Old Hollywood: Filme zwischen Libertarismus und Sittenstrenge

Von Anna Graalfs | Heutzutage wird die fortschrittlichste Zeit Hollywoods meist ab den 1960er Jahren bis heute eingeschätzt. Dabei gibt es eine Zeit in Hollywood, deren progressive Filme leider schon längst vergessen sind und erst einmal aus den Tiefen des Internets herausgefiltert werden müssen. Ich rede von der Zeit vom Beginn der Tonfilme ca. 1929 bis zur Einführung des „Motion Picture Production Codes“ im Juli 1934. Diese kurze Zeitspanne des amerikanischen Kinos bezeichnet man deswegen als „Pre-Code Cinema“. Viele der Pre-Code Filmen angesprochenen Themen, kehren erst in den 60ern zurück in das amerikanische Kino, weswegen es sich lohnt, einen Blick auf einige der Filme vom Anfang der 30er zu werfen.

Die Pre-Code-Ära

Die „roaring 20s“ und das Ende der Stummfilm-Ära haben radikale Veränderungen in die Filmwelt gebracht. So wird in Filmen offen über Sexualität gesprochen, Beziehungen realistisch (schmerzhaft) dargestellt, Kirche und Religion kritisiert und generell kein Blatt vor den Mund genommen, wenn es darum geht, gesellschaftsskeptische, freiheitliche Gedanken zu äußern. Das 1920 eingeführte Wahlrecht für Frauen führte auch zur vermehrten Darstellung von selbstbewussten, selbstbestimmten Frauen in Filmen. Das Pre-Code Kino erkundet vor allem viele Blickwinkel auf Liebesbeziehungen, auch wenn diese oft nicht als moralisch korrekt gelten, zumindest in den 1930er Jahren. So ist zum Beispiel zu bedenken, dass Scheidungen zumindest für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts als schändlich galten, vor allem für Frauen, weil diese zusätzlich finanziell abhängig von ihren Ehemännern waren. „The Divorcee“ (1930) ist ein Film, der sich nicht nur mit der Scheidung an sich beschäftigt, sondern auch mit den Gründen, die dahinterstecken, und insbesondere mit den Konsequenzen, die eine Scheidung damals mit sich brachte. Aus heutiger Sicht stellt die Message hinter dem Film nichts Neues dar, doch 1930 spielte der Film eine große Rolle im Vorstoß der Filmemacher, Probleme in Beziehungen realistischer darzustellen und offen zu diskutieren. Ein anderer Pre-Code Film, der die moralischen Grenzen einer Liebesbeziehung auslotet, ist „Design For Living” (1933) von Ernst Lubitsch, einer der bekanntesten Pre-Code-Regisseure. In dem Film wird zuerst ein klassisches Liebesdreieck vorgestellt, welches schlussendlich aber mit einer neuzeitlichen Lösung zum Happy-End geführt wird: Die Frau behält beide Männer als ihre Partner und die Männer sind damit einverstanden. Im Laufe des Films werden leicht durchschaubare Anspielungen auf Sex gemacht, an einer Stelle wird das Wort sogar schamlos in den Mund genommen. Dinge, die zum Beispiel im Kino der 1950er Jahre kaum zu sehen sind, beziehungsweise nur sehr mutigen Regisseuren überlassen waren.

Einer der letzten Filme vor dem Code ist „It Happened One Night” (1934), ein Frank-Capra-Film der 1935 alle Oscars in den fünf wichtigsten Kategorien abräumte, darunter unter anderem „Bester Film” und „Bester Schauspieler”/„Beste Schauspielerin” für Clark Gable und Claudette Colbert. Wenn man die Screwball-Komödie mit Filmen einiger Jahre zuvor vergleicht, merkt man, dass sie schon etwas unter Einfluss des sich anbahnenden Codes stand. Die beiden Hauptcharaktere, die sich im Bus kennenlernen, schlafen in Raststätten zwar im selben Raum, aber mit einem Laken als Trennung zwischen den Betten, das die Hauptfiguren als „Mauern Jerichos” bezeichnen. In der Schlussszene wird das Gebäude nur von außen gezeigt während erwähnt wird, dass nun „endlich die Mauern Jerichos gefallen sind”. Ich kann den Film übrigens generell sehr empfehlen, die Dialoge sind brillant.

