Warum die Politik Opportunisten anzieht

Von Gesche Javelin | Wenn ich mir die Politiker von heute anschaue, kann ich gar nicht schnell genug gucken, da wechseln sie schon ihren Standpunkt oder eher Wackelpunkt. Beim Wahlkampf geht es nicht mehr darum, wer das Volk am besten vertreten kann, sondern wer am besten das Chamäleon spielen kann (wenn das überhaupt je anders war). Zuerst passen sie sich der Farbe der Interessen des Volkes an – und nach der Wahl nehmen sie schnell die Farbe des Koalitionspartners an und am besten ist es, wenn die auch noch zu der der Lobbyisten passt. Doch das ist tatsächlich kein neues Phänomen – eine kleine Abhandlung:

obiectum opportunismi (Der Vorwurf des Opportunismus)

Mir scheint, dass in der Politik Anpassungsfähigkeit schon immer sehr beliebt war. Zumindest seitdem die Regierenden wenigstens so tun, als wollten sie die Interessen des Volkes vertreten. Ein gewisser Einklang ist für die Zustimmung des Volkes dann zwingend notwendig. Eine Tarnung oder Verschönerung der eigenen Position ist hierbei teilweise sehr zielfördernd.

Schon der erste Bundeskanzler Deutschlands schwankte gerne zwischen der westeuropäischen Perspektive und seiner national-konservativen Meinung. Immer wieder die Souveränität Deutschlands anpreisend, folgte er dann häufig doch den westlichen Mächten. Dem Satz „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“, der ihm immer nachgesagt wurde, wird auch heute noch gerne gefolgt. Doch auch er war mit seiner Denkweise in der Politik nicht Pionier.

Der Begriff Opportunismus als Bezeichnung für Gelegenheitspolitik wird seit ungefähr Mitte des 19. Jahrhunderts verwendet. Er stammt von dem französischen Wort „oppotune“, was man mit „passend und zweckdienlich“ übersetzen kann und dem lateinischen Begriff „opportunus“, der „günstig, bequem und gelegen“ bedeutet.

Doch auch wenn man rund 2000 Jahre zurück geht, findet man opportunistische Züge bei der herrschenden Elite. (Tut mir leid, der gern genutzte Spruch „Früher war alles besser!“ lässt sich auch hier nicht anwenden.) Wie so oft, wird über den Senat des antiken Roms gesagt, dass die meisten alles dem Kaiser nachplapperten. Dem Kaiser gefiel nicht mehr, was Seneca gesagt hat, also verurteilte er ihn zum Tode und der Senat stimmte ihm mit Gebrüll zu, obwohl sie dem berühmten Dichter und Denker noch Tage vorher mit leuchtenden Augen zugehört haben. Das erinnert mich doch sehr an heute. Wenigstens kann man hier bei uns heute nicht mehr zum Tode verurteilt werden.

origo opportunismi (Die Ursache des Opportunismus)

Opportunismus entsteht durch die Sehnsucht der Menschen nach Ansehen und Macht. Die Menschen tun alles für ihren Erfolg, selbst wenn es, wie im alten Rom, das Verurteilen eines (unschuldigen) Menschen ist. Doch wie groß muss die Verzweiflung sein, wenn alle Prinzipien und Werte auf dem Weg zum Erfolg vergessen oder ignoriert werden?

Den Weg des geringsten Widerstands zu gehen, ist vielleicht einfach, doch einfach heißt nicht gleich gut. Ein Stück weit kommen wir alle gerne mal in die Versuchung, den einfachen Weg zu gehen. Zum Beispiel in der Schule schwafelt man gerne mal, was der Lehrer von einem hören will, anstatt zu sagen, was man wirklich denkt, damit man die bessere Note bekommt.

Doch sind Erfolg und Ansehen es wert, alle Werte zu vergessen? Sind das Ansehen des Kaisers und Macht im Senat ein Menschenleben wert? Können wir uns erlauben, unsere Prinzipien fallen zu lassen und etwas gegen jede Moralvorstellung zu machen, nur um unsere eigenen Ziele zu erreichen?

Besonders in der Politik scheinen sich Opportunisten so wohl zu fühlen, wie in einem Schlammloch die Schweine. Die Politik bietet ihnen die perfekte Möglichkeit, sich richtig schön im Schlamm zu suhlen, um das beste für sich rauszuholen. So einfach wie in der Politik, wird es einem selten gemacht, andere auszunutzen. Und dann wird das weder groß bemängelt noch verhindert.

oblenimen“ opportunismi („Das Beruhigungsmittel“ des Opportunismus)

Wenn wir wollen, dass die Schweine nicht den Schlamm überall auf unserer Wiese verteilen, müssen wir genau das verhindern: Lautstark darauf aufmerksam machen und ihnen das nicht einfach durchgehen lassen. Wir müssen achtsamer sein, welchen Leuten wir Macht über unser Leben und unser Land geben. Wir müssen Opportunismus entnormalisieren und für unsere Prinzipien, Moral und Werte einstehen.

 


Wer am lautesten schreit, gewinnt – vom Klassensprecher zum Bundestagsabgeordneten

Von Johanna Beckmann | Das erste Mal kandidieren, Wahlreden halten und wählen – das waren die Klassensprecherwahlen in der Grundschule. Jedes Jahr, wenn unsere Lehrerin die Wahl ankündigte, gab es zwei Leute, die den ganzen Raum übertönten, um schreiend und schnipsend ihre Kandidatur zu verkünden: Ich, ich möchte Klassensprecher werden.Der Rest meiner Klasse meldete sich ebenfalls, war dann aber meist eingeschüchtert und es blieben nur noch wenige Kandidaten, diese hielten dann ihre Reden. Bei uns sagten die Schüler immer das gleiche: Ich will verlängerte Pausen und weniger Unterricht.Gegen diese Forderungen kamen Schüler, die sich gefüllte Handtuchspender wünschten, natürlich nicht an. Wenn die Klassensprecher dann gewählt waren, gab es nicht weniger Unterricht, was zu erwarten war. Die „Arbeit“ unserer Klassensprecher, sah meist so aus: Spielen im warmen, während alle anderen Schüler draußen froren.

