Ein „em“ fühlt sich diskriminiert: Deutsche Bahn auf dem Gender-Gleis

Von Anna Graalfs | Jeder der in Deutschland schon mal mit dem Zug gefahren ist, kennt sie und  hasst sie: Die Deutsche Bahn. Eigentlich. Denn konträr zu Zugausfallen und Dauerverspätung haben sie mich in einer Hinsicht positiv überrascht: Bis jetzt wurde ich noch nie bei der DB mit gegenderter Sprache konfrontiert, weder beim Ticketkauf, online oder im direkten Austausch mit Mitarbeitern. 

Die Deutsche Bahn ist diskriminierend? 

Das soll sich aber künftig ändern. Grund dafür ist eine Klage von René_Rain Hornstein. René möchte, dass man diesen Unterstrich setzt, ich werde in dem Artikel aber der Einfachheit halber einfach René sagen. René Hornstein, eine Person die sich selbst als nicht-binär identifiziert, fühlt sich beim Onlinekauf eines Zugtickets diskriminiert. Der Satz klingt ironisch – aber wir leben im Jahr 2022, es ist leider kein Spaß. Es gibt nämlich nur zwei Anredeoptionen: Mann und Frau. Hornstein, der selbst Diplompsychologe ist, möchte außerdem nicht mit “er” oder “sie” angesprochen werden, sondern mit einem sogenannten selbsterfundenen “Neo-Pronomen”: “em”  Em betreffende Substantive, Artikel und Adjektive soll man entweder mit * oder _ gendern. Ich werde hier aber einfach von “René” und mit “er” von “ihm” reden, zwecks Verständlichkeit. Ich glaube, wenn in jedem Satz “em” steht, bekommt man schon beim Lesen Schluckauf.

Jedenfalls ist Réne mit der Klage vor das Oberlandesgericht Frankfurt gezogen. Er forderte 5000 Euro Schmerzensgeld, durch die Geschlechtsdiskriminierung entstehe ein immaterieller Schaden. Bekommen hat Hornstein “nur” einen Fünftel davon, aber er findet das “in Ordnung”. An sich hört sich das doch nicht schlecht an, oder? Anstatt mühsam zu kellnern, habe ich mir dann im Handumdrehen ein paar Große dazuverdient, wenn ich wegen Fehlen von gendergerechter Sprache klage. Nur so als Idee… Außerdem ist die Deutsche Bahn jetzt gezwungen ab Januar 2023 ihren Kunden geschlechtsneutrale Sprache aufzudrücken. Die Bahn reagiert mit anscheinendem Verständnis: Sie seien gerade dabei aktiv ihre Systeme umzustellen und an einer gendergerechten Anspracheoption zu arbeiten. “Diversity” und Wertschätzung seien bei der DB von oberster Priorität. Da verliere auch ich meinen letzten Funken Hoffnung für die Deutsche Bahn. 

Mit einem verfestigten Selbstverständnis kann man bis zu 1000 Euro abkassieren!

Die BILD hat beim OLG in Frankfurt nachgefragt, ab wann man denn als “nicht-binär” gilt. Ich meine, irgendeine handfeste, rechtliche Grundlage muss das Gericht doch haben, um dem Kläger rechtzugeben… Oder etwa nicht? Tatsächlich ist es so, dass ein “verfestigtes Selbstverständnis”, was das heißt weiß wohl keiner so genau, reicht, um als nicht-binär anerkannt zu werden. Eingetragen im Pass muss es daher nicht sein. Ich tue mich sehr schwer Hornstein ernst zu nehmen. Und das liegt nicht daran, dass er sich persönlich weder Mann noch Frau zugehörig fühlt — das ist ja seine Sache. Es liegt einfach daran wie lächerlich mir seine Klage erscheint. Wie kann man selbst fordern, dass ganz Deutschland seine Formulare umschreibt, Erwachsene sprechen halb neulernen und Deutsch-Grammatikbücher umgeändert werden (die deutsche Sprache ist ja noch nicht schwer genug für Ausländer) – aber selbst so intolerant sein, dass man sich durch Anredeoptionen beleidigt fühlt und Schweißausbrüche bekommt…? 

Ich komme mir dabei zwar ziemlich lächerlich vor, aber an sich habe ich kein großes Problem damit, René so anzusprechen wie er möchte. Trotzdem bin ich der Meinung: Du kannst beim besten Willen Leute nicht zwingen dich so und so anzusprechen – schon gar nicht ein ganzes Land. Das ist wie, wenn ich ab sofort mein Umfeld dazu zwinge “Königin” vor meinen Namen zu setzen, wenn sie mich ansprechen. Wenn ich mich selbst als Königin identifiziere, mag das zwar ziemlich selbstverliebt sein, aber niemand würde mich daran hindern, es ist einfach meine Selbstwahrnehmung. Ein Problem ist es aber, wenn ich auf einmal alle anderen dazu zwinge, mich auch als Königin anzusehen und mich dementsprechend anzusprechen. Was lernen wir also, René? Wenn dich jemand nicht mit Sternchen anspricht, heißt das nicht, er respektiert dich als Person nicht. Und wenn die Deutsche Bahn dich bei der Onlinebuchung nur mit Mann oder Frau anspricht, ist das schon gar nicht ein persönlicher Angriff auf dich René – nein, die große Mehrheit der Bevölkerung sieht sich selbst als Mann oder als Frau, und eben danach hat sich die Deutsche Bahn gerichtet. Bis jetzt…


Rettet unser Bargeld!

Von Jonas Kürsch | In den vergangenen Monaten haben hochrangige EU-Vertreter immer wieder mit ihren Aussagen zur möglichen Einführung einer elektronischen Variante des Euros Schlagzeilen gemacht. Dieser „digitale Euro“ sei im Moment nur als Zusatz zur klassischen Banknote gedacht, viele Volkswirte und Finanzexperten warnen jedoch, er könnte bei einer tatsächlichen Einführung dem traditionellen Bargeld große Konkurrenz machen und es schnell an den Rande seiner totalen Bedeutungslosigkeit führen. Viele Medien beschwören daher schon jetzt „das nahende Ende des Bargeldes“. 

Die Idee des sogenannten „Cashless Payments“ ist dabei allerdings nichts neues: schon heute kommt es immer häufiger vor, dass Kunden ihre Zahlungen in Restaurants und Einkaufsgeschäften ausschließlich per Karte oder per Digital Banking App mit dem Handy abwickeln können. Andere Zahlungsarten werden stattdessen nicht länger akzeptiert. Besonders in skandinavischen Ländern wie Schweden ist das Bargeld daher schon (so gut wie) ausgestorben.

Vor allem junge Leute scheinen sich vom Münzgeld und alten Papiergeldscheinen endgültig loslösen zu wollen. Das Hauptargument ist hierbei vor allem die augenscheinliche Bequemlichkeit des online payments: Schließlich sei es um so vieles praktischer, kurz die Kreditkarte oder das Handy gegen einen kleinen Scanner zu drücken, anstatt in der Tasche nach dem passenden Kleingeld zu kramen. Von der Politik wird die Sicherheit immer wieder als einer der großen Vorteile des Cashless Payments hervorgehoben, da man Steuervergehen und andere Finanzverbrechen leichter verfolgen und ahnden könnte. Allerdings wird nur allzu selten klar ausgesprochen, dass eine weitgehende Abschaffung des Bargeldes nicht nur die finanzielle Autonomie des einzelnen Bürgers gefährden, sondern auch das Machtmonopol des Staates auf illiberale Art und Weise stärken würde. 

