Archiv: August 6, 2022

Taiwans Chips: Die Achillesferse der Tech-Branche

Von Katharina Benjamine | The eagle has landed – wie die Mondlandung der USA vor mehr als 50 Jahren, wurde die Landung der US-Politikerin Nancy Pelosi in Taiwan verfolgt. Die USA setzt mal wieder ein Zeichen in der Weltpolitik. Dass es dabei um mehr als ein Wettstreit des Fortschritts in der Technologie geht, ist bekannt. Oder ist die Technologie hier vielleicht doch gar nicht so unwichtig?

Nancy Pelosi hat in ihrer Asien Reise einen Taiwan Stopp eingefügt und diesen auch unter Turbulenzen in der Weltpolitik durchgesetzt. Chinas Reaktion sieht wie folgt aus: Militärisches Säbelrasseln mit Manövern rund um Taiwan und erste Wirtschaftssanktionen gegen den kleinen Inselstaat. Die Einfuhren mehrerer taiwanesischer Lebensmittel wurden gestoppt und der Export von Sand, welcher ein wichtiger Baustoff ist, wurden eingestellt. Voraussichtlich wird es dabei aber nicht bleiben. China ist Taiwans größter Handelspartner und diese Sanktionen könnten Taiwan hart treffen. Peking bildet sich einen Anspruch auf Taiwan ein, während Taipeh versucht seine de facto Unabhängigkeit und Freiheit zu erhalten.

Auch die Wirtschaft Taiwans, bekannt vor allem durch die Produktion von Halbleitern und Chips, steht auf wackeligen Beinen – und damit auch die gesamte globale Autoindustrie, das Militär und elektronische Konsumgüter. Taiwan ist der Geburtsort einer der größten Auftragsfertiger der Welt: TSMC und UMC, sowie ASE, das größten Unternehmen für die Montage und das Testen von Chips. Außerdem stellt Taiwan, sogenannte Wafer her, aus welchen Chips produziert werden. Bekannte Marken wie Apple oder NVIDIA lassen dort ihre Chips produzieren. Ob es das Handy, der Laptop oder das Auto ist, unsere ganze Umgebung ist sozusagen in Verbindung mit Taiwan. Nicht nur unser privater Alltag ist davon abhängig, sondern auch Staat und Wirtschaft, weshalb diese Technologie politischer nicht sein könnte.

Die Welt ist abhängig von Taiwan und China ist da nicht ausgeschlossen. Wie hoch ist nun die Kriegswahrscheinlichkeit? Manche meinen, dass China von einem Angriff absehen würde, weil ein Einfuhreinbruch an Halbleitern ein zu großer Verlust für Peking wäre. Andererseits könnte genau diese Abhängigkeit für Chinas Führung Grund sein, Taiwan anzugreifen und damit die Kontrolle über große Teile dieser extrem wichtigen Industriesparte zu erlangen. Die Auswirkungen der Halbleiter-Industrie unter chinesischer Kontrolle wären verheerend.

Eins ist gewiss, sollte es zu einem Krieg kommen, wird nicht nur Taiwan mit den Folgen des Krieges erschüttert, sondern auch die ganze Welt.

 


Neues Infektionsschutzgesetz: Zu viel Nachsicht bei Kindern – zumindest laut deutschem Lehrerverband

Von Sarah Victoria | Am Mittwoch wurde der Entwurf des neuen Infektionsschutzgesetz veröffentlicht, bei dem sich unser geschätzter Gesundheitsminister Karl Lauterbach und sein Kollege Justizminister Marco Buschmann mal wieder richtig verausgabt haben – ganz egal, ob alle anderen europäischen Länder inzwischen die Reißleine gezogen haben. Wir machen unbeirrt weiter: Und hierbei dürfen sich gerade die Schulen warm anziehen, denn die Bundesregierung packt die Winterreifen aus.