Die Einführung und Abschaffung des MPPC-Codes

Versuche, einen Code zu etablieren, gab es schon in den 1920er Jahren – denn natürlich gibt es bei freiheitlichen Revolutionen jeder Art Gegner, die krampfhaft an alten gesellschaftlichen Normen festhalten. Vor allem Präsident Franklin D. Roosevelt und kirchliche Würdenträger, wie William Hays, hatten ihre Probleme mit den in Pre-Code Filmen geförderten Gedanken und Idealen. Hays schaffte es, eine Guidelineliste mit „Don’ts und Be Careful’s” durchsetzen, die jedoch von den meisten Filmstudios nicht sonderlich ernst genommen wurde. Erst 1934 kam es zur endgültigen Durchsetzung eines Codes, welcher es erforderlich machte, für jeden Film eine Zulassungsbescheinigung zu erhalten, bevor er veröffentlicht wurde. Der MPPC-Code wird unter Kennern auch als Hays-Code bezeichnet. Filme jeglicher Art mussten eine Vielzahl von Vorschriften erfüllen. Die bekanntesten sind folgende:

  • keine gezeigte oder auch angedeutete Nacktheit
  • keine Blasphemie
  • keine Gotteslästerung durch Kraftausdrücke (sogar Ausrufe wie “God” und “damn” in einem nicht-religiösen Sinn waren untersagt)
  • keine Einnahme von Drogen/Alkohol
  • keine Sympathie/Glorifizierung für jede Art gesetzwidriger Handlungen
  • keine Liebesbeziehungen zwischen Schwarzen und Weißen

Diese Regeln sind zum Beispiel der Grund dafür, warum man in 40er/50er Jahre-Filmen selten lange, leidenschaftliche Kussszenen sieht. Auf der anderen Seite ist es eben dieser strikte Code, der den Filmen des „Golden Age” ihre Kreativität verleiht. Regisseure waren gezwungen, die Message des Films auf subtilere, raffiniertere Art und Weise zu verpacken. Und diese Raffinesse ist Teil dessen, was den Charm Old Hollywoods ausmacht und Filme Hitchcocks, Capras oder William Wylers unvergesslich macht.

Der Code wurde schließlich durch gewagte, aber geliebte Filme wie „Some Like It Hot” (1959) allmählich mit Füßen getreten, sodass es 1968 mit der „New Hollywood Revolution” zur endgültigen Abschaffung des Hays-Codes kommt. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war auch das „Golden Age” vorüber, welches mit der Einführung des Codes begann.


Die Pflege-Impfpflicht – Grundrechtseingriffe an der Tagesordnung, aber niemanden interessiert‘s

 

Von Anna | Anfang April ist die Forderung nach einer allgemeinen Impfpflicht im Bundestag gescheitert. Zumindest in meinem Umfeld haben sich auch alle mehr oder weniger darüber gefreut. Aber die Aussage “wir haben ja keine Impfpflicht” stimmt so eigentlich nicht. Schließlich gilt seit dem 16.März dieses Jahres eine “einrichtungsbezogene Impfpflicht für den Gesundheits- und Pflegebereich”. Die ist in der breiten Masse jedoch schon lange in Vergessenheit geraten. Medizinisches Personal ist dazu gezwungen mindestens eines der drei Dokumente vorzulegen: einen Impfnachweis (von mindestens zwei durchgeführten Impfungen), einen Genesenennachweis oder ein ärztliches Attest, welches bestätigt, dass sich die Person aus gesundheitlichen Gründen (bislang) nicht impfen lassen darf.