Eigentlich würde man erwarten, dass es sich auf der weiterführenden Schule bessert, da jeder von uns älter wird. Das geschah jedoch nicht, mit der Ausnahme, dass jetzt niemand mehr schulfrei fordert. Seit der 9. Klasse dürfen sich unsere Klassensprecher für Posten, wie zum Beispiel Schulsprecher, bewerben. Hierfür wählte meine Klasse dann eine Schülerin, deren einzige Qualifikation es war, nicht den ganzen Raum zusammen zu schreien. Sie bewarb sich für einige Posten. Wie ich es erwartete bekam sie keinen von diesen, da andere Klassen zum wiederholten Mal Schreihalse gewählt hatten. Einer von diesen wurde dann unserer Schulsprecher.

Bei seiner Kandidatur guckte er sich Verhaltensweisen von Politikern ab: Forderungen vortragen und sie aufgrund des Widerstandes ändern, um dann eine aussagelose vorzutragen, konnte er gut. Zuerst wollte er eine Arbeitsgemeinschaft zum Thema Schule ohne Rassismus, Schule mit Courageeinführen, da niemand länger in der Schule bleiben wollte, stoß diese auf Widerstand. Nun war seine Forderung: Ich möchte euch den Schultag erleichtern.Gegen diese Forderung hatte natürlich keiner von uns etwas einzuwenden, wenn wir gewusst hätten, welche Taten auf dieses Versprechen folgen sollten, hätten wir gegen ihn gestimmt.

Wir hatten dann Periodenprodukte auf der Männertoilette, welche ihre Funktion nur in der Verstopfung der Abflüsse fanden.

Außerdem waren dann die meisten anderen eingeschüchtert, da er die Forderungen mit einen unglaublich großen Selbstbewusstsein vortrug. Da konnte jeder nur denken, dass es das Beste, das man jemals gehört hat, wäre. Wir hatten dann Periodenprodukte auf der Männertoilette, welche ihre Funktion nur in der Verstopfung der Abflüsse fanden. Außerdem richtete er einen Dienst ein, der jede Pause die Sauberkeit der Toiletten kontrollierte – für jede bemalte Toilettenwand wurde eine Tür abgenommen, manchmal wurden Toiletten sogar abgesperrt. Für uns hieß die „Erleichterung des Schultages“ Spaziergang durch das gesamte Schulhaus, um eine funktionstüchtige Toilette zu finden. Ich weiß ja nicht, ob es uns abseits des kostenlosen Fitnessprogramms den Schulalltag erleichtert hat.

Zur Realisierung seiner Projekte hat unser Schulsprecher einen Aufenthaltsraum, in dem theoretisch Dinge, die den Schulalltag angenehmer gestalten könnten, besprochen werden sollen. In der Realität sitzt dort der Schulsprecher mit seinen Freunden unterhält sich, kocht Tee und isst Instant Nudeln, da es dort einen Wasserkocher gibt. Natürlich alles, um den Alltag für die gesamten Schüler angenehmer zu gestalten. Nun sitzt also unsere Schulsprecher in einem warmen Raum, genießt sein Menü und freut sich über seine gute Arbeit, während die meisten Schüler auf dem Schulhof stehen, frieren und ihr mitgebrachtes Mischbrot essen.

Man kann nirgendwo so schnell Karriere machen und ein sehr hohes Gehalt erhalten, wie in der Politik.

Wenn sich junge Menschen, oft die gleichen, die früher Schulsprecher waren, dafür entscheiden, nach der Schule in die Politik zu gehen, läuft es nicht besser. Oft sehen diese jungen Menschen keine beruflichen Alternative. Dann geht es direkt nach dem Studium, oft sogar nach ein paar abgebrochenen Semestern auf hohe Polit-Posten. Ich glaube, man kann nirgendwo so schnell Karriere machen und ein sehr hohes Gehalt erhalten, wie in der Politik.  Andere Menschen kämpfen zum Beispiel in der Wirtschaft ihr ganzes Leben um eine Beförderung. Eigentlich wäre es ja wichtig, den Kontakt zur realen Berufswelt nicht zu verlieren, denn man kann die Bevölkerung nicht vertreten, wenn man wie Schulsprecher in einem beheizten Raum sitzt, sich über seine Forderungen freut, Nudeln kocht und der Rest draußen sitzt,  friert und Mischbrot isst.

Kevin Kühnert – das Sinnbild eines Klassensprechers

Der Politiker Kevin Kühnert erinnert mich sehr an den Schulsprecher meiner Schule und auch er war mal Schulsprecher. Er forderte bei seiner Abschiedsrede von den Jusos dazu auf, weiterhin umrealisierbare Forderungen zu stellen, um Aufsehen zu erregen. Auch unser Schulsprecher, der uns den Schulalltag erleichtern wollte, setzte seine Versprechen eher weniger gut um. Jedoch brach Kühnert nach seiner Schulzeit sein Studium ab und ist jetzt seit Oktober 2021 im Bundestag.

Er hat es geschafft: schneller Aufstieg zum stellvertretenden SPD-Vorsitz und ein hohes Gehalt ohne ein abgeschlossenes Studium. Nicht einmal ernstzunehmende Berufserfahrung hat er. Demnach wäre auch ich als Schülerin perfekt für den Bundestag geeignet. Eigentlich ist man, wie man am Beispiel von Kühnert sehen kann, ohne Studium einfach ein besserer Politiker. Um Forderungen wie die Überwindung des Kapitalismus und die Kollektivierung von Konzernen zu veröffentlichen, braucht man keine Ausbildung oder Berufserfahrung. Aber er hat es geschafft, er hat gewonnen. Er hat den Aufstieg geschafft vom selbstbewussten Schulsprecher zum Politiker mit sehr hohem Gehalt.


