Archiv: März 15, 2022

Die Diskussionskultur der jungen Generation – Werden wir zu Mimosen erzogen?

Von Jule-Marie Heger | In Zeiten von Akzeptanz gegenüber Straßenblockierern, die sich selbst an Straßen festkleben und Diffamierungen von Spaziergängern fühlt man sich oft wie in einer Parallelwelt. Eine Welt in der sektenartig der Weltuntergang zelebriert wird, manch Unwahrheit zur Wahrheit erklärt wird und Demokratie mit schärfster Zensur einhergeht. Neuerdings bedeutet Meinungsfreiheit eine öffentliche und eine private Meinung zu haben, wobei die öffentliche Meinung deutlich von der privaten abweichen kann und eine Maske mit Schutzfunktion darstellt. Woher kommt es, dass nur eine Einheitsmeinung zu akzeptieren ist? Woher kommt das allgegenwärtige Phänomen meiner Generation, sich für das, was man glaubt, krampfhaft entschuldigen zu wollen?

Wenn der Inhalt des Gesagten auch nur ansatzweise von der Meinung der angeblichen Masse abweicht, sollte man besser die Diskussion beenden. Am besten sollte man direkt den Kontakt abbrechen, um nicht der Kontaktschuld wegen „angeklagt“ zu werden. Dann verliert jemand eben seinen Job, wenn er sich unter Kollegen kritisch gegenüber der „Mehrheitsmeinung“ ausspricht. Selbst schuld ist derjenige, der es wagt diese zu hinterfragen oder anzuzweifeln. Schließlich geht es um die Gesinnung und nicht um die Qualität der Arbeit.
Um meine Generation gar nicht erst auf die Idee zu bringen welch großartiges Werkzeug der Kommunikation die Argumentation ist, haben sich die sozialen Medien wie Facebook es zur Aufgabe gemacht selbst zu bestimmen, welche Meinung oder Fakten zulässig sind oder nicht. Gelöscht seien das Konto, der Kommentar oder der Post, welche durch die Filter der Desinformation, Beleidigung etc. fallen. Dabei ist es natürlich egal, ob es sich tatsächlich um jene handelt – das entscheidet dann der Praktikant mit gutem Gewissen oder das automatisierte Filtersystem. Dass die soziale Medienwelt von autoritären und faschistischen Mechanismen durchtränkt ist, ist mittlerweile kein Geheimnis mehr, sondern Realität eines jeden Konsumenten – zumindest von demjenigen, der es merkt.

Auch in den öffentlich-rechtlichen Medien ist diese Art von Gängelung sichtbar. Richtige Debatten mit Gegenpositionen sind selten zu sehen. Die angebliche Gegenposition, in einer Talk-Show beispielsweise, ist dann oft der gleichen Meinung wie der Diskussionspartner und fordert die gleichen Dinge – nur weniger radikal. Ein Diskussionspartner, von dem bekannt ist eine konträre Meinung zum links-ideologischen Narrativ aufzuweisen, wird dann gar nicht erst eingeladen bzw. nicht wieder eingeladen. Oder derjenige wird innerhalb eines Formats derart diffamiert, unterbrochen und vernachlässigt, dass er eigentlich kein Teil einer konstruktiven Diskussion gewesen sein könnte. Folge für diejenigen, die jemanden einladen, der nicht dem links-grünen Idealismus folgt oder auch nur leicht abweicht, sind ein medialer Skandal und schwere Vorwürfe. Das konnte man z.B. an Jan Böhmermann sehen, der Markus Lanz vorgeworfen hat, er würde Gäste mit „menschenfeindlichen Meinungen“ einladen und er die sogenannte „False Balance“ der Meinungen auszugleichen habe.

Wenn mit diesen Mechanismen die jetzige Generation nicht umerzogen wird, dann muss die Mehrheit entweder mit Scheuklappen aufstehen und zu Bett gehen oder überaus starke Prinzipien haben. Gelyncht sei derjenige, der es wagt nicht zu gendern und nicht explizit von Studentinnen und Studenten zu sprechen. Gecancelt sei derjenige, der von Zigeunerschnitzeln spricht und nicht von Schnitzel mit Paprikasoße ungarischer Art. Wenn es keine Probleme gibt, muss man sie eben selbst herstellen. In einer Allensbach-Studie von 2021 gaben beispielsweise drei Viertel der Befragten an wie in gewohnter Weise den Begriff „Zigeunerschnitzel“ bewahren zu wollen. Auch hat die überwiegende Mehrheit der Befragten haben angegeben sich politisch korrekten Sprachregelungen nicht hingeben zu wollen. Welch ein umgedrehtes Bild der Realität die gängigen Medien doch widerspiegeln. Die Auswirkungen von Cancel Culture, Cancel Science und Political Correctness haben ihren Platz in den Köpfen der Deutschen schon längst gefunden und bestimmen die Debattenkultur innerhalb meiner Generation. Eine Diskussion besteht doch gerade darin verschiedene Argumente und Meinungen zuzulassen und sich diesen zu öffnen. Es ist doch schlichtweg unnatürlich ausschließlich der gleichen Meinung zu sein. Umso menschlicher ist es den lebhaften Diskurs zu bewahren und die Meinungsvielfalt als demokratische, natürliche Selbstverständlichkeit zu betrachten. Viel zu oft beschränken Menschen sich selbst und ihre eigene Meinung, wenn sie es nicht wagen sich aus ihrer angeeigneten Ideologie zu befreien.

Eine Debatte auf Augenhöhe kann nur zustande kommen, wenn der Diskussionspartner, die geäußerten Sachverhalte rational betrachten würde. Wenn darauf geachtet wird, was gesagt wird und nicht wie es gesagt wird. Wenn man sich wegen seiner eigenen Meinung nicht vorerst entschuldigen muss, sondern tatsächlich auch mal etwas ausgehalten würde. Nur so kommt man wieder in eine auf eine vernünftige Diskussionskultur. Der Sinn einer Diskussion ist nicht, dass beide Parteien auf einen Nenner kommen. Es ist mehr die Diskussion selbst, die den Austausch von Argumenten erst möglich macht.