Wenn Sicherheit zu totaler Kontrolle wird

Vor allem der Sicherheitsfaktor ist für die Befürworter einer „Cashless Society“ der wichtigste Überzeugungspunkt: Denn die physische Gewaltanwendung im Rahmen von Raubüberfällen, Kassendiebstahl oder der Verwendung von Falschgeldscheinen soll angeblich durch die Verwendung digitaler Währungsmittel sowie durch die Kartenzahlung verhindert werden. Die Gefahren digitaler Überfälle (z.B. im Rahmen von Hacking-Angriffen) und die aufkeimende Fälschung oder illegale Vermehrung digitaler Bezahlungsgüter werden nur allzu häufig außer Acht gelassen.

Auch heißt es, die persönliche Gesundheit werde durch die Abschaffung des Bargeldes geschützt, weil man somit weniger Risiken ausgesetzt sei, sich über Banknoten und Geldmünzen mit Viren oder Bakterien zu infizieren (z.B. Salmonellen, COVID-19 und andere Erreger). Aber in diesem Fall wird nur selten erwähnt, dass es sogar Studien gibt, bei denen herauskam, dass bei der kollektiven Verwendung von PIN-Pads und anderen Geräten zur elektronischen Bezahlung, ein höheres Risiko besteht, sich mit Corona zu infizieren. 

Wirklich besorgniserregend ist das Argument der angeblichen Verhinderung von Wirtschafts- und Finanzverbrechen. So würde man durch die größeren Kontrollmöglichkeiten eines weitestgehend elektronischen Bezahlungssystems, Steuerhinterziehung, Geldwäsche und andere kriminelle Machenschaften leichter aufdecken können. Das mag erst einmal ganz vernünftig klingen, doch man lässt leider völlig außer Acht, welche Konsequenzen dieser Überwachungswahn letztlich auf die Grundrechte des normalen Bürgers ausübt: Denn diese Form der Staatskontrolle würde nichts anderes bedeuten, als das Ende der finanziellem Unabhängigkeit des einzelnen Bürgers. 

Autoritäre Regierungen können in einem geldlosen Wirtschaftssystem ihr neugewonnenes Machtmonopol nutzen, um Dissidenten und kritische Stimmen mundtot zu machen. Sobald es kein Bargeld mehr gibt, könnten öffentliche Behörden die Bankkonten unbequemer Kritiker ganz unproblematisch einfrieren lassen und diese somit vom öffentlichen Zahlungssystem vollständig ausgrenzen. Zudem ließe sich durch die Einführung von hohen Transaktionssteuern, die bei jedem Kauf mit Kreditkarte, Handy oder anderem elektronischen Bezahlungsmittel durch den Staat verhängt werden, eine Konditionierung des individuellen Kaufverhaltens nicht länger ausschließen. 

In einem solchen System würde der unheimliche Mythos des „gläsernen Menschen“ zur brutalen Wirklichkeit werden. Eine staatliche Massenüberwachung wäre durch die Nachverfolgung des digitalen Fußabdrucks, den der Konsument jetzt mit jeder einzelnen Transaktion vergrößern würde, leicht zu bewerkstelligen. 

Bargeldzahlung muss zum Grundrecht werden!

Die Abschaffungsversuche des Bargeldes kommen einem Angriff auf die Demokratie gleich. Die Befürworter dieser wahnwitzigen Ideen unterstützen damit (teilweise unwissentlich) die großflächige Zerstörung der bürgerlichen Privatsphäre sowie die Grundlagen eines intaktes Geldmarktes. Daher ist es gerechtfertigt, dass viele US-amerikanische Bundesstaaten seit 2016 vermehrt das „Recht auf Bargeld und Barzahlung“ in ihren Verfassungen verankert haben. 

Um die Unabhängigkeit des einzelnen Bürgers zu schützen wäre es daher auch an der Zeit, über eine Verfassungsänderung in Deutschland nachzudenken, die das Bargeld schützt und eine ausschließliche Zahlungsoption auf elektronischen Wege wirkungsvoll verhindert.


Viktor Orbán und der Hass der Mainstream-Medien

Von Sven Justin Verst | Nachdem der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán vor ein paar Tagen bei der „Conservative Political Action Conference“ (CPAC) in Dallas, Texas auftrat, war in den deutschen Medien der Teufel los: Der rechtsnationale Orbán hätte zum Kampf gegen den Liberalismus aufgerufen, seine Rede sei mit Kriegsrhetorik gespickt und voller trans- und fremdenfeindlicher Aussagen gewesen. Orban habe so fürchterliche Dinge gesagt wie „The globalists can all go to hell, I have come to Texas” – doch wer ist Viktor Orbán, wen meint er mit „globalists“ und wieso mögen ihn die Systemmedien nicht?

 

Das Hassobjekt Orbán

Orbán beschreibt sich selbst treffend als „old-fashioned freedom Fighter”. Während der Zeit des Kalten Krieges gehörte Ungarn zum kommunistischen Block der Sowjetunion. Damals stellte sich Orbán offen gegen das Regime dieser Zeit und forderte den Abzug von sowjetischen Truppen aus Ungarn – ein Akt, der großen Mut benötigte. Mittlerweile ist er Ministerpräsident von Ungarn, ist verheiratet und hat 5 Kinder. Die meisten Menschen, die sich für Politik interessieren oder regelmäßig die Nachrichten lesen, werden seinen Namen schon mal gehört haben. Doch wie kann es sein, dass der Ministerpräsident dieses kleinen zentraleuropäischen Staats mit gerade mal zehn Millionen Einwohnern so dermaßen in aller Munde ist?

Der Hauptgrund: Orbán ist ein absolutes Hassobjekt westlicher Medien. Glaubt man verschiedensten Zeitungen, ist er ein Hetzer, ein völkischer Nationalist, der bei CPAC seine dunkle Weltanschauung und Verschwörungstheorie verbreitet hat. Der ZDF beschreibt seine Rede als transfeindlich, wieso wird nicht weiter erläutert. Muss man auch nicht, diffamieren reicht schließlich, wenn die „journalistische“ Arbeit von Zwangsgebühren finanziert wird.

Sieht man sich Orbáns Rede beim CPAC selbst an, ähnelt sie einer Regierungserklärung, in welcher er die wichtigsten Erfolge seiner Regierung auflistet – unter Applaus des Publikums und zum Entsetzen der Medien. So erklärt er zum Beispiel, dass illegale Migration schlecht ist. Wer illegal nach Ungarn einreist, wird gestoppt und dem Land verwiesen. Orbán sagte, das Asyl vorher in einer Botschaft beantragt werden muss – durchaus eine logische Herangehensweise oder in anderen Worten: das genaue Gegenteil von Merkels „Wir schaffen das!“ Politik.

Orbán konnte aber nicht nur mit seiner Migrationspolitik beim texanischen Publikum punkten. Auch für seine familienfreundliche Politik gibt es Applaus. Anders als in Deutschland begründet Orbán seine Familienpolitik nicht mit dem demografischen Wandel, Fachkräftemangel oder anderen wirtschaftlichen Argumenten, sondern der Realisation, dass die Familie der Grundbaustein der westlichen Gesellschaft ist.


Gesetz zum Schutz von Kindern sei eine „Schande“

Und auch dafür hagelte es wieder Kritik – vor allem in Bezug auf die neuen Gesetze zum Schutz von Kindern. Das Gesetz soll dafür sorgen, dass die Entscheidung über die sexuelle Erziehung eines Kindes seinen Eltern vorbehalten ist und richtet sich gegen die Werbung für Homo- & Transsexualität in der Schule und Kita. Dies macht es zum Beispiel unmöglich, das sogenannte Drag Queens, also erwachsene Männer, welche sich als „Frauen“ verkleiden, jungen Kindern sexuelle Geschichten erzählen. Das zusätzlich auch verschiedene Bücher mit FSK versehen und für unter 18-jährige verboten werden sollen, ist sicherlich streitbar. Kleine Kinder vor der Ideologisierung und Frühsexualisierung durch Lehrer und Medien und vor der Verunsicherung der eigenen Geschlechtsidentität schützen zu wollen, kann man den Ungarn aber eigentlich nicht vorwerfen.