Wenn sich beispielsweise eine Pflegekraft dazu entscheidet keines dieser Dokumente vorzulegen, aus dem einfachen Grund sich nicht impfen lassen zu wollen, drohen ihr verschiedene Konsequenzen, die je nach Bundesland anders ausfallen. Diese “Konsequenzen”, die eigentlich als ungerechtfertigte Strafen bezeichnet werden sollten, können von Bußgeldern (von bis zu 2500 Euro) bis zu Tätigkeitsverboten reichen. Das Bundesverfassungsgericht rechtfertigt so eine durchgreifende Impflicht damit, dass der Schutz gefährdeter Gruppen, also zum Beispiel Senioren in Altenheimen, wichtiger sei als die freie Impfentscheidung. Zwar bekennen sich die Karlsruher Richter zur Intensität eines solchen Eingriffs, meinen aber die im Grundgesetz geschützten Interessen von Gesundheitspersonal stehen in diesem Fall an zweiter Stelle.

Mittlerweile ist schon längst bekannt, dass man mit der Impfung nicht sterile Immunität erreicht und das Virus immer noch weitergeben kann. Ist eine Impfpflicht für Gesundheitspersonal um gefährdete Gruppen nicht anzustecken dann nicht etwas unlogisch? Dass es Ärzte gibt die der Impfpflicht oder der Impfung generell kritisch gegenüberstehen scheint von den Massenmedien völlig ignoriert zu werden. Dr. Med. Jens Wagner, der selbst Patienten gegen Corona behandelte aber auch viele Menschen impfte, hat seine Praxis in Niedersachsen geschlossen. Nicht nur aus dem Grund, dass er sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen möchte, sondern auch weil der gesellschaftliche Zwang sich zu impfen ihn seelisch belastet. Er meint auch, dass Ärzte schnell in einen Topf geschmissen werden und als Kronzeuge für sämtliche Corona-Maßnahmen aufgerufen werden. Das merkt man allein schon daran, dass man im Öffentlich-Rechtlichen Bereich ständig hört: “Experten sind der Meinung…” oder “Experten sagen…” Als gäbe es nur eine große Wissenschaft, die sich immer einig ist und nicht zu verschiedenen Untersuchungsergebnissen kommt…

Die größte Ironie an der Impfpflicht für medizinisches Personal ist jedoch, dass sie den Personalmangel im Gesundheitswesen in Deutschland nur noch befeuert. Schon vor der Pandemie lag allein der Mangel an Pflegekräften schon bei 75.000. Das System war schon lange genug an seiner Belastungsgrenze, bevor sämtliche Politiker in die individuelle Freiheit derjenigen eingegriffen haben, die gerade noch das Gesundheitswesen auf zwei Beinen gehalten haben, und dabei anscheinend die Erwartung hatten, jede Pflegekraft würde sich nach ihnen richten und sich trotz persönlicher Zweifel impfen lassen. Die Impfpflicht in Krankenhäusern gilt in Italien schon um einiges länger als in Deutschland, doch letzten Winter waren Krankenhäuser durch eine Zunahme an Patienten und den Mangel an Fachkräften so belastet, dass Ungeimpfte (mit einer Testpflicht) auf ihren Arbeitsplatz zurückgerufen worden sind. Warum macht Deutschland genau denselben Fehler? Gerade im Pflegebereich wird ein Personalmangel dazu führen, dass dieselben Pfleger eine größere Anzahl an Patienten versorgen müssen, ein Zustand der schon vor der Pandemie verbreitet war und nicht verstärkt werden sollte. Was man sich dabei vor Allem klar machen sollte: Eine niedrige Personaldecke führt zur schlechteren Versorgung der Patienten. Das lässt einen schlussendlich daran zweifeln, ob Politiker mit der Impfpflicht für medizinisches Personal wirklich Coronarisikogruppen schützen oder ob sie nicht sogar das Gegenteil bewirken..


