Exklusiv bei Apollo: Die Kunst des Beachings. Erkenntnisse aus 150 Strand-Studien

Von Larissa Fußer | Deutschland ist mal wieder im Panikmodus. Nach zwei Jahren Corona-Alarmzustand umgeben uns jetzt Preissteigerungen und Blackout-Angst. Für viele Deutsche Grund genug, dem Wahnsinn zu entfliehen und sich in den nächsten Billigflieger in die Sonne zu stürzen – so lange man es sich noch leisten kann. Doch auch ein Strandurlaub ist kein Zuckerschlecken (manchmal ist der Caipirinha an der Beach-Bar irritierend sauer) – das zeigen aktuelle Apollo Recherchen auf den Kanaren. Unsere Redaktion hat exklusiven Zugriff auf ein Dokument der deutschen Extrem-Beacher erhalten, das nun erstmals an die Öffentlichkeit gelangt. Lesen Sie hier exklusiv die Studienergebnisse jahrelanger Beaching-Studien der deutschen Beach-Bezwinger-Gesellschaft:

Exklusiver Report: „How To Beach“ – Wissenschaftliche Erkenntnisse aus 150 randomisierten doppelt-verblindeten Strand-Studien 

Seit Fernreisen auch für einkommensschwache Haushalte erschwinglich geworden sind, tummeln sich auf der ganzen Welt sonnenhungrige Strandbesucher aller Couleur und Klassen. Während die Mehrheit der Strandbesucher sich mit grundlegenden Beaching-Methoden à la Handtuch + Sonnenbrille begnügt, hat sich unter den ambitionierten Strandgängern die Kunst des Extrem-Beachings etabliert. Natürlich gewachsen aus dem inhärenten Perfektionsdrang des allgemeinen Beach-Bezwingers, wurden mit den Jahren zahlreiche Methoden entwickelt, die den Strandbesuch nicht zu einem zufällig schönen – sondern zu einem planbar fantastischen Erlebnis machen. Obgleich Extrem-Beaching eine Wissenschaft ist, die sich durch ständige Evaluierung neuer bahnbrechender Innovationen auszeichnet, konnte die deutsche Beach-Bezwinger-Gesellschaft in zahlreichen Studien erstmals den aktuellen Gold-Standard des Beachings ermitteln. In Folge werden die wichtigsten Forschungsergebnisse prägnant zusammengefasst. 

1. Das Mitführen eines Windzeltes ist nicht fakultativ, sondern zwingend

Es mag Amateur-Beacher überraschen, doch die Faktenlage ist bestechend: Ein Urlaub ohne Windzelt ist möglich, aber sinnlos. Egal ob leichte Brise oder starker Sturm – ein gutes Windzelt macht aus einer zugigen Angelegenheit verlässlich eine Brutzel-Wonne erster Klasse. Und es gibt noch weitere Vorteile: Einzelfallberichte weisen daraufhin, dass der Anblick von jungen Damen, die im Bikini ein Windzelt aufbauen, zumindest in nordischen Völkern beim männlichen Geschlecht zu Endorphinausschüttungen führt. Aber Achtung: Die Auswahl des Windzeltes ist mit äußerster Besonnenheit zu treffen. Empfohlen werden Zelte mit Stangen, die nicht erst zusammengesteckt werden müssen, sondern durch moderne Kordeltechniken mit einer Zugbewegung an einem Seil aufgestellt werden können. Heringe zur weiteren Befestigung des High-Performer-Windschutzes sind Pflicht. 

2. Die Wahl der Kopfbedeckung muss von Umweltfaktoren anhängig gemacht werden

Kaum ein Thema wird von Extrem-Beachern so kontrovers diskutiert wie die Wahl des Kopfschutzes. Während die einen überzeugt davon sind, dass nur ein unbedeckter Kopf eines Extrem-Beachers würdig ist, schwören andere auf Wind- und/oder Sonnenschutz durch Basecaps, Strohhüte und Bandanas. Gerüchten zufolge wurden unter Beaching-Koryphäen sogar  vereinzelt gewaltsame Auseinandersetzungen beobachtet: Die deutsche Beach-Bezwinger-Gesellschaft konnte einen Fall bestätigen, bei dem eine Extrem-Beacherin am Strand eine Kombination aus Bandana, Basecap und Sonnenbrille getragen hatte, um gleichermaßen gegen Sonne und Windsausen an den Ohren geschützt zu sein – daraufhin war ihre Kollegin so entrüstet gewesen, dass sie mit der flachen Hand in einer schlagenden Bewegung, die gemeinhin als „Klaps“ bezeichnet wird, den Oberschenkel der Bandana-Trägerin angriff. Um künftig eskalative Auseinandersetzungen wie diese zu vermeiden, empfiehlt unsere Expertenkommission folgende Kopfbedeckungs-Leitlinie: Sobald ein Vertreter des anderen Geschlechts im relevanten Alter in Sichtweite erscheint, sind sämtliche Kopfbedeckungen abzusetzen. Dabei ist darauf zu achten, dass sie nicht in theatralischer Manier dem Haupte entrissen, sondern vielmehr „wie nebenbei“ entfernt werden. Ausnahmen von dieser Regel sind bei besonders windigen Böen oder starkem Sonneneinfall möglich, müssen aber im Plenum der Extrem-Beaching-Gruppe besprochen und entschieden werden. 

3. Richtig Sitzen ist nur mit viel Übung und den geeigneten Hilfsmitteln möglich

Beaching-Beginner krümmen sich bis heute in unmenschlichen Positionen auf ihrem Handtuch zusammen, um ein Buch zu lesen oder Nachrichten auf dem Smartphone zu schreiben. Dabei ist unter Extrem-Beachern längst Konsens, dass eine gewisse Körperhaltungs-Awareness Grundlage eines jeden professionellen Beach-Besuchs darstellt. Die Wahl von Hilfsmitteln kann hier hilfreich sein. Zum Schreiben von wissenschaftlichen Arbeiten am Strand empfiehlt sich zum Beispiel ein Kissen, das im hinteren Gesäßbereich platziert wird und so längeres, wirbelsäulenschonendes Sitzen ermöglicht. Fortgeschrittene können auch einen Strandstuhl einsetzen – hier ist jedoch Vorsicht geboten. Werden Strandstühle von Extrem-Beachern unter 50 Jahren verwendet, darf dies nur mit einer gleichzeitig demonstrativ dargestellten Gelassenheit erfolgen. Diese als „Coolness“ bekannte Selbstdarstellung ist absolut notwendig, da ohne sie die Strandstuhl-Nutzung von anderen Strandbesuchern schnell als „cringe“ bezeichnet werden könnte. Dies muss unter allen Umständen vermieden werden.

4. Kühltaschen sind kein Luxus, sondern gehören zur Basisausrüstung

Ein wichtiger und über Generationen perfektionierter Teil des Extrem-Beachens ist die Planung der kulinarischen Strandversorgung. Zu diesem Zweck hat sich international die Methode „Kühltasche“ durchgesetzt. Nur durch diese innovative Möglichkeit der Speiselagerung können besonders Fleischwaren und Süßigkeiten problemlos auch nach mehreren Stunden Strandaufenthalt verzehrt werden, ohne dass Abstriche in der Konsistenz und Qualität der Produkte in Kauf genommen werden müssen. Wichtig ist hier die Beachtung des Taschendesigns – dem Erfahrungsbericht eines Extrem-Beachers zufolge, birgt zum Beispiel die Auswahl eines Modells in giftgrünen und knallvioletten Farben mit Vogel- und Palmen-Motiven ein eskalatives Konfliktpotential. Wie das langjährige Mitglied der Beach-Bezwinger-Gesellschaft berichtete, wurde seine Auswahl von anderen Beaching-Kollegen als „voll hässlich“ und „peinlich“ bezeichnet. Wer diese Vorwürfe nicht mit absoluter Überzeugung von sich weisen kann, sollte also bestenfalls schon beim Kauf der Tasche Rücksicht auf ästhetische Aspekte nehmen. 