Lieber Herr Kubicki, sind Pfleger keine Menschen?

Von Pauline Schwarz | Herr Kubicki war für mich immer einer der wenigen Hoffnungsträger in der FDP – einer Partei, die sich in ihrer Gesamtheit stets zu bemühen schien, ihre angeblich liberale Politik mit einem grün-roten Wumms gegen die Wand zu fahren. Während die Stimmen der „No Border, No Nation“-, „Öffnet den Wohlfahrtsstaat“- und „Legalize it“-Fraktionen immer lauter wurden und man mehr und mehr den Eindruck gewann, dass die FDP mit Sozis (fast) aller Farben ins Bett steigen würde, um endlich auch mal in der Regierung mitspielen zu dürfen, war Wolfgang Kubicki oft der einzig liberale Lichtblick. Einer, der sich doch ab und an mal gewehrt hat. Doch dann kam Corona und wirbelte alles durcheinander. So mancher Parlamentarier zeigte in der Diskussion um die Einschränkungen unserer Grundrechte plötzlich sein wahres Gesicht – auch Kubicki. Allen bedächtigen Worten zum Trotz, zerstörte er mit einer einzigen Abstimmung sein Bild vom Kämpfer für Rechtsstaat und Freiheit.

Sieht man sich Interviews vom stellvertretenden Vorsitzenden der FDP an, wirkt Kubicki im Vergleich zu anderen Abgeordneten wirklich angenehm und sympathisch. Er hat keine schrille Stimme, keine verrückte Frisur, kann sich artikulieren, trägt Anzug und lacht zwischen seinen Worten nicht wie ein kleiner Psychopath. Immer wieder positionierte er sich öffentlich gegen grüne Regulations- und Verbots-Träume, wie etwa das ersehnte Tempolimit auf Autobahnen. In der Rhein-Neckar-Zeitung schrieb er 2019 sogar, man müsse von den grünen Plänen Abstand nehmen, „in der Umwelt- oder in der Flüchtlingspolitik globaler Vorreiter zu sein“ – sowas hört man von „liberalen“ Politikern selten. Sie werfen lieber wahllos mit dem Begriff Freiheit um sich und verdrehen und biegen ihn, wie es ihnen gerade passt. Herr Kubicki schien den Begriff bislang in seinem eigentlichen Sinn ernster zu nehmen und sagte zur Freiheit einst: „Natürlich ist die persönliche Freiheit niemals grenzenlos. Freiheit und Verantwortung gehören schließlich zusammen. Wer Menschen aber ihre Freiheit nimmt, weil er ihnen die Verantwortung nicht zutraut, nimmt ihnen zugleich ihre Mündigkeit“.

Ich habe dabei nur ein Problem: Sind Pfleger und anderes medizinisches Personal, wie Ärzte oder Rettungssanitäter, für Herrn Kubicki etwa keine Menschen?

Die Linie von Freiheit und Eigenverantwortung behält er momentan auch bei seiner Haltung zur Corona-Politik, seinen Stellungnahmen zu möglichen Öffnungsschritten und der Diskussion um eine Impfpflicht bei. Er stellt sich offen gegen die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht, denn man habe ja die Möglichkeit, sich selbst durch eine Impfung zu schützen – und wer das nicht will, müsse mit den möglichen Folgen leben. Gegenüber der Welt sagte er im Januar: „Wir haben die Möglichkeit uns selbst zu schützen, schützen mit der Impfung aber keine anderen mehr, also auch Geboosterte, wie ich selbst, können infektiös sein und die Infektion weitertragen, dann müssen die Ungeimpften mit diesem Problem leben.“ Eine Woche früher sagte er gar: „Man muss akzeptieren, dass es in einer Gesellschaft Menschen gibt, die sich nicht impfen lassen wollen“ – super, heutzutage ein echter Paukenschlag.

Ich habe dabei nur ein Problem: Sind Pfleger und anderes medizinisches Personal, wie Ärzte oder Rettungssanitäter, für Herrn Kubicki etwa keine Menschen? Haben sie aufgrund ihres Berufs kein Recht auf Freiheit und Eigenverantwortung? Immerhin stimmte der „Anwalt aus dem hohen Norden“ gut einen Monat zuvor für die Einführung einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht für Gesundheits- und Pflegepersonal – da passt für mich etwas nicht zusammen. Man kann sich schlecht als Liberaler verkaufen und glaubwürdig ein Buch veröffentlichen, das den Titel „Die erdrückte Freiheit – wie ein Virus unseren Rechtsstaat aushebelt“ trägt, während man sich gleichzeitig für eine so gravierende Verletzung der Grundrechte und unserer rechtsstaatlichen Prinzipien ausspricht. Für mich hat Herr Kubicki in diesem Moment sein wahres Gesicht gezeigt und meine Hoffnung in ihn jäh zerstört. Trotz aller Aussagen und Taten, die man ihm zugutehalten muss, hat er in diesem Moment gezeigt, dass er kein Oppositioneller ist und sich im Punkto Rückgratlosigkeit doch ganz gut in die Reihen seiner Partei eingliedern kann.


