Berlin spart gerne! – allerdings nur bei den Schulen

Von Selma Green | Wie wir alle wissen, ist die Berliner Senatsverwaltung in ganz Deutschland dafür bekannt, besonders effizient zu arbeiten und streng darauf zu achten, keine unnützen Steuergelder auszugeben – niemals würden wir in Berlin Millionen für Flughäfen oder Bahnhöfe bezahlen, in denen nicht mal die Beleuchtung funktionierte, weil man die Lichtschalter vergaß. Wir würden auch keine autofreien Flaniermeilen ausbauen, die keiner nutzen möchte, oder Gelder für zum Scheitern verurteilte Projekte, wie den Mietendeckel, verprassen. Nein, aufkeinenfall. Der Berliner Senat ist der Verschwendung immer genau auf der Spur – das nächste Projekt: Einsparung beim kostenlosen Schülermittagessen.

Statt sich endlich mal darum zu kümmern, dass die Berliner Schüler nicht in verstaubten, schimmligen Klassenräumen ersticken oder im Winter – dank der Corona-Maßnahmen – bei geöffnetem Fenstern erfrieren, wird in der Bildungsverwaltung als auch im Abgeordnetenhaus schon länger über die Verschwendung von kostenlosem Schulessen diskutiert. Nach Recherchen der Berliner Zeitung landet in Berlin nämlich jedes vierte Schülermittagessen in der Tonne, weil die Schulkinder es nicht anrühren. Und das ist natürlich schlimm – mit dem ganzen Essen könnte ich bestimmt noch meine Verwandten in Afrika ernähren.

Um das Problem zu lösen, sollte ein digitales Bestell- und Abrechnungssystem eingeführt werden, aber das hat irgendwie wieder keiner gemacht. Deshalb soll ab dem 1. August eine neue rechtliche Verordnung eingeführt werden, die Schul-Caterer dazu verpflichtet, der Schule und den Eltern Bescheid zu sagen, wenn ein Kind mehr als acht Gerichte pro Monat nicht abgeholt hat. Sollte der Schüler dann trotz eines „mahnenden Gesprächs“ sein schändliches Verhalten fortsetzt, kann er vorübergehend vom Schulmittagessen ausgeschlossen werden – Pädagogik, Berlin-Style. Die andere Lösung wäre, das Essen wieder kostenpflichtig zu machen, wofür sich unter anderem die bildungspolitische Sprecherin der CDU, Katharina Günther-Wünsch, einsetzt.

Irgendwie habe ich bei der Diskussion den Eindruck, dass unsere Politiker dabei gar nicht so recht wissen, wie das mit dem Schulessen an den Berliner Schulen wirklich funktioniert – deshalb möchte ich das mal für sie erklären. Also, bei uns läuft das so: Das Essen an meiner Schule ist lediglich bis zur 6. Klasse gratis, danach müssen die Eltern in die Tasche greifen. Außerdem muss sich jeder Schüler das Essen auf der Schulwebsite vorbestellen.

Davon unabhängig, wundert es mich überhaupt nicht, dass kein Schüler mehr das Essen anrührt. Ich habe jedenfalls so meine Traumata vom Kantinenessen. In der ersten Klasse waren meine Lieblingsspeisen Nutellabrot, Schokoladeneis und Gummibärchen – allen voran diese Schlümpfe. Natürlich haben Mama und Papa darauf geachtet, dass nicht nur Gummibärchenschlümpfe auf meinem Teller landeten. Aber Salat blieb trotzdem ein Fremdwort für mich. Ich fand das grüne, blättrige Zeug damals scheußlich. Trotzdem aß ich in der ersten Klasse noch brav das Schulessen, bis es mir mit der Zeit den Magen umdrehte. Das Essen war eine Fundgrube an Dingen, die man lieber nicht im Essen haben will. Ich fand darin schon ein Stück Plastikfolie, Haare und den Plastikring von einem Flaschenkopf.

Doch der absolute Albtraum waren die Senfeier mit Kartoffelbrei. Wenn ich mich recht erinnere, waren die Eier von innen komisch grünlich, da wo sie eigentlich gelb sein sollten. Diese gelbliche Masse saugte mir den Speichel im Mund weg, das Schlucken fiel mir schwer und alles blieb am Gaumen kleben – Ihgitt. Seitdem habe ich nichts mehr aus der Schulkantine gegessen bis auf: Salat! Den Salat konnte man sich nämlich selbst zubereiten. Es gab kleine Schüsselchen mit Salatblättern, Gurkenscheiben, Tomaten und was alles noch so in einen Salat gehört, sodass ich mir aussuchen konnte, was auf meinen Teller kommt. In der Zeit habe ich Salat lieben gelernt und das zubereitete Kantinenessen nie mehr angerührt.

Ist es denn wirklich nicht möglich, in einer Kantine preiswertes, aber genießbares Essen anzubieten? Anscheinend nicht. Stattdessen soll jetzt mit uns allen ein mahnendes Gespräch geführt werden oder wir sollen gleich selbst für diese Pampe zahlen. Mal ehrlich – dann wird nichts mehr weggeschmissen? Das bezweifle ich. Wahrscheinlich können sie die Schulkantinen dann eher gleich ganz abschaffen – wäre immerhin eine gelungene Einsparung von Steuergeldern.

Aber da muss man doch wirklich fragen: Warum wird immer ausgerechnet bei uns Schülern, an der Bildung gespart? Meine Schule erhält gefühlt sowieso keinerlei Gelder mehr. Wir haben überall einen Mangel: einen Mangel an Lehrern, einen Mangel an Papier und einen Mangel an bunter Druckerfarbe. Wir mussten kürzlich in einer Klassenarbeit mit schwarzweißen Diagrammen und Abbildungen arbeiten, auf denen man beim besten Willen nichts erkannte. Wir arbeiten immer noch mit Overheadprojektoren, weil die Technik und das Internet an meiner Schule regelmäßig streikt. Und hier in Berlin hat man nichts anderes vor, als weitere Gelder zu streichen.

Warum sparen wir in Deutschland nicht lieber mal an den jährlich 600 Millionen Euro Entwicklungshilfen, die Deutschland an China zahlt? Dagegen sind die 30 Millionen Euro für weggeworfenes Essen an Schulen doch wirklich ein Klacks. Ich hätte aber auch noch einen ganz innovativen Vorschlag: Sorgt doch einfach dafür, dass man von dem Essen keinen Brechreiz mehr bekommt, dann landet es auch nicht im Müll. Aber ich fürchte ich stoße mit meinen Ideen in Berlin auf taube Ohren. An den Schülern wird einfach zu gerne gespart.


Schluss mit der patriarchalen Geschlechtsanmaßung bei Toten!

Von Simon Ben Schumann | Falls Sie es noch nicht wussten: Mann und Frau, das sind Lügenbilder der patriarchalisch-unveganen Weltverschwörung. Unsere Vorstellungen von Sexualität und Geschlechtern sind nur als Teil des hegemonialen Kolonialismus entstanden und dienen sowieso nur dazu kapitalistische Normen aufrechtzuerhalten – zumindest, wenn man der modernen “ Geschlechterarchäologie“ glauben möchte. Sie fordert die patriarchale Deutung archäologischer Knochenfunde endlich zu beenden – denn wer weiß schon, ob sich das tausend Jahre alte Skelett mit der männlichen DNA nicht in echt als Trans identifizierte? Es ist also soweit: Jetzt verlieren sogar die Toten ihre „Gender Identity“.