5. Beaching-Präventionsmaßnahmen sind nicht zu vernachlässigen

Bislang wurde von vielen angehenden, aber auch von vereinzelten fortgeschrittenen Beachern die Beaching-Vorbereitung stiefmütterlich behandelt. Zu Unrecht – wie die Schilderung einer Extrem-Beacher-Gruppe zeigt, die ihren Fall kürzlich bei einer Tagung der Beach-Bezwinger-Gesellschaft vorgestellt hat. Die drei Profi-Strandbesucher hatten sich für die Sommermonate vorgenommen, neue Beaching-Areale zu erkundigen. In langen Recherchen wurden unterschiedliche Beach-Locations abgewogen, Strände und Umgebung über Bilder auf Google Maps analysiert und Flüge und Unterkünfte mit großer Einsatzbereitschaft verglichen. Schließlich fiel die Wahl auf einen kleinen Ort in Griechenland. Motiviert und voll ausgerüstet mit Kopfbedeckungen, Tüchern und Strandkissen stürzten die Extrem-Beacher schließlich an den neuen Strand – und waren schockiert. Der ausgewählte Beach bestand ausschließlich aus großen Kieselsteinen – absolut ungeeignet für die importierte Beach-Ausrüstung der Profi-Beacher. Aufgebracht riefen sie die Google Bilder auf, die sie für ihre Recherche verwendet hatten – dort sah der Kies wie grober weißer Sand aus. Doch als die Beacher dann die Google-Kommentare aufriefen war die Ernüchterung groß – dort hatte Amateur-Strandbesucher eindeutig von den Kiesbedingungen berichtet. Die Extrem-Beacher hatten nun die Folgen ihrer mangelnden Beach-Entäuschungs-Prävention zu tragen. 

Ausblick: Extrem-Beaching goes global

Die genannten Erkenntnisse der Beaching-Forschung sind ein großer Fortschritt in der Kunst des Extrem-Beachings. Die deutsche Beach-Bezwinger-Gesellschaft hat es sich daher zum Ziel gemacht, ihr Wissen auch für Amateur-Strandgänger zugänglich zu machen. Besonders möchten wir unser Wissen auch außerhalb der europäischen Grenzen verbreiten – deshalb planen wir Kooperationen mit Thailand und der Dominikanischen Republik. Auf Seminaren sollen Themen wie „Professional Beach-Chairing“ und „Wind Defence“ gemeinsam erarbeitet und geübt werden. Interessenten können sich beim Sekretariat der Beach-Bezwinger-Gesellschaft melden. 


 Stromausfall auf Korfu oder: Wie man eine Apokalypse plant

Von Larissa Fußer | Mein Handyladung stand auf 10 Prozent. Das Nachrichtenlesen auf unser griechischen Sonnenterasse hatte mir meinen Akku leergesaugt – genervt suchte ich nach meinem Aufladekabel und steckte schließlich mein Handy an die weiße Vorrichtung. Nichts. Hatte sich Sand in meinem Ladezugang angesammelt? Konnte eigentlich nicht sein, wir haben hier ja Kiesstrand. Ideenlos pustete ich trotzdem auf die Unterseite meins Handys. Doch es fing immer noch nicht an zu laden. Jetzt war ich langsam genervt. Ein Wechsel der Steckdose, ein anderes Ladekabel, ein Neustart des Handys – nichts half. Als ich schließlich einigermaßen gereizt den Kühlschrank öffnete, um mir einen Saft zu holen, stockte ich. Im Kühlschrank war das Licht aus und er kühlte auch kaum noch. Ich lief zu verschiedenen Lichtschaltern im Apartment und versuchte, sie anzuschalten. Nada. Kein Strom. Nirgends. Da ging mir ein Licht auf beziehungsweise aus: Wir hatten einen Stromausfall.

Es war nicht der erste. Schon zwei mal hatten in den letzten Tagen die Cafébesitzer am Strand plötzlich nur noch Salate statt Buletten verkauft, weil ihnen für ein paar Stunden der Strom fehlte. Abends, wenn ich vom Strand zurück in den Ort lief, war aber immer wieder alles normal gewesen. Nun erlebte ich den Stromausfall zum ersten Mal abseits des Strands. Mürrisch putze ich mir in einem stockdüsteren Bad die Zähne und schloss mein Handy an die Powerbank an. Das funktionierte dann. 

Auf dem Weg zum Strand ging ich in einen kleinen Supermarkt, um mir Essen zu kaufen und sah die griechische Ladenbesitzerin schimpfend mit Verlängerungskabeln hantieren. Als sie schließlich zwei Kabel zusammensteckte ging das Licht im Laden und in den Kühlregalen wieder an. Offenbar hatten die Supermärkte Notstromaggregate. Anklagend hob die alte Griechin die Arme in die Höhe. Ich versuchte ihr auf Englisch zu sagen, dass bei uns auch der Strom ausgefallen war. Sie hob kurz den Kopf, um mich anzusehen, dann aber kam ein alter Grieche in den Laden, auf den sie sich sofort schimpfend stürzte.

Ich verließ den Supermarkt und ging ein paar Meter weiter in ein Reisebüro, das nur deshalb nicht komplett dunkel war, weil durch die große Glasfassade noch genug Licht fiel. „What’s going on?“, fragte ich den Herren am Schalter. Aufgebracht erzählte er mir, dass es diesen Sommer ständig Stromausfälle gebe. Die Ursachen seien nicht ganz klar. Man munkle, dass ein Brand im Nachbarort Schuld sei, er halte von dieser Theorie aber nichts. „Früher gab es hier sowas nie“, sagte er. „Ich kann nicht arbeiten, ich habe kein WLAN, selbst das mobile Internet funktioniert nicht mehr richtig.“ Wütend deutete er auf seinen schwarzen Computerbildschirm. „Meistens werden wir vorher angerufen, wenn sie den Strom cutten. Dann sagen sie, es muss was repariert werden, deswegen gibt es morgen zwischen 8:00 und 13:00 Uhr keinen Strom. Aber heute wurden wir überrascht.“ Er telefoniere schon den ganzen Tag herum, um zu erfahren, was los sei, aber niemand wisse was. Deswegen könne er mir leider überhaupt nicht helfen.

So langsam machte sich ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend breit. Als ich wieder auf die Straße ging und in Richtung Meer spazierte, sah ich über die ganze Strecke nur dunkle Läden. Überall schlugen Griechen die Hände über dem Kopf zusammen, schimpften und telefonierten. Der Strom war offenbar im ganzen Ort futsch. Meine Hand bewegte sich zum Handy in meiner Tasche, das immer noch an der Powerbank hing. Für ein bis zwei Handyladungen würde der Akku noch reichen, dann aber war Sense. Kurz flackerte die Angst in meinem Bauch auf. Erwartet uns so etwas demnächst auch in Deutschland? Hier in Griechenland ist es ja immerhin warm und die Supermärkte sind offenbar an Stromausfälle angepasst – doch was mach ich denn im Dezember in Berlin?

Ein paar Momente später saß ich mit meinen Freundinnen im Strandcafé. Bei einem griechischen Salat planten wir die Apokalypse. „Wir müssen einfach schnell sein“, sagte meine eine Freundin. „Am besten buchen wir sofort ein Flugticket – solange unsere Handyladung das noch mitmacht.“ „Aber funktionierten die Flughäfen überhaupt noch ohne Strom?“, fragte die andere. Kurz guckten wir uns starr an. „Dann fahren wir halt Auto, das Benzin reicht bis nach Polen – und da gibt’s wieder Strom“, sagte ich. „Die Idee werden auch andere haben“, merkte eine Freundin an. „Wir sollten dann unbedingt Schleichwege nehmen.“ Mir war zum Lachen und Weinen gleichzeitig zumute. 

„Wir werden dann Krisenberichterstatter“, sagte meine Apollo Kollegin Pauline später zu mir, als wir vom Strand in den Himmel blinkten. „Ja“, schmunzelte ich. „Aber von Malle aus. Wir können dann ja Drohnen nach Berlin schicken und uns die Lage per Video ansehen. Das wird schon.“ Nach fünf Stunden kam der Strom zurück. Die Apokalypse war vorerst aufgeschoben. 


Antikapitalistisches Theater mit dem Deutsch-LK

Von Larissa Fußer | Es war ein verregneter Abend in Berlin. Mein 16-jähriges Ich hielt sich einen Schal üben den Kopf, damit die lang frisierten Haare nicht zerstört wurden. Ich wartete an der U-Bahnstation auf meine Mitschüler. Gemeinsam sollten wir unsere Deutsch Leistungskurslehrerin ein paar Meter weiter zur Abendexkursion treffen. Wir gingen öfter abends zusammen ins Theater. Gemeinsam mit den Jungs und Mädchen aus meinem Kurs hatte ich schon den Schauspieler Lars Eidinger komplett nackt auf dem Bühne herumtanzen und rappen sehen – als Shakespeares Hamlet, versteht sich. Doch heute Abend stand kein auf modern vergewaltigtes klassisches Stück auf dem Programm – es sollte ein ganz originäres, neues Werk sein. 