Bildungspolitik – oder auch: das Opportunisten-Sammelbecken

Von Jerome Wnuk | Opportunisten brauchen Futter für ihre Popularität. Vor allem im Wahlkampf müssen daher Themen her, mit denen man sich gut in Szene setzen kann und die Menschen das liefern, was sie hören wollen. Prinzipien braucht es dabei nicht unbedingt. Eines der Lieblingsthemen der Opportunisten im Wahlkampf: Bildung. Große Reden werden geschwungen. Man möchte jetzt endlich die Bildung in Deutschland wieder auf Vordermann bringen und jetzt wirklich mal die Digitalisierung in den Schulen in die Wege zu leiten. Marode Schulgebäude, veraltete Schulbücher und Kreidetafeln sollen endlich der Vergangenheit angehören. Und außerdem kann man sich da immer so gut mit süßen Kindern ablichten lassen (was besonders die Herzen der weiblichen Wähler erwärmt) und für Schule zahlen doch sogar Anarchisten gerne Steuern.

Schön mit dem Wind wird die eigene Fahne gerichtet, um mit diesen wunderbar klingenden Versprechen möglichst viele Wähler für sich anzuziehen. Nach der Wahl sind die Schüler und die Bildung dann erstmal wieder egal, dann sind erstmal andere Themen wichtiger. Das Thema Bildung rückt nach der Wahl nämlich meist in der Öffentlichkeit in den Hintergrund und ist es auch für die opportunistischen Politiker nicht mehr interessant genug. Interesse am Einhalten der Versprechen ist dann eher eine Seltenheit.

Für uns ändert sich nichts 

Als Schüler, der jetzt inzwischen schon in die 12. Klasse geht, kann ich über die Wahlkampfversprechen so manches Politikers oder mancher Partei nur noch schmunzeln. Nach den drei Bundestagswahlen, die ich als Schüler nun schon erlebt hab, hat sich immer kaum, bis eigentlich nichts verändert. 

Es sind dieselben Atlanten, die Jugoslawien noch als eigenen Staat auf Karten verzeichnen wie am Anfang meiner Schullaufbahn. Die Wörterbücher stammen immer noch aus 1995 und kennen das Wort Internet noch nicht, so manches Musikheft aus der Mittelstufe präsentiert mir noch Tina Turner oder Pur als neue, aufkommende Stars. Wenn es mal zu Veränderung und Erneuerung von Schulmaterialien oder der digitalen Möglichkeiten kommt, dann sind es eher engagierte Lehrer und Schulleiter, die mit vollem Elan und auch finanzieller Kraft die Arbeitsmaterialien besorgen. Hilfe aus der Politik, wie sie versprochen wird, kriegt die Schule dabei nicht zu spüren. Eine Beobachtung, die mich als Schüler extrem frustriert und den Glauben in unsere Politiker um ein großes Stück verringert.

Die Wörterbücher stammen immer noch aus 1995 und kennen das Wort Internet noch nicht, so manches Musikheft aus der Mittelstufe präsentiert mir noch Tina Turner oder Pur als neue, aufkommende Stars.

Viele meiner Freunde inklusive mir durften im September das erste Mal wählen, manche wie ich zwar nur zur Bezirksverordnetenversammlung, manche aber auch schon so richtig. Neben der Corona-Politik war für „Betroffene“ auch das Thema Bildung mitentscheidend für die Wahl, wo man das Kreuzchen denn nun setzt. Das gilt für ganz vielen Menschen, vor allem Eltern, die sozusagen stellvertretend auch für ihre Kinder mitwählen. Deshalb ist das Thema leider so ideal für opportunistische Politiker – ein paar schöne Worte formulieren und sich gut vor Schulen und mit Kindern inszenieren reicht dann manchmal schon für Stimmen aus dieser Wählergruppe.

Als Schüler fühlt man sich deswegen oft im Stich gelassen. Auf unsere echten Wünsche und Sorgen wird nämlich zu selten Rücksicht genommen. Wir tragen seit zwei Jahren Masken, teils sitzen wir bei zwei Grad vor’m offenen Fenster und unsere Schulmaterialien lassen mehr als zu wünschen übrig. Sich als Politiker dafür mal einzusetzen, das wäre erfrischend. Doch wahrscheinlich werden auch die Schüler 2025 – wenn ich dann schon fein raus bin – sich wieder für drei bis vier Wochen die Wahlplakate verschiedenster Parteien mit den kühnsten Versprechen im Thema Bildung ansehen und hoffen, dass sich dieses Mal nun wirklich was ändert. Aber das einzige, was wir von der Politik bekommen, sind die Kugelschreiber vom Wahlkampfstand. 


Heiko Maas – Ein Rückblick seiner Instagram-Amtszeit

Von Sebastian Thormann | Die deutsche Außenpolitik in den letzten Jahren war häufig vor allem Folgendes: Leere große Worte, realitätsferne Appelle und Selbstdarstellung. Wohl kaum jemand stand dafür so symptomatisch wie Heiko Maas. Statt einem Artikel, also hier an dieser Stelle ein Rückblick seiner Amtszeit als Außenminister in Bildern. 

Und zwar in Bildern, die allesamt genau so (!) auf seinem Instagram-Account oder dem des Auswärtigen Amtes gepostet wurden.

Heiko Maas stellt nach einem Jahr im Amt fest:

Screenshot Instagram: Auswärtiges Amt

Nach einer EU-Außenministerkonferenz:

Screenshot Instagram: Heiko Maas

Maas bewundert den künstlerischen Einsatz “gegen Nationalismus”:

Screenshot Instagram: Heiko Maas

Heiko Maas und das – wie er es nennt – “neue Banner der freien Welt”:

Screenshot Instagram: Heiko Maas

Er hat offensichtlich weiterhin mit der „Intensität des Jobs“ zu kämpfen, wie dieser 100% natürliche und völlig ungestellte Schnappschuss zeigt:

Screenshot Instagram: Heiko Maas

Screenshot Instagram: Heiko Maas

Nicht die Beatles in London, sondern Heiko in New York bei der UNO. 

Dort wollte er den Rest der Welt u.a. für Abrüstung begeistern. Besonders schade: Mit seinem Ausscheiden aus dem Amt kann er nicht mehr an der diesjährigen UN-Konferenz zu nuklearer Abrüstung teilnehmen, die unter Vorsitz von Kim Jong-uns “Demokratischer Volksrepublik Korea” stattfindet. 