Ukraine – Apollo Edition 5/2022

Liebe Leser,

das Land leuchtet in blau und gelb. Und so gut die Solidaritätsbekunden auch klingen – es bleiben Worte, die zu spät kommen. Jahrelang wurde man von den gleichen Politikern, die sich jetzt zu den großen Freunden der Ukrainer aufspielen wollen, belächelt, wenn man forderte, was jetzt Konsens ist: Aufrüstung, Einhaltung des NATO-2-Prozentziels, Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Kernenergie, um die Energieabhängigkeit von Russland zu reduzieren. Man wurde belächelt, wenn man sagte, dass die Schwäche des Westens eine Einladung für die Autokraten dieser Welt sein würde.
Doch statt frühzeitig zu reagieren, brüstet sich dieses Land jetzt, wo es zu spät ist, mit harten Worten, die nichts mehr bewirken können. Manche beginnen gar russische Bürger zu verprügeln oder ihre Geschäfte anzugreifen – was noch weniger bringt und eine weitere Schande für dieses Land darstellt.

Apollo hat seine Farben eben nicht – wie es jetzt üblich ist – schnell über Nacht in blau und gelb geändert. Wir waren schon immer blau und gelb. Und wir standen schon an der Seite der Ukraine bevor es ein Trend war.

Wir haben uns 2018 in Anlehnung an den russischen Propagandasender „Sputnik News“, „Apollo News“ benannt und unsere Mission klar formuliert: Die antifreiheitlichen und antiwestlichen Mythen dieser Zeit als solche zu entlarven. Für uns waren der Kampf für die Freiheit im Inland und im Ausland immer zwei Seiten einer Medaille.
Dafür wurden wir immer wieder angegriffen, bepöbelt und sogar juristisch (am Ende ohne Erfolg) angegangen. Aber wir halten Kurs.

Ernst Reuther, Berlins legendärer Bürgermeister und einer der noch aufrechten Sozialdemokraten, erklärte Berlin im Angesicht der sowjetischen Blockade 1948 zum Vorposten der Freiheit. Angelehnt daran formulierten wir schon zu unserer Gründung 2018 einen einfachen Grundsatz: „Auch heute wird die Freiheit an ihren Vorposten verteidigt. Jetzt ist es nicht mehr Berlin, sondern Jerusalem, Taipeh und Kiew“.

Währenddessen beschäftigten sich die Bundesregierungen der letzten Jahre lieber mit der Ausrottung eines nicht ausrottbaren Virus, sie zogen es vor, das Scheitern ihrer Energiewende mit russischem Gas zu kaschieren und schimpften lieber über den bösen, bösen Trump, anstatt mit ihm gemeinsam den Despoten dieser Welt Einhalt zu gebieten.
Bildlich eingefangen wurde diese deutsche Arroganz in der berühmte Szene vor der UNO, als Deutschlands Außenminister Heiko Maas Trump öffentlich auslachte, als dieser auf Deutschlands Energieabhängigkeit von Russland hinwies.

Ich schreibe das, weil der Blick zurück hier notwendig ist. Die deutschen Solidaritätsbekundungen sind erst dann ernstzunehmen, wenn Deutschland seine eigene Verantwortung an dieser Katastrophe für das Ukrainische Volk nicht länger leugnet.
Deutschlands Schwäche und Kompromissbereitschaft bis zur Selbstaufgabe hat Putin die Bahn erst frei gemacht.

Gerade aktuell in diesen Stunden wird in Wien an einem neuen Atomabkommen mit dem Iran gezimmert. Wieder kuscht der Westen vor einem (hier ja noch weitaus brutaleren) Regime und gibt ihm die Möglichkeit der Ausweitung seines Terrors und des Ausbaus seiner Waffenarsenale. Die Warnungen Israels werden einfach ignoriert. Das zeigt: Die Ukraine war noch nicht Schock genug. Dieses Land will weiter träumen und die bedrohten Demokratien dieser Erde im Stich lassen.

Die harte, schwierige Realität in die Debatte zu bringen ist unsere Aufgabe. Es gibt viel zu tun.

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Max Mannhart

Herausgeber
Junge Perspektiven

Der falsche Umgang mit diesem Krieg in der Schule

Von Johanna Beckmann und Gesche Javelin | Alle beschäftigt der Krieg, alle suchen nach Rat. In der Schule wird das Thema weitgehend ignoriert .

Deshalb bin ich Soldat geworden

Von Adriàn Carlos Hurtado | Wir Soldaten werden gerne belächelt. Es ist vielleicht altbacken – und bleibt dennoch richtig. Vielleicht verstehen es jetzt manche besser.

Irrtum eines Putinverstehers: Ich lag falsch

Von Max Zimmermann | Ich habe mir große Mühe gegeben Putin zu verstehen und die Fehler des Westens zu sehen – doch er ist nicht mehr zu verstehen.

Hintergrund
Meinung

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Mief der Doppelmoral

Von Luca | Vor einigen Tagen ist es geschehen. Der russische Präsident Wladimir Putin startete einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Der Westen – und insbesondere Deutschland – ist schockiert und begießt die Ukraine regelrecht mit Solidaritätsbekundungen. Verständlich, denn nach über 20 Jahren Frieden, fußt wieder ein Krieg auf Europas Boden. Nicht nur in den sozialen Medien, sondern auch auf den Straßen Deutschlands ist das Mitgefühl immens. Die Menschen nehmen massenhaft an Demonstrationen teil und appellieren für Frieden und Freiheit in der Ukraine. Sogar Dauersirene und Nervensäge Prof. Dr. Karl Wilhelm Lauterbach war sich nicht zu schade, an den Massendemos seinen Soll zu erfüllen – und das trotz Corona-Pandemie.

Es mieft. Es mieft nach Doppelmoral. Und ich frage mich, weshalb kaum jemand die Nase rümpft.
Noch vor ein paar Wochen haben Behörden aus sämtlichen Bundesländern Demonstrationen verboten oder eingeschränkt. Explizit bei den Corona-Demos gab es kein Erbarmen. Politiker warnten vehement. Vor allem Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) brachte so manch einen Maßnahmenkritiker zum Meltdown, als sie via Twitter appellierte: „Man kann seine Meinung auch kundtun, ohne sich gleichzeitig an vielen Orten zu versammeln.“ Demonstranten hat man nicht einmal für ihre Grundrechte spazieren lassen ohne offensivsten polizeilichen Einsatz. Ein regelrechtes Katz- und Maus-Spiel hat zwischen friedlich demonstrierenden Bürgern und teilweise aggressiven Polizisten bei Spaziergängen stattgefunden. Aber gut, schließlich ging es um die Eindämmung des Corona-Virus. Wie wir von unserer Obrigkeit mittlerweile gelernt haben, ist jede Infektion eine zu viel. Da spielt es natürlich auch keine Rolle, dass Eindämmungsmaßnahmen vollkommen überzogen sind, auch wenn an der frischen Luft eine Ansteckung sehr unwahrscheinlich ist. Und selbstverständlich war den Einsatzkräften jedes Mittel recht, um diesem fast schon heiliggesprochenen Anti-Grassierungs-Dogma gerecht zu werden. Stichwort Abstandsholz. Lächerlich.