Olafimir Scholzinow: Der schweigsame Zirkusdirektor

Von Anna Graalfs | *Trommel-wirbel* Hier ist er! Der große Olafimir Scholzinow, Zirkusdirektor seit über vier Monaten! Und in diesen Monaten hat man den Manegechef schon ganz gut kennengelernt. Doch was viele nicht wissen: der schweigsame, etwas kleingeratene Hobbykoch geht die Dinge gerne langsam an. “Es muss ja nicht gleich eine große Party sein”, lautet eine seiner wenigen Aussagen bezüglich der Zirkus-Shows. Generell meint man Scholzinow möchte nichts sagen, was er im Nachhinein eventuell bereuen könnte, weswegen er beschließt einfach gar nichts zu sagen. Das ist nachhaltige Problemlösung auf dem höchsten Niveau! Seine wenigen Worte zeugen dann aber von großer Menschenkenntnis und Solidarität gegenüber seinen Angestellten und den Zirkusbesuchern. Ich präsentiere deswegen, die drei Aktionen die Zirkusdirektor Scholzinows Solidarität unter Beweis stellen:

  1. Spritpreise

Höhere Spritpreise wären nicht nur für das Zirkusmobil, das momentan durch ganz Deutschland zieht, sondern auch für die Zirkusbesucher definitiv nicht zumutbar. Scholzinows Worte: “Wer jetzt immer weiter an der Spritpreisschraube dreht, dem müssen die Nöte der Bürgerinnen und Bürger egal sein.” Was eine ausdrucksstarke Message. Auf die Frage, ob er denn wisse, wie viel der Sprit momentan koste, konnte er leider keine Antwort geben. Natürlich könnte man einwerfen: Wie soll die Zirkusshow jemals gut gelingen, wenn der Zirkusdirektor die Sorgen und Wünsche des Publikums nicht kennt? Allerdings zeugt seine Aussage doch viel mehr von Verständnis und Mitgefühl – und wegen eines kleinen Blackouts sollte man doch nicht auf die allgemeinen Fähigkeiten des Direktors schließen. Ein Problem könnte der momentane Russland-Ukraine-Krieg darstellen, der die Spritpreise durch die Decke schießen lässt. Doch ich bin fest überzeugt, dass auch hier Scholzinow ganz viel Empathie für seine Zirkusbesucher parat hat.

  1. Impfpflicht

Das wohl größte Zeichen von grenzenloser Solidarität in Zeiten des Killervirus: Für die Impfpflicht zu stimmen. Und das tat Scholzinus natürlich auch, in der Hoffnung, die rasante Verbreitung des Virus im Zirkuszelt einzudämmen – ungeimpfte Besucher sind ja ohnehin total solidarisch ausgeschlossen worden. Unglücklicherweise ist die Impfpflicht nun gescheitert und die meisten Maßnahmen gegen das Virus sind auch gefallen, doch Scholzinow verspricht, das Virus weiterhin zu bekämpfen.

  1. Enge Zusammenarbeit mit Anne Spiegel

Mehrmals äußerte sich Scholzinus über die enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Energieversorgungs- und Umweltmanagerin der Zirkusses. Er sprach ihr das Vertrauen aus, wenige Stunden vor ihrem Rücktritt. Er hat sie außerdem stolz als “menschlich sehr beeindruckend” beschrieben, was auch immer das genau heißen mag.  Man muss schon sagen, dass der überraschende Rücktritt Anne Spiegels schlechtes Licht auf Scholzinow geworfen hat. Doch er nimmt ihren Rücktritt ganz professionell “zur Kenntnis” und erklärt ihr dann umso professioneller “großen Respekt”.  Naja, vielleicht hat sich Spiegel ja auch nur im Spiegelkabinett verirrt und findet nach einer Zeit wieder ihren Weg zurück zur Show.
Eins steht jedenfalls fest: Wer die Rückendeckung von Scholzinow hat, dem kann nichts passieren. 