Doch genau das tat nicht nur die Presse, sondern auch Vertreter aus Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten. Ursula von der Leyen nannte das Gesetz eine „Schande“ und kündigte sogar an, rechtliche Schritte gegen Ungarn einzuleiten, wobei sie sich auf die fundamentalen Werte der Europäischen Union berief – welche selbstverständlich dieselben sind, wie die der progressiven Linken. Als Ungarn 2004 der Europäischen Union beitrat, sahen die fundamentalen Werte der EU noch ganz anders aus.

Ursula von der Leyen gehört neben George Soros, den Orbán auch in seiner Rede erwähnte, zu den von ihm bezeichneten Globalisten. Besonders Soros wurde von Orbán für seine Finanzierung progressiver Politik in Ungarn, in ganz Europa so wie in den USA kritisiert. Interessanterweise ist George Soros gebürtiger Ungar, hat allerdings mittlerweile die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Da George Soros aus einer jüdischen Familie stammt, wird jede Kritik an ihm schnell zur antisemitischen Verschwörungstheorie herabgestuft – zumindest, wenn sie von Leuten wie Orbán kommt.

Viktor Orbán wird aber nicht nur als Antisemit und Nationalist, sondern auch als Autokrat bezeichnet – ähnlich wie konservative und Republikaner in den USA. Dabei ist es aber wichtig, Orbans Freiheitsverständnis zu verstehen. Anders als der westeuropäische Freiheitsbegriff versteht der konservative Freiheitsbegriff das Ausleben von Trieben nicht als Freiheit. So ist der Drogenabhängige, der seinen Gelüsten folgt, nicht frei, sondern ein Sklave seine Abhängigkeit.

 

Orbán ist der Nachbar, der nicht will, dass man durch seinen Garten trampelt

Wer ist Viktor Orbán in unserem Alltag? Stellen wir uns vor, wir leben in unserer Reihenhaussiedlung, die insgesamt 27 Häuser hat. Orbán ist nicht unser direkter Nachbar, aber wohnt auch nicht auf der anderen Seite der Siedlung. Er hat eine sympathische Frau, die immer hilfsbereit ist und fünf nette Kinder. Eigentlich möchte er nur in Frieden grillen, fühlt sich allerdings gestört von den Fremden, die in seinem Garten leben wollen oder diesen durchqueren, um in unserem zu kommen. Also baut er einen Zaun um seinen eigenen Garten und erntet dafür Kritik von uns, denn wir finden es gut, wenn Fremde uneingeladen nicht nur in unseren, sondern auch in andere Gärten kommen.

Als Familienvater möchte er seine Kinder schützen – vor wilden Sex Partys, die im belgischen Keller stattfinden, vor niederländischen Drag Queens, die seinen Kindern fragliche Geschichten vorlesen wollen und den deutschen Studienten, die verärgert sind, dass seine Kinder allesamt cis-heteronormativ sind und kein einziges sich mit einem nicht binären Geschlecht identifiziert. Dafür wird Viktor Orbán regelmäßig von der Siedlungsvorsitzenden ermahnt: er ist ein böser, reaktionärer, homo- und transphober Mann. Er sollte sich schämen!


Die Öffentlich-Rechtlichen delegitimieren sich selbst

Von Elena Klagges | Laut einer aktuellen Insa-Umfrage wollen 84 Prozent der Deutschen die Rundfunkgebühren -die jetzt am 15. August auch bald mal wieder fällig werden – abschaffen und sich damit nicht länger das teuerste Rundfunksystem der Welt leisten. Woher diese erfreuliche Trendwende kommt? Garantiert nicht allein davon, dass Frankreichs Parlament in dieser Woche der Abschaffung der Rundfunkgebühr zugestimmt hat und wir uns an unserem Nachbarstaat ein Beispiel nehmen wollen. Nein, die Öffentlich-Rechtlichen haben selbst sehr kräftig an ihrer Delegitimierung mitgearbeitet. Durch allzu offensichtliche Propaganda, Manipulation und Dekadenz-Skandale.  

Grade erst vor ein paar Tagen fiel der ÖRR mal wieder mit der Manipulation von Bildmaterial auf: In dem Beitrag ,,Blackout ohne Atomkraft?’’ vom ZDF, der am 01.08.2022 ausgestrahlt wurde,  verdunkelte der Sender die Wasserdampfwolken, die aus einem Atomkraftwerk aufsteigen, um – wie aus der Antwort auf eine BILD-Anfrage hervor kam – dem Begriff ,,Dunkelflaute’’ mehr Aussagekraft zu verleihen. ,,Dunkelflaute’’ beschreibt das Phänomen, dass gleichzeitig Dunkelheit und Windflaute auftreten, wodurch bei Gas- und Strommangel ein Blackout drohen könnte.

Dabei ist es nicht das erste Mal, dass der Sender ein solches Bild bearbeitet hat. Bereits im Februar 2022 verdunkelte das ZDF in einem Beitrag die aufsteigenden Wolken. Damals vor dem Hintergrund, ob Atomkraft als nachhaltig einzustufen sei und mit der Ausrede, die Bildbearbeitung sei lediglich die ausgewählte ,,Abdunkelungsebene’’, damit die Schrift lesbarer sei. Doch wer soll diese billigen Ausreden noch glauben? Es ist zu auffällig, dass in vergleichbaren Bildbeiträgen zu klimafreundlicher Windkraft die Wolken nicht verfärbt werden, um „bessere Lesbarkeit“ zu schaffen. Und, dann kommt noch dazu, dass das ZDF inzwischen auch das aktuelle Vorschaubild des Beitrages geädert hat. Damit betreibt der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk für jeden sichtbar eine Berichterstattung im Sinne der grünen Ideologie – und dass, obwohl sie laut dem Rundfunkstaatsvertrag den ausdrücklichen Auftrag einer objektiven und unparteilichen Berichterstattung nach den journalistischen Grundsätzen haben.

Zweite Skandalmeldung der Woche: Patricia Schlesinger gebe den ARD-Vorsitz ab, bleibe aber zunächst RBB-Intendantin. Nachdem zahlreiche Korruptions- und Misswirtschaftsvorwürfe in den vergangenen Monaten die Runde gemacht hatten, sei die Frau nun nicht mehr haltbar gewesen. Denn die Liste der Vorwürfe ist lang: Sie habe unter anderem einen schicken Dienstwagen mit Massagesitz erhalten und diesen auch privat genutzt. Sie hielt „dienstliche“ Abendessen in ihrer Privatwohnung ab, die anscheinend nicht korrekt abgerechnet wurden und dann soll sie anscheinend auch noch Vetternwirtschaft betrieben haben. Der Wortschatz der tagesschau war diesbezüglich sehr interessant: denn hier war von ,,Abgabe’’ des ARD-Vorsitzes die Rede und nicht von ,,Rücktritt’’ oder zumindest ,,Teil-Rücktritt’’, wie man es in so gut wie allen anderen nationalen und sogar internationalen Medien lesen konnte.

Bei so vielen Skandalen – und das sind nur die aktuellsten – ist es kein Wunder, dass auch hierzulande die Forderung nach der Abschaffung der außerverhältnismäßig hohen Rundfunkkosten laut wird. Und doch muss man extrem vorsichtig sein, wenn man nicht gleich als ,,populistisch’’ abgestempelt werden möchte. Die FDP hatte auf ihrem Parteitag im Mai den Beschluss gefasst, den Beitrag zu senken und den Rundfunk zugunsten eines schlankeren Staates zu beschränken. Sofort verglich unser ZDF-Liebling Jan Böhmermann unter dem Hashtag „#AFDP“ diese Haltung mit den Forderungen der AfD und propagierte, der „unabhängige“ öffentlich-rechtliche Rundfunk sei in Gefahr. Natürlich musste er dabei betonen, dass es ihm nicht um sein Gehalt ginge. Doch wenn es diesen neutralen und staatsfernen Rundfunk offensichtlich sowieso nicht mehr gibt, um was geht es denn bitte dann, wenn nicht ums Geld?