Wissenschaft wird zum Politikum

Wenn angehende Archäologen früher davon träumten eines Tages wie Lara Croft oder Indiana Jones zu werden, sind ihre Idole heute die Heroen des „Black Trowel Collectives“. Was klingt wie ein Block der nächsten „Welcome to Hell“-Demo bei G20, ist ein Team junger, britischer Archäologen, das die ganze Palette des „The world is a social construct“-Glaubens vertritt und damit aktuell die Wissenschaft „bereichert“. Auf ihrem Blog veröffentlichte das „Kollektiv“ einen Aufruf unter dem Motto „Archaelogists for Trans Liberation“. Demnach sei die Vergangenheit ein Raum, in dem transsexuelle Menschen, alle Arten von Geschlecht und sexueller Fluidität und deren Variationen problemlos existierten. Archäologen sollten die „fließenden Grenzen der Geschlechter“ deshalb endlich ins Zentrum ihrer Arbeit rücken. Die Erkennung des Geschlechtes bei uralten Skeletten durch Grabbeigaben, Körperform oder technische Analysen – von gestern. Denn auch die Vergangenheit sei schließlich trans.

Mal ehrlich: Haben sie unrecht? Ob beim Bau der hängenden Gärten Babylons oder in blutigen Gladiatorenkämpfen im alten Rom – die Fluidität der Geschlechter spielte immer eine sehr wichtige Rolle. Gerüchten zufolge soll schon die sagenhaft schöne Pharaonin Kleopatra nur Männer gedatet haben, die sich keiner der klassischen Geschlechter zuordnen wollten – etwa Marcus Antonius oder Julius Cäsar. Und Sie wissen sicherlich auch, dass die heiligen drei Könige für Maria einen wichtigen Hinweis hatten, als sie kamen um Jesus die Ehre zu erweisen: „Erziehe dein Kind genderneutral, und es wird der endgültige Erlöser der Welt!“. Sie hielt sich leider nicht daran. Was später mit Jesus passierte, ist kein Geheimnis.

Ja zum geschlechtslosen Zeit-Raum-Kontinuum!

Bezogen sich die Änderungswünsche der Gender-Studies-Apologeten früher nur auf Gegenwart und Zukunft, wird jetzt also auch noch die Vergangenheit durchgegendert. Bevor wir alle das letzte bisschen Glauben in die Menschheit verlieren, wäre mein Vorschlag: Nehmen wir uns Popcorn und genießen die Show. Wenn im Ägyptischen Museum Berlins bald von „Pharo*Innen+“ die Rede ist, werden die Besucherzahlen durch die Decke gehen. Ganz sicher.


Finnlands Neutralität Teil 1: Vom Zarenreich zum Zweiten Weltkrieg

Von Max Roland | Jahrzehntelang war Finnland neutral – und spielte eine wichtige Rolle für die europäische Friedensordnung. Unter dem Eindruck von Putins Angriffskrieg will das Land jetzt der NATO beitreten. Was bedeutet das für Europa, für den Westen und für Moskau?

Wer an Neutralität denkt, denkt oft an unsere südlichen Nachbarn aus der Eidgenossenschaft – „neutral wie die Schweiz“ zu sein ist längst sprichwörtlich. Dabei ist die Schweiz nicht das einzige Beispiel von erfolgreicher Neutralität. Genauso gut könnte man an Finnland denken – bisher zumindest. 

 Neutralität war lange ein Eckpfeiler der Politik Finnlands. Die finnische Geschichte ist seit Jahrhunderten geprägt durch seine Nachbarschaft zu Russland. 1917 erklärte Finnland seine Unabhängigkeit vom kollabierenden russischen Zarenreich: Eine Unabhängigkeit, die die Sowjetunion als Nachfolgestaat nie wirklich akzeptieren wollte. Der sowjetische Diktator Josef Stalin warf sein Auge schon bald auf die verlorenen Territorien des Zarenreiches. Nach Vereinbarung mit Hitler annektierte er teile Polens sowie die baltischen Staaten – auch Finnland geriet ins Visier der Sowjets. Es folgte der berühmte „Winterkrieg“ von 1939 bis 1940, in dem die Finnen ihre Unabhängigkeit erfolgreich verteidigten und dem roten Imperium de facto eine peinliche Niederlage zufügten – am Ende musste das nordische Land nur minimale Gebietsverluste hinnehmen. Der Fehdehandschuh war für beide Länder damit jedoch noch nicht begraben – im Gegenteil. Nach wie vor sah Stalin in Finnland nicht viel mehr als eine abtrünnige Provinz – und Finnland unter seinem Präsidenten Gustav Mannerheim suchte nach einer Gelegenheit, seine Territorien zurückzuerobern. 

Diese Gelegenheit bot sich rund ein Jahr später. Seit dem Ende des Winterkrieges suchte Finnland nach Verbündeten, um eine neuerliche sowjetische Invasion abzuwehren. Moskau übte jedoch weiterhin massiven Druck auf Helsinki aus – eine von Finnland angestrebte Zusammenarbeit mit dem Nachbarland Schweden wurde durch Stalin zu einem Casus Belli erklärt. Die Westalliierten waren derweil damit beschäftigt, in Frankreich durch die Wehrmacht überrannt und eingekesselt zu werden – von ihnen war keine Hilfe zu erwarten. So wandte sich Mannerheim an die einzige Großmacht, die fähig und willens war, Finnland zu unterstützen, war das deutsche Reich. Ab Ende 1940 begann ein enges Zusammenwirken zwischen den militärischen Führungsspitzen des Reichs und Finnlands. Mit dem Zusammenwirken beabsichtigte Nazi-Deutschland eine Sicherung der Lieferung kriegswichtiger Rohstoffe aus Finnland. Im Mai 1941 verlegte die Wehrmacht Truppen nach Finnland – die Verteidigung des Nordens war vertraglich den Deutschen Übertragen worden. Gemeinsam rüstete man sich für „Operation Barbarossa“, den Angriff auf die Sowjetunion. Am 25. Juni trat Finnland an der Seite Deutschlands in den Krieg ein.

Der Verlauf und das Endergebnis von „Operation Barbarossa“ sind dem Leser  bekannt. Die Finnen kämpften vor allem im Norden in der Region Karelien, waren an der langen Belagerung Leningrads beteiligt und stießen mit den Deutschen un Richtung des Nordmeer-Hafens Murmansk vor. 1944 begannen die Sowjets eine gezielte Großoffensive, um Finnland zum Ausscheiden aus dem Krieg zu bewegen. Im gleichen Jahr schloss Finnland, trotz massiver deutscher Bemühungen dagegen, einen Waffenstillstand mit den Sowjets. Der endgültige Frieden von 1947 mit der UdSSR und Großbritannien wurde nach der Pariser Friedenskonferenz 1947 zu noch härteren Bedingungen geschlossen als nach dem Winterkrieg. Zu diesen Bedingungen zählte unter anderem die Abtretung des Gebietes um Petsamo, womit Finnland seinen einzigen eisfreien Nordmeerhafen verlor. Dafür blieb dem Land allerdings die Besetzung durch sowjetische Truppen erspart, und Helsinki konnte  seine Unabhängigkeit bewahren.


Goodbye Deutschland? – das große Apollo Battle

Lesen Sie hier: Das große Debattenduell. Soja-Latte-Pauline und Mistgabel-Jonas steigen wieder in den Ring – nur geht es diesmal nicht um Schafkotze in Thüringen, sondern um Ziegenmilch in den Pyrenäen. Jonas hat das Fernweh gepackt, während Pauline ihrem Assikiez treu bleiben will. Für wen fiebert ihr mit: Team Fernflucht oder Team Heimatliebe? 

ACHTUNG: Dieser Beitrag könnte Spuren von Humor enthalten. Weder spanische Sonnenanbeter noch deutsche Pünktlichkeit-Fanatiker wurden bei der Produktion dieser Kolumne ernsthaft verletzt. Dieser Austausch spiegelt in keiner Weise das Arbeitsklima bei Apollo News wieder, sondern dient schlichtweg Unterhaltungs- und Ausbildungszwecken. Seelsorgerische Unterstützung stand den Autoren zu jeder Zeit zur Verfügung.