Ab Oktober heißt es in den Schulen wieder Luftfilter an, Maske auf und Vernunft aus. Zumindest ab der 5. Klasse, denn Grundschulen wurden von der neuen Maskenregelung ausgenommen. Wer meint, hier hätte sich endlich die Lehrerlobby durchgesetzt, liegt falsch. Während der Kinder- und Jugendarztverband die Maskenbefreiung begrüßt, beschwert sich ausgerechnet der Deutsche Lehrerverband über Regulierungslücken des neuen Gesetzentwurfes. Ihr Vorsitzender, Heinz-Peter Meidinger, kritisiert insbesondere die fehlende Maskenpflicht an Grundschulen. Dadurch nehme man Schulschließungen in Kauf, was nicht nachvollziehbar sei. Bei einer neuen Infektionswelle würde, laut Meidinger, ein wichtiges Instrument fehlen, um den Präsenzbetrieb aufrecht erhalten zu können. Zudem greife das Infektionsschutzgesetz erst ab Oktober, was zu einer Regelungslücke ab September führen würde. 

Die Bundesregierung hat einen vollkommen willkürlichen und umfänglichen Instrumentenkasten für den Schulbetrieb vorbereitet – und dem Lehrerverband? Dem greifen die Maßnahmen nicht weit genug. Um es mit Herrn Meidingers Worten zu sagen: Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Zum einen erschließt sich mir nicht, warum ausgerechnet Kinder und Jugendliche getestet werden müssen. Noch weniger erschließt sich mir aber, warum Schüler Maske tragen müssen, damit Schulen nicht geschlossen werden. Eine Erklärung dafür darf man sich wohl selber ausdenken, denn Logik sucht man hier vergeblich. Anstatt Partei für die eigene Lehrerschaft – die Interessen der Schüler existieren hier ja schon gar nicht mehr – zu ergreifen und auf ihre Rechte zu verweisen, wird nach härteren Schutzmaßnahmen gerufen. Einige Landesregierungen werden bestimmt zur Hilfe eilen – auf Kosten der Schulen, die wieder Coronatests und Maskenpflicht kontrollieren dürfen. Und auf Kosten der Schüler, die bei geöffnetem Fenster frieren und ihre kleinen Gesichter hinter Masken verstecken müssen. 

Meine persönliche Erfahrung 

Was die willkürlichen Corona-Maßnahmen und die soziale Isolation der letzten Jahre bei Kindern angerichtet haben, konnte ich zuletzt selbst hautnah miterleben – denn ich wirke seit diesem Jahr bei einem Lernpatenprojekt an einer Grundschule mit. Wir Lernpaten sind so etwas wie Mentoren, die sich einmal pro Woche mit ihren Patenkind treffen und gemeinsam lernen, spielen oder einfach nur reden. Das Projekt gibt es seit letztem Jahr, um Kinder, die während der Pandemiezeit zu kurz gekommen sind, zu fördern. Das sind Kinder, die Schwierigkeiten mit der Sprache haben und deswegen nicht mehr im Unterricht mitkommen und das Schuljahr wiederholen müssen. Kinder mit Lernschwierigkeiten, die länger unerkannt blieben. Schlichtweg vernachlässigte Kinder, die über Monate keine Tagesstruktur kannten. Kinder, mit schweren psychischen Problemen.

Nicht jedes Kind hat das Glück, von den eigenen Eltern in einem sicheren Umfeld gefördert werden zu können – und das trotz Corona-Stress. Bei manchen Eltern scheitert es am Faktor Zeit, bei anderen an der Sprache und wieder andere sind im Überlebensmodus und haben keine Kraft, Verantwortung für die Bildung ihrer Kinder zu übernehmen oder sich schlicht richtig um sie zu kümmern. Diese Defizite sollen Pädagogen wieder ausgleichen. Doch statt Entlastung gibt es von der Bundesregierung nur ein winterliches Maßnahmenpaket.