Als Putin letzte Woche die Ukraine angriff, machten viele Bürger des Landes mobil und demonstrierten gegen den Krieg. Vor allem in Berlin gab es tausende Teilnehmer. Zahlreiche blau-gelbe Flaggen verzierten die Kundgebung. Von Abstandshölzern oder Wasserwerfern war weit und breit nichts zu sehen. Und das, obwohl keine Mindestabstände eingehalten wurden und wir laut Regierung immer noch mitten in einer Pandemie, beziehungsweise Epidemie, stecken. Schließlich hätte es bei den Versammlungen ebenso zu vielen Infektionen kommen können – oder etwa nicht, liebe Experten und Behörden? Es könnte nicht offensichtlicher sein: Mit sämtlichen Infektionsschutzargumenten hätte man auch die Massendemos, bei denen für Frieden und Freiheit in der Ukraine demonstriert wurde, verbieten können. Manch einer könnte mir jetzt entgegnen, dass die Demonstranten eine Maske trugen, kein Widerspruch zu den Corona-Demos existierte und die Demos deshalb völlig legitim wären. Aber ist das Tragen einer Maske an der frischen Luft wirklich von nennenswerter Relevanz? Die Maskenpflicht wurde ursprünglich damit gerechtfertigt, dass Aerosolbildung in geschlossenen Räumen zu einer höheren Infektionswahrscheinlichkeit führt und deshalb die Maske einen Schutz bietet. Beide Demos fanden aber draußen statt. Also über was reden wir hier?

Es ist beschämend, dass Corona-Demos und Ukraine-Demos, die von ihren Motiven her sehr ähnlich sind, mit zweierlei Maß behandelt werden. Beide Demos sind regierungskritisch, beinhalten die Werte Frieden und Freiheit – nur eine von beiden kritisiert unsere Bundesregierung. Und viele Politiker, Journalisten und Bürger kommen nicht einmal ansatzweise ins Grübeln und sehen diese offensichtliche Ungleichbehandlung der beiden vollkommen berechtigten Versammlungen. Möglicherweise ist das die Folge betonierter Moralisierung. Gute Demo, schlechte Demo. Man bekommt sehr schnell den Eindruck, dass Corona-Demonstrationen politisch nicht gewollt sind und deshalb sanktioniert werden. Jede Demo in diesem Land sollte ohne Restriktionen stattfinden. Es gibt keine guten und es gibt keine schlechten Demos. Die Bewertung ist völlig subjektiv.

Es mieft unglaublich nach Doppelmoral und Deutschland sollte dringend mal das Fenster öffnen.


„Wir sind in einer anderen Welt aufgewacht“ – Deutschlands wenig glaubhafter Einsatz für die Freiheit

Von Jonas Aston | Der 24.02.2022 begann für mich mit einer Pressekonferenz von Annalena Baerbock. „Wir sind heute in einer anderen Welt aufgewacht“, sagte die Außenministerin. Ich wollte sie erst nicht ernst nehmen. Was sollte schon passiert sein? Gibt es neues vom Klimawandel oder ist Karl Lauterbach etwa auf eine neue Corona-Variante gestoßen? Doch die Lage ist tatsächlich ernst. Es ist Krieg ausgebrochen. Hunderttausende, wenn nicht Millionen Ukrainer sind auf der Flucht. Frauen und Kinder harren in U-Bahn-Schächten aus und hoffen, den nächsten Tag noch zu erleben. Die Ereignisse stellen zahlreiche vermeintliche Gewissheiten meiner Generation in Frage. Krieg könne es überall auf der Welt geben, aber bestimmt nicht in Europa. Auch zwingt der Ukraine-Krieg die Politik zu einer 180-Grad Wende in praktisch allen Bereichen. Entsprechend groß kündigte Olaf Scholz seine künftigen Vorhaben an. Es war mal wieder die Rede von einer „großen nationalen Kraftanstrengung“. Zudem „erleben wir eine Zeitenwende“. Beeindruckend ist vor dem Hintergrund dieser „Zeitenwende“, wie schnell in der Bundesrepublik Gut zu Böse und Böse zu Gut wird.

Jahrelang war jeder, der höhere Ausgaben für das Militär forderte, der absolute Bösewicht. Es galt das Credo vom pazifistischen Deutschland. Ultimativer Feind waren all jene, die sich für Waffenlieferungen einsetzten oder gar die Aufrüstung der Bundeswehr forcierten. Erst das heize die Konflikte nämlich an. Plötzlich sagt Bundeskanzler Olaf Scholz: Wir werden deutlich mehr investieren müssen in die Sicherheit unseres Landes“ und fordert, dass die Gewehre schießen, die Panzer fahren und die Schiffe schwimmen“ müssen.  

Das völlige Versagen zeigt sich auch in anderen Feldern. In der Energiepolitik konnte die „grüne Transformation“ gar nicht schnell genug gehen. Ausstieg aus der Atomenergie, Ausstieg aus der Kohleenergie und das ganze flankiert von russischem Gas und erneuerbaren Energien. Wer dies kritisierte, musste sich als „Klimasünder“ und schlimmeres beschimpfen lassen. Nun wird deutlich, dass dieser Plan nicht aufgeht. Wirtschaftsminister Robert Habeck will der Versorgungssicherheit gegenüber dem Klimaschutz „im Zweifel“ den Vorrang erteilen. Markus Söder fordert sogar eine Debatte über die Wiederbelebung der Atomkraft.

Flexible moralische Maßstäbe

Medial ist auf einmal die Rede von Völkern und unterschiedlichen Kulturen. Wurde doch jahrelang behauptet Kulturen seien eine soziale Fiktion. Auch geht es plötzlich um die Unverletzlichkeit von Grenzen. Das kann nur verwundern, behauptete doch Angela Merkel 2015, dass man Grenzen überhaupt nicht schützen könne. Und wo bleibt Annalena Baerbocks „feministische Außenpolitik“? Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen die Ukraine nicht verlassen. Müsste die Außenministerin bei dieser offenkundigen Ungleichbehandlung von Männern und Frauen nicht aufschreien? Jedes der Beispiele zeigt die Utopie und die ideologische Vernarrtheit der Politik.