Lieber Cocktails am Strand als frieren in Deutschland

Von Jonas Aston | Blaues Meer, wolkenfreier Himmel und jeden Tag strahlende Sonne – für mich wird all das ab Herbst Realität. Ab Ende August werde ich nämlich ein Jahr in Spanien „studieren“, während Pauline in Deutschland versauert. Dann schlürfe ich an spanischen Stränden Cocktails und schicke ihr eine Postkarte, in der ich mein Mitleid bekunde, dass sie das Wasser in ihrem Kreuzberger Assi-Kiez bestenfalls aus dem Duschkopf fließen sieht. Ich fürchte aber selbst das könnte ihr verwehrt bleiben, wenn Strom und Gas im Winter das zeitliche segnen. Pauline kann dann fröhlich die Eiszapfen an der Decke zählen, während sie mit Strickpullover, Jacke und Schal auf das Ende des Lockdowns wartet. Ich sitz dann immernoch mit einem Caipirinha am Strand – Corona wurde in Spanien nämlich abgesagt. Mit dem Virus geht man schon seit Januar um wie mit der gewöhnlichen Grippe. Die Spanier sind einfach nicht so irre, wie die Menschen, die bei uns im Bundestag sitzen, auf Kosten des Steuerzahlers unser Land zu Grunde richten und sich dann auch noch für ihre gute Arbeit auf die Schultern klopfen. Deshalb muss ich sagen: Der Gedanke Deutschland Lebewohl zu sagen, wird für mich immer attraktiver.

Die deutsche Politik ist mir persönlich einfach zu Lebens- und Spaßfeindlich – ich sage nur Stichwort Auto. Einmal falsch geparkt und die deutsche Justiz schlägt knallhart zu. Es dauert keine zehn Minuten und ein Knöllchen klebt unter dem Scheibenwischer. Wenn das Auto bewegt wird, macht der Staat den noch größeren Reibach. Letztens bin ich in eine 50er Zone gefahren und habe einmal den fatalen Fehler gemacht, etwas zu spät abzubremsen – und Zack: Blitzlichtgewitter. Exakt zwei Wochen später flatterte dann Post aus Flensburg ins Haus. Aber Pauline hat das Problem vielleicht bald gar nicht mehr, immerhin ist man in Berlin schon dabei das Auto komplett abzuschaffen. 

Wenn es aber mal nicht darum geht den Bürger abzuzocken, mahlen die Behördenmühlen in Deutschland sehr langsam. Schon einen neuen Personalausweis zu beantragen ist eine Herkulesaufgabe. Die Wartezeit in den Bürgerämtern liegt bei mindestens 2 Stunden. Wenn man dann noch ein Quäntchen Glück hat, ist der Beamte vor dessen Tür man sich angestellt hat auch tatsächlich für die Ausstellung der Ausweise zuständig. Wenn nicht, geht das Spielchen eben von vorne los.

Getoppt werden die Bürgerämter (zumindest bei uns) nur noch von den Kfz-Zulassungsstellen. Dort einen Beamten zu erwischen ist ein regelrechter Wettkampf gegen die Zeit. An 4 von 5 Tagen haben die Zulassungsstellen nur zu unmöglichsten Zeiten geöffnet (meist von 9-12 Uhr). Lediglich an einem Tag in der Woche sind sie etwas länger offen (in der Regel von 9-17 Uhr aber natürlich unterbrochen durch eine großzügige Mittagspause). Dort angekommen heißt es schnell eine Nummer ziehen und hoffen, dass man rechtzeitig aufgerufen wird. Wer bis 5 Uhr noch nicht das Vergnügen mit einem Beamten hatte, hat eben Pech und kann am nächsten Tag… Ähm… ich meine natürlich in der nächsten Woche wieder kommen.

Oft sind es aber auch die kleinen Dinge, Erlebnisse des Alltags, bei denen ich nur denke: „Die arme Pauline“. Neulich habe ich auf einer zweispurigen Autobahn einen LKW mit ungefähr 130 Km/h überholt. Auf einmal preschte von hinten ein 7er BMW an. Der Fahrer blendete 3-mal auf und drückte 10 Sekunden auf die Hupe. Im Rückspiegel sah ich, wie der Mann die Zähne fletschte und mir die Faust entgegenstreckte. Als ich den Überholvorgang dann abschloss, hatte es der Fahrer plötzlich gar nicht eilig. In Zeitlupe fuhr der BMW an mir vorbei. Währenddessen schaute seine Mitfahrerin mich mit dem Todesblick an, um mir klarzumachen, welch furchtbares Verbrechen ich begangen habe. Ich habe nur noch darauf gewartet, dass die Mitfahrerin den Elektrofensterheber betätigt und mir „ANZEIGE IST RAUS!“ entgegenkreischt.

Auch die deutschen Supermärkte sind immer wieder für eine Überraschung gut. Erst gestern habe ich Nudeln, Milch und Brot eingekauft. Eigentlich ein ganz normaler Vorgang, wäre da nicht die Kassiererin gewesen. Ich legte meine Produkte auf das Band und wartete bis die Kassiererin die Waren scannte. Ich zückte schon mein Portemonnaie, als die Kassiererin fragte: „Sammeln sie Treuepunkte?“. Ich konnte sie akustisch nicht verstehen und fragte nach. „OB SIE TREUEPUNKTE SAMMELN?“, bellte die Kassiererin. Ich verneinte und gab ihr das Geld. Dann sagte ich: „Den Kassenzettel brauche ich ni…“ und schon streckte sie mir den Kassenzettel entgegen und klatschte ihn auf das Metall. Ich brauchte 5 Sekunden um den Kassenzettel in meinem prall gefüllten Portemonnaie (Mit Kassenzetteln, nicht mit Scheinen) zu verstauen, da erklärte mir die Kassiererin, dass ich beim nächsten Mal bitte einen Einkaufswagen benutzen solle, schließlich habe sie noch etwas zu tun.

Ich mache mir wegen solcher Verhaltensweisen Sorgen um Pauline. Wegen irgendwelchen Lappalien rastet in Spanien niemand aus, in Deutschland ist man diesem gesellschaftlichen Klima aber permanent ausgesetzt – und das insbesondere in so verrückten Städten wie Berlin. Dafür möchte ich Pauline mein aufrichtiges Beileid aussprechen. Aber hey, deine Lage ist nicht ausweglos. Du kannst mich gerne in Spanien besuchen kommen und etwas Kraft für den tristen Alltag in Deutschland tanken – zumindest wenn man bis dahin noch in ein Flugzeug steigen darf.


Lieber deutsche Pünktlichkeit als spanisches Larifari

Von Pauline Schwarz | Ich kann den Jonas ja verstehen, dass er sich nach Sommer, Sonne, Strand und Meer sehnt, statt in seinem kleinen Kaff in Thüringen zu versauern und den ganzen Tag nichts anderes zu machen als Schafe zu zählen. Wenn ich nicht ab und an die Urlaubsflucht nach Süden antreten würde, wäre die Zahl meiner Tobsuchtsanfälle auf einem ganz anderen Level. Denn auch wenn der Jonas immer denkt, dass ich mich im alltäglichen Berliner Wahnsinn pudelwohl fühle: Auch ich könnte beim Lesen der Nachrichten regelmäßig mein Handy an die Wand schmeißen – pro Tag drei neue Handys zu kaufen, kann ich mir aber beim besten Willen nicht leisten, also versuche ich mich zu beherrschen. Und trotzdem: Ich könnte Deutschland nicht dauerhaft den Rücken kehren, denn auch wenn es ein Irrenhaus ist – es ist unser Irrenhaus, unsere Heimat. Und ich bin beim besten Willen nicht bereit den Linken und sonstigen Bekloppten kampflos das Feld zu überlassen. Zumal ich bei längeren Aufenthalten im Ausland die kleinen Freuden der deutschen Lebensart immer wieder aufs Neue zu schätzen lerne.