Und trotzdem: Der Aufschrei unter den Pädagogen lässt auf sich warten. Zum einen sind jene, denen etwas an ihrem Beruf liegt, sehr beschäftigt oder genießen gerade die Ferien. Zum anderen setzen sich in ihrer Lobby momentan die Lauterbach-Fans durch. Sie merken womöglich gar nicht, wie sehr ihre Interessen von der Politik ignoriert werden. Die Bildungsministerin freut sich, dass Schulen jetzt immerhin offen bleiben dürfen, das Kultusministerium löst psychische Probleme durch das Hochladen von Unterrichtsmaterial und der Lehrerverband hat nichts besseres zu tun, als sich darüber zu beschweren, dass an Grundschulen keine Maskenpflicht verhängt werden darf.

 

Das neue „normal“ der Bildungspolitik 

Die Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, wohlgemerkt von der FDP, plädierte in einem Interview erst kürzlich noch für den Normalbetrieb in Schulen. Damit meinte sie allerdings nur den Präsenzunterricht – teure Lüftungskonzepte, Impfbusse vor der Schultür und notfalls auch die Maskenpflicht werden weiterhin ermöglicht. Schulschließungen soll es zukünftig nur wegen akuten Lehrermangels geben, sei es weil die Lehrer coronabedingt ausfallen oder sich alle im Wartezimmer der Burnout-Klinik treffen. Letzteres würde die Ministerin natürlich anders ausdrücken. Fest steht jedoch, dass die Anforderungen an Pädagogen, seien es Lehrer, Schulpsychologen, Sozialarbeiter oder ehrenamtliche Helfer, während der Pandemie stetig gestiegen sind. Musste man zu Beginn „nur“ einmal die versäumte Digitalisierung im Schulbetrieb ausgleichen oder kontrollieren, ob Schüler sich das Teststäbchen nicht zu tief in die Nase schieben, heißt es mittlerweile auch noch Lücken im Schulstoff schließen, häusliche Gewalt erkennen, psychische Probleme lösen, Integration nachholen und nebenbei noch die ukrainischen Flüchtlingskinder betreuen. 

Das alles kann gar nicht funktionieren – die Leidtragenden sind dann wie so oft, die Schüler. Das Wissenschaftliche Institut der AOK hat Anfang dieses Jahres eine Studie zu den Auswirkungen der Coronamaßnahmen auf die Gesundheit von Kindern durchgeführt. Das Ergebnis ist schockierend: Jede dritte Mutter gab an, dass das seelische Wohlergehen ihrer Kinder gelitten hat. Deutlich trat auch ein soziales Gefälle hervor, gerade Kinder von Geringverdienern und Alleinerziehenden litten besonders unter den Maßnahmen. Ganz zu schweigen von den alarmierenden Fallzahlen der Kinder- und Jugendpsychatrien. Dies gilt sich immer wieder vor Augen zu führen, wenn man die Reaktion des Lehrerverbandes hört. Oder um es im Stil der Bundesregierung zu sagen: Kinder brauchen keine Winterreifen und Schneeketten an ihrem Spielauto. 


Finnlands Neutralität Teil 2: Kekkonens Frieden und der Preis der Neutralität

Die finnische Delegation um Präsident Kekkonen bei der KSZE. Foto: Tapio Korpisaari

(Wenn ihr Teil 1 zur Geschichte Finnlands von 1917 bis 1947 lesen wollt, klickt hier)

Von Max Roland | Unabhängigkeit, Krieg mit Russland, zweiter Weltkrieg – seit 1917 wurde die finnische Geschichte durch seine Nachbarschaft zu Russland bestimmt. Vor der Niederlage des deutschen Reiches konnte Finnland noch seinen Kopf aus der Schlinge ziehen. Helsinki konnte so seine Unabhängigkeit bewahren – mit Abstrichen. 