Ganz besonders sind die Maßstäbe bei der Bewertung von Versammlungen verrutscht. In Deutschland scheint es gute und schlechte Demos zu geben. Seit fast drei Monaten drücken Bürger hierzulande ihren Protest mit sogenannten „Corona-Spaziergängen“ aus. Allein an den Montagen protestieren wöchentlich mindestens 200.000 Menschen. Dabei dürfen sie weder auf Erwähnung in der Tagesschau noch auf irgendeine Art des konstruktiven Dialogs zwischen ihren Anliegen und der Politik hoffen. Hunderttausende Demonstranten werden einfach ignoriert. Doch nicht nur das. Ein jeder Demonstrant in jeder Kleinstadt muss damit rechnen, von der Polizei – teils mithilfe von Wasserwerfern und Pferdestaffeln – zusammengetrieben und erkennungsdienstlich festgestellt zu werden. Dabei droht ihm in der Regel ein Bußgeld von 250 €. Als Begründung wird der Verstoß gegen Corona-Auflagen aufgeführt und Innenministerin Nancy Faeser meinte, Protest könne man auch ohne Demonstrationen ausdrücken.

Nichtsdestotrotz demonstrierten am Rosenmontag in Köln 250.000 Menschen für Frieden und in Hamburg nach Aufruf von FridaysforFuture rund 120.000 Menschen. In Berlin protestierten 100.000 Bürger gegen den Krieg in der Ukraine – inklusive Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Olaf Scholz sagte: „Ich danke allen, die in diesen Tagen Zeichen setzen: Gegen Putins Krieg – und die sich hier in Berlin und anderswo zu friedlichen Kundgebungen versammeln“. Zugleich vermeldete Tagesschau Online, dass in Russland „unter dem Vorwand der Sicherheit vor Ansteckung in der Corona-Pandemie“ Demonstrationen nicht erlaubt würden. Mir geht es hier gar nicht darum die Pro-Ukraine-Demonstrationen zu delegitimieren. Ganz im Gegenteil: Ich finde es gut, wenn sich Menschen für den Frieden einsetzen. Die Beispiele zeigen jedoch die begrenzte Konsequenz der Moral in Deutschland. Gut und Böse verschwimmen und wer seine Maßstäbe nicht flexibel anpasst, läuft Gefahr, bald selbst zu den Bösen zu gehören.

 

 


Jetzt bewerben! Unser Workshop für junge Autoren – mit Roland Tichy, Peter Hahne & Josef Kraus

Im Moment lässt sich das Leben junger Leute mit einer Geisterbahn-Fahrt vergleichen: Immer wieder kommt irgendeine neue fiese Fratze aus dem Dunkeln hervorgeschossen und um uns herum schreien ständig alle. Sei es nun Luisas Klimahorror, Lauterbachs Coronawahn oder die allgemeine Kriegsangst – Schüler und Studenten kriegen all das in Schule und Uni im Dauer-Panik-Modus direkt vor den Latz geknallt.

Du bist unter 25 und hast Lust, mit uns Gespenster zu vertreiben? Dann bewirb dich jetzt noch schnell für unser Autorenseminar vom 18.-20. März!

Zusammen mit Tichys Einblick wollen wir von Apollo jungen Leuten die Möglichkeit geben, selbst den Mund aufzumachen und ihre Sicht auf die großen (und kleinen) Fragen der Zeit in Artikeln niederzuschreiben. Dafür treffen wir vom 18. bis 20. März in einem schönen Tagungshotel im Berliner Raum. Das Programm: Einen Tag lang die TE-Online-Seite übernehmen. Mit dabei: niemand geringeres als die renommierten Publizisten Roland Tichy, Vera Lengsfeld, Josef Kraus, Johanna Tschavoll (Redakteurin bei exxpress.at) und Special Guest Peter Hahne

Ob nun Schreibneuling oder Routine-Blogger – bei uns ist jeder willkommen, der zwischen 15 und 25 Jahre alt ist und sich fürs Schreiben und die journalistische Arbeit interessiert. Bezahlen müssen unsere Teilnehmer nichts, die Kosten werden vom Veranstalter getragen.

Inzwischen sind nur noch wenige Seminarplätze frei! Wenn Du noch mitmachen möchtest, schreib am besten gleich eine E-Mail an larissa.fusser@apollo-news.net. Wir schicken dir dann gerne alle weiteren Infos.


„Tattoos für Immunisierte“ – Was ist aus der Angst vor dem gläsernen Bürger geworden?


Von Simon Ben Schumann | Der „gläserne Bürger“, vor dem seit Jahren in den Mainstreammedien gewarnt wurde, ist zu einer Realität geworden. Ohne Nachweis des Coronastatus ist eine Teilnahme am Lebensalltag oft unmöglich. Und statt einem nervigen, impraktikablen gelben Impfpass, nehmen die meisten Bürger die vom „netten Staat“ so bereitwillig angebotenen QR-Codes in der App gerne an – zugegebenermaßen auch ich. Natürlich völlig sicher davor, nachverfolgt zu werden, sagt die Regierung. 

Zeig mir deinen Code, dann darfst du reinkommen – klingt das nicht dystopisch? Aber es geht noch besser. 

Im C&A in Bochum (Ruhrgebiet), bei der 2G-Kontrolle am Eingang, wurde uns Kunden zum Beispiel ein Tattoo auf den Handrücken angeboten. So komme man im Einkaufszentrum schließlich schneller herum und überall rein. Ich bin nicht religiös – an die Offenbarung des Johannes musste ich trotzdem für einen Moment denken. Und an die Selbstverständlichkeit, mit der die lächelnde Verkäuferin mir dieses „unmoralische Angebot“ machte. Außerdem: Braucht nicht jeder Klamotten, sogar jemand, der es wagt, sein Immunsystem höchstpersönlich zu verwalten? 

An Universitäten gibt es Sticker auf den Studentenausweisen (z. B. Ruhr-Universität Bochum) oder Armbänder (z. B. Leibniz Universität Hannover), mit denen man ohne weitere Probleme in Räumlichkeiten und Veranstaltungen kommt. Über einen längeren Zeitraum weigerte ich mich, dabei mitzumachen und mich mit einem grünen Sticker auf dem „Studiausweis“ kennzeichnen zu lassen. 

Die Folge: Zu Vorlesungen musste ich immer durch einen anderen Eingang als meine Kommilitonen gehen. Zur genaueren Überprüfung. Protest – Fehlanzeige. Schlussendlich gab ich zähneknirschend nach, bin aber davon überzeugt, dass dieses Vorgehen absolut unethisch ist. Ähnliches erlebte ich vor Kurzem beim Kieferorthopäden, den ich (zum Glück) nur noch zu Kontrollterminen besuchen muss. Die erste Frage der Assistentin: „Wie ist Ihr Coronastatus? Wie lange liegt ihre letzte Impfung zurück?“. Auf Nachfrage sagte mir die behandelnde Dame, dass man durch „Coronaschutzverordnung“ verpflichtet sei, diese Daten ins digitale System aufzunehmen. „Am besten, man fragt gar nicht weiter nach.“, beendete sie kurz darauf unser Gespräch. An ihrem Argument hab‘ ich so meine Zweifel. 