Das fängt schon bei unserer Infrastruktur an – die ist im Gegensatz zu der spanischen Pampa, die Jonas bald seine Heimat nennt, in Deutschland nämlich noch weitgehend vorhanden. Solange der Deutsche sich selbst noch nicht vollständig zum Lastenradfahrer oder Esel-To-Go Nutzer degradiert hat, legt er nämlich noch Wert auf asphaltierte, weitgehend sichere Straßen – da sind andere Länder nicht ganz so streng. Ich weiß ja nicht, wie viel du schon rumgekommen bist Jonas, aber hast du schonmal probiert mit 130 Sachen über eine spanische Landstraße zu brettern? Da landest du schneller im Straßengraben, als du „Achtung, Ziege!“ rufen kannst. Und selbst wenn´s dich dank der großen Steinbrocken, unbefestigten Straßen und ungesicherten, unbeleuchteten Kurven nicht gleich den Abhang runter jagt – dann kannst du trotzdem alle drei Tage deine Autoreifen wechseln. Die vielen deutschen Knöllchen kommen einem dann wahrscheinlich schnell wie ein richtiges Schnäppchen vor.

Und apropos Auto und Behörden: Ich teile dein Leid im deutschen Bürokratie-Staat, aber die Spanier sind in Punkto Wartezeit keinen Deut besser. Von so etwas wie Verlässlichkeit ganz zu schweigen. Wenn du in Spanien versuchst ein Auto zu mieten, kannst du schon froh sein, wenn es sowas wie geregelte Öffnungszeiten im Laden gibt – sollte dann zur besagten Zeit am besagten Ort tatsächlich ein Mensch auf dich warten, ist das wie ein Fünfer im Lotto. Mit einem Spanier ein Termin auszumachen läuft nämlich so: „Wir treffen uns Mittags“. Mittags ist dann so ein Zeitraum von drei bis fünf Stunden, in denen du dir im Zweifelsfall die Beine in den Bauch stehen darfst – und dann ist die spanische Sonne ganz schnell keine Wonne mehr, sondern eher eine nicht enden wollende Qual. Ich bin schon ein paar Mal in meinem Leben vor einer Autovermietung verschmorrt und habe sehnsüchtig der deutschen Pünktlichkeit und Vertragstreue hinterhergeschmachtet.

Trotzdem hat Jonas schon recht: Die Deutschen sind und bleiben dafür alte Miesepeter und Meckertanten – aber ganz ehrlich, manchmal ist mir das lieber, als wenn einem z.B. ein Amerikaner mit einem breiten Grinsen ein „You´re such an amazing Person“ entgegenhaucht, obwohl er dich eigentlich komplett scheiße findet. Außerdem schätze ich es sehr, dass die Deutschen ab und an auch einfach mal ihren Mund halten können – die Spanier reden ohne unterlass und in einer ganz anderen Lautstärke, als es empfindsame deutsche Öhrchen gewohnt sind. Hoffentlich braucht der Jonas, wenn er doch noch in sein kleines Dorf zurückkehren sollte, deshalb in Zukunft kein Hörgerät, um das Blöcken von Schafen und das Gackern von Hühnern noch unterscheiden zu können.

Also: Ja, die Deutschen sind ziemlich irre und haben anscheinend vor, ihren ganzen Wahnsinn auch künftig noch weiter auszubauen, aber wir haben trotzdem noch ein paar sehr schätzenswerte Eigenschaften – und die gilt es doch wohl zu bewahren! Ich mag die deutsche Tüchtigkeit, die Verbindlichkeit, die ruppige, aber in diesem Punkt ehrliche Art und unsere Qualitätsstandards – genauso sehr, wie ich die unendliche Bürokratie, das Duckmäusertum und den Hang zur Hörigkeit hasse. Aber wer soll denn noch dafür sorgen, dass unser Land irgendwann wieder etwas zur Vernunft kommt, wenn die ganzen guten Leute, wie der Jonas, fluchtartig ihre Heimat verlassen? Für mich steht fest: Ich bleibe und werde versuchen mich, solange es irgendwie geht, dem ganzen Wahnsinn nicht zu beugen – und das selbst in Berlin.


Auf dem Weg in die Null-Risiko-Gesellschaft?

Von Marius Marx | Etwas Schreckliches hat sich ereignet: Ein junger Mann ist gestorben, sein Tod war – so ist zu lesen – unnötig und vermeidbar. Denn der Staat hätte ihn schützen müssen, schützen müssen vor sich selbst. Oder vielleicht doch nicht?

Aber langsam. Was ist geschehen? Vor wenigen Tagen ereignete sich in der südniedersächsischen Universitätsstadt Göttingen ein tragisches Unglück. Ein Mann, ein 25-jähriger Inder, ertrank am 25. Juni im nahegelegenen Baggersee südwestlich der Stadt, in dem das Baden eigentlich verboten ist. An diesem erneuten Badeunfall entzündeten sich in der Lokalpresse anschließend tagelange Debatten über die Gefahren des Badens in Baggerseen und die Frage, wie dem lediglich auf dem Papier gelten – den Badeverbot praktische Geltung verschafft werden könnte. Dabei offenbarte sich einmal mehr ein mittlerweile nur allzu bekanntes Muster: der Staat soll`s regeln. Mehr Staat, weniger Eigenverantwortung, ganz nach dem Motto „govern me harder“.

Allgemeiner Tenor der Lokalberichterstattung: Der See ist brandgefährlich, baden illegal, es dennoch zu tun mindestens lebensgefährlich und unverantwortlich. Die Unfälle sind der menschlichen Unvernunft anzulasten; sie sind tragisch, unerträglich, aber vermeidbar. Wie genau sie vermieden werden könnten, verrät uns dann das Göttinger Tageblatt freundlicherweise auch gleich mit: Bereits am Montag wird ein Kommentar eines jungen Redakteurs mit dem Titel „Die Behörden müssen endlich durchgreifen“ veröffentlicht, in dem Folgendes zum Besten gegeben wird: „(…) Wenn Aufrufe und Warnschilder keine Wirkung zeigen, dann muss die Schlussfolgerung für die Politik lauten, dass jetzt in der Praxis etwas geschehen muss. Polizei und Ordnungsämter müssen so oft wie nur irgend möglich am Rosdorfer Baggersee Präsenz zeigen. Das mag dann nicht jeder gut finden. Aber es könnte Leben retten.“

Der Fall des Ertrunkenen Inders und die sich daran anknüpfenden Reaktionen sind dabei jedoch weit mehr als nicht weiter beachtenswertes provinzielles Randgeschehen. Sie sind mittlerweile fester Bestandteil eines deutschlandweit seit Jahren zu beobachtenden Trends. Die Göttinger Forderung nach dem „Durchgreifen“ der Behörden ist Ausdruck eines Zeitgeistes, der sich in erster Linie durch ein übersteigertes Sicherheitsbedürfnis auszeichnet. Ziel scheint die Errichtung einer quasi-Null-Risiko-Gesellschaft zu sein, in der der Staat dem Einzelnen immer weiterer Entscheidungsfreiheiten beraubt. Wohlgemerkt angeblich stets im Interesse seiner Bürger, um dessen möglichen Unvernünftig- und Verantwortungslosigkeiten vorzubeugen.

Aus den Abwehrrechten der Bürger gegenüber dem Staat hat sich eine Anspruchshaltung auf ein langes, sicheres Leben entwickelt, bei dem Staat die Rolle zukommt, sämtliche Lebensrisiken auf beinahe null zu senken. Dass Grundrechte miteinander in Konflikt geraten können und gegeneinander abgewogen werden müssen, ist zwar an sichbeileibe keine Besonderheit. Doch was hier geschieht ist ein fundamentaler Wandel, ja ein Paradigmenwechsel, in unserer Auffassung des Rechtsstaats: Es ist die auf Dauer gestellte Absolut-Setzung eines Supergrundrechts, nämlich des Rechts auf Leben und dessen Umdeutung zu einem staatlich um jeden Preis durchzusetzenden Anspruch und dessen Deklaration zum höchstes Gut der Verfassung, hinter dem alle anderen Rechte zurücktreten müssen und letztlich nachrangig sind.