1947 und 1948 wurden Verträge mit der Sowjetunion geschlossen, die Rechte und Pflichten sowie territoriale Zugeständnisse regelten. Finnland blieb ein freies Land mit demokratischen und Marktwirtschaftlichen Strukturen – de Facto war Finnlands Außen- und Innenpolitik jedoch stark durch die Nachbarschaft zur Sowjetunion beeinflusst. Nach dem Friedensvertrag mit der Sowjetunion vom 10. Februar 1947 wurden die Geländegewinne der Sowjetunion nach dem Winterkrieg bestätigt (Ostkarelien). Zusätzlich zu den vereinbarten Bedingungen wurde Finnland nun außerdem verpflichtet, die Größe seines Militärs zu beschränken, das Gebiet um die Stadt Petsamo (und damit seinen Zugang zum Nordmeer) an die Sowjetunion abzutreten und Reparationen in Höhe von 300 Millionen Golddollar zu leisten.  Zur Sicherung der Unabhängigkeit schlossen Finnland und die Sowjetunion den Finnisch-Sowjetischen Vertrag von 1948. Hier wurde die außenpolitische Ausrichtung Finnlands festgelegt, inklusive eines finnisch-russischen Beistandsabkommens. Außenpolitisch war Finnland weitgehend an die Sowjetunion gebunden – der Vertrag erkannte jedoch Helsinkis willen an, im aufkommenden kalten Krieg neutral zu bleiben. Die Sowjetunion war zufriedengestellt – und zumindest die innenpolitische Unabhängigkeit Finnlands konnte gewahrt werden. Finnland vermied auch den Beitritt zum Warschauer Pakt. Diese finnische Neutralität in „guter Nachbarschaft“ zu Russland ist auch als „Paasikivi-Kekkonen-Linie“ bekannt. Benannt ist sie nach Finnlands erstem Präsidenten der Nachkriegszeit, Juso Paasikivi, und dessen Ministerpräsidenten Urho Kekkonen. Kekkonnen sollte seinem Präsidenten im Amt nachfolgen und die finnische Politik wie kaum ein zweiter prägen. 

Urho Kekkonen wurde im Jahr 1900 geboren und war der mit abstand am längsten amtierende Präsident der Republik Finnland. Vor dem Krieg bereits in diversen Kabinettsposten und politischen Rollen, wurde er 1956 zum Staatsoberhaupt gewählt – ein Amt, dass er fast 30 Jahre innehaben sollte. Kaum jemand verkörpert die schwierige Geschichte der finnischen Neutralität so wie Kekkonen. Er räumte der Außenpolitik Vorrang vor allen anderen Fragen ein, wobei der Schwerpunkt der Außenpolitik wiederum auf der Pflege der guten Beziehungen zur Sowjetunion lag. Die Balance in der Beziehung mit Moskau war so wichtig, dass Kekkonen dafür auch demokratische Grundsätze zumindest bog. Als die Sowjets 1961, vor dem Hintergrund des Mauerbaus und der Berlin-Krise, in der sogenannten „Notenkrise“ militärische Konsultationen mit den Finnen verlangten und damit die Neutralität des Landes gefährdeten, löste Kekkonen das Parlament auf und verhandelte persönlich mit dem sowjetischen Parteichef Chruschtschow. Diese Verhandlungen hatten Erfolg: Moskau sah von militärischen Konsultationen ab und entschärfte so eine Krise, die inzwischen auch die anderen nordischen Länder sowie die Bundesrepublik Deutschland tangierte. Chruschtschow erklärte gegenüber Kekkonen: „Sie sind unser guter Freund und wir vertrauen Ihnen vollkommen.“ Worte, die die Ära Kekkonen prägen sollten. 

Denn Moskau schätzte und Vertraute Kekonnen in der Tat – das setzte sich auch unter Chruschtschows Nachfolgern fort. Ihren „guten Freund“ im Amt zu halten, war den Sowjets extrem wichtig. So übten Moskaus Diplomaten immer wieder Druck auf die finnische Opposition aus. Auch in Finnland selbst war das bekannt – Kekkonens unverzichtbare Beziehung zu den Sowjets war häufig Argument für seine Wiederwahl. Die finnische Demokratie jedoch nahm dadurch Schaden. Kekkonen bog die Regeln der Demokratie und verstieß zumindest gegen den demokratischen Geist – er entwickelte einen oft kritisierten, autoritären Führungsstil. Nach der Notenkrise hatte er, auch wenn er allen demokratischen Regeln pro forma folgte, die Opposition in Politik und Medien ausgehebelt. Doch ihm gelang es, die beiden Supermächte von der Zuverlässigkeit des finnischen Neutralitätskurses zu überzeugen – ein Kurs, der in den Augen der Sowjets und vieler Finnen auch und vor allem an seine Person gebunden war. 