Passend zu dieser Atmosphäre entwickelte ein schwedisches Start-up einen in den Arm implantierbaren Mikrochip, mit dem der Immunnachweis immer dabei ist. Ich bin froh, dass Karl Lauterbach offenbar davon noch nichts mitbekommen hat. Man kann sich ihn gut vorstellen, wie er von der erhöhten Sicherheit fantasieren würde: „Dieser Chip – ja? – der ist ein echtes Ass im Ärmel gegen diese Welle der Pandemie!“ Von der den Wahnsinn des Gesundheitsministers preisgebenden Stimme unbeeindruckt, eine artig nickende Runde bei Anne Will. Jeden Abend. Und wer nicht zugeschaut hat, dessen Impfnachweis verfällt plötzlich schon nach drei Monaten. Wohin das alles führen soll, weiß wahrscheinlich nur – „die“ Wissenschaft. 

Der verfolgbare Bürger: Ein rechtliches Problem 

Wollen Sie eindeutig und überall identifizierbar sein? Was erstmal wie eine harmlose Frage klingt, ist ein Thema mit Konfliktpotenzial. 

In Deutschland und vielen anderen westlichen Staaten ist es Gang und Gäbe, als Individuum für den Staat problemlos nachverfolgbar zu sein – zumindest wenn es um Namen und andere persönliche Daten geht. So hat in Deutschland jeder den bekannten Perso oder Reisepass parat, um sich bei Behörden (aktuell auch Corona-Teststellen) ausweisen zu können, das Land zu verlassen oder andere Leistungen zu empfangen. Soweit eine Selbstverständlichkeit. Bei näherer Betrachtung aber eine nicht besonders freiwillige: Keinen Personalausweis zu besitzen, ist in Deutschland tatsächlich strafbar. Nach § 1 Personalausweisgesetz muss, grob gesagt, jeder Ü16 einen gültigen Perso in Besitz haben. Auf Verlangen „muss“, so der Wortlaut, dieser auch einer Behörde vorgelegt werden. Alles halb so wild, oder schon zu viel staatliche Kontrolle? Ich finde, hier ist es schwer, zu differenzieren. 

Ein Blick ins Ausland eröffnet eine neue Perspektive. Was hier Alltag ist, wäre in den USA vermutlich schon ein Grund zum Aufstand. Denn dort gibt es eine gesellschaftliche Debatte darum, ob eine bundesweite „ID Card“ nicht schon ein Zeichen für „Tyranny“, also einen autoritären Staat ist. Die Argumente sind solide: Weil der Staat den Bürgern verpflichtet sein sollte, nicht andersherum – weil jeder Mensch möglichst selbstbestimmt und möglichst unabhängig agieren sollte – weil man nicht ein berechenbares Rädchen in jemandes System ist. Deswegen gibt es in den USA weder Personalausweis geschweige denn eine Pflicht. Freiwillig sind hingegen alle existenten Medien, die eine Identifizierung ermöglichen. Umso verblüffender, was sowohl im freien Europa als auch im Heimatland der Freiheit während der Pandemie passierte. 

Von körperlicher Unversehrtheit zu staatlichem Zwang 

Jeder hat die gleichen Rechte, egal, welche Entscheidung er über seinen Körper trifft: Diese Aussage klang vor Covid-19 wie ein absoluter Gemeinplatz.

Selbst viele abgebrühte Extremisten hätten sich öffentlich nicht getraut zu widersprechen. Die körperliche Unversehrtheit rangiert in unserem Grundgesetz ganz oben unter den unveränderbaren Grundrechten. Schon in Artikel 2 Abs. 2 GG gibt es eine klare Ansage. „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich“. 

Zugegeben, diese Freiheit ist nicht unbedingt. Durch die sogenannte „Ewigkeitsklausel“ (Art. 79 GG) wird sie zwar vor jedweder grundgesetzinternen Veränderung geschützt; die staatlichen Gewalten sind a priori rechtlich gebunden. Andererseits kann sie durch einfache Gesetze eingeschränkt werden. Diese Einschränkbarkeit ist unter den drei verfügbaren „Möglichkeiten“ – einfacher Gesetzesvorbehalt, qualifizierter Gesetzesvorbehalt, kollidierende Grundrechte – diejenige, welche auch schon dem Namen nach „am einfachsten“ umzusetzen ist. Was die Eltern des Grundgesetzes dabei im Sinn hatten, dürfte aber nicht das aktuelle Geschehen gewesen sein. 

Mittlerweile gehört es zu einem weithin akzeptierten Alltag, sich an vielen Orten des Lebens durch Dokumente auszuweisen, welche einen bestimmten Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nachweisen. Erst durch diesen Nachweis können durch das Grundgesetz garantierte Freiheiten wie Arbeiten, Sport, Treffen mit Freunden etc. wahrgenommen werden. Was sogar von manchen Juristen kleingeredet wird („Ist doch nur ein Piecks!“), ist in meinen Augen ein klarer Bruch mit dem Grundgesetz, von dem sich der deutsche Verfassungsstaat nie erholen wird. Denn der Eingriff, der hier stattfindet, reicht im wahrsten Sinne des Wortes bis in Mark und Knochen der Menschen. Ob die Impfstoffe mit großteils neuer Technologie („mRNA“) nach eigenem Ermessen sicher sind, ist eine hinzukommende Frage. 

Selbst wenn 99,9 % der Menschen mitmachen, teils dem Druck nachgeben und sich ihren Immunstatus auf die Hand malen lassen: Sollte in einer Republik nicht gerade die Minderheit geschützt werden? Gerade in Deutschland? 


Wolodymyr Zelensky – der verkannte Held des Westens

Von Sarah Victoria | Die ukrainische Politik gilt als korrupt – auch Präsident Zelensky wurde in Deutschland früh abgeurteilt. Doch sein Mut sollte Vorbild für uns sein. Die Geschichte eines Dieners des Volkes. 