Nur noch „Nazis“ und „Kommunisten“. An den Unis zeigt sich die zunehmende Spaltung der Gesellschaft

Von Martin Cohle | Als ich mich für den Studiengang „Politikwissenschaft und Soziologie” entschieden habe, war mir klar, dass die große Mehrheit meiner Kommilitonen nicht konservativ sein würde. Immerhin sind wir hier bei den Human- und Sozialwissenschaften – zu uns gehören sogar die „Gender Studies“. Was mich aber überraschte: Kaum jemand ist bei mir an der Uni bereit, Diskussionen über Politik zu führen. Von den ca. 250 bis 300 Personen, mit denen ich das Studium angefangen habe, sind nur ca. 20 der separaten „Diskussionsgruppe” beigetreten. Dort wiederum melden sich nur fünf Personen regelmäßig zu Wort, mich eingeschlossen. 

Die Diskussionen sind sehr interessant, aber konservative, rechte oder klassisch-liberale Meinungen werden nicht gerne gesehen. Kritisiert man die Antifa, ist man Rechtsextremist. Kritisiert man die Flüchtlingspolitik Merkels, ist man Nazi. Kritisiert man die Gender-Ideologie, ist man Homo- oder Transphob. Natürlich sagt das nicht jeder Linke und auch nicht jedes Mal – aber ich merke, dass ich in ihren Augen seit meiner ersten kritischen Anmerkung als konservativer, privilegierter, weißer Mann abgestempelt bin. 

Beleidigungen statt Argumente

Ich werde von meinen linken Mitstudenten regelmäßig als Unmensch behandelt, weil ich eine in ihren Augen vermutlich rechtsextreme Meinung habe. Selbstverständlich kann man meine Meinung kritisieren und das erwarte ich auch, deswegen gibt es ja die Meinungsfreiheit. Aber mich sofort als Rassist oder Sexist zu bezeichnen, weil ich Transsexualität nicht gerade „normal“ und „typisch“ finde oder weil meiner Meinung nach, der Islam nicht zu Deutschland gehört, finde ich traurig und scheinheilig. 

Ich bin auch nicht homophob, nur weil ich behaupte, dass Homosexuelle in Deutschland nicht unterdrückt werden. Oder Sexist, nur weil Frauen (meiner Meinung nach) keine Frauenquoten brauchen. Aber gerade das passiert mir immer öfter. 

Konservative Meinungen sind nicht mehr etwas, was man kritisieren und widerlegen soll, sondern etwas was man unterdrücken und auslöschen muss. Sind wir wieder im Mittelalter?! 

Rechte und Linke sehen sich nur noch als Feinde

Meine Erfahrungen mit den Rechten sind übrigens leider auch nicht viel besser. Wagt man es, auch nur minimal den Kapitalismus, die Wirtschaft, die Kirche oder die Polizei zu kritisieren, ist man sofort Sozialist, Kommunist oder einfach Merkel-Jünger. 

Beide Seiten, sowohl Rechte als auch Linke, tendieren dazu, voreilig den anderen zu beurteilen und als Feind zu sehen. Seit der Corona-Pandemie hat sich die Situation nur noch verschlechtert, da nun zusätzlich um die Impfpflicht und die Corona-Maßnahmen heftig gestritten wird. Auch unter meinen Kommilitonen beobachte ich, dass die Mehrheit keine Lust mehr hat zu diskutieren, Meinungen auszutauschen oder allgemein über Politik zu reden. 

Unterstützt wird diese Entwicklung durch die ausufernde „Cancel Culture”, die besonders auch an den Unis vertreten ist. Erst neulich hat die Berliner Humboldt-Universität einen Vortrag einer Biologie-Dozentin abgesagt, weil linke Studenten massiv und unter Gewaltandrohung gegen sie protestiert hatten. So etwas hinterlässt Spuren. Die meisten Menschen wollen, aus Angst vor negativen Konsequenzen, ihre Meinung nicht mehr offen sagen. Und wenn man sich Menschen anschaut wie Jordan B. Peterson, der seit Jahren von den Linken quasi „verfolgt“ und dämonisiert wird, dann überrascht das einen gar nicht mehr wirklich. Meinungen, die vom Mainstream abweichen, werden nicht nur kritisiert, sondern regelrecht unterdrückt. 

Dissens bringt Gesellschaften voran

Es ist äußerst komisch, dass heutzutage auf eine abweichende Meinung so reagiert wird, als wäre sie ein physischer Angriff. Meinungsverschiedenheiten schaden keinem. Vielmehr ist es die zunehmende Intoleranz gegenüber Andersdenkenden, die unsere Diskussionskultur zerstört und damit unsere Meinungsfreiheit bedroht. Aus Angst vor Streit, aber auch vor Repressalien, ziehen sich die Menschen immer mehr in kleinen Gruppen und Echokammern zurück, wo viele nur noch Meinungen hören, die sie als angenehm und bequem empfinden. Ein Umdenken, ein Veränderung des eigenen Standpunkts kann so kaum noch stattfinden.

Für mich ist klar, dass sich etwas ändern muss. Die Deutschen müssen lernen, dass Dissens nichts Schlechtes ist, sondern notwendig, um eine Gesellschaft voran zu bringen. Erst wenn mehr Menschen das verstehen, werden sie auch Politiker wählen, die das genauso sehen und in ihrer Politik umsetzen. Manche sagen, dass diese Hoffnung utopisch ist. Ich sage: Wer soll es ändern, wenn nicht wir jungen Leute? Ich werde also weiter in meiner Uni-Diskussionsgruppe linken Kommilitonen widersprechen. Und wenn sie mich dann wieder beschimpfen, weiß ich, dass sie offenbar keine Gegenargumente haben.


Sterbehilfe, ja oder nein? – Das große Apollo-Battle

Lesen Sie hier: Das große Debattenduell. Roland und Simon stellen sich in dieser Runde einem ernsten Thema: Sollte Sterbehilfe in Deutschland erlaubt werden? Simon ist gegen die Legalisierung, Roland dafür – wer überzeugt Sie mehr?

ACHTUNG: Dieser Beitrag könnte trotz des ernsten Themas Spuren von Humor enthalten. 


Wir brauchen keine geförderte Sterbehilfe, sondern bessere Hilfsangebote

Von Simon Ben Schumann | „Jeder soll nach seiner Façon glücklich werden“ – das ist eigentlich mein politischer Grundsatz. Deswegen bin ich für Freiheit, grundsätzlich. Warum ich dann gegen die Legalisierung von assistierten Suizid bin? Sogenannte Sterbehilfe jetzt für rechtens zu erklären, wäre das genaue Gegenteil dieses Grundsatzes. Als wir das Thema für dieses Battle auswählten, erklärte sich Max voller Siegessicherheit bereit. Schließlich sei Sterbehilfe ja zielgruppenrelevant, die Hälfte der Generation Z denke regelmäßig über ihren Tod nach. 

Ich muss Max zugutehalten, dass er einen richtig tollen Humor besitzt, mit dem er manches Varieté begeistern könnte. Wenn er aber in Zukunft beim Red Nose Day Krankenhäuser besucht, hoffe ich, dass er „selbstbestimmtes Sterben“ als praktische, schnelle Handlungsoption nicht anspricht.

Die lebensmüde Gesellschaft

Denn mal im Ernst: Depressionen sind gerade unter uns jungen Leuten häufig anzutreffen. Eine Metastudie aus dem Jahr 2021 spricht von jedem 4. Jugendlichen weltweit mit Depressionssymptomen. Dazu zählen nicht immer suizidale Tendenzen, aber: Sollten wir jungen Leuten jetzt wirklich erklären, dass es okay ist, sterben zu wollen?

