen und Abstand stattfinden. „Im Lichte dieser bewährten Schutzmaßnahmen ist das Feiern dieser Gottesdienste auch zu verantworten“, heißt es in seiner Stellungnahme. Diese findet sich auf der Internetseite der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayerns (ELKB), auf der das RKI und bayerische Gesundheitsministerium bald öfter zitiert werden als die Bibel. Seit ein paar Monaten unterstützt die evangelische Landeskirche auch die Impfkampagne der Bundesregierung mit dem Slogan „Corona-Impfung? Na klar!“, verteilt Buttons und lässt Kirchen zu Impfzentren werden. Die Kirche und der Staat verschmelzen gefühlt immer mehr zu einer Einheit, was gerade für die evangelische Kirche, die Luther sogar im Namen führt, bedenklich ist (Stichwort: Zwei-Reiche-Lehre).  

Die Kirche entfernt sich durch diese enge Verknüpfung mit der Politik Schritt für Schritt von ihrem Dasein als Wächter, greift in Sphären ein, die eigentlich dem Weltlichen überlassen sein sollten. Sowohl die evangelische, als auch die katholische Kirche, setzen bei ihrer Planung der Weihnachtsgottesdienste auf das Selbstbestimmungsrecht der Kirchengemeinden. Den Gemeinden ist es grundsätzlich erlaubt, Gottesdienste zu feiern, ob mit G-Regeln oder ohne ist ihnen allerdings freigestellt. Dieses Prinzip, das sich bei der evangelischen Kirche auch historisch bewährt hat, möchte ich gar nicht kritisieren. Kirchengemeinden sollten das Recht haben, Entscheidungen über ihre Gottesdienste zu treffen. Mich stört eher die Beeinflussung dieser Entscheidungen durch politische Narrative, die im Gegensatz zu theologischen Inhalten stehen. Denn solche Narrative sollten, gerade von einer evangelischen Amtskirche, immer hinterfragt werden. Und ich habe den Eindruck, dass der gesellschaftliche, von Angst geprägte Grundtenor immer mehr in die theologische Arbeit übergreift.

Dabei sollten doch gerade Kirchen Orte der Begegnung sein, ihre Vorstände Verteidiger eines religiösen Menschenbildes, das sich gegen den materialistischen Zeitgeist wendet, das Spaltungen kritisiert und alles daran setzt, Brücken zwischen Menschen zu schaffen. Und welche Geschichte eignet sich mehr für die Übermittlung dieser Botschaft als die Weihnachtsgeschichte?  Ich weiß ja nicht, was sich Matthäus und Lukas beim Verfassen der Weihnachtsgeschichte gedacht haben, aus meiner Zeit als Krippenspiel-Darstellerin ist mir aber vor allem eine Botschaft hängen geblieben, die genau drei Wörter enthält und brandaktuell ist: Fürchtet euch nicht! Ob geimpft, genesen, getestet, für Kirchen sollte eigentlich nur ein G zählen – und das ist der Glaube.


Sexismusvorwürfe gegen Tv total – Die scharfen Bienen in der FDP

Von Sarah Victoria | Hurra hurra, der Sexismus ist wieder da! TV total ist zurück und sorgt schon für einen Eklat. Die Suche nach der „schärfsten Biene im Bundestag“ zieht noch immer Empörung nach sich.  Mit der Suche nach der „schärfsten Biene im neuen Bundestag“ erlaubte sich TV total doch glatt einen Sexismus-Eklat. Als hätte die Redaktion damit gerechnet, spricht Moderator Sebastian Pufpaff bereits in der Sendung einen Disclaimer aus: „Vorsicht, das ist nicht sexistisch was wir machen, das ist Service.“.

Zum Hintergrund: In der ersten Folge nach sechs Jahren Sendepause hatte der neue Moderator von TV total, Sebastian Pufpaff,  den Linken-Politiker Gregor Gysi als Interviewpartner zu Gast. Um das Ganze unterhaltsamer zu gestalten, musste sich Gysi in verschiedenen Partyspielen beweisen. Wurde das Spiel gewonnen, stellte Pufpaff eine faire Frage, verlor er jedoch, folgte eine harte Frage. Eine dieser harten Fragen lautete: „Wer ist die schärfste Biene im neuen Bundestag?“ Gysis Antwort folgte ohne Zögern: „Die kenne ich schon, das ist eine in der FDP.“ Genauere Hinweise hielt er sich jedoch vor. Die Recherche übernahmen dann sowohl die Redaktion, als auch die Zuschauerschaft selbst. Sie waren sogar so fleißig, dass die Server der Partei-Website einstürzten, wie Pufpaff in der folgenden Sendung verkündete.