So wurde Finnland zu einem neutralen Mittler – insbesondere dank Kekkonens diplomatischen Fähigkeiten. 1975 brachte er die Staatsoberhäuter Europas in Helsinki zusammen. Kekkonen erkannte, dass alle Staats- und Regierungschefs des Kontinents zu diesem Zeitpunkt persönliche Erfahrungen im zweiten Weltkrieg hatten – von Helmut Schmidt bis Leonid Breschnew. Es war die Zeit von „Neuer Ostpolitik“ und einer Entspannung der Blockkonfrontation. Kekkonen nutzte diesen „Wind of change“. So kam es zur „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“, kurz KSZE. Die folgende KSZE-Schlussakte gilt als einer der wichtigsten Wendepunkte im Kalten Krieg – auf ihr baut – oder baute – die europäische Friedensordnung auf, die sich als eine der stabilsten in der Geschichte des Kontinents erweisen sollte. „Im Geiste von Helsinki“ wurde ein geflügeltes Wort.  In Europa war man sich einig: Nie wieder sollten Grenzen mit Gewalt verschoben werden. Ein Meilenstein – der allerdings am 24. Februar 2022 brutal umgestürzt werden sollte.


Sunak vs Truss – Wer wird Großbritanniens neuer Premierminister?

Von Jonas Kürsch | In Großbritannien dreht sich dieser Tage alles nur um die eine Frage: wer wird Boris Johnson als konservativer Parteivorsitzender beerben und damit im kommenden September zum nächsten Premierminister des Vereinigten Königreichs gewählt werden? Während meiner Englandreise war ich mit dieser Frage tagtäglich konfrontiert, denn an jedem Zeitschriftenstand, auf jedem Fernsehsender und in jedem Pub schien das von vielen als „Entscheidungswahl“ bezeichnete Mitgliedervotum der Tories ein allgegenwärtiges Dauerthema zu sein. 

Rishi Sunak oder Liz Truss?

Schon seit Johnsons Rücktrittserklärung in diesem Juli stellten sich etliche Wettbewerber in mehreren Wahlgängen den 365 Parlamentsabgeordneten der konservativen Tories zur Wahl. Unter den Wettstreitern waren viele in Großbritannien bekannte und gleichermaßen umstrittene Persönlichkeiten, darunter die amtierende Handelsministerin Penny Mordaunt sowie die jetzige Gleichstellungsministerin Kemi Badenoch. Auffallend war dabei vor allem das dezidiert konservative Auftreten aller aussichtsreicheren Kandidaten. Fast alle Teilnehmer bekannten sich als Unterstützer des Brexit und erklärten die von Boris Johnson verfolgten Abschiebungen illegaler Flüchtlinge nach Ruanda weiterhin als gesetztes Ziel der eigenen politischen Leitlinie. Anders als in der deutschen CDU, wo zuletzt mit gesichts- und (weitestgehend) positionslosen Berufspolitikern wie Annegret Kramp-Karrenbauer, Armin Laschet und selbstverständlich auch Angela Merkel als Parteivorsitzenden das eigene Parteiprofil über viele Jahre hinweg bis zur Unkenntlichkeit verwässert wurde, scheint man hierzulande tatsächlich noch mit konservativen Grundwerten das politische Programm der Conservatives bewahren zu wollen.