Max wird bestimmt auf absolute Härtefälle hinweisen. Unheilbare Krankheiten im Endstadium, die mit viel Leiden verbunden sind. Das sind tragische Situationen, aber Ausnahmen. In solchen Fällen kann ich nachvollziehen, warum Betroffene den Schritt gehen möchten. Eine weitläufige Akzeptanz der Sterbehilfe bleibt aber ungerechtfertigt.

Gerade Menschen in schweren Lebenssituationen sollten keinen tödlichen „Shot“ aus der Spritze einfordern können, um der Erde Lebewohl zu sagen. Am besten noch bezahlt von der Krankenkasse, unter der Regie von Top-„Gesundheitsökonom“ Lauterbach. Ich kann mir den derzeitigen Gesundheitsminister gut bei Anne Will vorstellen, wie er den neuen „Lebensqualitäts-Booster“ von BioNTech anpreist. Schließlich müsse ja die fortdauernde Überlastung des Gesundheitssystems irgendwie abgefangen werden.

Sterben sollte keine Entscheidung sein

Es ist schwer abzugrenzen, wann ein Einzelner sich unbefangen zum Freitod entscheiden kann. Ein Beispiel ist der schwere Krankheitsfall. Unter manchen Umständen trifft das Individuum wirklich eine harte Entscheidung, weil das Leben nur noch aus Leid besteht. Aber wer garantiert, dass nicht völlig andere Faktoren zum Sterbewunsch führen? So können die Sorge, der Familie zur Last zu fallen oder finanzielle Probleme die Entscheidung zur Sterbehilfe auslösen – es ist schwer möglich, da eine Linie zu ziehen.

Ganz normalen Leuten, die aus irgendeinem Grund sterben möchten, das unter medizinischer Aufsicht zu gestatten, finde ich fragwürdig. Erst einmal wäre unsere Kultur damit dahin. Statt Menschen Perspektiven zu bieten, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen, reicht man ihnen lieber die Hand ins Nirwana. Außerdem würde der intrinsische Wert des Lebens an sich mit Füßen getreten.

Am absurdesten finde ich, was in der Schweiz legal ist: Menschen mit schweren Depressionen dürfen sich dort für den medizinisch begleiteten Freitod entscheiden. Das ist ungefähr so, als würde man bei einem Verkehrsunfall statt einem Krankenwagen den Jäger aus dem angrenzenden Waldgebiet rufen.

Wir brauchen keine staatlich geförderte Sterbehilfe – die wäre bei unserem Gesundheitssystem fast unausweichlich – sondern mehr Hilfsangebote für Menschen, die keinen Sinn mehr im Leben sehen. Seien es Aufklärung im Alltag, mehr Möglichkeiten zu einer erfüllenden Lebensgestaltung oder eine bessere Palliativmedizin.

Alles sollte mehr im Fokus stehen, als ein rechtssicheres Ticket in den Himmel – oder in die Hölle, denn dahin führt ein Suizid aus Sicht vieler Religionen. Stattdessen brauchen wir eine Kultur, die das Leben schützt und feiert, trotz aller seiner Härten.

 


Ja zur Selbstbestimmung – „aktive“ Sterbehilfe muss erlaubt sein

Von Max Roland | Selbstbestimmung ist wichtig – und ein Grundstein jeder liberalen Gesellschaft. Selbstbestimmung im Leben zumindest – im Tode sieht das anders aus. Denn sein eigenes Ableben darf man in Deutschland nach wie vor nicht wirklich gestalten. Zwar gibt es seit einigen Jahren die sogenannte „passive Sterbehilfe“ – die „aktive“ steht jedoch nach wie vor unter Strafe. Während bei der passiven Sterbehilfe lediglich Behandlungen, Medikationen oder ähnliches eingestellt werden, ist die aktive Sterbehilfe im Grunde eine Tötung. Für viele ist das ein wichtiger Unterschied – auch für das Gesetz.

Die Zeiten, in denen man Suizid unter Strafe stellte, sind lange vorbei. Noch in den 1940ern wurde man für Selbstmord in Großbritannien sogar zum Tode verurteilt. Absurd, oder? Begründet wurde dies oft aus der Religion heraus. Im Christentum ist Selbstmord eine Sünde – niemand außer Gott darf ein Leben nehmen, heißt es. Nun bin aber ich kein religiöser Mensch – die Vorschriften der Bibel haben für mich in etwa den gleichen Wert wie Erzählungen aus „Herr der Ringe“. Ich glaube nicht an Gott, ich glaube an Freiheit.


Schwer leidende Menschen müssen in Würde sterben können

Deswegen verstehe ich nicht, dass Menschen aktive Sterbehilfe verteufeln oder verbieten wollen. Vorweg: Eine Gesellschaft, in der sich jeder beim Amt seinen Todestermin bestellen kann, möchte ich nicht. Das Ziel ist nicht, dass ein Hausarzt den Tod wie ein Antibiotikum verschreibt. Das wäre schlicht pervers. Nicht minder pervers finde ich es jedoch, Menschen einen Freitod zu verweigern, der für sie die beste Option wäre. Das Leben hat einen intrinsischen Wert und ist schützenswert. Aber verteidigt derjenige, der den leidenden Patienten im Endstadium dazu zwingt, seine restliche Lebenszeit unter Schmerzen quasi „abzusitzen“, wirklich den Wert des Lebens? Das Gegenteil ist richtig: So etwas führt Lebensschutz ad Absurdum.

Das Leben ist mehr als nur Herzschlag, Hirnaktivität oder das bloße Existieren: Der Wert meines Lebens ist die Lebensfreude. Ein Leben, das mit Möglichkeiten und Sinn ausgestattet ist – so habe ich es für mich immer definiert. Auch, weil ich bei vielen Verwandten den Leidensweg von Krebs oder Alzheimer miterlebt habe, ist für mich klar: So will und werde ich nicht enden. Heißt das jetzt, dass man sich bei jeder Depression und jedem Unglück mit kassenfinanzierter Spritze ins Nirvana verabschieden können sollte? Nein, natürlich nicht. Aber ein sterbenskranker Mensch sollte nicht gezwungen werden, einen langen und schweren Todesweg zu gehen, wenn es doch einen würdevolleren gibt.

 

Ich glaube nicht an den „easy Way out“

Schwerer tue ich mich bei der Frage der Depressionen. Aus dem Ausland hört man immer wieder von Fällen, in denen schwer depressiven Menschen die aktive Sterbehilfe gewährt wird. Ist ihr Todeswunsch Ausdruck freien Willens oder Krankheitssymptom? Das ist die schwierige Frage, auf die ich mir ganz gewiss keine Antwort anmaßen möchte. Aber: Dass Menschen die aktive Sterbehilfe leichtfertig als einen „easy Way out“ sehen würden, glaube ich nicht. Selbstmord oder Selbsttötung ist eben alles andere als einfach. Oft geht einem Suizid ein jahrelanger Leidensprozess voraus. Wie krass der Schmerz sein muss, der einen dazu bringt, sich vor einen Zug oder von einem Gebäude zu werfen, kann ich – Gott sei Dank – nicht beurteilen. Verurteilen kann ich diese Menschen schon gar nicht. Aber wäre es nicht besser, den Freitod in Strukturen einzubinden? Anlaufstellen, Beratungen, vielleicht in Fällen wie schweren Depressionen auch andere Möglichkeiten nahelegen und aufzeigen – und im Fall der Fälle eben einen würdevollen Tod ermöglichen. Wer sich sein Leben nehmen will, kann es sich im Endeffekt auch so schon nehmen. Besser, ein solcher Leidensweg endet in einem Krankenhausbett, als in einem Gleisbett.