Bild: President.gov.ua

„Wir sind noch hier.“ Mit diesen Worten wendet sich der ukrainische Präsident in einem viral gegangenen Instagram-Video an seine Nation. Tage zuvor noch in Anzug und Krawatte, steht Wolodimir Zelensky nun in Militärkleidung vor der Kamera, mit tiefen Augenringen im Gesicht. Zuvor hatten russische Nachrichtenagenturen behauptet, der Präsident hätte das Land verlassen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Zusammen mit dem Ministerpräsident, Parteichef und dem obersten Berater steht er in Kiew. Denys Shmyhal (der Ministerpräsident) hält als Beweis sein Handy mit der aktuellen Ortszeit in die Luft. Mittlerweile ist das Video schon ein paar Tage her, die Kampfmoral der Ukrainer ist jedoch geblieben und macht seit nunmehr elf Tagen Putin das Leben schwer, während die Welt gebannt zusieht. Das Time Magazin nannte Zelensky jüngst den „Helden des Westens“, doch die wenigsten dürften wissen, um wen es sich bei diesem Helden überhaupt handelt. Daher folgt hier ein etwas längerer Abriss über die politischen Probleme der Ukraine und ihren Präsidenten, Wolodimir Zelensky.

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Die Diener des Volkes

Zelenskys Partei „Diener des Volkes“ war bei den ukrainischen Präsidentschaftswahlen 2019 neu im Politikgeschehen. Der Name stammte dabei von der gleichnamigen politischen Sitcom, in der Zelensky von 2014-2019 mitwirkte. Als Wassilyj Holoborodko spielte er hier die Rolle eines Geschichtslehrers, der per Crowdfunding-Kampagne zum Präsidenten wird und gegen die Korruption des Landes vorgeht. Zelensky nahm zudem an diversen Fernsehformaten teil, war Komödiant und lieh Paddington Bär seine Stimme. Was viele jedoch nicht wissen: Zelensky selbst kommt aus einer jüdischen, wohlgemerkt russischsprachigen, Akademikerfamilie. Er studierte in Kiew Rechtswissenschaft, führte diesen Beruf aber nie aus. Hier lernte er auch seine Frau Olena kennen, mit der er bis heute verheiratet ist und zwei Kinder hat. Zelenskys Sieg glich einer Revolution an der Wahlurne. Er setzte sich bei der Präsidentschaftswahl nicht nur gegen den Amtsinhaber Petro Poroschenko durch, sondern seine neu gegründete Partei erreichte mit über 43 Prozent der Stimmen auch die absolute Mehrheit in der Werchovna Rada (ukrainisches Parlament) und konnte ohne Koalitionspartner die Regierung des Landes stellen.

Der Wahlerfolg stammt dabei zum einen aus der Popularität Zelenskys, aber auch der politischen Unzufriedenheit der Bevölkerung. Die Partei „Diener des Volkes“ vermied es, konkrete Wahlversprechen zu machen. Zelenskys Partei verschrieb sich der Bekämpfung der Korruption – das zählt quasi zur Tradition im ukrainischen Wahlkampf. Die deutsche Presse stand dem neuen Präsidenten zwiegespalten gegenüber, freute sich auf der einen Seite über die pro-europäische Haltung, bezeichnete ihn aber auch als Populisten.

Eine wichtige Regel im ukrainischen Wahlkampf lautet: Ohne oligarchische Unterstützung Präsident zu werden, ist so gut wie unmöglich. Zelenskys Oligarch der Wahl heißt Ihor Kolomoyskyi. Er ist der Besitzer des Medienunternehmens K1+1, das schon die Sendung „Diener des Volkes“ produzierte und Zelensky berühmt machte. Kolomoyskyi war von 2014-2015 Gouverneur der Oblast Dnipropetrovsk in der Ostukraine. Mit der Gründung seiner Kolomoyskyi-Armee machte er sich sehr unbeliebt in Moskau, Russland erlies im Jahr 2014 Haftbefehl gegen ihn, in die USA darf er wegen Verdacht auf Korruption seit 2021 nicht mehr einreisen.

Das Problem der Korruption

Zelenskys Vorgänger, Petro Poroschenko, war selbst Unternehmer und besaß eine Süßwarenkette, die während seiner Amtszeit florierte. Zudem betrugen die Steuerzahlungen und Spenden Poroschenkos deutlich unter zehn Prozent seines Einkommens. Noch auffälliger verhielt sich allerdings Poroschenkos Vorgänger, Viktor Janukowitsch, der 2014 im Zuge des Euromaidans aus dem Amt gehoben wurde. Aus Putins Sicht ist Janukowitsch der letzte legitime Präsident der Ukraine, Russland gewährte Janukowitsch nach seiner Absetzung auch Asyl, angeblich in einem Moskauer Luxushotel. Janukowitsch sprach nach seiner Absetzung häufig von neofaschistischen Politikern und Terror in der Ukraine. Wovon er jedoch nicht sprach, war der Reichtum seines älteren Sohnes Oleksandrs, der während seiner Präsidentschaft geschätzte 500 Millionen Dollar betrug. Auch erwähnte er nicht, dass um die 50 Abgeordnete der Werchovna Rada von den damals mächtigsten Oligarchen der Ukraine – Rinat Achmetov und Dmitro Firtasch – unter seiner Anleitung „beeinflusst“ wurden. Machtmissbrauch stand zu Janukowitschs Amtszeit an der Tagesordnung, auch wenn das aus dem russischen Exil natürlich anders gesehen wird.

Am Beispiel Janukowitschs kann man eines der Kernprobleme ukrainischer Politik gut erkennen: Die Korruption und der daraus resultierende Einfluss der Oligarchen. Zurückzuführen ist dieser Einfluss vor allem auf die Geschichte der Ukraine. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Erlangen der Unabhängigkeit im Jahr 1991 musste sich das Land neu strukturieren. Es befand sich zusammen mit den ehemaligen Satellitenstaaten in einer Umbruchszeit, die so gut wie alle Lebensbereiche betraf. Wie in totalitären Ideologien üblich, wurde bis dahin versucht, alle Bereiche des Lebens zu politisieren. Sei es Sport, Kultur oder auch die Sprache, alles wird politisch und dadurch staatlich organisiert.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion mussten diese Bereiche wieder neu organisiert werden. Gerade in der Ukraine kam es dabei zu einer engen Verstrickung von Politik und WirtschaftEine Verstrickung, die so eng war, dass man sich schwertat, korrupte Politiker und Oligarchen voneinander zu unterscheiden. Ein kleiner Trick für die Unterscheidung: Schwindet das Vermögen eines Politikers nach dem Ende der Amtszeit, war er korrupt, bleibt es unverändert bestehen, könnte es sich um einen Oligarchen handeln.

