Von Jonas Aston | Eigentlich wollte ich mich Ende des Sommers gegen Corona impfen lassen. Nicht aus persönlichen gesundheitlichen Gründen, sondern vor allem, um meine Großeltern zu schützen. Eine Impfung verhindere das Risiko der Infektion und Übertragung, so hieß es. Dies stellte sich als Märchen heraus. Das Risiko der Infektion und Übertragung ist bestenfalls marginal geringer. Mit steigender Impfquote werden die Freiheiten steigen, so hieß es. Für mich als Ungeimpten stellte sich das genaue Gegenteil heraus. Die Einführung einer Impfpflicht werde es nicht geben. Auch nicht durch die Hintertür. Personen, die dies behaupteten, seien Verschwörungstheoretiker und würden „böswillige Unterstellungen“ verbreiten, so hieß es. Ein weiteres Märchen. Inzwischen sind wir von Verkündung einer allgemeinen Impfpflicht nur noch eine Ministerpräsidentenkonferenz entfernt.

Ich möchte nicht Teil eines Systems sein, in dem entrechtet wird, wer sich dem staatlichen Willen nicht fügt, auch nicht mittelbar durch eine Impfung.

In der Impfdebatte wird das Narrativ von den solidarischen Geimpften und den egoistischen Ungeimpften gesetzt. Meine Entscheidung, mich nicht impfen zu lassen, fiel am 10.08.2021. An diesem Tag wurde verkündet, dass die Tests kostenpflichtig werden. Fortan hieß es nicht mehr impfen für die Gesundheit, sondern impfen für den Geldbeutel, impfen für Rechte, impfen für die Freiheit. Ich stehe hinter dem Ziel, Corona zu bekämpfen, aber nicht hinter den Methoden. Die Impfung wird zu einem Akt der Gehorsamkeit hochstilisiert, der über gut und böse entscheidet. Meine Angst vor dem Staat ist mittlerweile viel größer als die vor Corona. Ich möchte nicht Teil eines Systems sein, in dem entrechtet wird, wer sich dem staatlichen Willen nicht fügt, auch nicht mittelbar durch eine Impfung.

Markus Söder sagte kürzlich, er freue sich über jeden, der sich impfen ließe, ihn könne man dann in der „Gemeinschaft willkommen heißen“. Bisher bin ich davon ausgegangen, durch meinen Nationalpass einer Gemeinschaft anzugehören. Doch ohne Impfpass bin ich anscheinend ein Aussätziger. Dies spüre ich auch jeden Tag. Der Alltag gleicht einem Spießrutenlauf. Mit der S-Bahn benötige ich fünf Minuten bis zur Uni. Der 3G-Regel sei Dank benötige ich nun 25 Minuten – zu Fuß. Den ÖPNV kann ich faktisch nicht mehr nutzen und das, obwohl mein Semesterbeitrag zu einem nicht unerheblichen Teil in ein Bahnticket fließt. An der Uni angekommen, heißt es dann testen. Erst anstellen und dann noch einmal 15 Minuten auf das Ergebnis warten. Wird man in einer Vorlesung ohne 3G-Nachweis „erwischt“, droht laut Uni-Website ein Bußgeld von bis zu 25.000€. In den Semesterferien habe ich ein Gerichtspraktikum absolviert. Dort wurde ein Mann wegen Körperverletzung verurteilt – zu einer Geldstrafe von 10.000€. Abseits der Uni und von Supermärkten wird Deutschland für mich zum Freiluftgefängnis erklärt. Ich komme zwar raus – jedoch nirgendwo rein. Dies gilt aber auch nur von 5 bis 22 Uhr. Dann gilt die Ausgangssperre und selbst die Freiluft fällt weg.

Ebenso belastend sind die Unsicherheiten, mit denen man zu kämpfen hat. Wer garantiert mir, dass die Tests von meiner Uni weiterhin gestellt werden müssen? Wer garantiert mir, dass meine Uni nicht auf 2G umstellt? Leben und Schicksal hängen vom erlauchten Kreis der Ministerpräsidentenkonferenz ab. Ich würde gerne ein Auslandssemester machen. Dafür benötige ich jedoch ein Empfehlungsschreiben meines Dozenten. Dieser ist bisher nicht durch besondere Toleranz gegenüber Ungeimpften aufgefallen. Erhält er Kenntnis über meinen Impfstatus (diesen darf er abfragen), kann ich mir eine gute Note und das Empfehlungsschreiben abschminken.

Der Druck, sich impfen zu lassen, wird mit jedem Tag größer. Wenn Weltärztepräsident Montgomery von einer „Tyrannei der Ungeimpften“ spricht, dann spricht aus seinem Munde der pure Hass. Dass in einem System, in dem per Mehrheitsentscheid regiert wird, eine Minderheit tyrannisieren könnte, erscheint mir absurd. Ich halte es da eher mit Tocqueville, der die „Tyrannei der Mehrheit“ als die große Gefahr der Demokratie bezeichnet hat.

Ich habe das Gefühl, dass es Gesellschaft und Politik nicht darum geht Wellen, sondern Willen zu brechen. Ich musste in den letzten Tagen oft an Orwells „1984“ denken. Im dritten und letzten Teil landet die Hauptfigur Winston Smith als politischer Gefangener im Ministerium für Liebe. Dort wird er mit grausamen Methoden umerzogen und sein Widerstand gegen das autoritäre System gebrochen. Am Ende liebte er den großen Bruder. Dieser personifizierte den Staat. Heute gibt es keine politischen Gefangenen. Nur außergewöhnlich viele Menschen, die wegen Urkundenfälschung verurteilt werden. Ein Ministerium für Liebe gibt es auch nicht. Doch im Alltag spürt man in jeder Minute seine Andersartigkeit und den Druck, der auf einem lastet. Die Impfung ist dann das einzig legitime Bekenntnis, sich des kollektiven Ziels der Bekämpfung des Virus zu verschreiben. Zugleich ist sie Erlösung, nach der man in der „Gemeinschaft“ wieder „willkommen geheißen“ wird.

Neulich saß ich in einer Grundrechtsvorlesung. Unser Professor führte wortgewaltig über den Allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus. Dieser sei das Fundament, auf dem die westliche Welt stehe, meinte er. Seit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung sei der Mensch „born equal“. Er werde gleich geboren. Deswegen stünden jedem Bürger sämtliche Menschen- und Grundrechte von Geburt an zu – durch seine schlichte Existenz, ohne weitere Voraussetzungen. Zehn Minuten vorher wurde einem Kommilitonen der Zutritt zur Vorlesung verwehrt. Er konnte keinen 3G-Nachweis vorbringen. Entweder bin ich verrückt oder hier läuft etwas gewaltig schief.


Jonas Aston, 20 Jahre alt, Student der Rechtswissenschaften in Jena. Hofft darauf später als Richter Regierungsgesetze für verfassungswidrig erklären zu dürfen. Treibt Kommilitonen mit seinem ewiggestrigen Geschwätz zur Weißglut. Schreibt über Politik, Recht und Gesellschaft.