 

Sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie Hilfe benötigen, kontaktieren Sie unbedingt die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 bekommen Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Hilfe bei den nächsten Schritten anbieten können. Hilfsangebote gibt es außerdem bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Im Netz gibt es – zum Beispiel bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe – auch ein Forum, in dem sich Betroffene austauschen können.


Pelosis Taiwan-Reise war richtig – aber noch lange nicht genug

Von Sebastian Thormann | Vergangene Woche besuchte Nancy Pelosi (Demokratin), Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, die einzige chinesische Demokratie, den Inselstaat Taiwan. Einen so hochrangigen US-Polit-Besuch gab es zuletzt vor 25 Jahren als der damals republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, Newt Gingrich, auf der Insel ankam. Diesmal fiel die Reaktion aus China allerdings viel schärfer aus. Mit Marine-Manövern teilweise bis in taiwanesische Hoheitsgewässern zeigte Chinas Führung sein Säbelrasseln.

Seit nun mehr als einem halben Jahrhundert hat Peking die Insel schon im Visier, nach dem Ende des Chinesischen Bürgerkrieges auf dem chinesischen Festland mit dem Sieg der Kommunisten um Mao Zedong, zogen sich deren Kontrahenten, die Kuomintang auf die gerade von Japan geräumte Insel zurück. Seitdem beanspruchen beide Staaten offizieller Vertreter ganz Chinas zu sein, bis in die 70er wurde dabei vom Westen noch Taiwan, offiziell die „Republik China“, anerkannt, dann allerdings wechselte man die diplomatischen Beziehungen zur kommunistischen „Volksrepublik China“ in Peking.

Zwei Chinas

Das Paradoxe ist dabei, auch wenn China Taiwan freilich nicht als offiziellen Staat anerkennt – Peking betrachtet die Insel lediglich als abtrünnige Provinz in Rebellenhand – zwingt Chinas Führung Taiwan dazu den Anspruch auf ganz China aufrechtzuerhalten. Sollte Taiwan nämlich den Staatsnamen ändern und seine de jure Ansprüche auf China fallen lassen, sähe Peking das als „Abspaltung“ und damit sofortigen Kriegsgrund – obwohl die Insel natürlich sowieso nicht von Peking kontrolliert wird. Das zeigt was für eine Bedeutung diplomatische Signale in dem Konflikt haben: Solange die vermeintlichen „Rebellen“ nicht die Abspaltung von China fordern, lässt man sie gewähren.

Allerdings auch nur für eine gewisse Zeit, denn es bleibt trotzdem Chinas langerklärtes Ziel, die Insel am Ende unter eigene Kontrolle zu bringen. Offerten a la „Ein Land, zwei Systeme“ sind allerdings spätestens seit Hongkongs Schicksal völlig undenkbar für Taiwaner, die sich an Demokratie und Freiheit gewöhnt haben. Damit forciert Peking nun eine gewaltsame „Wiedervereinigung“. Nach der Gleichschaltung des ehemals teildemokratischen Hongkongs wäre eine Invasion und Übernahme Taiwans der nächste Meilenstein für Xi Jinping und die kommunistische Partei.

Und hier kommen die USA ins Spiel. Zwar haben sie keine formellen diplomatischen Beziehungen mehr mit ihrem einstigen Verbündeten, aber sie verfolgen keineswegs die von Peking gewünschte „Ein-China-Politik“. Eine gewaltsame Übernahme Taiwans lehnt Washington vehement ab. Der „Taiwan Relations Act“ von 1979 hält fest, dass die USA es sich vorbehalten, sich „jeder Anwendung von Gewalt oder anderen Formen von Zwang“ gegen die Insel zu widersetzen. Außerdem erkennen sie eine staatliche Hoheit Pekings über Taiwan nicht an. Um die US-Unterstützung für Taiwan zu signalisieren, reiste Pelosi nun nach Taipeh. Und bekam dafür Unterstützung und Kritik von ungewöhnlicher Seite: Während die US-Republikaner den harten Kurs gegen China weiterführen wollen und damit nun ihre politische Gegnerin Pelosi bei ihrem Reisewunsch bestärkten, versuchte das Weiße Haus um Pelosis Parteifreund Joe Biden wohl die Reise zu verhindern – aus Sorge um eine vermeintliche „Provokation“ Chinas.

Reisen sind nicht genug

Ähnliche Kritik hat man auch hierzulande gehört. Warum denn den roten Drachen aus Peking „provozieren“? So die Argumentation. Die Antwort ist recht einfach: Egal wie die diplomatischen Beziehungen mit Taiwan im Detail gehandhabt werden, aber wenn der Westen China das Recht zugesteht, alle Angelegenheiten Taiwans zu diktieren, ist das ein Freifahrtschein für die logische nächste Stufe im Konflikt: Die Invasion und gewaltsame Machtübernahme auf der Insel durch Peking. Insofern, war Pelosis Besuch völlig richtig, die USA sollten sich ihre Außenpolitik nicht von China diktieren lassen.

Allerdings – und das sollten auch gerade wir in Deutschland, wo politische Symbolgesten und Rhetorik nur zu gerne Taten ersetzen, nicht vergessen – ist eine Reise bei weitem nicht genug, um Taiwans Selbstständigkeit zu bewahren. Die große Gefahr ist, dass eine Invasion Taiwans die sich gerade bildende Ant-China-Koalition in Asien aufbrechen könnte, vor allem wenn im Kriegsfall die Unterstützung aus dem Westen ausbleibt. China weiß, am Ende des Tages wird die Entscheidung über Taiwan mit militärischen Mitteln fallen. Und das sollte uns auch bewusst werden. Was der Westen jetzt tun muss, ist nicht wieder nur mit erhobenem Zeigefinger und Sanktionen zu drohen, sondern für militärische Abschreckung zu sorgen. Die USA spielen dabei die Schlüsselrolle. Xi Jinping und die kommunistische Partei planen kühl – eine fehlgeschlagene Invasion wäre für sie wohl bei weitem schlimmer als der Status quo. In genau so einer Situation müssen sie stecken, damit sie von einem Angriff absehen.

Ansonsten wären die Konsequenzen für Asien und die Welt desaströs.

Bildquelle: Nancy Pelosi und Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen (Foto: Präsidialbüro Taiwan via CC-BY-2.0) 


Taiwans Chips: Die Achillesferse der Tech-Branche

Von Katharina Benjamine | The eagle has landed – wie die Mondlandung der USA vor mehr als 50 Jahren, wurde die Landung der US-Politikerin Nancy Pelosi in Taiwan verfolgt. Die USA setzt mal wieder ein Zeichen in der Weltpolitik. Dass es dabei um mehr als ein Wettstreit des Fortschritts in der Technologie geht, ist bekannt. Oder ist die Technologie hier vielleicht doch gar nicht so unwichtig?

Nancy Pelosi hat in ihrer Asien Reise einen Taiwan Stopp eingefügt und diesen auch unter Turbulenzen in der Weltpolitik durchgesetzt. Chinas Reaktion sieht wie folgt aus: Militärisches Säbelrasseln mit Manövern rund um Taiwan und erste Wirtschaftssanktionen gegen den kleinen Inselstaat. Die Einfuhren mehrerer taiwanesischer Lebensmittel wurden gestoppt und der Export von Sand, welcher ein wichtiger Baustoff ist, wurden eingestellt. Voraussichtlich wird es dabei aber nicht bleiben. China ist Taiwans größter Handelspartner und diese Sanktionen könnten Taiwan hart treffen. Peking bildet sich einen Anspruch auf Taiwan ein, während Taipeh versucht seine de facto Unabhängigkeit und Freiheit zu erhalten.