Korruptionsbekämpfung ist gefährlich

Seitdem sind über 30 Jahre vergangen, doch nach wie vor ist die Korruption eines der Hauptprobleme des ukrainischen Staates. Zelenskys Partei wollte sich diesem Problem annehmen. Ein Unterfangen, das alles andere als einfach ist. Einerseits, weil es sich um einen Teufelskreis handelt und andererseits, weil man als Abgeordneter oder Journalist gerne mal mit dem eigenen Leben bezahlt, wenn man zu unbequem wird. Alleine letztes Jahr wurde das Auto von Sergej Schefir, einem engen Berater Zelenskys, in Brand gesetzt und beschossen, sodass dieser nur noch mit gepanzerten Autos fährt. Um dennoch gegen die Korrumpierbarkeit von Politikern vorzugehen, wird auf zwei altbekannte Mittel aus den Federalist Papers zurückgegriffen: Transparenz und Rechtstaatlichkeit. Die Rechtstaatlichkeit beschäftigte bereits Zelenskys Vorgänger Poroschenko, der 2014 eine Justizreform einleitete und während seiner Amtszeit ein Dutzend neuer Gesetze für die Ausgestaltung des Gerichtswesens verabschiedete. Zelensky führte diesen Trend fort und setzte eigene Änderungen für den Aufbau einer unabhängigen Richterschaft ein. Bislang lässt der Erfolg jedoch auf sich warten. Im internationalen Vergleich steht es nach wie vor schlecht um die Ukraine, sie befand sich 2021 etwa auf Platz 122/138 des Korruptionsindex (zum Vergleich Russland befindet sich auf Platz 136 und Deutschland auf Platz 10)

Von Anfang an eine politische Zwickmühle

Zelensky befand sich also bereits vor seiner Zeit im Bunker in einer politischen Zwickmühle. Auf der einen Seite bestanden Abhängigkeiten zur EU und zum IWF, die Anleihen und Privilegien im Zuge der Korruptionsbekämpfung versprachen. Eine Aufnahme in die EU wurde jedoch ausgeschlossen.
Auf der anderen Seite war Russland die Annäherung an die „westliche Einflusssphäre“ ein Dorn im Auge. Die neue Regierung stellte das perfekte Feindbild dar: Eine neue Partei, unterstützt von einem Oligarchen mit Haftbefehl, mit einem medial populistisch auftretenden Zelensky, der schon in seiner Antrittsrede klarstellte, dass es keine territorialen Verschiebungen gäbe. Diplomatische Annäherungen scheiterten von Beginn an, es folgten Provokationen, kompromisslose Forderungen von russischer Seite und am Ende der Angriffskrieg. Im Angesicht des Krieges ist die Ukraine nun auf sich alleine gestellt. Ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen, betrachtet man die militärische Überlegenheit Russlands. 

Zelensky war sich dessen natürlich bewusst. Schon in seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz warnte er vor einem dritten Weltkrieg und ließ anmerken, was er von der deutschen Politik hielt:

Three years ago, it was here that Angela Merkel said: “Who will pick up the wreckage of the world order? Only all of us, together.” The audience gave a standing ovation. But, unfortunately, the collective applause did not grow into collective action. […] We will defend our land with or without the support of partners. Whether they give us hundreds of modern weapons or five thousand helmets. We appreciate any help, but everyone should understand that these are not charitable contributions that Ukraine should ask for or remind of.

Nicht einmal eine Woche später fand sich Zelensky im Bunker wieder. Aufgeben scheint für ihn keine Option zu sein und so setzt er alles auf seine verbleibende Trumpfkarte: Die Kampfmoral der Ukrainer. Über die sozialen Medien erhalten die Ukrainer alle paar Stunden die neusten Informationen, es werden Ehrentitel an gefallene Soldaten verliehen und Verhandlungen geführt. Das Angebot der Amerikaner, ihn aus Kiew zu evakuieren, lehnte er mit den Worten „Wir brauchen Munition, keine Mitfahrgelegenheit!“ ab. Ihm dürfte wohl bewusst sein, dass er diese Entscheidung nicht überleben wird. Auch die anderen Teile der politischen Elite sind sich dessen bewusst und bleiben dennoch in ihrem Land. Die Diener des Volkes beweisen der Welt, dass es noch Politiker gibt, die mutig sind und zu ihrem Wort stehen

 

 


Das Mysterium Putin

Von Pauline Schwarz | Mein Russland-Bild wurde schon früh in meiner Kindheit durch die französischen Comics von Spirou und Fantasio geprägt, die sich durch das Sowjet-Imperium schlichen und Abenteuer in Moskau erlebten. Für mich waren die Russen immer ein mysteriöses Volk, das in dunklen, kalten Gefilden zuhause ist, nie eine Miene verzieht, viel zu viel Wodka trinkt und in seiner Freizeit nur mit Fellmütze bewaffnet ins Eisbad steigt. Als ich dann das erste Mal mit dem „realen“ Russland und seinem Machthaber Wladimir Putin im Fernsehen konfrontiert wurde, dachte ich nur: genau wie ich ihn mir vorgestellt habe! Für mich war Putin der Staatschef aus dem russischen Bilder-Buch: Emotionslos, verbissen, gefürchtet. Schwer einzuschätzen und scheinbar zu allem bereit. Ein Eindruck, der sich angesichts seines Angriffskriegs auf die Ukraine nur noch verfestigt hat. Und doch stimmt da etwas nicht. Putin sieht anders aus als früher, begründet seinen Einmarsch mit wüsten Verschwörungstheorien – und heizte damit kräftig die Gerüchteküche an. Einmal mehr fragt man sich rund um die Welt: Wer ist dieser Mann und was zur Hölle treibt ihn an?

In seinen Fernsehansprachen sagte Putin, er wolle die Ukraine entmilitarisieren und entnazifizieren. Die ukrainische Führung sei nach seinen Aussagen eine Gruppe mit Drogen vollgepumpter, von den USA gesteuerter Nazi-Volksverräter, eine „Marionetten-Regierung“ – und das, obwohl die Ukraine, abgesehen von Israel, der einzige Staat mit einem jüdischen Präsidenten ist. Doch damit nicht genug. Putin wirft der Ukraine einen Genozid, also einen gezielten Völkermord, gegenüber der russischen Bevölkerung im Donbas vor. Davon kann aber, auch wenn es seit acht Jahren bewaffnete Konflikte gibt, nicht mal im Ansatz die Rede sein. Genauso wenig wie davon, dass die Nato Russland eingekreist hätte. Die Nato ist zwar seit Ende des kalten Krieges deutlich in Richtung Osten gewachsen, von einer Umzinglung des größten Flächen-Staates der Welt sind wir aber mehr als nur weit entfernt. Jeder Ost-Staat, der der Nato beitrat, tat das aus freien Stücken – und mit allergrößter Wahrscheinlichkeit aus Angst vor Putins Imperialismus.