Hoffentlich konnte euch dieser Beitrag den im Frack schwimmenden, großherzigen Zirkusdirektor Olafimir Scholzinow etwas näherbringen. Natürlich muss man auch sagen, dass er das Glück hatte einige Dinge, wie die marode Zirkuswehr, von seiner Vorgängerin L’Angelina Merkelassimo geerbt zu haben, dennoch sind Scholzinows Kompetenzen für das Zirkusdirektoramt keinesfalls fragwürdig… Doch nun ist es Zeit, mit der richtigen Show zu beginnen!


Schon wieder Weltuntergang? Ein Blick auf den Expressionismus

Von Anna Graalfs | „Das Leben liegt in aller Herzen wie in Särgen” hat die deutsche Dichterin Else Lasker-Schüler in ihrem Gedicht “Weltende” von 1905 geschrieben. Heute meint man fast dieselbe Stimmung in der Gesellschaft vorzufinden. Erst neulich habe ich eine Klassenkameradin sagen hören: “Ich glaube langsam wirklich, die Welt geht unter.” Aber was erwartet man auch – angesichts tödlicher Viren, der Klimakatastrophe und dem vermeintlich bevorstehenden dritten Weltkrieg.

Wenn man recht überlegt, lassen sich erstaunlich viele Parallelen zu der Zeit des Expressionismus ziehen. Die Jahrtausendwende, vor der viele ja panisch Angst hatten, liegt zwar schon zwei Jahrzehnte zurück, aber mit Putin ist sicherlich ein zweiter Lenin an der Macht. Statt einer Revolution des Proletariats, haben wir es heute allerdings mit einem Aufstand der Klimahüpfer zu tun. Und das wissenschaftliche Gegenstück des Sozialdarwinismus ist heute die “Critical Race Theory“, die davon ausgeht, dass “race” ein soziales Konstrukt sei und Schwarze in unserer Gesellschaft systematisch unterdrückt seien.

Es scheint auch überall nur so von Katastrophen und Weltuntergangsszenarien zu wimmeln. Allerdings haben wir den Vorteil von unserem nahen Lebensende genaustens informiert zu werden, während Autoren des Expressionismus wenig vielfältige Informationsquellen hatten.

Was der Bauer in der Zeitung las, war noch lange nicht das, was er erlebte, als er zum ersten Mal in die Großstadt zog. Autos, mit Menschen überflutete Straßen, schnelles, stressiges Leben, waren alles Dinge, die Menschen so vor der Verstädterung nicht kannten. Das ist auch der wesentliche Unterschied zwischen der Panik im Expressionismus und der Panik von heute: Im Grunde genommen kennen wir alles schon, vor dem wir so sehr Angst haben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war es das Neuartige, was den Menschen Angst einjagte, während es heute das Alte ist, dass zumindest manchen Linksextremen mit den Knien schlottern lässt.

Nehme man zum Beispiel Autos: Damals hatten viele Menschen panische Angst vor ihnen, ein Metallwagen mit lautem Motor statt Pferden vor dem Gespann, hatte ja auch noch nicht jeder gesehen, geschweige denn gefahren. Andere, vor allem die Erschaffer, betrachteten das Automobil unzweifelhaft als technischen Fortschritt. Heute meint man die Grünen würden am liebsten Städte nur mit Lasten-Fahrrädern sehen. Der technische Fortschritt und die mit Autofahren verbundene Freiheit rücken durch eine Angst vor einer CO2-belasteten Zukunft in den Hintergrund. Während damals die Angst konkret in der Gegenwart begründet war, wird sie es heute durch “mögliche Konsequenzen für das Deutschland in zwanzig Jahren, wenn wir es nicht schaffen den Temperaturanstieg um genau 1,5 Grad zu senken” erklärt.