Als wir unsere Deutschlehrerin am Eingang zur Volksbühne trafen, erzählte sie, dass alle Karten restlos ausverkauft seien. Wir sollten lieber schnell reinhuschen und uns Plätze suchen. Ich verstand nicht, was sie meinte – wieso hatten wir denn nicht einfach Sitzplatzkarten wie in anderen Theatern? Als ich den Saal eintrat, bekam ich die Antwort: Es gab keine Sitzplätze. Vor der Bühne breitete sich nur eine große schräge Fläche aus – ganz ohne Stühle. Sichtlich unbehaglich setzten sich ein paar Besucher gezwungenermaßen auf den Boden. Wir taten es ihnen gleich. Als Teenies machte uns das nicht so viel aus. Schließlich setzten wir uns mit unseren Klamotten auch auf nasse Wiesen im Park. Lustig war allerdings zu beobachten, wie sich meine Deutschlehrerin auf den Boden setzte. Sie tat es mit gespielter Leichtigkeit. Wahrscheinlich dachte sie in ihrem Innern, dass es bourgeois sei, sich nicht auf den Boden setzen zu wollen. Und so etepetete wollte sie als Kommunistin (die mit uns ein Semester lang nur Berthold Brecht behandelt hatte) nicht sein.

Schließlich ging das Licht aus und das Stück fing an. Was dann folgte, habe ich nur noch bruchstückhaft in Erinnerung. Auf jeden Fall war es Chaos – keine Dialoge, keine nachvollziehbare Handlung. Nur Figuren, die sich wie wahnsinnig über die Bühne bewegten und entweder gar nichts sagten oder in alarmierendem Ton kurze Sätze riefen. Ich weiß noch, dass immer wieder eine Gruppe gleich gekleideter Menschen über die Bühne schritt und monoton „Wir sind ein Kollektiv“ raunte. Als Höhepunkt der Inszenierung habe ich einen Mensch in Krankenkostüm in Erinnerung, der sich mindestens eine Stunde lang qualvoll über die Bühne bewegte und seine Tentakeln dabei schüttelte. 

Endlich war der Spuk vorbei und die Menge tobte vor Applaus. Ich saß immer noch auf dem Boden und fragte mich, während ich höflich klatschte, ob ich nur zu ungebildet war, um diesen Irrsinn zu verstehen. Als wir uns mit unserer Lehrerin an der Theaterbar trafen, lächelte sie verschmitzt. Ihr hatte es offenbar gefallen. „Na, für was stand die Krake?“, fragte sie uns. Schweigen im Walde. Schließlich sagte eine Mitschülerin: „Ich glaube, sie sollte den Kapitalismus darstellen, der wahnsinnig und brutal die Menschen auseinanderreißt“. „Sehr gut“, lobte sie unsere Lehrerin. Ich war verstört und dachte bei mir: „Lieber guck ich mir noch zehn nackte Hamlets an, als noch einmal so ein kommunistisches Ausdruckstheater.“ Vielleicht war das ja der Tag, an dem ich anfing, liberal zu werden.


Tim Röhn und die Kunst des Presseanfragen-Terrors

Von Larissa Fußer | Andere zu loben ist schwer, vor allem, wenn man es ernst meint – das hat glaube ich mal Konfuzius oder Dieter Bohlen gesagt. Ich möchte es trotzdem mal versuchen.

Lieber Tim Röhn, Du hast mir so manchen tristen Tag im letzten Lockdown-Winter versüßt. (Ich kann dich doch dutzen, oder? So unter Kollegen und so..) Und bevor jetzt jemand was sagt, nein Du bist nicht wirklich mein Typ. Immerhin definierst Du dich immer noch ganz schön über deine ehemalige Arbeit als Migrations- und Kriegsreporter in Afghanistan und haste nicht gesehen – das nervt ein bisschen. Dennoch: Im letzten dreiviertel Jahr habe ich allzu oft an einem Sonntag, Montag, Mittwoch (es gab keinen Unterschied) auf dem Sofa gesessen, Twitter durchgescrollt – und mich dann über einen deiner Tweets gefreut. Manchmal hast Du eine Corona-Statistik in Frage gestellt und selber einmal nachgerechnet, andere Male hast Du Presseanfragen gepostet, auf die Du keine oder nur unverschämte Antworten bekommen hast.

Es hat Spaß gemacht, deine Reportagen für die WELT quasi „work in progress“ zu verfolgen – vor allem aber warst Du einer der wenigen Journalisten, der beim medialen Ungeimpften-Bashing nicht mitgemacht hat. Du warst nicht gegen die Impfung, aber Du hast den damaligen gesellschaftlichen Konsens, die Umgeimpften würden die Infektionszahlen in die Höhe treiben, hinterfragt und widerlegt, wo Du nur konntest. Und Du hast durch deine Recherche Fakten geliefert in einer Zeit, in der wohl viele Menschen das Gefühl hatten, keiner der mit dem Megafon verbreiteten Coronazahlen noch vertrauen zu können.

Los ging das im letzten Dezember 2021. Da hast Du diese große Nummer aufgedeckt, dass in Bayern und Hamburg die offiziellen Ungeimpften-Inzidenzen massiv verfälscht waren, weil alle Neuinfizierten ohne bekannten Impfstatus den Ungeimpften hinzugerechnet wurden. Das war nicht ohne – immerhin hatten Markus Söder und der Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher die Zahlen als Begründung für ihre harten Lockdownmaßnahmen für Ungeimpfte verwendet. Wie Du das hingekriegt hast, hast Du neulich mal in einem Interview mit dem „KOM“- Magazin erzählt. Dir kamen die hohen Ungeimpften-Inzidenzen in Deutschland komisch vor, da hast Du „einfach mal nachgefragt bei der Pressestelle des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Bayern“. Und dann herausgefunden, dass „in einer Woche 70 Prozent der Fälle nicht bekannt waren – und eben den Ungeimpften zugerechnet wurden“.

Dasselbe hast Du in Hamburg versucht. Da allerdings ohne großen Erfolg. Die Behörden der Hansestadt wollten euch die Daten nicht geben und da bist Du dann etwas wild geworden und hast zusammen mit eurer WELT-Rechtsabteilung den Hamburger Senat auf Herausgabe von Unterlagen nach dem Hamburger Transparenzgesetz verklagt. Da bin ich etwas neidisch muss ich sagen, wir Apollos haben zwar erstaunlich viele Jura-Studenten in unseren Reihen, aber noch keine Rechtsabteilung, die wir auf namenhafte Politiker loslassen können. Dahingehende Bewerbungen können übrigens gerne jederzeit an unsere Redaktion geschickt werden.

Aber zurück zu dir, Tim. Na der Inzidenzen-Nummer bist Du erst richtig durchgestartet. Seit Kurzem bist Du nun Chefreporter der WELT und Leiter des Ressorts Schwerpunktrecherche – und dein neues Ziel Nummer eins heißt Lauterbach. Über dreißig Artikel hast Du im letzten halben Jahr über unseren Gesundheitsminister veröffentlicht. Jeder einzelne ist befriedigend vernichtend. Zuletzt hast Du durch deine Recherchen öffentlich gemacht, dass Lauterbach offensichtlich versucht, die vom Bundestag angewiesene Evaluation der Coronamaßnahmen zu behindern. Noch bis Ende Juni 2022 soll ein Sachverständigenrat ein Gutachten darüber veröffentlichen, welchen Nutzen und welchen Schaden die Corona-Politik von Bund und Ländern gebracht hat. Mehr als überfällig, würde wohl jeder vernünftige Mensch sagen. Nur Lauterbach kriegt offenbar Muffensausen und dreht – laut deiner Recherche – nun komplett durch.

Ende April hat er in Eigeninitiative den Vorsitzenden des Sachverständigenrats Stefan Huster angerufen und gesagt, dass die Maßnahmenevaluation verschoben werde. Obwohl er das gar nicht ohne Zustimmung von Bundestag und Bundesregierung entscheiden durfte. Pech nur, dass Herr Huster das wusste und seinen Ratskollegen mitgeteilt hat. Im Moment plant der Rat nach wie vor seinen Bericht fristgemäß abzugeben. Und ich bin mir sicher, falls nur einer der Mitglieder wackelt, wirst Du seiner Pressestelle Feuer unterm Hintern machen.
Also Tim, Hut ab für dein ständiges Finger in die Wunde legen! Wir von Apollo teilen deine Leidenschaft für’s Investigative. Und sicher gibt’s auch einige Mädels, die auf dein Kriegsreporter- Image stehen.