Aus diesen Vorwahlen gingen letztlich der ehemalige Finanzminister Rishi Sunak und die amtierende Außenministerin Liz Truss als finale Kandidaten hervor, die sich nun in einer parteiinternen Abstimmung der Basis stellen müssen. Sunaks Name war zuletzt auch in den deutschen Medien mehrfach zu lesen, weil er mit einigen anderen Kabinettsmitgliedern aus Protest gegen Johnsons Führungsstil wirkungsstark zurückgetreten war. Bei den Konservativen verhalf ihm das nicht unbedingt zu größerer Beliebtheit – im Gegenteil, die Basis macht Sunak jetzt den Vorwurf, er habe sich im Rahmen eines perfiden Putschversuchs gegen den noch amtierenden Premierminister verschworen. Zudem hatte Sunaks Ansehen unter einer ganzen Reihe von Skandalen und Fehlleistungen während der Pandemie gelitten. Besonders die in seiner Amtszeit stark gestiegenen Wohn- und Lebenskosten sowie seine zögerliche Reaktion darauf, machten ihn bei der Bevölkerung immer unbeliebter. Die erst vor kurzem aufgedeckten Finanzskandale seiner Familie verhalfen ihm auch nicht gerade zu besseren Umfragewerten.

Truss hingegen wird für ihre Loyalität von der Parteibasis respektiert. Sie hatte sich nicht an dem Umsturzversuch gegen Johnson beteiligt und war dem Premierminister bis zu dessen Rücktrittserklärung eine enge Verbündete geblieben. Auch ihr bodenständiges Auftreten verhalf ihr im Vergleich zu größerer Sympathie an der Basis: während sie mit Supermarktohrringen für etwa 4 Pfund die jüngste TV-Debatte bestritt, zeigte Sunak sich vor den Kameras mit einem hochwertigen Designer-Anzug, der mehrere tausend Pfund gekostet haben soll. 

Welche Themen liegen den Briten am Herzen?

Vor allem Wirtschafts- und Finanzthemen spielen bei der Wahl des neuen Parteivorsitzenden eine große Rolle. Die steigende Inflation ist auch in Großbritannien zu einem ernsten Problem für viele Familien und Mittelstandsverdiener geworden. Das Ziel der beiden Kandidaten ist nahezu identisch: man will die Inflation bekämpfen und das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Nur in der Herangehensweise zeigen sich große Unterschiede: Sunak wollte zunächst große Steuersenkungen vermeiden, da er sie nicht als nachhaltig empfand und befürchtete, man würde die Kosten der Pandemie somit nur auf den Folgegenerationen ablegen. Truss hingegen warb von Anfang an mit massiven Steuersenkungen für ihre Kampagne. Sie wolle verhindern, das Großbritannien steuerpolitisch zu einem zweiten Frankreich werde und sich stattdessen mit niedrigen Abgaben darum bemühen, das Vereinigte Königreich wieder zu einem attraktiven Sitz für große Firmen zu machen.

Truss fügte hinzu, dass sie im Falle ihres Wahlsieges die Kriminalitätsrate innerhalb von 2 Jahren um 20% reduzieren könne. Sie fordert, dass die Polizei sich wieder auf echte Gewaltverbrechen und nicht auf „Hass und Hetze im Netz“ fokussieren solle. In diesem Zusammenhang bekräftigte sie auch ihre starke Ablehnung gegenüber der politisch korrekten Ideologie des zeitgenössischen Wokeismus und kündigte an, eine Reihe von Gesetzen zur Zensur im Internet wieder abschaffen sowie die sozialen Medien stärker deregulieren zu wollen. 

Mit einem freiheitlichen und wirtschaftsliberalen Kurs will Truss das Königreich wieder zu einer Weltwirtschaftsmacht aufbauen. Dieser Kurs scheint bei der Parteibasis gut anzukommen, weshalb Truss momentan in den Umfragen mit mehr als 30 Prozentpunkten vor ihrem Konkurrenten liegt. Dieser versuchte daher sein Programm abzuändern, erklärte in einem weiteren Fernsehduell, dass Steuersenkungen unter Umständen doch nicht so schädlich seien, wie zuerst angenommen. 

Noch ist das Rennen offen

Die Ergebnisse der Mitgliederbefragung werden erst am 5. September bekanntgegeben und bis dahin bleibt der Wahlausgang ungewiss. Jüngst forderte eine Reihe von Tories im Rahmen einer Petition sogar, man solle Boris Johnsons Namen ebenfalls auf den Wahlzettel schreiben, da eine beträchtliche Anzahl von Konservativen ihn gerne als Premierminister behalten würde und seinen Rücktritt ablehne. Der Daily Express berichtete ebenfalls, dass Johnson laut Insidern am liebsten selbst zur nächsten Parlamentswahl in drei Jahren als Premierminister antreten würde. Es gilt jedoch als sehr unwahrscheinlich, dass dem Premierminister ein erfolgreiches Comeback gelingen wird. 