Screenshot Instagram: Auswärtiges Amt

Maas in Kabul mit der Bildunterschrift: “Wir lassen #Afghanistan nicht allein! […] Wir ziehen zwar unsere Soldat*innen ab, aber nicht die politische Unterstützung.“ 

Ob der gleiche Helikopter zum Einsatz kam, als die deutschen Diplomaten knapp vier Monate später im Saigon-Stil aus Kabul flüchten mussten? Gut, er hielt daran fest, dass der Konflikt nur durch Dialog und nicht militärisch gelöst werden kann – nur schade, dass das die Taliban anders sahen.

Passend zum Ende seiner Amtszeit gab es dann noch diese Weisheit:

Screenshot Instagram: Auswärtiges Amt


Das L in FDP steht für liberal

Von Sarah Victoria | Im Wahlkampf bekannte die FDP noch ihre Liebe zur Freiheit, doch die Liebe hielt nicht lange. Erst führte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Beziehungspause, dann kam die Blitztrennung mit der Einführung der berufsbezogenen Impfpflicht. Frei nach dem Motto: Heute wird applaudiert, morgen entlassen. Doch vielleicht besteht noch Hoffnung, dass es in Zukunft wenigstens  für eine Zweckbeziehung zur Freiheit reicht. Denn Opportunisten, die in Erklärungsnot geraten, sind offen für Kurswechsel – solange sie dadurch ihren Einfluss behalten.

Ein kurzer Exkurs – was ist ein Opportunist überhaupt? Opportunismus an sich bezieht sich auf Gelegenheiten, die einem zur Verfügung stehen. Sei es in der Politik, in der Wirtschaft oder im Alltag, jeder Mensch handelt vereinzelt opportun. Der Unterschied ist jedoch, dass der durchschnittliche Mensch gewisse Wertvorstellungen, ideologische Überzeugungen oder einfach nur Empathie hat, die ihn davon abhält, dauerhaft opportun zu handeln. Das fehlt dem Opportunisten.

Opportunisten haben keinen guten Ruf, da ihnen eine gewisse kriminelle Begabung anhaftet. Der Opportunist weiß, eine günstige Gelegenheit zum eigenen Vorteil zu nutzen, ohne Rücksicht auf Verluste zu nehmen. Opportunisten sind Meister der Anpassung, können ihre eigene Identität wie Klamotten wechseln und ihr Umfeld manipulieren. Schon seit dem 19. Jahrhundert ist dieser Menschentypus bekannt und fasziniert seither mit seiner Ambivalenz. Sie sind oft charismatisch, vorausschauend und haben eine pragmatische Vorstellung von der Welt. Das macht sie zu begabten Führungspersönlichkeiten und erfolgreichen Politikern. Sie sind feinfühlig für Stimmungswechsel, streben nach der größtmöglichen Zustimmung und können schon mal die eigene Meinung aufgeben, um mehr Chancen für die Teilhabe an Macht und Einfluss zu bekommen.

Die FDP und ihr Verrat an der Freiheit

Zur politischen Verwandtschaft des Opportunisten zählen unter anderem der Karrierist, der Realpolitiker und der bekannte Wendehals. Sie alle lieben Macht und Einfluss, verfolgen aber unterschiedliche Strategien, um diese zu sichern. Sie bewegen sich in einer moralischen Grauzone, nehmen je nach Situation entweder die Rolle des glatten Bösewichts oder des kühnen Heldens ein. Klar ist jedoch, dass sie alle die gemeinschaftlichen Regeln und Normen herausfordern und Systeme dadurch in einem Kontinuum aus De- und Restabilisierung halten. Opportunisten sind einfach nicht für Langzeitbeziehungen gemacht, Loyalität sucht man hier vergebens. Verspricht sich der Opportunist einen Vorteil, wird man mit Lobeshymnen umgarnt und zur Vertrauensperson, nur um bei der nächsten Gelegenheit vom Thron gestoßen zu werden.

Hier eine kleine Übersicht:

Vor der Wahl:

Screenshot Twitter: Fraktion der Freien Demokraten

Nach der Wahl:

Screenshot Twitter: Argo Nerd

Stand 9. Februar:

Screenshot Twitter: Christian Lindner

Verfolgt man das Verhalten der Opportunisten, verirrt man sich schnell in einen gedanklichen Nebel aus Widersprüchen. Analysiert man ihr Verhalten jedoch, fangen die Widersprüche langsam an, Sinn zu ergeben.  Im Falle einer Demokratie heißt das, dass Opportunisten gewillt sind, sich an politische Prinzipien anzupassen, solange sie davon profitieren. Opportunisten haben ein feines Gespür, wann ihr Einfluss zu verschwinden droht und in diesen Momenten sind sie bereit, ihr Verhalten bis zur politischen Kehrtwende zu ändern. 

Das zeigt sich insbesondere in der Tagespolitik. Sei es Ministerpräsident Söder, der in den sozialen Medien auf einmal zum Foodblogger mutiert und von Freiheit spricht oder Staatsphilosoph Karl Lauterbach, der plötzlich seinen Virologen des Vertrauens zum Sündenbock erklärt. Sie haben schon erkannt, dass das Maßnahmen-Schiff auf einen Eisberg zusteuert und bereiten sich auf den Kurswechsel vor. Die Chance also, für eine liberale Route Werbung zu machen.