PS.: Jetzt wo wir das mal klargestellt haben, eine Sache noch. Wie Du siehst, sind wir bei Apollo immer vorne dabei, jedem die Ehre zukommen zu lassen, dem sie auch gebührt. Du leistest gute Arbeit und das verdient Anerkennung, egal ob Du für die Konkurrenz arbeitest oder nicht. Leider kann man das gerade von der Welt nicht sagen. Wir waren doch schon sehr erstaunt, als wir die Bilder der Berlin-Akten, die wir selbst gemacht haben, in deiner Zeitung gesehen haben – ohne Verweis auf Tichys Einblick oder was auch immer. Wir kritischen Journalisten müssen doch zusammen arbeiten. Also wenn Du da vielleicht was drehen könntest, würden wir Dich bestimmt noch besser finden…


Sind wir heimlich alle 60-Jährige? Leaks zu unserem Apollo-Ausbildungsprogramm

Von Larissa Fußer | Sicher fragt sich der eine oder andere, woher unsere jungen Autoren das Know-How für unsere Arbeit haben. Im Internet kursieren die wildesten Theorien: Finanziert vom Mossad, ausgebildet von Putin – wir wundern uns schon, dass uns noch niemand unterstellt hat, vom Mars aus ferngesteuert zu werden. Was sich offenbar kaum einer vorstellen kann: Wir bilden unsere Leute selber aus – und das schon seit über drei Jahren.

Apollo News wurde in einem Kinderzimmer unter einem Hochbett gegründet. Unser Gründer Max war damals 15 Jahre alt, das älteste Gründungsmitglied war damals 18. Unser Ziel war von Anfang an, eine Plattform zu gründen, auf der nicht von erwachsenen Journalisten in peinlich aufgesetzter Jugendsprache diktiert wird, was die Jugend jetzt denken sollte. Wir wollten authentische Artikel veröffentlichen – von Jugendlichen für Jugendliche. Dafür wurden Tage, Nächte und Klassenarbeiten geopfert. Unsere Autoren haben in der Anfangsphase unseres Blogs in jeder freien Minute recherchiert, Artikel geschrieben, Videos gedreht und den Blog auf Vordermann gebracht. Alles in Eigenregie und ohne finanzielle Unterstützung. Was als Schnapsidee von ein paar pubertierenden Jugendlichen angefangen hat, entwickelte sich so schnell zu einem Netzwerk für junge Journalisten – mit eigenem Blog und Ausbildungsprogramm. 

Von Beginn an hatten wir dabei ein Problem zu bewältigen: Wie finden wir in einem Meer unpolitischer oder links-verblödeter Jugendlichen die pro-westlichen und liberal-konservativen junge Leute? Und wie bringen wir sie zusammen? Klar war ja: Öffentliche Aktionen – ob nun Plakate, Sticker oder Aushänge – waren heikel. Man wollte es sich ja nicht unnötig mit seinen SPD-Wähler-Lehrern oder gar den Antifa-Mitschülern verscherzen. Wir begannen also, Ausbildungsseminare für unsere jungen Autoren auf die Beine zu stellen. Mit Tichys Einblick fanden wir einen Partner, der uns dabei professionell unterstützt und das journalistische Fachwissen beisteuert. 

Seitdem treffen wir uns drei- bis viermal im Jahr für ein Wochenende mit zwanzig ausgewählten Teilnehmern zwischen 15 und 25 Jahren in einem schön gelegenen Hotel und üben das journalistische Schreiben. Die entstandenen Artikel werden bei TE Online, im TE Heft und/oder bei Apollo veröffentlicht. Mit dabei sind jedes Mal renommierte Publizisten, die das Programm mit Vorträgen unterstützen. Zu Gast waren unter anderem schon: Roland Tichy, Hans-Georg Maaßen, Henryk M. Broder, Peter Hahne, Vera Lengsfeld, Alexander Wendt und viele mehr.

Abends sitzen wir meist noch bis in die Puppen zusammen und quatschen – denn wann ist man als junger Mensch, der nicht links-grün tickt, schon mal unter Gleichgesinnten? Fast jeder unserer Autoren kann Geschichten davon erzählen, wie schwierig es ist, in der Schule und in der Uni, teilweise sogar unter den eigenen Freunden, zu seiner Meinung zu stehen. Da wird man gern mal als Klima- und Corona-Leugner, Asozialer oder Nazi beschimpft. Unsere Seminare sind für viele Leute die Gelegenheit, endlich mal ganz frei über den Fall Johnny Depp und Amber Heard zu diskutieren, sich darüber auszulassen, warum ein Mietendeckel wirtschaftlicher Nonsens ist oder sich darüber aufzuregen, dass unsere Politiker mal wieder mit Despoten flirten. Manchmal sitzen wir aber auch einfach nur in großer Runde zusammen und singen Lieder von Hans Albers („Auuuuuf der Reeperbahn nachts um halb eins…“) oder rudern im Sternenlicht über den nahgelegenen See.

Über die Jahre sind wir so zu einer beachtlichen Autorengruppe zusammengewachsen. Von den Nordseeinseln bis zum Tegernsee schreiben unsere Autoren nun für Apollo. Und wir freuen uns sehr, wenn noch mehr junge Schreibinteressierte zu uns stoßen! Vorwissen ist nicht nötig: Wie gesagt – wir haben selbst als Jugendliche unter’m Hochbett angefangen. Und keine Scheu – von 15 bis 27 Jahren ist bei uns jede Altersgruppe vertreten – wir möchten also ausdrücklich auch die Schüler zu uns einladen!

Wie es der Zufall will, steht das nächste Seminar auch schon vor der Tür. Vom 24. bis 26. Juni treffen wir uns wieder in einem Hotel im Berliner Raum. Das beste: Ein paar wenige Plätze sind noch frei! Interessierte zwischen 15 und 25 Jahren können sich ab sofort bewerben. Schreib einfach eine Mail an larissa.fusser@apollo-news.net. Wir schicken dann alle weiteren Infos zu.


40.000 Seiten Wahlprotokolle und Ärger mit der Präsidentin des Berliner Verfassungsgerichts

Von Larissa Fußer | Ich kam direkt von der Uni mit dem Auto angedüst. Während ich eine Baustelle nach der anderen slalomartig durchfuhr, ging ich in Gedanken die Anweisungen durch, die ich gerade noch von meinen Apollo-Kollegen bekommen hatte: „Du musst den Hintereingang nehmen“, hatten sie gesagt. „Dann kommst du in eine Schleuse, in der sie dich einmal durchleuchten. Sie werden dich fragen, was du hier willst. Dann sagst du deinen Namen und dass du zur Sichtung der Wahlunterlagen der Berlin-Wahl angemeldet bist“. Ich parkte mein Auto und spürte mein Herz schneller schlagen. Vor mir stand das riesige Gebäude des Berliner Verfassungsgerichts. Unwillkürlich guckte ich an mir herunter – ob die mich mit einem kurzen Kleid überhaupt hereinlassen? Ach was, bei „Drei Engel für Charlie“ kommen die drei Agentinnen ja auch mit hautengen Outfits überall rein, dachte ich mir und schmunzelte. Mir kam das alles surreal vor. Wir zehn Apollos spazieren jetzt also einfach ins Verfassungsgericht hinein und gucken uns als erste Menschen überhaupt die Unterlagen zur verpfuschten Berlin-Wahl an. Das können wir mal unseren Kindern erzählen. 

Als ich den Hintereingang gefunden hatte, richtete ich mich auf und atmete tief ein. Mit ernster Miene schritt ich durch die Tür, stellte mich in die angekündigte Schleuse und stand plötzlich vor drei Männern vom Gorilla-Typ, die mich streng beäugten. „Mein Name ist Larissa Fußer, ich bin angemeldet“, sagte ich und versuche dabei möglichst gelassen zu wirken. Der Obergorilla baute sich vor mir auf, kniff die Augen zusammen und murrte schließlich: „Madame, hier gilt immer noch Maskenpflicht“. Mir fiel ein Stein vom Herzen. „Ach so! Na das wusste ich ja nicht, tut mir sehr leid“, säuselte ich und kramte eine fusslige OP-Maske aus meiner Tasche. Sobald ich sie aufgesetzt hatte, war plötzlich Frieden und ich durfte passieren. 

Die Tür führte mich in eine riesige Eingangshalle, die das Setting für sämtliche Gerichtsserien hätte sein können. Über mehrere Etagen erstreckte sich ein symmetrisch angelegtes Arrangement aus Treppen und Balkonen aus weißem Stein. Hier und da waren Säulen angebracht, die Lampen waren von Stuck umsäumt. Es war kühl und leise – der Geruch erinnerte mich an Bibliothek. Inmitten der großen Aufgangstreppe stand mein Apollo-Kollege Jerome. Er grüßte mich und lief schnellen Schrittes los – es begann eine Labyrinthwanderung durch mehrere Stockwerke, Nebengänge und Torbögen. Ich kam kaum hinterher, so schnell wand sich Jerome durch die verzweigten Flure. Schließlich standen wir von einer schweren Holztür im Hintergang des Hinterflügels und mein Kollege drückte die Klinke mit einer Leichtigkeit, als würde er sein Wohnzimmerbetreten. Kein Wunder – Jerome steckte hier schon seit Tagen seine Nase in die Akten. Hinter der Tür verbarg sich, so schien mir, die letzte Hürde vor dem gesuchten goldenen Zimmer. Zwei Sekretärinnen blickten mich hinter FFP2-Masken skeptisch an – und schwiegen. „Hallo, ich bin Larissa Fußer, ich bin angemeldet, um die Wahlunterlagen einzusehen“, sagte ich wieder bemüht lässig. „Ausweis bitte“, murrte eine der Damen hinter dem Schreibtisch. Ich zeigte meinen Perso, die Sekretärin hakte auf einem Zettel etwas ab und zeigte dann tatsächlich auf eine offene Tür links im Zimmer, aus der bereits bekannte Stimmen zu hören waren. 