Um ehrlich zu sein, ist es genau das, was mich eher mit Dichtern aus dem Expressionismus sympathisieren lässt, als mit Instagram-Aktivisten. Erst letztens bin ich auf ein Video im Internet gestoßen, in dem sich eine junge Erwachsene während eines Heulkrampfs filmt. Zwischen den Schluchzern höre ich heraus, dass der Grund für ihr Verhalten der ist, dass ihr Chef sie falsch gegendert hat und sie langsam wirklich nicht mehr an das Gute in der Welt glaubt. Ja, an das Gute in der Welt glaube ich langsam wirklich nicht mehr, wenn ich solche Videos sehe. In Alfred Wolfensteins Versen “Unsre Wände sind so dünn wie Haut, daß ein jeder teilnimmt wenn ich weine” oder in Georg Heyms Worten über den Krieg “In den Abendlärm der Städte fällt es weit, Frost und Schatten einer Dunkelheit”, kommen dieses Leid und diese Angst doch wesentlich authentischer zum Ausdruck.

Im Vergleich scheint es fast so, als würde viel Angst auf Social Media daher rühren, Aufmerksamkeit zu gewinnen oder andere mit dem moralischen Zeigefinger belehren zu wollen.  Ich schätze das ist das, was passiert, wenn man seit so langer Zeit in einer Wohlstandsgesellschaft lebt. Das führt aber nicht nur zu imaginären Problemen, die einem die Todesangst heraufbeschwören, sondern auch dazu, dass die Bürger in panischem Chaos ausbrechen, wenn ein wirkliches Problem auftritt. Am genausten sieht man das meiner Meinung nach am momentanen Ukraine-Krieg. Aber wie gesagt, werden wir heutzutage dafür genaustens informiert und das dazu noch mit höchst “objektiven” Informationsquellen. Wir haben das Glück, nur den Nachrichtensender einschalten zu müssen, und schon werden wir mit den neusten Zahlen im Kampf gegen des Killer-Virus bombardiert, während wir auf dem nächsten Sender beruhigende Bilder von auf der Straße klebenden, klimastreikenden Rentnern sehen können.  

Vielleicht ist es das Beste, diese Apokalypsen-Hysterie mit Humor zu nehmen. Jakob von Hoddis tat das bereits in seinem 1911 erschienenen Gedicht “Weltende”, indem er Ereignisse schildert, die eigentlich nichts Neues sind: “Dem Bürger fliegt der Kopf vom Hut” und “Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen”. Durch seinen ironischen und makabren Unterton (“Dachdecker stürzen ab und gehen entzwei”) wird klar, dass er sich über die Menschen lustig macht, die aus lächerlichen Gründen in Panik geraten. Genau deswegen halte ich das Gedicht für so zeitlos, auch wenn die Menschen heutzutage andere (noch verrücktere) Gründe gefunden haben, den Weltuntergang einzuläuten. Gerade den vorletzten Vers finde ich auf amüsante Weise zutreffend: “Die meisten Menschen haben einen Schnupfen”.


Sprachverwüstung und Scheingleichberechtigung – warum ich gendern unnötig finde

Von Anna Graalfs, 15 Jahre | „Liebe Bürger*innen, liebe Schüler*innen, liebe Stadtbewohner*innen, ich begrüße Sie ganz herzlich zu der heutigen Bürger*innen-meister*innen-Wahl!” So oder so ähnlich könnte eine Begrüßung für eine – nein, ich gendere privat nicht – Bürgermeisterwahl stattfinden. Gendern im Sinne der Gerechtigkeit und als reine Gewöhnungssache – das ist im Moment ziemlich kontrovers. Im Folgenden möchte ich erklären, warum ich Gendern, zumindest in der Extremform, für nicht weniger als selbstsüchtigen Zeitvertreib halte. 