Auch die Wirtschaft Taiwans, bekannt vor allem durch die Produktion von Halbleitern und Chips, steht auf wackeligen Beinen – und damit auch die gesamte globale Autoindustrie, das Militär und elektronische Konsumgüter. Taiwan ist der Geburtsort einer der größten Auftragsfertiger der Welt: TSMC und UMC, sowie ASE, das größten Unternehmen für die Montage und das Testen von Chips. Außerdem stellt Taiwan, sogenannte Wafer her, aus welchen Chips produziert werden. Bekannte Marken wie Apple oder NVIDIA lassen dort ihre Chips produzieren. Ob es das Handy, der Laptop oder das Auto ist, unsere ganze Umgebung ist sozusagen in Verbindung mit Taiwan. Nicht nur unser privater Alltag ist davon abhängig, sondern auch Staat und Wirtschaft, weshalb diese Technologie politischer nicht sein könnte.

Die Welt ist abhängig von Taiwan und China ist da nicht ausgeschlossen. Wie hoch ist nun die Kriegswahrscheinlichkeit? Manche meinen, dass China von einem Angriff absehen würde, weil ein Einfuhreinbruch an Halbleitern ein zu großer Verlust für Peking wäre. Andererseits könnte genau diese Abhängigkeit für Chinas Führung Grund sein, Taiwan anzugreifen und damit die Kontrolle über große Teile dieser extrem wichtigen Industriesparte zu erlangen. Die Auswirkungen der Halbleiter-Industrie unter chinesischer Kontrolle wären verheerend.

Eins ist gewiss, sollte es zu einem Krieg kommen, wird nicht nur Taiwan mit den Folgen des Krieges erschüttert, sondern auch die ganze Welt.

 


Neues Infektionsschutzgesetz: Zu viel Nachsicht bei Kindern – zumindest laut deutschem Lehrerverband

Von Sarah Victoria | Am Mittwoch wurde der Entwurf des neuen Infektionsschutzgesetz veröffentlicht, bei dem sich unser geschätzter Gesundheitsminister Karl Lauterbach und sein Kollege Justizminister Marco Buschmann mal wieder richtig verausgabt haben – ganz egal, ob alle anderen europäischen Länder inzwischen die Reißleine gezogen haben. Wir machen unbeirrt weiter: Und hierbei dürfen sich gerade die Schulen warm anziehen, denn die Bundesregierung packt die Winterreifen aus.

Ab Oktober heißt es in den Schulen wieder Luftfilter an, Maske auf und Vernunft aus. Zumindest ab der 5. Klasse, denn Grundschulen wurden von der neuen Maskenregelung ausgenommen. Wer meint, hier hätte sich endlich die Lehrerlobby durchgesetzt, liegt falsch. Während der Kinder- und Jugendarztverband die Maskenbefreiung begrüßt, beschwert sich ausgerechnet der Deutsche Lehrerverband über Regulierungslücken des neuen Gesetzentwurfes. Ihr Vorsitzender, Heinz-Peter Meidinger, kritisiert insbesondere die fehlende Maskenpflicht an Grundschulen. Dadurch nehme man Schulschließungen in Kauf, was nicht nachvollziehbar sei. Bei einer neuen Infektionswelle würde, laut Meidinger, ein wichtiges Instrument fehlen, um den Präsenzbetrieb aufrecht erhalten zu können. Zudem greife das Infektionsschutzgesetz erst ab Oktober, was zu einer Regelungslücke ab September führen würde. 

Die Bundesregierung hat einen vollkommen willkürlichen und umfänglichen Instrumentenkasten für den Schulbetrieb vorbereitet – und dem Lehrerverband? Dem greifen die Maßnahmen nicht weit genug. Um es mit Herrn Meidingers Worten zu sagen: Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Zum einen erschließt sich mir nicht, warum ausgerechnet Kinder und Jugendliche getestet werden müssen. Noch weniger erschließt sich mir aber, warum Schüler Maske tragen müssen, damit Schulen nicht geschlossen werden. Eine Erklärung dafür darf man sich wohl selber ausdenken, denn Logik sucht man hier vergeblich. Anstatt Partei für die eigene Lehrerschaft – die Interessen der Schüler existieren hier ja schon gar nicht mehr – zu ergreifen und auf ihre Rechte zu verweisen, wird nach härteren Schutzmaßnahmen gerufen. Einige Landesregierungen werden bestimmt zur Hilfe eilen – auf Kosten der Schulen, die wieder Coronatests und Maskenpflicht kontrollieren dürfen. Und auf Kosten der Schüler, die bei geöffnetem Fenster frieren und ihre kleinen Gesichter hinter Masken verstecken müssen. 

Meine persönliche Erfahrung 

Was die willkürlichen Corona-Maßnahmen und die soziale Isolation der letzten Jahre bei Kindern angerichtet haben, konnte ich zuletzt selbst hautnah miterleben – denn ich wirke seit diesem Jahr bei einem Lernpatenprojekt an einer Grundschule mit. Wir Lernpaten sind so etwas wie Mentoren, die sich einmal pro Woche mit ihren Patenkind treffen und gemeinsam lernen, spielen oder einfach nur reden. Das Projekt gibt es seit letztem Jahr, um Kinder, die während der Pandemiezeit zu kurz gekommen sind, zu fördern. Das sind Kinder, die Schwierigkeiten mit der Sprache haben und deswegen nicht mehr im Unterricht mitkommen und das Schuljahr wiederholen müssen. Kinder mit Lernschwierigkeiten, die länger unerkannt blieben. Schlichtweg vernachlässigte Kinder, die über Monate keine Tagesstruktur kannten. Kinder, mit schweren psychischen Problemen.

Nicht jedes Kind hat das Glück, von den eigenen Eltern in einem sicheren Umfeld gefördert werden zu können – und das trotz Corona-Stress. Bei manchen Eltern scheitert es am Faktor Zeit, bei anderen an der Sprache und wieder andere sind im Überlebensmodus und haben keine Kraft, Verantwortung für die Bildung ihrer Kinder zu übernehmen oder sich schlicht richtig um sie zu kümmern. Diese Defizite sollen Pädagogen wieder ausgleichen. Doch statt Entlastung gibt es von der Bundesregierung nur ein winterliches Maßnahmenpaket.

Und trotzdem: Der Aufschrei unter den Pädagogen lässt auf sich warten. Zum einen sind jene, denen etwas an ihrem Beruf liegt, sehr beschäftigt oder genießen gerade die Ferien. Zum anderen setzen sich in ihrer Lobby momentan die Lauterbach-Fans durch. Sie merken womöglich gar nicht, wie sehr ihre Interessen von der Politik ignoriert werden. Die Bildungsministerin freut sich, dass Schulen jetzt immerhin offen bleiben dürfen, das Kultusministerium löst psychische Probleme durch das Hochladen von Unterrichtsmaterial und der Lehrerverband hat nichts besseres zu tun, als sich darüber zu beschweren, dass an Grundschulen keine Maskenpflicht verhängt werden darf.

 

Das neue „normal“ der Bildungspolitik 

Die Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, wohlgemerkt von der FDP, plädierte in einem Interview erst kürzlich noch für den Normalbetrieb in Schulen. Damit meinte sie allerdings nur den Präsenzunterricht – teure Lüftungskonzepte, Impfbusse vor der Schultür und notfalls auch die Maskenpflicht werden weiterhin ermöglicht. Schulschließungen soll es zukünftig nur wegen akuten Lehrermangels geben, sei es weil die Lehrer coronabedingt ausfallen oder sich alle im Wartezimmer der Burnout-Klinik treffen. Letzteres würde die Ministerin natürlich anders ausdrücken. Fest steht jedoch, dass die Anforderungen an Pädagogen, seien es Lehrer, Schulpsychologen, Sozialarbeiter oder ehrenamtliche Helfer, während der Pandemie stetig gestiegen sind. Musste man zu Beginn „nur“ einmal die versäumte Digitalisierung im Schulbetrieb ausgleichen oder kontrollieren, ob Schüler sich das Teststäbchen nicht zu tief in die Nase schieben, heißt es mittlerweile auch noch Lücken im Schulstoff schließen, häusliche Gewalt erkennen, psychische Probleme lösen, Integration nachholen und nebenbei noch die ukrainischen Flüchtlingskinder betreuen. 