Und da saßen sie dann, meine Apollo-Kollegen. An großen Tischen, die im Kreis angeordnet waren. Vor Ihnen kistenweise Aktenordner und einzelne Wahlprotokolle. Die Fenster waren aufgerissen, von draußen schien die Maisonne herein. Doch drinnen herrschte aufgeregte Arbeitsatmosphäre, ich wurde kurz gegrüßt, doch dann vertieften sich alle wieder in ihre Akten. Max schritt derweil durch den Raum und telefonierte im bestimmten Journalisten-Tonfall. Ich ging zu Pauline, die gerade angestrengt einen Batzen Wahlprotokolle aus einer Bierkiste heraus hievte. „Das sind die Dokumente aus Kreuzberg!“, stöhnte sie und lachte. Natürlich war Kreuzberg der einzige Bezirk, der es offenbar nicht für nötig gehalten hatte, vielleicht lieber einen Umzugskarton statt einen Alkoholkiste für die Unterlagen zu verwenden. Aktenordner waren wohl auch zu bürgerlich – die Protokolle wurden einfach lose in die Kiste geschmissen. Vermutlich hatten die Wahlhelfer die Hoffnung gehabt, sie nie nie nie wieder sehen zu müssen. Aufgebracht und ein bisschen aufgeregt erzählte Pauline mir: „Die haben echt fast überall die falschen Stimmzettel gehabt! Auch bei uns um die Ecke in den Wahllokalen haben sie einfach Stimmzettel aus Charlottenburg an die Leute verteilt und sie damit wählen lassen, bis der Fehler aufgefallen ist. Dann wurden alle bisher abgegeben Stimmen für ungültig erklärt.“ Pauline und ich hatten beide in Kreuzberg gewählt. „Bist du dir sicher, dass du den richtigen Stimmzettel hattest?“, fragte sie mich. „Ich glaube schon“, sagte ich – war mir bei genauer Überlegung aber gar nicht so sicher. Immerhin hatte ich vier Zettel auf einmal in meiner kleinen Wahlkabine vor mir ausgebreitet und nicht groß überlegt, wen oder was ich wählen sollte.

Elisa und Jerome waren derweil konzentriert dabei, die Dokumente anderer Bezirke zu durchforsten. Akribisch inspizierten und fotografierten die beiden ein Blatt nach dem anderen. Dabei sahen sie aus, als hätten sie nie einen anderen Job gemacht. Elisa scherzte: „Das ist ja wie in einer großen Anwaltskanzlei hier. Und wir sind die schicken Anwaltsgehilfen mit Anzug und Kostüm!“. Doch leider hielt die gute Stimmung nicht lange an. Nach ein paar Stunden platze plötzlich eine Frau herein, die sich als wissenschaftliche Mitarbeiterin Präsidentin des Berliner Verfassungsgerichtshofs, Ludgera Selting, vorstellte. Wutentbrannt schnauzte sie unser kleines Team an, dass die Präsidentin mitbekomme habe, dass wir die Vorgänge am Wahltag aus den Akten bei TE öffentlich machen, und nun „sehr irritiert“ sei. Man prüfe sogar rechtliche Schritte, wurde uns entgegen geknallt. Für die verbleibende Zeit durften wir unsere freiwillige Recherchearbeit also unter den Augen von mehreren Mitarbeitern des Gerichts weiterführen, die jede unserer Bewegungen akribisch überwachten. Als krönender Abschluss der Einschüchterung kam dann die Präsidentin selbst noch einmal bei uns vorbei und fuhr die gesammelte Mannschaft an, was man sich hier erlaube, und dass das ja „unglaubliche Vorfälle“ seien. Tja, liebe Präsidentin, diese „Vorfälle“ nennt man Journalismus.


Die Krankenhausserie „The Knick“ nimmt uns mit zu den Anfängen der modernen Medizin

Von Larissa Fußer | Begeistert euch Medizin? Vermutlich schütteln viele von euch den Kopf. Verständlich – in den letzten zwei Jahren haben uns Ärzte und Epidemiologen die letzten Nerven geraubt. Unsinnige Regeln, Lockdowns, tägliche Infektionszahlen-Updates, ständiges Stäbchen in die Nase Stecken, Impfempfehlungen, Bedrängungen – böse Zungen würden sagen, die Medizin wurde eingesetzt, um die Menschen zu kontrollieren, nicht um sie zu heilen. Vermutlich gibt es auch ein paar unter euch, die nach zwei Jahren Pandemie den Ärzten weniger vertrauen, als vorher. Was wir aber in all der verständlichen Abneigung gegen die Doktoren-Drangsalierung nicht vergessen sollten: Noch vor 100 Jahren sind die Menschen in der westlichen Welt im Schnitt nicht mal 60 Jahre alt geworden, um 1870 starb man sogar noch vor dem 40. Lebensjahr. Heute liegt die durchschnittliche Lebenserwartung bei ca. 80 Jahren und wir dürfen damit rechnen, dass unsere Kindeskinder noch länger leben werden. Da hören selbst die Konservativen auf, sich in frühere Zeiten zurückzuwünschen, oder? 

Die enorme Verminderung der Sterblichkeit, die Entdeckung zahlreicher Behandlungs- und Heilungsmethoden, chirurgischer Verfahren und Mittel der Bildgebung – all das ist das Ergebnis der Arbeit vieler mutiger Ärzte – und etlicher toter Patienten. Ich habe eine Serie entdeckt, die uns in die Zeit mitnimmt, in der Medizin noch bedrückend blutig war und die Überlebenswahrscheinlichkeit schwerkranker Patienten einem Lottogewinn glich. „The Knick“ ist eine US-amerikanische Serie aus den Jahren 2014/15, die im New York des frühen 20. Jahrhunderts spielt. Hauptfigur Dr. John W. Thackery ist Chefchirurg im Knickerbocker Hospital, sein Charakter erinnert an den von Dr. House: griesgrämig und empathielos, aber genial. Dr. Thackery brennt für seinen Beruf und arbeitet kontinuierlich daran, neue OP-Verfahren zu entwickeln und alte zu verbessern. Wir sehen ihn live in Aktion in einem OP-Saal wie er vor hundert Jahren ausgesehen hat – und es dreht sich einem der Magen um.

Heutzutage kann man den Patienten im OP unter Wärmedecken, Schläuchen, Kabeln und Monitoren ja kaum noch erkennen – doch damals bestand die einzige Überwachung der Lebensfunktionen aus einer Schwester, die ängstlich ein Stethoskop auf die Brust des Patienten drückte und nebenbei den Puls fühlte. In einer Szene sehen wir Dr. Thackery und seine Kollegen, wie sie bei einer Frau mit Schwangerschaftskomplikationen einen Kaiserschnitt durchführen. Gleich zu Anfang wird dem Publikum verkündet, dass alle bisher operierten Patientinnen mit diesem Krankheitsbild verstorben seien – man nun aber ein neues, besseres Verfahren entwickelt habe. Thackery schneidet den Bauch auf, sofort quillt Blut heraus. Ein Assistenzarzt macht sich daran, das Blut mit einem Sauger zu entfernen – dabei kurbelt er wie ein Irrer an einer Drehvorrichtung, die offensichtlich den Sog zum Abfließen des Blutes erzeugt. Doch das Blut hört gar nicht mehr auf zu fließen – die blanken Hände der Chirurgen sind voll davon. OP-Handschuhe gibt es noch nicht. Langsam bekommt die Schwester Angst – der Puls der Patientin sei sehr unregelmäßig. Die Ärzte versuchen mit Nadel und Faden irgendwie die Blutungsquelle zu verschließen – doch es ist schon zu spät: Die Schwester meldet, dass kein Puls mehr vorhanden ist.