Kurswechsel in liberale Gewässer

Ich glaube, für einen liberalen Kurswechsel ist es zunächst einmal wichtig, sich auf die Fundamente der liberalen Theorie zurückzubesinnen. Das 1mal1 des Liberalismus ist dabei recht einfach: Die individuelle Freiheit stellt den höchsten Wert dar. Sie ist ein Naturrecht. Aufgabe des Staates ist es, diese Freiheit zu erhalten. Dafür darf auch staatlicher Zwang eingesetzt werden, solange dieser hinreichend begründet ist. Ein Staat muss den Eingriff in dieses Naturrecht ständig rechtfertigen. Das ist für die Machthaber sehr anstrengend und soll dazu führen, dass sich staatliche Macht nicht zu stark ausbreitet.

Strebt ein liberaler Staat nicht nach dem Erhalt individueller Freiheit, verliert er die Legitimität. Bezogen auf die Maßnahmen heißt das also, dass die Regierung jede einzelne ergriffene Maßnahme hinreichend rechtfertigen muss, um die eigene Legitimität zu wahren. Gerechtfertigt ist ein solcher Eingriff grundsätzlich, solange das Ziel möglichst effizient und verhältnismäßig erreicht werden kann. Hierfür soll das mildeste Mittel verwendet werden. Darüber dürften sich alle liberal gesinnten Menschen einig sein.

Uneinigkeit entsteht bei der Frage, wo nun die Grenze zwischen Individuum und Gemeinschaft gezogen werden soll. Freiheit ist immerhin auch vom Verhalten der anderen abhängig. Um besonders gefährdete Personengruppen zu schützen, können staatliche Maßnahmen natürlich diskutiert werden.

Wird einem sterbenden Patienten zum Beispiel das Recht verwehrt, im Kreise seiner Angehörigen von dieser Welt zu gehen, muss hierfür eine hinreichende Rechtfertigung vorliegen. Werden Kinder und Jugendliche Maßnahmen unterworfen, deren Spätfolgen sich nur vermuten lassen, obwohl ihre Überlebensrate auf 100% aufgerundet werden kann, muss eine Bundesregierung handfeste Beweise für solche Freiheitsbeschränkungen vorweisen können. Der erste Reflex sollte sein, Entscheidungen in Gesundheitsfragen so weit wie möglich dem Einzelnen zu überlassen. Ein Adrenalin-Junkie, zu dessen Hobbys Fallschirmspringen und Tiefseetauchen zählen, wird wahrscheinlich eher bereit sein, gesundheitliche Risiken einzugehen, als ein bekennender Hypochonder.

Die Willkür ist die letzten zwei Jahre zur politischen Praxis geworden.

Aufgabe der Politik ist es nun, diese einzelnen Interessen in einen Rahmen zu setzen, der beim Schutz von Gefährdeten möglichst viel Spielraum für individuelle Freiheit lässt. Dieser Rahmen ist minimalistisch gedacht und soll mithilfe der mildesten Mittel gebaut werden – Stichwort Verhältnismäßigkeit. Lange sah die FDP eine Impfpflicht nicht als das mildeste Mittel an, dann der Sinneswandel. Man wolle der Wirtschaft und den Schulen keinen weiteren Lockdown zumuten. Doch was wurde aus der Option, einfach keinen Lockdown mehr durchzuführen? Warum nicht die Kapazitäten des Gesundheitswesens ausbauen? Warum in überteuerte Impfkampagnen investieren, aber nicht in die Ausbildung von Pflegekräften? Die Willkür ist die letzten zwei Jahre zur politischen Praxis geworden.

Gerade jetzt ist es also wichtig, diese Fragen zu stellen. Eine Politik, die sich anmaßt, im Angesicht einer solch ungewissen Faktenlage dauerhafte Grundrechtseingriffe zu verüben, wird nur scheitern, wenn sie ihr Verhalten ständig rechtfertigen muss und dadurch in Erklärungsnot gerät. Die politischen Opportunisten haben bereits erkannt, dass das Schiff auf Kollisionskurs ist und versuchen bereits, sich die Plätze auf den Rettungsbooten zu sichern. Die Chance also, laut Werbung für liberale Ideale zu machen. Ob Opportunist oder nicht, wir sind alle Menschen und sollten gemeinsam am Steuer stehen – im besten Fall als freie Bürger.

 

 


Marie-Agnes Strack-Zimmermann – die überzeugungslose Parteisoldatin auf der Suche nach Macht

Von Jonas Kürsch | Sie ist, ähnlich wie SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach, das mediale Aushängeschild ihrer Partei und sitzt als Dauergast in jeder landesweit bekannten Talkshow. Die Rede ist natürlich von Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, der verteidigungspolitischen Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion und Mitglied im Bundesvorstand ihrer liberalen Partei. Doch was genau ist es, das den Charakter dieser allseits beliebten Berufspolitikerin so außergewöhnlich macht?


Die Parteisoldatin Strack-Zimmermann

Böse Zungen würden behaupten, dass sie sich vor allem durch ihr Auftreten als überzeugungslose Parteisoldatin in der FDP über viele Jahre hinweg einen makellosen Ruf erarbeitet hat. Denn mit Abweichlern, Freidenkern und Querulanten in den eigenen Reihen hält sie es, wie einige Aussagen aus der Vergangenheit zeigen, nicht sonderlich gut: So legte sie beispielsweise dem ehemaligen Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (ebenfalls FDP) – nach dessen öffentlichkeitswirksamen Auftreten auf einer Demonstration gegen die übergriffigen Coronaschutz-Verordnungen der Regierung – den Parteiaustritt nahe, mit der fadenscheinigen Begründung, dass Kemmerich „offenbar nicht nur physisch die Nähe zur AfD und Verschwörungstheoretikern [suche], sondern […] offensichtlich auch deren Demokratie zersetzenden Kurs“ unterstütze. Sie sei nicht der Meinung, dass Kemmerich noch Mitglied in der richtigen Partei sei.