Manche Leute sprechen ernsthaft davon, dass die Folgen einer Corona-Infektion den russischen Staatschef in den Wahnsinn getrieben hätten – was ich persönlich ziemlich geschmacklos finde.

Während Putin über vermeintliche Nazis und die „Frage um Leben und Tod“ in Russland schwadroniert, sieht er auffällig aufgequollen aus. Er wirkt hasserfüllt und besessen von der historischen Kränkung des Machtzerfalls der Sowjetunion, den er anscheinend gerne rückgängig machen würde. Aber ist das alles nun ein eiskalter Schachzug in einem lang angelegten Plan oder doch die Tat eines kranken Mannes? Manche meinen, Putins Aussehen sei eine Folge von Steroiden – wenn man daran denkt, wie gerne er oben-ohne auf Pferden reitet, vielleicht gar nicht so abwegig. Immerhin will man sich in Form halten, das ganze Judo, Eishockey, Schwimmen und was der Kreml-Chef sonst noch macht, sind sehr zeitraubend. Andere spekulieren über eine Parkinson-Erkrankung, meinen Putin sitze in seinen Ansprachen am Tisch, um sein Zittern zu verbergen. Doch da muss ich als an den Händen ebenfalls zitternder Leidensgenosse -der jedem Fremden erstmal erklären muss, dass ich nicht gleich tot umfalle – einschreiten: Nicht jedes Zittern ist gleich Parkinson. Bei manchen Leuten ist das einfach so. Sei es der Kreislauf, angeboren oder das Zittern vor der Nationalflagge – siehe Merkel. Ohne weitere Informationen ist nur die Long-Covid Theorie abwegiger als die Parkinson-Verschwörung. Manche Leute sprechen ernsthaft davon, dass die Folgen einer Corona-Infektion den russischen Staatschef in den Wahnsinn getrieben hätten – was ich persönlich ziemlich geschmacklos finde. Für mich klingt diese Vermutung so, als wolle die NoCovid-Fraktion Putins Krieg jetzt tatsächlich noch für ihre Corona-Endzeit-Argumentation instrumentalisieren.

Ich glaube nicht, dass Putin, wenn er tatsächlich im pathologischen Sinn verrückt sein sollte, an Long-Covid leidet. Aber Angst vor Corona scheint der Mann wirklich zu haben – anders lässt sich sein gefühlt kilometerlanger Konferenztisch – an dessen anderem Ende nicht nur ausländische Staatschefs, sondern auch seine eigenen Genossen Platz nehmen müssen – kaum erklären. Jetzt fragt man sich natürlich, warum ein erwachsener Mann so Angst vor einem Erkältungsvirus haben sollte. Die erste Erklärung liegt nahe: das hat nichts mit der Realität zu tun – wie viele Leute auch nach zwei Jahren Corona noch immer ernsthaft Angst vor dem „Todesvirus“ haben, sieht man in Deutschland an jeder Ecke. Eine andere Spekulation richtet sich wieder auf seine Gesundheit. Eines der hartnäckigsten Gerüchte um Putin ist eine mögliche Krebserkrankung. Sein aufgeschwemmtes Aussehen wird als Nebenwirkung von Medikamenten interpretiert. Der Kreml wies diese Behauptungen zurück.

Aber mal im Ernst, was wissen wir schon? Ich habe den Eindruck, dass man von Putin genau so viel weiß, wie Putin es möchte. Putins Privatleben, sein Alltag und seine Familie sind Staatsgeheimnis. Das aller meiste, was über ihn bekannt ist, passt genau zu seinem Bild vom unerschrockenen, starken Machthaber mit weitem Einflussgebiet. Etwa, dass er sich schon als kleiner Junge in den vom Krieg zerstörten Straßen Leningrads mit Gleichaltrigen geprügelt haben soll und sich wünschte, Geheimagent zu werden. Dass er einen schwarzen Gürtel in Judo hat und sein Kampfsporttrainer in Sankt Petersburg ein gefürchteter Untergrundboss war. Oder auch, dass er nach seiner Zeit als KGB-Offizier in Dresden, zurück in Russland, noch immer regelmäßig das „Morgenmagazin“ von ARD und ZDF guckte. Ja Mensch, sogar, dass er gerne Hüttenkäse isst und früher manchmal sächsische Witze erzählt haben soll. Davon wüssten wir bestimmt nichts, wenn Putin damit nicht trotz seines harten Images eine gewisse Sympathie erzeugen wollte – und ja, vielleicht neige ich in diesem Punkt auch schon zu Verschwörungsglauben. Aber es würde doch irgendwie zu seiner ach so west-freundlichen Rede passen, die er 2001 im Bundestag gehalten hat.

Am Ende bleibt der Mann aus dem Kreml ein Mysterium.

Selbst wenn mal einzelne Infos durchrutschen sollten – wie etwa die wohl wenig relevante, aber doch interessante Information, dass Putin im Jahr 2010 angeblich eine kosmetische Gesichtskorrektur vornehmen ließ – ist es doch schwer, Informationen zu prüfen, zu bestätigen und zu erklären. Vor allem vor dem Hintergrund, dass die russische Presse staatlich gelenkt und zensiert wird. Immer wieder verschwinden Putin-Kritiker oder versterben unter mysteriösen Umständen. Der Giftanschlag auf Alexej Nawalny ist wohl der bekannteste Fall, aber es gibt noch viele mehr. Was mit Leuten passiert, die über Putins Privatleben berichten, zeigte sich am Beispiel der Zeitung „Moskowski Korrespondent“.  Sie berichtete im Jahr 2008 über die vermutete Liaison von Putin und der Olympionikin Alina Kabajewa, mit der er inzwischen auch mehrere Kinder haben soll. Kurz darauf wurde der Betrieb der Zeitung eingestellt – aus „finanziellen Gründen“. Den verantwortlichen Journalisten fand man wenig später in einer Seitenstraße, Unbekannte hatten ihn zusammengeschlagen.

Putin ist und bleibt in jeglicher Hinsicht schwer einzuschätzen – und genau das macht ihn so gefährlich. Das einzige, was einigermaßen sicher scheint, ist, dass er sich wünscht, das alte Zarenreich wiederherzustellen und wirklich an die Dinge glaubt, die er in seinen Ansprachen sagt. Ich bin inzwischen recht überzeugt davon, dass Putin dachte, die Ukrainer würden seine Armee als Befreier mit offenen Armen empfangen. Die Frage ist nur, wie weit der Mann aus dem Kreml sich inzwischen von der Realität entfernt hat. Und wie weit er noch gehen wird. Man kann nur hoffen, dass seinem Wahnsinn noch ein paar letzte Grenzen gesetzt sind.