Zu den auserwählten Bienen zählten zwei FDP-Politikerinnen, Nicole Bauer und Ria Schröder, von denen jeweils Bilder eingeblendet wurden. Zudem kommentierte Pufpaff einen kurzen  Zusammenschnitt von Nicole Bauers Versprecher im Bundestag folgendermaßen : „Naja, sie spricht noch ein bisschen wie die Datenleitung der FDP.“

Die Reaktionen ließen natürlich nicht lange auf sich warten. Doch statt dankbar für die generierte Aufmerksamkeit zu sein, sie mit politischem Geschick umzulenken (man denke zum Beispiel an die verpasste Möglichkeit, auf das Bienensterben oder die verbesserte Serverleistung aufmerksam zu machen) folgte Empörung. Die Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann, zeigte sich  fassungslos und forderte die sofortige Entschuldigung vom Sender.

„Ich fordere @TVtotal und @ProSieben zu einer aufrichtigen und angemessenen Entschuldigung in der nächsten Sendung auf und werde prüfen, wo beschwerde eingelegt werden kann. Was für ein Bild hinterlässt so eine Sendung bei Frauen, die überlegen, sich politisch zu engagieren?“

Auf Anfrage des Spiegels äußerte sich der Sendesprecher Christoph Körfer. Die Aussagen müssen im satirischen Kontext gesehen werden. TV total habe das gemacht, wozu Satire da sei: Ein Thema satirisch zuzuspitzen, so dass es polarisiert. In einem Interview mit t-online beschwerte sich Franziska Brandmann trotzdem über die unterschiedlichen Maßstäbe, die gerade für Frauen in der Politik gelten.

Auch Nicole Bauers Server schien nicht zusammengebrochen zu sein, sie äußerte sich in einem Statement auf Twitter: 
„Die Selbstverständlichkeit, mit der Frauen (und hier insb. Politikerinnen) primär nach ihrem Äußeren beurteilt und gedemütigt werden, ist fürchterlich und frustrierend! Ob es Männern gleichermaßen ergeht?“ 

Doch die Empörung offenbart vor allem die eigene Doppelmoral. Und zwar nicht nur, weil einfach davon ausgegangen wird, dass es sich bei einer „scharfen Biene“ zwangsläufig um eine Frau handeln muss. Immerhin gibt es noch keinen empirischen Nachweis darüber, ob sich Bienen überhaupt mit dem weiblichen Geschlecht identifizieren.

Schlimmer noch: Am Ende des Segments stellt Sebastian Pufpaff fest, dass es für ihn nur eine ultimative „scharfe Biene“ im Bundestag gäbe und blendet ein Bild von Christian Lindner ein. Christian Lindner ist meines Wissens nach keine Frau. Der Vorwurf, nur Frauen würden in besonderer Weise auf ihr Äußeres reduziert werden, ist dadurch hinfällig. Gerade vor dem Hintergrund, dass zur selben Zeit Christian Drosten zum zweiten Mal in Folge vom Playboy zum Mann des Jahres gewählt wurde – ein Magazin, das Menschen bekanntlich nicht auf ihre Äußerlichkeiten reduziert. Die Tatsache, dass daraufhin keine Empörungswelle ausbrach, spricht für sich.


Das Tempolimit auf dem Prüfstand

Von Sarah Victoria | Schon seit Jahrzehnten wird über die Frage diskutiert, wie sinnvoll die Einführung einer einheitlichen Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen sein könnte. Gerade Befürworter eines Tempolimits argumentieren, dass neben der Einsparung von CO2-Emissionen auch die Verkehrssicherheit auf Autobahnen erhöht werden könnte. Und auch im diesjährigen Bundestagswahlkampf wurde die Tradition aufrecht erhalten, ein inhaltsloses Thema mit noch mehr heißer Luft zu füllen. Denn bis heute ist fraglich, inwiefern es wissenschaftliche Argumente für einen Zusammenhang zwischen Tempolimits auf Autobahnen und der  Zahl an Unfalltoten gibt.