Eines ist jedoch sicher: egal wie die Wahl ausgehen wird, die Politik von Boris Johnson wird noch lange einen großen Einfluss auf das Vereinigte Königreich ausüben.


Deutschland ein(z)ig Panikland – der neue Entwurf des Infektionsschutzgesetzes

Von Marius Marx | Während nun auch Frankreich und Österreich als die letzten verbliebenen europäischen Corona-Hardliner ihre Geisterfahrt aufgegeben und sämtliche Corona-Maßnahmen bzw. die Quarantäne-Regelungen aufgehoben haben, behält die deutsche Politik mit dem neuen Infektionsschutzgesetz völlig unbeirrt von allen Fakten und Argumenten ihren Sonderweg bei. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) haben sich geeinigt: In Deutschland soll der Ausnahmezustand zum Normalfall werden.

Wahn ohne Sinn und ohne Ende

Mit der vorliegenden Novelle hat die Ampelregierung das unwahrscheinliche Kunststück vollbracht, die Absurdität und Unverhältnismäßigkeit von Maßnahmen ein weiteres Mal zu steigern. Von O-bis-O (Oktober bis Ostern), also in Herbst, Winter und Frühjahr sollen Schulkinder ab der fünften Klasse wieder Masken tragen müssen. Ausnahmslos und unabhängig von der Klassenstufe sollen sich Schüler und sogar Kitakinder dann auch wieder regelmäßigen Testungen unterziehen.

Ab Oktober gelten außerdem nur noch diejenigen Bürger als geimpft oder genesen bzw. kommen nur diejenigen in den Genuss ihrer erimpften Privilegien (vor einigen Jahren noch unter dem Begriff „Grundrechte“ bekannt), deren Impfung oder Infektion weniger als 90 Tage zurückliegt.

Das heißt, dass man kurzerhand die Gültigkeit einer „vollständigen Impfung“ von neun auf drei Monate herabgesetzt und damit im Grunde ein auf Dauer gestelltes Impfabonnement mit jährlichen vier Impfungen implementiert. Man muss sich das tatsächlich mal auf der Zunge zergehen lassen: Jemand, der sich im Juni den zweiten Booster geholt hat, also bereits zum vierten Mal geimpft wurde, muss sich bis April 2023 insgesamt sieben Mal impfen lassen, um „vollständig geimpft“ zu sein. Andernfalls gilt er als ungeimpft – das muss dann wohl diese vielbeschworene Freiheit sein, die man sich erimpfen sollte.

Doch wer nun glaubt, damit sei das Maximum des Wahnwitzes bereits erreicht, der irrt gewaltig. Von Oktober bis mindestens Ostern beschert uns Lauterbach mit skurrilen Winterreifen- und Schneekettenmetaphern (vormals „Basisschutzmaßnahmen“) altbekannte und längst überholt geglaubte Regelungen: So wird unter anderem die FFP2- Maskenpflicht in öffentlich zugänglichen Innenräumen recycelt. Allerdings mit interessanten Ausnahmen; in Freizeit-, Kultur-, Sport- sowie gastronomischen Einrichtungen dürfen frischgeimpfte und frischgenese dann ohne Maske herein, während alle anderen sich entweder kostenpflichtig testen lassen müssen oder mit der FFP2-Maske im öffentlichen Raum als „ungenügend“ immunisiert markiert werden.