Das alles kann gar nicht funktionieren – die Leidtragenden sind dann wie so oft, die Schüler. Das Wissenschaftliche Institut der AOK hat Anfang dieses Jahres eine Studie zu den Auswirkungen der Coronamaßnahmen auf die Gesundheit von Kindern durchgeführt. Das Ergebnis ist schockierend: Jede dritte Mutter gab an, dass das seelische Wohlergehen ihrer Kinder gelitten hat. Deutlich trat auch ein soziales Gefälle hervor, gerade Kinder von Geringverdienern und Alleinerziehenden litten besonders unter den Maßnahmen. Ganz zu schweigen von den alarmierenden Fallzahlen der Kinder- und Jugendpsychatrien. Dies gilt sich immer wieder vor Augen zu führen, wenn man die Reaktion des Lehrerverbandes hört. Oder um es im Stil der Bundesregierung zu sagen: Kinder brauchen keine Winterreifen und Schneeketten an ihrem Spielauto. 


Finnlands Neutralität Teil 2: Kekkonens Frieden und der Preis der Neutralität

Die finnische Delegation um Präsident Kekkonen bei der KSZE. Foto: Tapio Korpisaari

(Wenn ihr Teil 1 zur Geschichte Finnlands von 1917 bis 1947 lesen wollt, klickt hier)

Von Max Roland | Unabhängigkeit, Krieg mit Russland, zweiter Weltkrieg – seit 1917 wurde die finnische Geschichte durch seine Nachbarschaft zu Russland bestimmt. Vor der Niederlage des deutschen Reiches konnte Finnland noch seinen Kopf aus der Schlinge ziehen. Helsinki konnte so seine Unabhängigkeit bewahren – mit Abstrichen. 

1947 und 1948 wurden Verträge mit der Sowjetunion geschlossen, die Rechte und Pflichten sowie territoriale Zugeständnisse regelten. Finnland blieb ein freies Land mit demokratischen und Marktwirtschaftlichen Strukturen – de Facto war Finnlands Außen- und Innenpolitik jedoch stark durch die Nachbarschaft zur Sowjetunion beeinflusst. Nach dem Friedensvertrag mit der Sowjetunion vom 10. Februar 1947 wurden die Geländegewinne der Sowjetunion nach dem Winterkrieg bestätigt (Ostkarelien). Zusätzlich zu den vereinbarten Bedingungen wurde Finnland nun außerdem verpflichtet, die Größe seines Militärs zu beschränken, das Gebiet um die Stadt Petsamo (und damit seinen Zugang zum Nordmeer) an die Sowjetunion abzutreten und Reparationen in Höhe von 300 Millionen Golddollar zu leisten.  Zur Sicherung der Unabhängigkeit schlossen Finnland und die Sowjetunion den Finnisch-Sowjetischen Vertrag von 1948. Hier wurde die außenpolitische Ausrichtung Finnlands festgelegt, inklusive eines finnisch-russischen Beistandsabkommens. Außenpolitisch war Finnland weitgehend an die Sowjetunion gebunden – der Vertrag erkannte jedoch Helsinkis willen an, im aufkommenden kalten Krieg neutral zu bleiben. Die Sowjetunion war zufriedengestellt – und zumindest die innenpolitische Unabhängigkeit Finnlands konnte gewahrt werden. Finnland vermied auch den Beitritt zum Warschauer Pakt. Diese finnische Neutralität in „guter Nachbarschaft“ zu Russland ist auch als „Paasikivi-Kekkonen-Linie“ bekannt. Benannt ist sie nach Finnlands erstem Präsidenten der Nachkriegszeit, Juso Paasikivi, und dessen Ministerpräsidenten Urho Kekkonen. Kekkonnen sollte seinem Präsidenten im Amt nachfolgen und die finnische Politik wie kaum ein zweiter prägen. 

Urho Kekkonen wurde im Jahr 1900 geboren und war der mit abstand am längsten amtierende Präsident der Republik Finnland. Vor dem Krieg bereits in diversen Kabinettsposten und politischen Rollen, wurde er 1956 zum Staatsoberhaupt gewählt – ein Amt, dass er fast 30 Jahre innehaben sollte. Kaum jemand verkörpert die schwierige Geschichte der finnischen Neutralität so wie Kekkonen. Er räumte der Außenpolitik Vorrang vor allen anderen Fragen ein, wobei der Schwerpunkt der Außenpolitik wiederum auf der Pflege der guten Beziehungen zur Sowjetunion lag. Die Balance in der Beziehung mit Moskau war so wichtig, dass Kekkonen dafür auch demokratische Grundsätze zumindest bog. Als die Sowjets 1961, vor dem Hintergrund des Mauerbaus und der Berlin-Krise, in der sogenannten „Notenkrise“ militärische Konsultationen mit den Finnen verlangten und damit die Neutralität des Landes gefährdeten, löste Kekkonen das Parlament auf und verhandelte persönlich mit dem sowjetischen Parteichef Chruschtschow. Diese Verhandlungen hatten Erfolg: Moskau sah von militärischen Konsultationen ab und entschärfte so eine Krise, die inzwischen auch die anderen nordischen Länder sowie die Bundesrepublik Deutschland tangierte. Chruschtschow erklärte gegenüber Kekkonen: „Sie sind unser guter Freund und wir vertrauen Ihnen vollkommen.“ Worte, die die Ära Kekkonen prägen sollten. 

Denn Moskau schätzte und Vertraute Kekonnen in der Tat – das setzte sich auch unter Chruschtschows Nachfolgern fort. Ihren „guten Freund“ im Amt zu halten, war den Sowjets extrem wichtig. So übten Moskaus Diplomaten immer wieder Druck auf die finnische Opposition aus. Auch in Finnland selbst war das bekannt – Kekkonens unverzichtbare Beziehung zu den Sowjets war häufig Argument für seine Wiederwahl. Die finnische Demokratie jedoch nahm dadurch Schaden. Kekkonen bog die Regeln der Demokratie und verstieß zumindest gegen den demokratischen Geist – er entwickelte einen oft kritisierten, autoritären Führungsstil. Nach der Notenkrise hatte er, auch wenn er allen demokratischen Regeln pro forma folgte, die Opposition in Politik und Medien ausgehebelt. Doch ihm gelang es, die beiden Supermächte von der Zuverlässigkeit des finnischen Neutralitätskurses zu überzeugen – ein Kurs, der in den Augen der Sowjets und vieler Finnen auch und vor allem an seine Person gebunden war. 

So wurde Finnland zu einem neutralen Mittler – insbesondere dank Kekkonens diplomatischen Fähigkeiten. 1975 brachte er die Staatsoberhäuter Europas in Helsinki zusammen. Kekkonen erkannte, dass alle Staats- und Regierungschefs des Kontinents zu diesem Zeitpunkt persönliche Erfahrungen im zweiten Weltkrieg hatten – von Helmut Schmidt bis Leonid Breschnew. Es war die Zeit von „Neuer Ostpolitik“ und einer Entspannung der Blockkonfrontation. Kekkonen nutzte diesen „Wind of change“. So kam es zur „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“, kurz KSZE. Die folgende KSZE-Schlussakte gilt als einer der wichtigsten Wendepunkte im Kalten Krieg – auf ihr baut – oder baute – die europäische Friedensordnung auf, die sich als eine der stabilsten in der Geschichte des Kontinents erweisen sollte. „Im Geiste von Helsinki“ wurde ein geflügeltes Wort.  In Europa war man sich einig: Nie wieder sollten Grenzen mit Gewalt verschoben werden. Ein Meilenstein – der allerdings am 24. Februar 2022 brutal umgestürzt werden sollte.