Die gescheiterte OP ist für Thackery Anlass, sich in die Forschung zu stürzen. Tage und nächtelang macht er sich – wohlgemerkt bis zum Rand vollgepumpt mit Kokain – daran, die OP-Methode zu verbessern. Er mietet sich Prostituierte, um ihre Gebärmuttern zu erforschen. Sein Vorgehen übt er an Schweinen. Und während der Chefarzt aus seinem Studienzimmer nicht mehr herauskommt, werden im Krankenhaus immer mehr neue Erfindungen eingeführt. Größter Kracher: Elektrizität. Unter Murren der Schwestern werden überall elektrische Lampen angebracht. Natürlich passiert, was passieren musste: Schon nach kürzester Zeit brennt eine Sicherung durch und das Krankenhaus ist stockdunkel – sofort werden die altbewährten Gaslampen wieder angezündet. Doch das ist noch lang nicht alles: Das erste Röntgengerät, das erste Endoskop (Gerät, um in tiefe Körperöffnungen hineingucken zu können), der erste Elektrokauter (Gerät, mit dem man durch einen erhitzten Draht eine Blutung stillen kann) und der automatische Sauger werden Stück für Stück Teil des medizinischen Alltags. Nebenbei forschen die Ärzte noch an der fixen Idee, dass es mehr als eine Blutgruppe geben könnte, und versuchen Syphilis mit Malaria-Erregern zu heilen. 

„The Knick“ ist eine Hommage an den enormen Erfindergeist der Mediziner, der in den letzten 150 Jahren dazu geführt hat, dass wir unsere Lebenserwartung verdoppeln konnten. Dabei unterschlägt die Serie nicht, dass die medizinische Forschung oft blutig und grausam war – und manchmal mehr Leben gekostet als gerettet hat. Heute wiederum darf sich alles medizinische Forschung nennen, was in Wirklichkeit nur eine schlampig durchgeführte Pflichtumfrage unter Kommilitonen für die Doktorarbeit war. Deutschland hat sich im Bereich Energiegewinnung und Autoindustrie schon länger „dem Klima zuliebe“ gegen den Fortschritt entschieden. Und auch in der Medizin gibt es leider immer mehr Ärzte, die lieber die Erde als ihre Patienten schützen wollen, und zum Beispiel monieren, dass zu viele medizinische Geräte nur einmal benutzt werden. Man könne ja das OP-Besteck auch einfach mehrmals verwenden… Da wünscht man sich doch lieber einen gestörten, aber fortschrittshungrigen Dr. Thackery.

Neugierig geworden? Hier könnt ihr den Trailer der ersten Staffel „The Knick“ sehen:  

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Der magische Lothar und sein größter Trick: Impfnebenwirkungen wegzaubern

Von Larissa Fußer | Uuuuuund jetzt meine Damen und Herren, präsentieren wir Ihnen unseren unvergleichlichen, unbeschreiblichen und landesweit bekannten Mann der Magie. Verwirrung ist sein zweiter Vorname, Sinnestäuschung seine Profession. Er hat seine Ausbildung als Tierarzt an den Nagel gehängt, um Sie, meine Damen und Herren, hier und heute in einen Irrgarten der Illusionen zu führen. Freuen Sie sich besonders auf seinen berühmtesten Trick: Mit Tuch und Zauberstab wird er Impfnebenwirkungen wegzaubern. Sie glauben, das ist nicht möglich? Dann sehen Sie selbst! Applaus für Lothaaaaaaaario Wieleraaaaaaaaano!


Kennst du das: Du erzählst deinen Freunden etwas und weil Du dich ein bisschen aufplustern willst, lehnst du dich dabei aus dem Fenster – vielleicht behauptet du etwas, von dem du eigentlich keine Ahnung hast – zum Beispiel, dass Armenien in Nordafrika liegt. Du stößt auf irritierte Blicke. Doch zum Glück weiß von deinen Freunden auch niemand genau, wo Armenien liegt. Es beginnt in den Köpfen zu rattern. Einer sagt: Ich glaube, Armenien liegt in Asien. Du presst die Lippen zusammen, du bist selber unsicher. Doch das dürfen die anderen nicht merken – diese Blöße willst du dir nicht geben. Also sagst du: „Ach Quatsch, da hast du wohl in der Schule nicht aufgepasst“. In deinem Magen breiten sich Unbehagen aus. Hat dein Freund vielleicht recht? Jemand anderes holt einen Atlas und fängt an zu blättern. „Ach, ihr seid doch bekloppt, dass ihr mir nicht glaubt“, schimpfst du. Dein Freund deutet auf eine Seite: „Ha! Ich habe Armenien gefunden!“ Du gerätst in’s Schwitzen. Welche Ausrede fällt dir jetzt noch ein?


So ähnlich muss es Lothar Wieler und seinem „Partner in Crime“ Karl Lauterbach im Moment mit den Impfnebenwirkungen gehen. Seit wir die Corona-Impfung haben, preisen der RKI-Chef und unser Gesundheitsminister die Vakzine so aggressiv an wie ein türkischer Markschreier seine Tomaten. Nur während du und ich gewiss auch mal eingestehen können, wenn wir uns getäuscht haben, bleiben Wieler und Co bis heute unbeirrt sturköpfig. Während ich diesen Artikel schreibe, appelliert Lothar Wieler im Titelbild seines Twitter-Accounts: „Lassen Sie sich impfen. Impfen schützt Sie und die Menschen, die Ihnen wichtig sind!“. Von schwerwiegenden Impfreaktionen, gar Schäden hat man von Herrn Wieler bis heute nichts gehört. Sein Kollege Karl behauptete sogar im Februar bei Anne Will: „Die Impfungen sind mehr oder weniger nebenwirkungsfrei“.

 


Aber was ist, wenn Armenien doch in Asien liegt? Inzwischen häufen sich Berichte über schwerwiegende Nebenwirkungen nach der Covid-Impfung, manche mit Todesfolge. Das Paul- Ehrlich-Institut (PEI) schreibt in seinem Sicherheitsbericht vom 7. Februar 2022, dass bis Ende letzten Jahres 29.800 Verdachtsfälle von schwerwiegenden Impfnebenwirkungen registriert wurden. Das sind 0,02 Prozent der insgesamt 149 Millionen erfolgten Impfungen in Deutschland. Bei 2.255 Meldungen handelte es sich um Verdachtsfälle mit „tödlichem Ausgang“. Zu den genannten schweren Nebenwirkungen gehören unter anderem die Sinusvenenthrombose (Verstopfung der großen Hirnvene durch Blutverklumpungen), die Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen sowie Anaphylaktische Reaktionen (potentiell lebensbedrohliche allergische Reaktionen).


Doch immer mehr Ärzte vermuten, dass nur ein Bruchteil der Impfnebenwirkungen beim PEI erfasst werden. In einer mdr-Doku berichtet Professor Harald Matthes, ärztlicher Leiter des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe und Stiftungsprofessor am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité, dass seine eigene „ImpfSurv“-Studie zu Impfnebenwirkungen 40 mal mehr Fälle als das PEI registriert habe (0,8 Prozent im Vergleich zu den 0,02 Prozent des PEI). Matthes erklärt: „Man muss davon ausgehen, dass wir beim Paul Ehrlich Institut eine erhebliche Unterfassung haben, weil wir in unserem Register höhere Zahlen haben. Und wenn wir unsere Zahlen mit denen von Israel, Kanada und Skandinavien vergleichen, kommen wir auf die gleichen Zahlen.“ Dieser Vergleich lege nahe, dass bei dem PEI zu wenig Fälle registriert werden.

Eine mögliche Ursache für die Untererfassung könnte sein, dass viele Ärzte die Symptome ihrer Patienten nicht mit der Impfung in Verbindung bringen und sie deswegen nicht melden. Diese Erfahrung hat auch der Allgemeinmediziner Dr. Erich Freisleben in seiner Berliner Praxis gemacht. Er berichtet: „Ich habe den Eindruck, dass das Impfthema dermaßen emotional aufgeladen ist, dass man sich nicht traut, irgendetwas zu sagen, was vielleicht als Schwäche oder als Problem in diesem Zusammenhang im Raum steht, um nicht in eine bestimmte Kategorie eingeordnet zu werden.“ Außerdem sei die Meldung einer Impfnebenwirkung sehr aufwendig. Für vier Meldungen brauche er fünf Stunden.


Tatsächlich hört man schon seit mehreren Monaten immer mehr von schweren Nebenwirkungen und Todesfällen durch die Impfung. Sei es im privaten Umfeld, in den sozialen Medien oder in Zeitungen. Inzwischen hat sich selbst der ÖRR hat dem Thema angenommen: In einer zweiten mdr-Doku, die Ende April erschienen ist, wurden mehrere junge Menschen mit Impfkomplikationen vorgestellt. Der 26-jährige Thorben, früher sportlich und bei der Feuerwehr aktiv, kann seit seiner Biontech-Impfung kaum noch Treppensteigen, er kämpft mit Atemnot und schweren Herzrhythmusstörungen. Grund ist eine Herzmuskelentzündung, die in Folge der Impfung aufgetreten ist. 