Ein solches Vorgehen hat sich zwar glücklicherweise noch nicht in allen Lebensbereichen durchgesetzt, doch solche Argumente wurden und werden bisweilen von prominenter Stelle vorgetragen und haben zu einem nicht gerade unerheblichen Teil die deutsche Politik seit den 2000er Jahren mitgeprägt. Gerade im Kontext der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie hat dieser Zeitgeist des Sicherheitswahns maßgeblich das politische Handeln beeinflusst. Es wurde mit Maßnahmen operiert, die tief in die Grundrechte eingegriffen haben, oft von fraglichem Nutzen waren und in keinem Verhältnis zur Gefahr standen, dafür aber eine Kontrollillusion schufen und ein populistisches Sicherheitsbedürfnis verängstigter Massen befriedigten.

Dass das Recht auf Leben unter keinen Umständen zum Supergrundrecht erhoben werden darf, zeigt das Beispiel der „Rettungsfolter“. Dabei geht es um die Frage, ob zur Rettung von Menschenleben mutmaßliche Geiselnehmer bzw. Entführer und in letzter Konsequenz auch des Mitwissens Verdächtigte gefoltert werden dürfen. Dessen Befürworter argumentieren übereinstimmend mit den bereits ausgeführten Grundsätzen: Das Recht auf Leben sei ein absolutes Gut, daher könne die Menschenwürde eingeschränkt werden und sei die Folterung von Tatverdächtigen zu Rettung von bspw. Geiseln legitim. Wohin es führen könnte, wenn man dem Staat das Mittel der Folter in die Hände legt und dass ein solches Vorhaben staatlicher Willkür Tür und Tor öffnen würde, braucht hier hoffentlich nicht weiter ausgeführt zu werden.

Dieser Trend zu staatlichen Verpflichtungen drückte sich auch in der Impfpflichtdebatte aus. Allerdings verbindet sich die Impfpflicht auch noch mit einem kollektivistischen Element. Hier muss nicht nur das Recht auf körperliche Unversehrtheit und die Menschenwürde hinter den Lebensschutz zurücktreten, sondern muss sich gleich noch der Einzelne im Namen der Volksgesundheit dem Kollektiv unterordnen. Doch auch hier stellt sich wieder die Frage, weshalb Menschen verpflichtet werden sollen, sich zu impfen, wenn doch jeder Erwachsene die Möglichkeit hat, sich per Impfung selber zu schützen und längst hinlänglich bekannt ist, dass die verfügbaren Impfstoffe keine sterile Immunität, d.h. keinen signifikanten Fremdschutz vermitteln.

Wo Selbstschutz möglich ist, kann es keine Begründung für staatliche Eingriffe mehr geben. In fast allen bereits angesprochenen Bereichen liegt genau eine solche Situation vor: Menschen können sich selbst schützen, indem sie sich impfen lassen, oder nicht mehr in tückischen Gewässern baden gehen, etc. Es gibt hier schlichtweg keine rationale Rechtfertigung für staatlichen Interventionismus.

Ja, der Terrorismus, Geiselnahmen, Entführungen, Verkehrs- sowie Badeunfälle und Krankheitserreger, etc. sind potenziell durchaus ernstzunehmende Risiken. Aber aus ihrer Existenz folgen ebenfalls keine automatisch alternativlosen Handlungsanweisungen für die politische Praxis. Und es mag sich für den ein oder anderen vermutlich zynisch anhören, aber Lebensrisiken sind geradezu eine notwendige Bedingung einer freien Gesellschaft. Sie können schlechthin nicht ausgemerzt werden, sondern nur in einer vernünftigen Art und Weise in das Leben integriert und im Alltagshandeln berücksichtigt werden. Wie der Frankfurter Rechtswissenschaftler Uwe Volkmann in einem Gastbeitrag in der „ZEIT“ ausführt, sind „Risiken (…) wie man es dreht und wendet, der Preis der Freiheit; eine Welt ohne Risiko ist eine Welt ohne Freiheit.“

Der vielbemühte Satz „Das sind Todesfälle, die nicht sein müssen“, ist nämlich ebenso trivial wie gefährlich. Natürlich wären sämtliche Todesfälle beim Baden oder im Verkehr oder solche in Folge von Terroranschlägen vermeidbar; wir müssten dafür einfach aufhören Gewässer zu betreten, den Straßenverkehr zu nutzen und könnten für die Prävention von Anschlägen ein engmaschiges, notwendigerweise totalitäres Überwachungssystem installieren und würden so zweifellos jedes Jahr hunderte Leben retten. Aber tatsächlich wäre das bloß der paradoxe Versuch ein freiheitliches System dadurch zu retten, indem man es abschafft.

Den Befürwortern eines „Rundum-sorglos“-Staates mit immer umfangreicheren Befugnissen und insbesondere dem Zeitgeist des Sicherheitswahns muss also entschieden entgegengetreten werden. Denn es steht nicht weniger als die freie Gesellschaft selbst auf dem Spiel.

 


BR bricht Schüler-Umfrage zum Gendern ab – Ergebnis passte nicht

Von Sven Justin Verst | Zum ARD-Diversity-Tag 2022 veranstalteten Das Erste und der Bayerische Rundfunk eine Podiumsdiskussion zum Thema Gendern – also zu geschlechtssensibler Sprache. Einer, die alle Geschlechter, von denen es laut der politischen Linken eine unbegrenzte Anzahl gibt, anspricht. Damit sich ja kein er, keine sie, kein es, keine Topfpflanze oder als was man sich auch immer grade identifizieren mag diskriminiert fühlen. In der Sendung, die sich vor allem an Schüler richten sollte, wurde die Notwendigkeit der Sprachverschandelung 40 Minuten lang propagiert – zum Entsetzen der Diskussionsteilnehmer ging der Plan ihr Weltbild mit Umfragen zu untermauen, jedoch total in die Hose: bei jeder Abstimmung lehnte eine klare Mehrheit der jungen Leute die Gendersprache ab. 

Zur Begrüßung brauchte die Moderatorin eine halbe Minute und hieß Schülerinnen, Schüler, Schülerinnen und Schüler, Schüler*Innen sowie Lernende Herzlich Willkommen. Bevor dann fleißig „diskutiert“ wurde, führte man vorab eine Umfrage durch, bei welcher lediglich 11 % Gendern für wichtig hielten. Die restlichen 89 % empfanden es entweder für unnötig oder hatten dazu keine Meinung. Darauf reagierten die geladenen Gäste, welche selbstverständlich alle pro Gendersprache waren, mit Entsetzen. So erklärte Fridays for Future Aktivistin Fabia Klein, dass Sie in ihrem gymnasialen Umfeld selbstverständlich gendert und es nicht verstehen kann, wie diese Umfragewerte zustande kommen. Sie und weitere Gäste erörterten anschließend für circa 40 Minuten, weshalb Gendersprache wichtig ist.

Moderiert wurde die Runde von Claudia Stamm, die ähnlich wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk alles andere als neutral ist. Denn Claudia Stamm war bis 2017 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen und saß sogar für die Partei im bayerischen Landtag – wen wundert es also, dass sie anschließend als Moderatorin beim Bayerischen Rundfunk arbeiten kann.

Peinlich für die Teilnehmer der Podiumsdiskussion war, dass am Ende der Diskussionsrunde bei der Publikumsumfrage die Mehrheit Gendersprache entweder weiterhin ablehnte oder sogar aufgrund der Podiumsdiskussion ablehnte. Lediglich um die 9 % wurden von der Podiumsdiskussion überzeugt – deshalb wurde die Umfrage unter dem Vorwand „so schwierig war die Frage nicht“, dann auch gleich wieder beendet. Doch auch wenn es dem ÖRR nicht passt: Diese Ergebnisse decken sich mit anderen Umfragewerten zu Gendersprache – deshalb erklärt die Moderatorin gleich mal ganz offen, was sie von den Umfragewerten hielt. Nach ihrer Meinung seien allein die 9 % eine positive Entwicklung. Um die restlichen jungen Leute zu überzeugen, müsse das Thema einfach erneut und öfter „diskutiert“ werden. 