Aber wo bleibt hier die urliberale Freude am Meinungsstreit? Wo ist Frau Strack-Zimmermanns Respekt gegenüber dem fünften Artikel unseres Grundgesetzes und die Kunst- und Meinungsfreiheit nur abgeblieben? Durch ihre Aussagen fördert sie den innerparteilichen Meinungsdiskurs keineswegs auf konstruktive Art, sondern trägt stattdessen aktiv zu der für Demokratien hochgefährlichen Entwicklung einer – um es frei nach dem Aufklärer John Stuart Mill zu bezeichnen – gradlinienförmigen Meinungsgesellschaft bei.

Es ist bereits mehrmals aufgefallen, dass Frau Strack-Zimmermann nur selten kontroverse oder vom scheinbaren Zeitgeist abweichende Meinungen von sich gibt. So war sie beispielsweise eine der ersten „Politiker*innen“ der Freien Demokraten, die nach der Bundestagswahl im vergangenen Herbst von der möglichen Einführung einer nationalen Coronaimpfpflicht schwärmten, zuerst nur im Rahmen der medizinischen Pflichtimpfungen beim Personal der Bundeswehr, schließlich aber auch für den Rest der Bevölkerung. Entgegen jedweder programmatischer Versprechen, die von der FDP im Wahlkampf noch so selbstbewusst betont worden sind, stichelte Frau Dr. Strack- Zimmermann bereits vor Abschluss der Rot-Grün-Gelben Koalitionsverhandlungen mehrfach gegen die ungeimpften Bevölkerungsteile in Deutschland. Besonders erschreckend ist hierbei aber die radikale Rhetorik, mit der sie alle ungeimpften Menschen in unserem Land pauschal denunziert hat, denn ihren Aussagen kann entnommen werden, dass es die Ungeimpften seien, durch welche die Mehrheit der Menschen in diesem Land terrorisiert würde, und nicht etwa durch den Staat mit seinen radikalen, nicht empirischen und verfassungsrechtlich stark umstrittenen Interventionsmaßnahmen.

In der falschen Partei gefangen

Um dieser Position Nachdruck zu verleihen, ließ Strack-Zimmermann sich daher auch am vergangenen Wochenende auf einer Gegendemonstration zu der parallel verlaufenden Anti-Maßnahmen-Demo in Düsseldorf blicken. Das Ziel der Demo war es, ein Zeichen gegen die vermeintlich „rechtsextremen und verschwörungsideologischen“ Inhalte der Demonstranten zu setzen. Und ganz gleich der Tatsache, wie man zu diesen Protesten auch stehen mag, es ist und bleibt doch in jeder Demokratie ein schlechtes Vorzeichen, wenn die Stadtratsfraktionen (fast) aller nennenswerten Parteien im Einheitstakt den Versuch starten, eine basisdemokratische Bewegung innerhalb der Gesellschaft durch ihren Aufruf aktiv zu sabotieren.

Die Zahl der politisch goutierten Gegendemonstration fiel allerdings im Vergleich zu der Hauptdemo mit etwas mehr als 1000 Teilnehmern recht kläglich aus. Besonders besorgniserregend waren allerdings die politischen Nebenforderungen der Demonstrationsveranstalter, die zum einen offenherzig mit den Mitgliedern der vom Verfassungsschutz beobachteten Antifa kokettiert haben, zum anderen die marktwirtschaftlichen Ideale unserer demokratischen Gesellschaft offen infrage stellen. Vor allem das Banner mit der Überschrift „Kapitalismus überwinden“ sorgte in den Medien für größere Aufmerksamkeit.

Inzwischen hat Strack-Zimmermann sich von den linksextremen Positionen einiger Teilnehmer distanziert, ähnlich wie es der von ihr angeprangerte Thomas Kemmerich es seinerzeit tun musste. Im Grunde lässt sich dieses scheinheilige und überaus doppelmoralische Verhalten nur mit den weisen Worten einer allseits beliebten Verteidigungspolitikerin der FDP kommentieren: wer „offenbar nicht nur physisch die Nähe zu“ Linksextremisten und antikapitalistischen Verfassungsgegnern sucht, der unterstützt auch „deren Demokratie zersetzenden Kurs“.

In diesem Sinne, Frau Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, möchte ich mich mit jenen Worten verabschieden, die Sie einst voller Besorgnis über die idealistischen Positionen von Thomas Kemmerich geäußert haben: Ich „finde nicht mehr, dass […] [Sie Mitglied] in der richtigen Partei“ sind!

 


„Es zahlt sich teuer, zur Macht zu kommen: die Macht verdummt…“
 – aus Friedrich Nietzsches „Götzendämmerung“


 


Wer ist Söder und wenn ja wie viele?

Von Jonas Aston | In Söders Brust schlagen zwei Herzen. Noch vor wenigen Wochen stiegen ihm anscheinend die Nürnberger Bratwürste zu Kopf. Regulieren first, Bedenken second, lautete sein Credo und #TeamVorsicht war seine Gang. Man konnte den lieben Maggus als lupenreinen Corona-Hypochonder bezeichnen. Es gibt Länder, in denen fließt Milch und Honig. Nicht so in Bayern. „Boostern: Der Impfstoff muss fließen“, lautete die religiöse Ansage. Im Wald ließ Söder sich beim Spazieren (handelt es sich hier um eine unangemeldete Demo? Herr Harbarth übernehmen Sie!) durch den bayrischen Wald ablichten. Natürlich mit Maske und fünf Metern Abstand. Um Corona zu beenden, braucht es seiner Meinung nach natürlich die Impfpflicht, womit ganz nebenbei die Gesellschaft „befriedet“ wird.

So war es zumindest einmal. Nun ist alles ganz anders. Söders Maß ist voll! So viel steht fest. Es fragt sich nur welches. Hat er keine Lust mehr den ewigen Corona-Dompteur zu spielen, der auch mal zur Peitsche greift oder hat das bayerische Bier seine Sinne betäubt? Wer ist dieser Mann, der auf einmal schwurbelt, die Impfpflicht für Pfleger auszusetzen? Wie kommt er darauf, dass er 2G „von Anfang an skeptisch“ gesehen haben will. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin ja froh über jeden, der sich für weniger Regulierungen einsetzt… aber Söder? Wie kam es zu dieser 180 Grad-Wende? Meiner Meinung nach gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder hat der Maggus seinen Verstand verloren oder sein Rückgrat besteht aus Pudding.