Es gibt durchaus Argumente, die die Forderung nach gendergerechter Sprache plausibel erscheinen lassen. Der Grundgedanke dahinter, also das Sich-Sehnen nach Gerechtigkeit, ist nämlich an sich nachvollziehbar. Allerdings stellt sich doch vorerst die Frage, inwiefern die angesprochene Diskriminierung, zumindest in der Sprache, überhaupt vorliegt. Dazu lohnt es sich, sich mit der Unterscheidung von Genus und Sexus vertraut zu machen. Unter dem Eintrag „Personenbezeichnungen“ im Duden wird schnell klar, dass sich der Genus, also DER Baum oder DIE Pflanze, auf das grammatische Geschlecht bezieht und nichts mit dem Natürlichen zu tun hat. Die dritte Klasse des Genus’ besagt, dass das generische Maskulinum nicht nur Männer spezifisch bezeichnet, sondern auch „verallgemeinernd auf Frauen und Männer“ angewendet wird. Es dürfte also diesbezüglich kaum zu Missverständnissen kommen, wenn eine Gruppe von männlichen und weiblichen Schülern mit dem Substantiv „Schüler“ adressiert wird. Durch das generische Maskulinum entsteht also keine Diskriminierung. 

Doch selbst wenn es ein solches Problem gäbe oder man außersprachlichen Sexismus bekämpfen wollte, wäre die Doppelnennung dann eine erfolgreiche Maßnahme? Oder bräuchte es das Binnen-I? Meines Meinung dazu: Ein Wort an sich, ohne jegliche Gestik oder Mimik, verändert nicht das Denken. Es ist das Denken, das die Sprache verändert, die Intention hinter dem Gesagten ist das, was den Unterschied macht. 

Eine gute Sache bringt das Gendern, in Formen wie Gendergap oder Gendersternchen, ja doch mit sich: Die Hervorhebung von Menschen, die weder männlich noch weiblich sind. Aber zu welchem Preis kommt diese? Verständlichkeit geht durch unlesbare Satzungetüme zugrunde. Oder kann mir jemand erklären, wie ich die Genitivform „des Tischlers“ auch nur in irgendeiner verständlichen Weise gendern kann? Aber das Vorzeige-Problem des Genitiv-s ist nicht die einzige sprachliche Hürde, die Genderfanatiker übersehen. Selbst die Substantivierung bringt ihre Probleme mit sich. So stellt sich die Frage, was beispielsweise mit Possessivbegleitern wie „sein“ oder „ihr“ geschieht. Ein anderes Problem sind Substantive, die männliche Personenbeschreibungen enthalten, wie zum Beispiel „Schützenfest“ oder „Wirtshaus“. Wo fängt Gendern also an und wo hört es auf? 

Ich glaube, was vielen Genderbefürwortern nicht bewusst ist, ist diese erschreckende Größe des Eingriffes in unsere Sprache und das mit einhergehende Schwinden von Verständlichkeit. Wenn Gendern also mit großem Aufwand verbunden ist, zu unleserlichen Satzgewirren führt und das generische Maskulinum eh schon alle mit einbezieht, warum tun es dann einige Leute trotzdem? Ich erkläre mir das so: In der Genderdebatte geht es längst nicht mehr um Sprache und ihre Nachteile gegenüber Anderen, sondern vielmehr um ein sozial-politisches Statement, welches auf den Ruf des Einzelnen bedacht ist. Wenn ich gendere, sage ich automatisch: „Seht her! Ich bin Anti-Diskriminierung, ich bin modern, ich gehe mit der Zeit!“ Letztendlich geht es um einen selbst, anstatt um andere Personen.

Eine von „YouGov“ im Jahr 2016 durchgeführte Umfrage zeigt, dass rund 43 Prozent aller über 18-jährigen Deutschen der Meinung sind: „Geschlechtergerechte Sprache nervt mich.“ Und trotzdem glauben 52 Prozent, dass sich diese langsam durchsetzen wird. Wie hiermit im Privaten umgegangen wird, ist wohl jedem selbst überlassen, aber Gendern im öffentlichen Leben als Pflicht einzuführen, wäre – so muss ich doch sagen –  eine höchst undemokratische Bevormundung.