Der durch Zwangsabgabenöffentlich-rechtliche Rundfunk ist also nicht zufrieden, wenn seine um Erziehungsbemühungen auf taube Ohren treffen – einzusehen, dass eine Mehrheit die Verschandelung unserer Sprache ablehnen, kommt aber noch weniger in die Tüte. 


„Keine Kunst auf einem toten Planeten“ – wie die “letzte Generation“ Kunst und Kultur gefährdet

Von Jonas Kürsch | Vor einigen Tagen sorgte die Klimaprotestbewegung „L’ultima Generazione“ – das ist die italienische Version der in Deutschland zuletzt lautstark aufgetreten „Letzten Generation“ – mit einer hochbedenklichen Aktion in Italien für großes Aufsehen. Die  „Klimaaktivisten“ klebten ihre Hände als Ausdruck ihrer Ablehnung des Erdöl- und Co2- Verbrauchs unserer Gesellschaft an ein unbezahlbares Meisterwerk des italienischen Malers Sandro Botticelli, dem vermutlich wegweisendsten Maler der Renaissance neben Leonardo Da Vinci.
Wie das Museum mitteilte, blieb das hinter einer Glasscheibe geschützte Gemälde glücklicherweise unversehrt. Ähnlich verhielt es sich mit Da Vinci’s Mona Lisa im Pariser Louvre, die vor einigen Wochen ebenfalls im Rahmen eines „Klimaprotestes“ mit einer Torte beworfen wurde. Zudem klebten sich Aktivisten bereits an eine berühmte Malerei des niederländischen Expressionisten Vincent Van Gogh. Mit demokratischem Protest haben diese Inszenierungen allerdings rein gar nichts zu tun, vielmehr offenbart sich im Weltbild der Klimademonstranten ein gewaltiger Mangel an Respekt und einer nihilistischen Verachtung großer künstlerischer Leistungen der Menschheit.

Wer sich an Kunstwerken festklebt, der muss das Denken verlernt haben

Man muss, denke ich, keinem Menschen mit einer halbwegs ausgeprägten Affinität zu den bildenden Künsten erklären, weshalb solche Angriffe auf unser europäisches Kulturgut vollkommen unangebracht sind. Gerade im Hinblick auf die oben genannten Meisterwerke, sprechen wir von Artefakten, die in der Kunstgeschichte ihresgleichen suchen: Jene Kunstwerke wurden von hochkreativen Menschen geschaffen, die uns seit Jahrhunderten als strahlende Beispiele für die schöpferische Identität des Menschen als schaffendem Wesen dienen.
Botticelli, Da Vinci und Van Gogh suchten schon früh nach jenen Koordinaten des menschlichen Daseins, die hinter der oberflächlichen Wahrnehmung des Alltagslebens verborgen liegen. Der deutsche Philosoph Immanuel Kant fasste diese künstlerischen, wissenschaftlichen und in vielerlei Hinsicht auch humanistischen Prinzipien der Transzendenz in drei treffenden (und doch sehr komplexen) Kernbegriffen zusammen: Schönheit, Wahrheit und Güte. Sie seien die Essenz des menschlichen Seins und die höchsten Ziele, welche es durch unser Handeln zu erreichen gelte. In Anbetracht dieser Tatsache ist vollkommen inakzeptabel, dass man der Kunst und den Künstlern mit einer derartigen Respektlosigkeit begegnet. 

Vielleicht sollte man sich auch über einige praktische Fragen zu den Aktionen der Demonstranten Gedanken machen – aus welchem Grund sollte man sich überhaupt an ein Jahrhunderte altes Kunstwerke kleben wollen? Was soll dieser irrationale Akt im Endeffekt bringen? Glaubt man ernsthaft, man könne seine eigenen Positionen mit so einem dümmlichen Verhalten im öffentlichen Diskurs stärken? Auf diese Fragen finde ich auch heute noch keine Antworten.
Mir leuchtete zunächst auch nicht ein, was Botticelli und co. überhaupt mit dem Klimawandel und der von den Klimaaktivisten geschilderten „Klimakrise“ zu tun haben könnten. Dann dachte ich, es handle sich um einen kulturellen Protest gegen die Renaissance, da diese ja in vielerlei Hinsicht als Startpunkt des modernen Kapitalismus betrachtet wird. Aber die Aktivisten klebten sich ja auch an einem Bild von Van Gogh fest und es ist ja weitgehend bekannt, dass dieser zu Lebzeiten keinen kommerziellen Erfolg hatte, daher wäre er nicht gerade das ideale Symbolfeindbild für einen dekadenten und radikalkapitalistischen Kunstmarkt.
Daher kann man leider nur zu der schmerzhaften Erkenntnis gelangen, dass hinter alldem keine Form von ideellen oder gedanklichen Konzepten steckt. Denn jene Art von Menschen, die sich aus welchen Gründen auch immer mit Sekundenkleber an teuren Kunstwerken festklebt, hat das Denken vermutlich schon vor langer Zeit verlernt. Das hat uns in den vergangenen Wochen ja auch die Grüne Jungabgeordnete Emilia Fester mehrfach bewiesen, die sich nicht so sehr mit guten Argumenten, dafür aber mit infantilem und inhaltsleerem Gefasel in der Öffentlichkeit einen Namen gemacht hat.

Dieser Trend droht Kunstwerke ernsthaft zu beschädigen


Die Entwicklung der letzen Wochen ist in jedem Fall hochbedenklich. Im Moment wurden noch keine Werke ernsthaft beschädigt, doch wer kann mit Sicherheit ausschließen, dass diese Menschen sich nicht an der Leinwand eines weniger gut geschützten Ausstellungsstückes festkleben und es damit zerstören würden? Das Motto der radikalen Kleber ist extrem kompromisslos – schließlich denken sie, dass sie die Welt retten müssten. „Es gibt keine Kunst auf einem toten Planeten“ – was ist in dieser extremen Denke schon eine farbige Leinwand wert? Die Justiz muss diesen zerstörerischen Akten mit harten Strafen ein Ende setzen. Denn der Konsens einer demokratischen Gesellschaft ist: Vandalismus ist kein legitimer Protest.


„Queer as in free Palestine!“ – die LGBTQ-Community hat ein Antisemitismus-Problem

Von Simon Ben Schumann | Am 23. Juli zogen im Rahmen der „Internationalistischen Queer Pride“ tausende Menschen durch die Straßen Berlins. Die Veranstaltung sollte eine Alternative zum Christopher Street Day bieten, der von Teilen der linken Szene als zu kommerziell, zu mainstream oder als nicht radikal genug betrachtet wird. Auf dem Straßenzug, der dem „antikolonialen, antirassistischen und antikapitalistischen Freiheitskampf“ gewidmet war, wurde dann schnell deutlich, dass es nicht allein um die Sichtbarkeit und Rechte der queren Community ging. Die Teilnehmer und Redner forderten Gleichheit, Toleranz und Antirassismus, während aus den eigenen Reihen gleichzeitig offen und aktiv gegen den Staat Israel gehetzt wurde.

Israel – Feindbild Nummer Eins

Die Demonstration wurde von einem Potpourri verschiedener Gruppen veranstaltet , die sich als „IQP“ zusammenschlossen. Darunter fanden sich Namen wie „Migrantifa Berlin“ – einem Ableger der Berliner Antifa – und „Palestine speaks“, die schon bei vergangenen Veranstaltungen, unter anderem der „Revolutionären 1. Mai-Demo“ mit aggressivem Antisemitismus aufgefallen waren. „Palestine speaks“ fiel erst im  Mai mit einer antizionistischen Demonstration auf dem Platz vor der alten Synagoge in Freiburg auf. Diese wurde 1938 von den Nazis niedergebrannt. Gegen den „Apartheidstaat Israel“ an solch einem Ort zu demonstrieren: Geht’s noch amoralischer? 