Die 15-jährige Lea hat ebenfalls durch die Impfung eine Myokarditis erlitten – doch das ist leider nicht alles: Seit dem „Pieks“ sitzt sie im Rollstuhl, hat Pflegegrad 3. Die Impfung hat bei ihr schwere Krampfanfälle verursacht – ihre linke Hand ist stark versteift, ihre Beine und Füße knicken weg, wenn sie aufsteht. Die Mutter berichtet mit brüchiger Stimme: „Wir hatten vor der Impfung ein kerngesundes, lebensfrohes Kind“. 


 

In einem kürzlich veröffentlichten Bericht des rbb über Impfnebenwirkungen bei jungen Männern stellt sich Louis Weiß vor. Der Jura-Student hat durch die Impfung Taubheitsgefühle in seinen Händen und Beinen entwickelt: „Ich konnte nicht mehr richtig laufen. Ich konnte mit den mit den Händen nicht mehr richtig zupacken. Ich konnte teilweise nicht mehr alleine eine Wasserflasche aufmachen.“


Wir müssen davon ausgehen, dass diese Geschichten nur die Spitze des Eisbergs sind. Jetzt, wo der allgemeine Corona-Wahn und die Impfeuphorie zwischen Omicron-Welle und Ukraine-Krieg nachlassen, werden sich immer mehr Menschen trauen, mit ihren Leiden an die Öffentlichkeit zu gehen. Hoffentlich werden sich auch immer mehr Ärzte und Forscher dazu entscheiden, bei Impfnebenwirkungen genauer hinzusehen. Es kann daher gut sein, dass uns die Impfnebenwirkungen noch die nächsten Monate und Jahre beschäftigen werden.

Nun, Herr Wieler, kommen Sie etwa ins Schwitzen? Wunderbarer Wielerano – wir alle sehen doch, dass der Hase, den sie wegzaubern wollten, noch da ist.


Endlich: Die Maskenpflicht ist Geschichte!

Von Larissa Fußer | Endlich wieder durchatmen! Fast zwei Jahre ist es her, dass in Deutschland die allgemeine Maskenpflicht in Innenräumen eingeführt wurde. Egal, ob im Supermarkt, in Schulen und Unis, bei der Bank oder im Club – der Lappen vor dem Gesicht war nervig-juckende Konstante. Nun ist in den ersten Apriltagen mit dem neuen Infektionsschutzgesetz in fast allen Bundesländern die Maskenpflicht ausgelaufen (nur Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern halten daran fest). Bis auf ein paar Ausnahmen – zum Beispiel in Arztpraxen und in Öffentlichen Verkehrsmitteln – darf man jetzt wieder ganz ungeniert sein Gesicht zeigen – und ich sage euch: Ich bin heilfroh darüber!

Denn das Bedrückende ist doch: Man hatte sich langsam dran gewöhnt. Während ich in den ersten Monaten der Maskenpflicht bei jedem Supermarktbesuch ins Keuchen gekommen bin und bei jedem Flug ausgekostet habe, wie weit ich die Maske „runterrutschen“ lassen kann, bis die Stewardess meckert, habe ich inzwischen in einem Krankenhauspraktikum sechs bis acht Stunden am Stück (gezwungenermaßen) eine FFP2-Maske getragen, ohne es überhaupt noch zu bemerken.

Obwohl sich meine junge Lunge anscheinend an den mangelnden Sauerstoff gewöhnt hat (für sie war jeder Praktikumstag mit Maske wohl wie ein Alpen-Höhentraining), habe ich mich nie damit abgefunden, den Menschen, die mich umgeben, nicht mehr ins Gesicht gucken zu können. Wie oft habe ich es nun schon erlebt, dass ich eine Person nicht mehr erkannt habe, sobald sie ihre Maske abgelegt hat. Das ist doch irgendwie irre. Da spricht man tagelang mit einem Kollegen und im Pausenraum erkennt man ihn plötzlich nicht mehr und kommt erst ins Grübeln, wenn man seine Stimme hört. Teilweise versteckt sich hinter der Maske ein ganz anderer Mensch, als man erwartet hatte. Ein verschmitztes Lächeln, erbost aufgeblähte Nasenflügel, verkniffene Lippen – all das bleibt einem vorenthalten. Von Nasenpiercings und Gesichtstätowierungen ganz zu schweigen. 

Noch schlimmer war: Wenn man wie ich eh nicht der extrovertierteste Mensch ist, war die Maske immer eine Möglichkeit, seinen eigenen Unsicherheiten nachzugeben und sich hinter ihr zu verstecken. Blasse Haut, Pickel im Gesicht, ein schlecht gelaunter Mund – alles ließ sich hinter der Maske verbergen. Der Gang durch die Öffentlichkeit hat nicht mehr bedeutet, sich der Welt zeigen zu müssen und das – trotz ein bisschen Unsicherheit – auch genießen zu können. Viele haben sich angewöhnt, sich zu verstecken und sich gegenseitig nicht mehr anzusehen. Das Leben ist dadurch langweiliger geworden.

Die seltsamsten Maskenerlebnisse hatte ich aber mit Abstand beim Ausgehen. Im Sommer 2020 wollten meine Freundinnen und ich es uns nicht nehmen lassen, die begrenzten Möglichkeiten, die es trotz Pandemie im Berliner Nachtleben gab, auszunutzen. Also sind wir auf die ulkigste Party gegangen, die ich bisher in meinem Leben erlebt habe. Schon in der Schlange vor dem Eingang musste man sein Gesicht verdecken und hat dabei den liebevoll aufgetragenen Lippenstift schon einmal komplett ans Maskentextil verloren. Am Ticketverkauf wurde einem ungefragt eine Pistole an den Kopf gehalten – die sich nach dem ersten Schreck als Fieberthermometer herausstellte. Wenn du die korrekte Temperatur hattest, durftest du eintreten. Drinnen wartete ein Bild für die Ewigkeit: In dem Open-Air-Club (Indoor war Tanzen gar nicht erst erlaubt), drängten sich hunderte junge Menschen mit Masken im Gesicht. Die meisten waren in dicken Jacken eingemummelt, denn es war ziemlich kalt, ab und zu nieselte es sogar. Wir liefen auf die Tanzfläche, auf der sich schon einige junge Leute maskiert zum Takt bewegten – ich wusste nicht so recht, was ich von diesem Anblick halten sollte. Maskenbälle mögen ja im 20. Jahrhundert ne tolle Sache gewesen sein – mir kam die Chose aber einigermaßen bekloppt vor. Dass wir alle paar Minuten ermahnt wurden, unsere Masken wieder über die Nasen zu ziehen, machte die Sache nicht besser. Und es gab noch andere Schwierigkeiten – als ich mich umguckte, fragte ich mich: Wie lächelt man eigentlich mit Maske? 

In der Uni war es ähnlich: Während in mich in den Semestern vor Corona immer mal wieder mit meinen Kommilitonen über Veganismus, die Bürgerversicherung und andere Themen gezankt und mir damit den Tag versüßt hatte, ist mit der Maske Apathie und Stille in den Seminarraum eingekehrt. Den wenigen Unterricht, den wir noch hatten (das meiste war ja gleich ab April 2020 online), verbrachten wir oft schweigend – und sobald die Dozenten am Ende der Veranstaltung unsere Anwesenheit mit einer Unterschrift quittierten, haute jeder für sich schnell ab. Ich bin sehr gespannt, wie das in meinem kommenden Semester sein wird. Jetzt haben wir wieder kompletten Präsenzunterricht – ob wir Masken tragen müssen, weiß ich noch nicht.

Doch ich fürchte: Auch wenn die Pflicht passé ist – die Masken werden uns trotzdem noch eine Weile begleiten. Als ich in den letzten Tagen meine neue Atemfreiheit ausgekostet habe und durch Supermarkte, Drogerien und – ganz aufregend – Flughäfen ohne Maske spaziert bin, war ich damit fast die einzige. Nur ein paar Omis, ein paar Türken, ein paar Ökos hier und da zeigten ihr Gesicht – und in ihrer Mimik mischten sich Freude und Unsicherheit. Ich sah wahrscheinlich genauso aus. Eine  Lehrerin hat mir erzählt, dass selbst in den Schulen kaum ein Schüler die Maske abnimmt, obwohl sie diese nun nicht mehr tragen müssen. Auch die meisten Lehrer tragen weiter Maske. 

Ich hoffe, dass sich das nach einer Gewöhnungsphase legt. Hier auf Apollo jedenfalls ist die Maske Geschichte! 

(Auf den Fotos seht ihr unsere Apollo Autorinnen Selma, Pauline, Elena, Laura und mich – endlich ohne Maske!)