Der Opportunismus hat einen Namen. Er lautet Markus Söder.

Für die Verstand-verloren-Theorie spricht einiges. Zur Fasnacht kann Söder seiner schizophrenen Persönlichkeit regelmäßig freien Lauf lassen und verkleidet sich als Shrek oder Homer Simpson. Vielleicht ein Wink mit dem Zaunpfahl. Im Dezember hat Söder sich mit einem Instagram-Post von Merkel verabschiedet und ihr für die jahrelange Zusammenarbeit gedankt. Bei der riesigen Auswahl an Bildern hat er sich ausgerechnet für eins entschieden, auf dem Merkel sich gerade einen Liter Bier runterkippt. Was hat Söder da geritten? Als Jugendlicher hing über Söders Bett ein Bild von Franz-Josef Strauß. Franz-Josef Strauß in allen Ehren, aber was lief in seiner Erziehung schief? Und glaubt Söder wirklich, dass er nach Eigenaussage 130.000 Menschen allein in Bayern vor dem sicheren Tod bewahrt hat?

Dennoch bin ich Verfechter der Pudding-These. Söder hat erkannt, dass er sich gegenüber der neuen Bundesregierung nur als Corona-Lockerer profilieren kann. Schlimmer geht zwar immer, aber striktere Maßnahmen als etwa Lauterbach zu fordern, ist selbst für Söder ein Ding der UnmöglichkeitEr hat keine tiefen Grundüberzeugungen, sondern nur den Willen zur Macht. Der Opportunismus hat einen Namen. Er lautet Markus Söder.

 


„Eier, wir brauchen Eier!“ – Ein Hoch auf die Abweichler

Von Simon Rabold | Es gibt ein legendäres Interview mit dem ehemaligen Torhüter Oliver Kahn nach einem verlorenen Spiel des FC Bayern. Auf die Frage des Reporters, was denn der Mannschaft gefehlt hat, antwortet Kahn präzise: „Eier.“ Und nach einer weiteren Nachfrage konkretisiert er dies: „Eier, wir brauchen Eier. Und Sie wissen, was das heißt.“ Er konnte zu diesem Zeitpunkt nicht wissen, dass er exakt den aktuellen Zustand im Bundestag beschrieben hat. Denn dort haben nur noch die wenigsten Eier. Ach so, bevor es zu einem Shitstorm kommt, „Eier haben“ ist keine Frage des Geschlechts, sondern der Taten. Nehmen wir mal exemplarisch die Abstimmung über die einrichtungsbezogene Impfpflicht im Bundestag:

Auf jeden Fall keine Eier hat Wolfgang Kubicki. Dieser spuckt zwar oft große Töne und positioniert sich freiheitlich, stimmte sodann aber wie fast alle anderen FDP-Abgeordneten für die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Auch die CDU/CSU scheint ihre Eier in der Opposition noch nicht gefunden zu haben. Denken die Abgeordneten, sie regieren noch? Opposition heißt ja eigentlich, dagegen zu sein, Kritik zu äußern, jedoch unterstützen die Abgeordneten die meisten der Regierungsvorhaben der Ampel. Bis auf fünf Ausnahmen. Ich muss diese namentlich nennen, denn diese fünf Abgeordneten haben noch Eier – und das verdient in unserer heutigen Zeit Anerkennung und Respekt. Jana Schimke, Dr. Hans-Peter Friedrich, Manfred Grund, Jens Koeppen und Andreas Mattfeldt.

Das Grundgesetz schreibt in Artikel 38 I 2, dass die Abgeordneten nicht an Aufträge und Weisungen gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. So weit die Theorie.

Die Fraktion „Die Linke“ enthielt sich, bis auf eine prominente Ausnahme: Dr. Sahra Wagenknecht. Wer hätte gedacht, dass sie mal freiheitlichere Politik als die FDP machen würde? Die AfD stimmte geschlossen dagegen, auch dies soll hier nicht unerwähnt bleiben. Hier kann die CDU/CSU sich noch eine Scheibe abschneiden. Wohl die dicksten Eier im gesamten Deutschen Bundestag hat aber wohl Ulrich Lechte. Jetzt werden sie sich bestimmt fragen, wer um alles in der Welt Ulrich Lechte sein soll. Es ist tatsächlich der letzte echte FDPler, denn er war der einzige der „Liberalen“, der gegen die Impfpflicht stimmte. Man mag sich nicht vorstellen, welchem Druck er von seinen Chefs ausgesetzt gewesen sein mag. Das gilt übrigens auch für die anderen Abgeordneten. Mit dicken Eiern rumzulaufen, ist letztlich harte Arbeit und wohl nicht immer einfach.

Dabei sollte es eigentlich immer so sein. Das Grundgesetz schreibt in Artikel 38 I 2, dass die Abgeordneten nicht an Aufträge und Weisungen gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. So weit die Theorie. In der Praxis bestimmen die Partei- und Fraktionschefs, wie abgestimmt werden soll. Man kann dann zwar anders abstimmen, muss dann wohl aber damit rechnen, Hinterbänkler zu bleiben, erleidet also einen Karriereknick.

Genau das aber ist es, was fehlt. Personen mit Eiern, die so abstimmen, wie sie selbst – und nur sie selbst – es für richtig halten, ihr freies Mandat also wirklich voll ausschöpfen. Umso schlimmer, dass man dazu Eier braucht. Umso besser, dass es wenigstens noch ein paar gibt, die Eier haben.