Mehrere der Gruppen sind außerdem Teil der Kampagne „BDS“, die Israel durch Boykotte, Isolation und Sanktionen schwächen will. Weil die BDS-Bewegung vorsätzlich der Zivilbevölkerung in Israel schadet, wird sie weitläufig als antisemitisch eingestuft. Der Einfluss dieser Gruppen machte sich schon auf dem offiziellen Instagram-Account des Bündnisses bemerkbar. Am 20. Juli postete man dort ein „Awareness Statement“, in dem es heißt: „Es gibt keine Befreiung für uns alle ohne die Befreiung der Palästinenser: innen. Die sogenannten Antideutschen sind bei dieser Veranstaltung nicht willkommen.“ Das Statement impliziert sofort, dass die Palästinenser befreit werden müssten. Die Israelis werden in die Rolle des brutalen, „versklavenden“ Unterdrückers gezwängt, obwohl Araber im Land zumindest de jure Rechtsgleichheit besitzen. Das uralte Stereotyp des ausbeuterischen, eiskalten Juden wird damit (bewusst?) bedient. Außerdem seien die „Antideutschen“ nicht willkommen. Unter diesem Schlagwort versteht man in „der Szene“ alle Menschen, die sich pro-Israel positionieren und nicht den ach so bösen Zionisten die Schuld am Nahostkonflikt zuschieben.

„From the river to the sea…“

Das makabre Schauspiel ging auf der Demo weiter. Das Jüdische Forum war vor Ort und berichtete von Sprechchören, die ein Palästina vom Mittelmeer bis zum Jordan und damit die Vernichtung Israels forderten. Eine Rednerin bezeichnete das Land als „koloniales Siedlungsprojekt“. Transparente und Schilder wetterten gegen Unternehmen, die irgendwie mit Israel zusammenarbeiten. „Zionism is racism“, „Queer as in free Palestine“, „No pride in Apartheid“ waren nur einige der Slogans. Auch eine weitere Intifada wurde von Demonstranten „vorgeschlagen“. 

Man muss sich wirklich wundern, wie eine Queer-Pride-Demo sich so gegen den einzigen jüdischen Staat stellen kann – und dass, während Sex zwischen Männern im Gazastreifen mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft wird. 2019 forderte die Palästinensische Autonomiebehörde Bewohner auf, „verdächtige Aktivitäten“ zu melden, was bedeutet, dass Schwule, lesbische, bisexuelle und transsexuelle Palästinenser in ständiger Angst vor Entdeckung und Verfolgung leben müssen. Wie wäre die Demo wohl ausgegangen, wenn man sie in Palästina veranstaltet hätte?

Die Berliner LGBTQI-Community sollte sich also mal fragen, wie ehrlich es ist, die eigene Marginalisierung zu beklagen und allumfassende Toleranz zu fordern, während man gleichzeitig aggressiven und gewaltbereiten Antisemitismus auf die Straße trägt – und das von Leuten, die für die Rechte von schwulen, Lesben und Transsexuellen wenig übrig haben. 


Prostitution als normaler Job?

Von Anna Graalfs | Unter Feministinnen steht ein Thema zur ganz großen Debatte: Prostitution, beziehungsweise Sexarbeit. Dabei ist der Begriff nämlich entscheidend: Die einen reden von “Sexarbeit”, ein Beruf der selbstsicher gewählt worden ist, für den sich die Frau weder schämt noch ausbeuten lässt. “Prostitution” hingegen, sagt die andere Seite, ist klarer, struktureller Sexismus der im patriarchalen System verankert sei. Dabei ist beiden Fronten klar, dass der Kern des Metiers ein und derselbe ist: Sex gegen Geld.

Ein Gesetz, das nicht viel bringt

Gerade im linken Feministen-Milieu wird lautstark gefordert die Arbeit im horizontalen Gewerbe nicht als moralisch schlecht zu bewerten. Schließlich sei “sexwork” auch nur “work”. Eine Dienstleistung die ganz neutral gesehen werden sollte, wie beispielsweise der Beruf Frisör. Die rechtliche Grundlage dafür wurde schon 2002 mit dem Prostitutionsgesetz geschaffen. Jeder der sexuelle Dienstleistungen anbietet muss Sozialabgaben zahlen, kann sich versichern und Geld einklagen, wenn Kunden nicht zahlen. Eigentlich wie bei jedem anderen Job auch. Das Problem ist nur, dass die meisten Menschen nicht einmal von dem Gesetz wissen, viele Prostituierte auch nicht. Oder sie wissen davon, aber trauen sich nicht sich als Prostituierte anzumelden. Das Gesetz bringt ihnen nichts. Eine voreilige Stigmatisierung ist vielleicht nicht mehr so flächendeckend wie in den letzten Jahrhunderten, dennoch bleibt sie bestehen. Das Bild der klassischen Prostituierten ändert sich nicht: Eine sittenlose Frau, die ihren Spaß daraus zieht, ohne Hintergedanken mit verschieden, fremden Männern ins Bett zu hüpfen. Es kann sich kaum einer vorstellen, dass eine Prostituierte ihren Job vielleicht aus rein ökonomischen Gründen gewählt hat, ihn selbst als völlig neutral betrachtet und ihre Arbeit von ihrem Privatleben trennen kann. Trotzdem muss gesehen werden: eine Prostituierte verkauft ihren Körper — das ist Fakt. Dabei kann es durchaus schwierig werden diese beiden Seiten – die Selbstbestimmung aber auch die fragwürdige Moralität der Arbeit – zu vereinen.

Prostitution hat nichts mit female empowerment zu tun

Doch wenn Prostitution als “female empowerment”, also als Stärkung der Frauenrolle, beschrieben wird, muss ich gewaltig mit dem Kopf schütteln. Wenn wir “Sexwork” als ganz normalen Job ansehen sollten, ist eine solche Glorifizierung des Jobs auch ein Schritt nach hinten. Mal abgesehen davon, dass female EMpowerment impliziert, Frauen seien davor immer schwach und unterdrückt gewesen, bedeutet es auch, dass die Arbeit als Prostituierte eine Frau stärker, selbstsicherer macht. Auch wenn ich mich damit persönlich nicht identifizieren kann, bin ich sicher einige Frauen fühlen sich in der Rolle als Prostituierte glücklich und selbstverwirklicht. Aber man darf auch nicht vergessen wie viele Frauen noch unter Prostitution leiden, vor allem weil ihre Arbeit tragische Hintergründe hat. Eine Studie von Melissa Farley hat ergeben, dass 57 Prozent aller 130 in den USA befragten Prostituierten sexuelle Gewalt in ihrer Kindheit erlebt haben. 68 Prozent gaben außerdem an, seit Eintritt in die Prostitution vergewaltigt worden zu sein. Viele kommen aus schrecklichen Verhältnissen, betreiben Prostitution um ihre Drogensucht zu finanzieren und leiden folglich unter Depressionen. Geschlechtsverkehr gegen eine Bezahlung – ob man es jetzt Prostitution oder Sexwork nennt – mit dem Schlagwort “femaleempowerment” zu betiteln ist schlicht und ergreifend respektlos gegenüber allen durch Prostitution unterdrückten Frauen.