 


Wokeness bis zum Abwinken: Bei GNTM dürfen jetzt auch Rentnerinnen und Volltätowierte mitmachen

Von Larissa Fußer | Viele Jahre hatte Heidi Klums Castingserie „Germany‘s Next Topmodel“ klare Vorgaben für die Teilnehmerinnen: Wer zu klein, zu alt, zu dick, zu tätowiert oder schlichtweg zu unattraktiv war, durfte nicht mitmachen. Punkt, Ende, Basta. Heute gilt das nicht mehr. In der aktuellen Staffel kämpfen Frauen über 65 Jahren, Volltätowierte, Gepiercte und Vokuhila-Hippies um den Model-Titel. Unsere Autorin weiß nicht, ob sie lachen oder weinen soll.


Liebe Heidi, ja genau, ich meine dich, Ex-Supermodel, Ehefrau des 17 Jahre jüngeren Tokio Hotel- Gitarristen, Ersatz-Mama von hunderten Nachwuchs-Models – wir müssen reden. Ich gucke deine Show – Germany’s Next Topmodel – ja schon eine ganze Weile. Als Teenie war ich sogar ein richtiger Fan: Ich habe mich geschminkt, wie es deine Make-Up-Künstler vorgemacht haben und ich habe vor dem Spiegel Laufen geübt, so wie es deine Catwalk-Trainer erklärt haben. Sicher habe ich auch ein, zwei der Schmink- und Schmuckutensilien gekauft, die ihr den Models in die Hand gedrückt habt, damit sie diese „ganz nebenbei“ vor der Kamera benutzen. Ich war voll auf dem Model-Trip – und habe keine Folge verpasst.

Doch dann hast Du angefangen, deine Show zu verändern. Früher, da gab es bei dir klare Regeln, wer mitmachen durfte und wer nicht. Ich erinnere mich noch an Staffeln, in denen hunderte Mädchen vor deiner Nase über einen riesigen Laufsteg gestakst sind und Du einer nach der anderen mit geschürzten Lippen und quäkender Stimme verklickert hast, dass sie zu klein, zu dick, zu unsportlich, zu tätowiert, zu gepierct, zu langweilig, zu verrückt oder „einfach kein Model“ sei. Manchmal haben sich auch Kerle einen Spaß erlaubt und sich in Kleider mit tiefen Ausschnitten geworfen, aus denen die dunklen Haare dann nur so hervorgesprossen sind. Wenn diese Jungs dann vor dir über den Laufsteg getrampelt sind, fandest Du das gar nicht lustig und hast nur pikiert kommentiert, dass bei deiner Sendung ausschließlich Frauen mitmachen dürfen.

Aber irgendwann – ich glaube es war die Zeit, in der in den Zeitungen stand, dass deine Zuschauerzahlen in den Boden gehen – wurde bei dir plötzlich alles anders. Da habe ich mal ganz unvorbereitet in neue Folgen reingezappt – und plötzlich ging’s nicht mehr um Schminke und Zickenkrieg, sondern darum, dass Transfrau XYZ total am Ende ist, weil gleich das Bikini- Shooting stattfindet und sie ihre Geschlechtsumwandlungs-OP noch nicht hatte. So saßen also Transfrau eins und Transfrau zwei zusammen heulend auf den Bahamas unter der Palme und wurden von zehn Mädels mit Tipps wie „Das kann man sicher irgendwie abbinden“ getröstet. Natürlich hat die Kamera die ganze Zeit voll drauf gehalten und es wurden ungefähr dreißig Kurzinterviews mit den Teilnehmerinnen darüber geführt, wie sie zu dem Bikinishooting-mit-Penis- Problem stehen.

Mit dieser Vorgeschichte war ich gewappnet, als ich deine aktuelle Staffel eingeschaltet habe. Dachte ich zumindest. Plötzlich starrte mich da eine Person mit pinker Vokuhila-Frisur, Nasenpiercing, Hipster-Brille und Überbiss an, die sich gerade damit vorstellte, dass sie mal so lange allein durch die Nacht geradelt sei, bis sie Halluzinationen bekommen hatte. Ich hatte kaum meine Kinnlade wieder unter Kontrolle, da hast Du schon die nächste Teilnehmerin eingeblendet – von Kopf bis Fuß tätowiert, Piercing über der Lippe und auf der Zunge, füllige Figur. Ausführlich hast Du sie über ihre Depressionen und ihre Gewichtszunahme in Folge einer Therapie sprechen lassen – ich habe mich gefühlt, als wäre ich unfreiwillig in eine Selbsthilfegruppe geplatzt. Das kannte ich bisher nur vom Dschungelcamp.

Highlight der Show sind diesmal aber eindeutig zwei andere Teilnehmerinnen: Lieselotte und Barbara. Die beiden sind sage und schreibe 66 und 68 Jahre alt. Also Heidi, jetzt mal im Ernst. Ich kann ja verstehen, dass dir das älter werden schwer fällt. Du bist ja immerhin inzwischen auch fast 50, als Model ist das sicher hart. Aber komm: sich jetzt Models im Oma-Alter einzuladen, nur damit Du daneben frischer aussiehst – das ist doch unter der Gürtellinie.

Findest Du nicht?
https://www.youtube.com/watch?v=nTiDanCo7p8

Guck dir doch mal die Lieselotte an. Die ist schon beim ersten Mal in der Maske den Tränen nah, weil es ja daaaaaaamals in der DDR nur zwei Lippenstiftfarben gegeben hätte. Kurze Zeit später steht Catwalk-Training auf dem Plan und sie säuselt in die Kamera: „Ich habe heute Lust, bei Heidi einen sexy Gang zu lernen“. Aber als sie dann über den Laufsteg holpert, knallst Du ihr nur unverhohlen vor den Latz, dass sie viel zu steif in der Hüfte sei. Merkst Du selber, oder? Die Frau ist 66 – klar ist sie steif in der Hüfte! Und Du verordnest ihr Hulahup-Training – also beim Hausarzt nennt man das Reha-Sport.

Bei der Barbara ist es kaum besser – als ein junges, schwarzes Mädel ihr im Ghetto-Slang verklickern will, dass sie heute zusammen auf dem Laufsteg „rasieren“ werden, guckt Oma Barbara nur wie ein Auto. Die Göre braucht einen Moment, schaltet dann aber und sagt in lieber Schüler-Stimme: „Entschuldigen Sie bitte, ich meinte: ‚Wir machen das!‘“. Es ist Slapstick.


https://www.youtube.com/shorts/von8QSU23SE


Dann gibt es auch noch die 50-jährige Martina, die zusammen mit ihrer Tochter teilnimmt und sich – das strahlt sie mit jeder Pore aus – für das bessere Model hält. Da kriegt man wirklich ganz ekelige Gefühle, wenn man diese hagere, magere Frau mit Kurzhaarfrisur sieht, die darüber schwadroniert, dass sie ja schon sehr viel Modelerfahrung habe und sehr erfolgreich gewesen sei, sich dann aber doch erst für eine Karriere als – hab ich vergessen – entschieden habe. Jetzt aber, erklärt die Martina, wolle sie sich einen Traum erfüllen und habe sich deshalb – VOR ihrer Tochter, das ist ihr merkbar wichtig – für die Sendung beworben.


https://www.youtube.com/watch?v=nW8NUJ3WOVo


Also Heidi, jetzt mal Tacheles: Brechen deine Einschaltquoten so ein, dass dir jetzt jedes Mittel recht ist, um neue Zuschauer zu gewinnen? Es gab eine Zeit, da ging’s in deiner Sendung darum, das schönste Model zu küren – jetzt nennst Du deine Models nur noch „divers“, als ob das ein Kompliment wäre, über das sich eine Frau freut. Und noch was: Du denkst doch nicht wirklich, dass Du deinen Zuschauern vorgaukeln könntest, dass es heutzutage in der Modewelt nicht mehr um‘s Aussehen ginge? Wenn die Models nicht mehr ihr Äußeres verkaufen sollen – mit was sollen sie denn stattdessen Geld verdienen? Mit ihrer Persönlichkeit, ihrem Grips? Im Ernst? Verdienst Du nicht selbst mit fast 50 noch einen Großteil deines Geldes mit Instagram-Fotos?


Naja, ich will aber mal nicht so sein und trotzdem verraten, dass mir eine Szene mit deinen Rentnerrinnen sehr gefallen hat: Die Mädels sind auf Mykonos, es windet wohl und die Mädchen müssen in hohen Schuhen unebene Steintreppen hinunter gehen – großes Geheule, schreckliches Drama. Dann werden die Alten gezeigt. Seelenruhig stehen sie da und sagen in die Kamera: „Also wir verstehen das Gejammer nicht, uns macht das alles nichts aus – liegt wohl daran, dass wir noch aus der Leistungsgeneration kommen.“ Verschmitztes Lächeln der Omis, Cut.