Autobahnen zählen statistisch zu einer der sichersten Straßenarten in Deutschland. Seit drei Jahrzehnten verzeichnen Verkehrsstatistiken einen klaren Abwärtstrend, die Anzahl Verkehrstoter auf Autobahnen ist insgesamt um zwei Drittel gesunken. 2020 erreichte die Anzahl der Verkehrstoten den niedrigsten Wert seit Beginn der Messung von vor sechzig Jahren: Insgesamt starben 2719 Menschen im Straßenverkehr, davon 191 auf Autobahnen und 849 auf Landstraßen. Dabei wurde in weniger als 12 Prozent der Fälle die Geschwindigkeitsüberschreitung als Unfallursache angegeben. Diese Entwicklung, die ganz ohne ein Tempolimit von 130 km/h stattfand,  hat laut dem Verband der Automobilindustrie vor allem etwas mit verbesserten Fahrassistenzsysteme und der Einführung der Gurtpflicht zu tun.

Im Gegensatz dazu lässt sich seit fünf Jahren ein klarer Aufwärtstrend bei den Unfällen mit Elektrokleinstfahrzeugen verzeichnen. Im Jahr 2020 sind laut dem statistischen Bundesamt 142 Fahrer von E-Bikes tödlich verunglückt, ein Anstieg von zwanzig Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dennoch wird in der Politik weiter behauptet, dass ein Tempolimit von 130 km/h notwendig sei, um die Autobahnen sicherer zu machen.

Alleine der Wert von 130 km/h ist bereits problematisch. Dieser stammt aus einer Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen aus dem Jahr 1978. Es wird also seit fast 50 Jahren an einem Messwert festgehalten, ohne zu hinterfragen, ob der Wert bezogen auf den heutigen Verkehr noch sinnvoll ist. Diese Willkür lässt auch die Schwankungen bei der Höchstgeschwindigkeit zu, so fordert etwa die Linkspartei eine Höchstgrenze von 120 km/h, Grüne und SPD orientieren sich mit 130 km/h eher am europäischen Nachbarn. Schlimmer noch: Bei einem Blick ins Wahlprogramm der Grünen trifft man sogar auf den Begriff der Vision Zero. Hier wird hier die magische 0, also das Ziel von keinen Verkehrstoten mehr, angestrebt. Keine Tote im Straßenverkehr, durch eine Methode, die bestenfalls nicht mal 12 Prozent der tödlichen Unfälle auf Autobahnen verhindern könnte. Liegt es an mir, oder fehlt hier insgesamt die Logik?

Die Debatte um einheitliche Tempolimits auf Autobahnen ist ein schönes Beispiel, wie viel Symbolpolitik momentan im politischen Diskurs vorkommt. Symbolische Politik setzt vor allem auf Gesten, die eine Absicht verdeutlichen sollen, aber nicht unbedingt an Handlungen geknüpft sind. Bestenfalls handelt es sich um mehr Schein als Sein und schlimmstenfalls um Manipulation der Wähler. Kaum ein politisches Thema ist so kontrovers, aber inhaltsleer, wie die Debatte um Tempolimits. Seit Jahrzehnten werden alle vier Jahre die selben Argumente hervorgeholt, mit Prognosen und Wahrscheinlichkeiten ein Narrativ gebaut. Es geht nicht um die Sachfrage, ob Tempolimits auf Autobahnen einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen haben können, denn die Sachfrage würde offenbaren, wie willkürlich die Debatte eigentlich ist. Vielmehr geht es um die Möglichkeit, sich selbst durch das Einführen neuer Verbote zu profilieren. Jede rot umrahmte 130 wäre nichts anderes, als die Botschaft, als Politiker aktiv geworden zu sein – ein Symbol, das viel mehr aussagt, als nur die Höchstgeschwindigkeit. Es ist egal, ob die Maßnahme wirklich etwas bringt, denn was zählt ist die Absicht, mit der sie getroffen wurde. Seht her, wir kümmern uns um die Klimafrage! Wir retten den Planeten, Stück für Stück! Man muss die Botschaft vermutlich nur oft genug wiederholen, bis sie geglaubt wird.