Ein Mittelweg zwischen Stigmatisieren und Normalisieren

Man kann Prostitution aber nicht verbieten. Das bekanntlich “älteste Gewerbe der Welt” existiert seit vielen Jahrhunderten. Schon im 13.Jahrhundert wurden in Deutschland die ersten Bordelle eingerichtet, obgleich der Begriff “Prostitution” zum ersten Mal 1567 in einem Dokument erwähnt wurde. In irgendeiner Form wird Prostitution immer existieren, also doch lieber legal als illegal, oder? Die Frage ist aber, ob man eine ständige Stigmatisierung von Prostituierten verhindern kann. Wird man Sexwork irgendwann auch einfach als Job ansehen können? Ich hoffe schon, aber “normalisieren” möchte ich Sexwork nicht. Das Wort “normalisieren” ist gefährlicher als man denkt und wird in so mancher linker Munde für meinen Geschmack zu oft gebraucht. Schließlich ist Sexwork ein außergewöhnlicher Job, die Durchschnittfrau in Deutschland kann sich nicht vorstellen Prostituierte zu werden. Es ist kein “Normalfall” Prostituierte zu sein. Ausbeutung und Missbrauch, die noch im Metier bestehen, sind andere Gründe dafür, warum man Prostitution nicht direkt als “normal” bezeichnen sollte. Was würde eine völlige Normalisierung von Prostitution auch für eine Doppelmoral darstellen: Eltern die ihrer 16-jährigen Tochter erzählen, sie soll erst intim werden, wenn sie wirklich sicher ist, dass ihr Freund “der Richtige” ist und sie sich bereit dafür fühlt. Dieselben Eltern, die ihrer Tochter aber auch versichern, klar, wenn sie Prostituierte werden will, dann soll sie Prostituierte werden. Die Türen stehen ihr alle offen und schließlich ist es ja auch nur ein Job wie jeder andere…                

Schlussendlich bleibt nur eins: Ob Prostitution Selbstbestimmung ist, zu Zufriedenheit (auf beiden Seiten) führt oder ob Prostitution von Ausbeutung und Gewalt geprägt ist und deswegen nicht zu befürworten ist, kann man nur im Einzelfall unterscheiden. Aber ein ganzes Metier einfach nur aufgrund von überholten Moralansichten zu verdammen wäre fatal. Wenn eine Frau unbedingt Prostituierte sein will, ist das letztendlich ihre freie, persönliche Entscheidung. Und wir leben ja nicht mehr im 18.Jahrhundert, oder?


Die Scheinrebellion der Vorzeigeschüler

Von Jonas Kürsch | Die Vertreter der Pop-Kultur des 21. Jahrhundert bezeichnen sich selbst und die Anhänger ihrer Bewegung gerne als bunt, divers und woke. Ganz egal, ob man nun von den amerikanischen Ikonen der zeitgenössischen Bubblegum-Pop-Musik oder von den längst verblassten Stars der faden Hollywood-Filmindustrie spricht: das Gesellschaftsbild der kreativen „Vorreiter“ meiner Generation ist vornehmlich von den prüden Visionen neulinker Ideologien geprägt. Zwar bezeichnet man jugendliche Idole wie den One Direction-Sänger Harry Styles oder die von der linksliberalen Presse als musikalisches Wunderkind hochgelobte Billie Eilish häufig als „die großen Kunstrebellen“ unserer Zeit, doch mit Rebellion hat das unterwürfige und (ehrlich gesagt) auch ziemlich spießbürgerliche Verhalten dieser Karriereopportunisten nichts zu tun. In früheren Zeiten wurde eine Kulturrevolution von der Politik und von den Tageszeitungen noch verächtlich gemacht; heute hingegen werden die sogenannten „Rebellen“ von der breiten Öffentlichkeit mit Applaus in ihrem „revolutionären“ Vorhaben unterstützt.


Von Elvis bis Jim Morrison

In den 1950er und 1960er Jahren sah das noch ganz anders aus. Wenn man beispielsweise einen Blick auf die mediale und allgemeine gesellschaftliche Rezeption von Elvis Presley wirft, so stellt man schnell fest, dass Presley zu seiner Zeit nur wenig Jubel von den erzkonservativen, öffentlichen Meinungsmachern erhielt. Durch seinen frivolen Tanzstil, der ihm den Beinamen „Elvis the Pelvis“ (dt. Elvis, das Becken) einbrachte, gewann der King of Rock’N’Roll zwar die Herzen seiner jugendlichen Fans im Sturm, doch die politischen Eliten waren von seiner Musik alles andere als begeistert. Im Gegenteil, viele erzreligiöse Gruppierungen verurteilten seine Musik als verdorben und protestierten vor allem gegen seine (heute legendären) Live Performances im amerikanischen Abend- und Nachtprogramm, die zwischenzeitlich sogar zensiert wurden.

Elvis Presley war alles andere als ein „Scheinrebell“, so wie es heute bei vielen Prominenten der Fall ist. Mit seinem Werk gab er einer jüngeren Generation die Möglichkeit, aus einem in vielerlei Hinsicht tatsächlich veralteten Rollenbild auszubrechen und die individualistischen Freiheiten der kapitalistischen Nachkriegsgesellschaft in vollen Zügen zu genießen. Ähnlich verhält es sich mit dem The Doors-Sänger Jim Morrison, der in den 1960ern zu einem der einflussreichsten Hauptprotagonisten der pazifistischen Anti- Kriegs-Bewegung wurde. Mit seinen lyrischen Texten repräsentierten er und seine Band wie kaum ein anderer die alles beherrschende Zukunftsangst der amerikanischen Jugend vor der potenziellen Ausweitung und Verschlimmerung der durch die US-Politik massiv

vorangetriebenen Stellvertreterkriege gegen den Kommunismus. Auch The Doors erhielten für ihre Protestpositionen keinen Applaus. Im Gegenteil, für ihr laszives und herausforderndes Auftreten sah sich die Musikgruppe mit dutzenden Unterlassungsklagen und Haftbefehlen aufgrund ihres angeblich obszönen Verhaltens konfrontiert.


Wogegen rebelliert ihr eigentlich?

Die Rebellen des 20. Jahrhunderts hatten noch echte Anliegen, mit denen sie die etablierten Wertvorstellungen des Mainstreams infrage stellten. Wenn Billie Eilish auf Wahlkampfveranstaltungen des US-Präsidenten Joe Biden – der sich selbst bereits mehrmals als „großer Fan“ der Sängerin bezeichnet hatte – über den Klimawandel singt, Harry Styles auf dem Cover der Vogue ein buntes Sommerkleid trägt oder Taylor Swift infantile („queere“) Lovesongs unter dem ideologischen Banner der Regenbogenflagge trällert, dann hat das nichts mit Protest oder Rebellion zu tun. Die zeitgenössischen Giganten der Unterhaltungsindustrie brechen nur noch mit Tabus, die aufgrund des bahnbrechenden Mutes von echten Rebellen wie Elvis oder Jim Morrison schon lange keine mehr sind.

Vor einigen Jahren fällte der Sex Pistols-Frontmann John Lydon ein knallhartes Urteil über die amerikanische Sängerin Courtney Love, das meiner Meinung nach kaum wahrhaftiger hätte ausfallen können. Er bezog seine Worte zwar nur auf das Werk dieser einen Grunge- Sängerin, doch ich bin der Ansicht, dass man sein Statement auch perfekt auf die meisten „Rockstars“ unserer Zeit übertragen kann: „Du liebst die Idee, ein Rebell zu sein, aber du hast weder mir, noch irgendwem anders erklärt, was es für dich überhaupt bedeutet, ein Rebell zu sein. Wogegen rebellierst du eigentlich? Du bist bloß ein Haufen aus Verwirrung!“ Ich teile seine Irritation zu 100%: wogegen rebelliert die woke Elite eigentlich? Sich für eine radikale Klimaschutzpolitik oder für eine wissenschaftsfeindliche Neudefinition der biologischen Geschlechter auszusprechen, führt doch heute zu keinem Skandal mehr: damit steht man geradezu in der Mitte unserer bunten Gesellschaft.

Der Traum von einer rebellischen Jugendkultur und aufrührerischen Jungbewegungen scheint weitestgehend ausgestorben zu sein. Dies wird einem schlagartig bewusst, wenn man sich genauer ansieht, wer heute so alles als Rebell durchgeht. Es macht den Anschein, als habe sich die linksliberale Prüderie in der westlichen Kultur weitestgehend durchgesetzt. Man kann daher nur hoffen, dass die echten Rebellen unserer Zeit sich im Laufe der nächsten Jahre wieder vermehrt zu Wort melden werden und den unkreativen Schwachsinn von heute mit neuem Einfallsreichtum wieder aus den Charts vertreiben werden.



“I’m gonna keep on the run, I’m gonna have me some fun, If it costs me my very last dime, If I wind up broke, oh well, I’ll always remember that I had a swingin’ time!“
Elvis Presley’s Viva Las Vegas