Fernab von jeder Vernunft

Man stelle sich nun die Situation vor, dass zum Beispiel ein Pärchen essen geht. Sie ist frisch zum zweiten Mal geboostert. Seine dritte Impfung liegt – der renitente Impfgegner! – leider schon länger als drei Monate zurück. Nun muss er mit FFP2-Maske das Restaurant betreten. Am Platz kann er sie dann endlich auch absetzen. Nach dem Essen suchen beide die Toilette auf. Er muss FFP2-Maske tragen, sie nicht. Warum nun die Infektionsgefahr für und von ihm im Stehen und beim Laufen höher sein soll als beim mehrstündigen Sitzen und gesprächigen Essen, konnte mir bis heute noch niemand schlüssig erklären. Ebenfalls völlig unklar ist, wie diese Maßnahme dann nach der Kontrolle am Eingang überprüft werden soll. Wie soll man bspw. im Kino erkennen, ob jemand rechtmäßig ohne Maske herumläuft oder eben nicht? Das Justizministerium weist diesbezüglich darauf hin, dass die Betriebe zur Unterscheidung der Gäste ja z.B. auf „Aufkleber“ zurückgreifen könnten – wer Liberale wie Herrn Buschmann hat, der braucht wahrlich keine Illiberalen mehr. 

Dass keine einzige deutsche ärztliche Fachgesellschaft jemals den Einsatz von FFP2-Masken auf Bevölkerungsebene empfohlen, ja die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene sogar betont hat, dass diese „nur sinnvoll für den professionellen Bereich“ ist, wird gekonnt ignoriert. Dass die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie den Aufwand von massenhaften Testungen von Schulkindern für „nicht gerechtfertigt“ hält, wird einfach übergangen. Dass die STIKO bislang den zweiten Booster lediglich für Menschen über 70 empfohlen hat: vollkommen egal. Und dass die Novelle des Infektionsschutzgesetzes neben den Stellungnahmen der wissenschaftlichen Fachgesellschaften auch dem Bericht des Sachverständigenrates freimütig und unverhohlen widerspricht und weder ansatzweise evidenzbasiert noch irgendwie mit liberalen Grundüberzeugungen vereinbar ist, muss eigentlich nicht weiter betont werden.

Soviel dazu. Doch auch das ist noch nicht alles: Abgesehen von den zurückkehrenden Maßnahmen, sollen  bestehende verstetigt werden. Die Maskenpflicht im öffentlichen Personennah- und Fernverkehr gilt ebenso weiterhin wie die für Beschäftigte im Gesundheitssystem, die sich zudem noch einer Testnachweispflicht erfreuen, sofern sie nicht frisch geimpft oder genesen sind.

Und noch schlimmer: Sobald Landesparlamente eine konkrete Gefahr für das Gesundheitssystem feststellen (was sind die Kriterien hierfür?), wird endgültig jede Ratio über Bord geworfen. Dann können überdies zusätzlich noch FFP2-Pflichten und Personenobergrenzen für Veranstaltungen unter freiem Himmel verhängt und generelle Mindestabstände von 1,5m im öffentlichen Raum angeordnet werden. Damit ist dem Staat in Gestalt der jeweiligen Bundesländer einmal mehr das Instrument in die Hand gelegt, um erneut gegen regierungskritische Demonstrationen im Herbst und Winter vorzugehen und um Demonstrations- und Versammlungsfreiheit auch im dritten Jahr der Pandemie noch einzuschränken.

Ohne die FDP wäre es noch schlimmer gekommen?

Die FDP apologetisch verteidigend, wird nun in aller Regel vorgebracht, dass es ohne Buschmann als Korrektiv ja noch weitaus hätte schlimmer kommen können. Und ja, das ist vermutlich sogar richtig. Auf Twitter habe ich dazu einen sehr treffenden Satz gelesen: Zu sagen, ohne die FDP sähe der Entwurf noch schlechter aus, sei so als würde man sagen: „Zum Glück bist du mit Schuhen in die Hundekacke getreten. Barfuß wäre es noch übler gewesen.“ Das trifft es ziemlich gut. Die FDP hat den Entwurf sicherlich abgemildert, aber Hundekacke bleibt eben Hundekacke.

Es ist wahrlich traurig mitanzusehen, wie gerade eine einstmals liberale Partei aktiv daran mitwirkt, dass sich Deutschland in Sachen Pandemiemanagement vom restlichen Europa vollständig isoliert und sich mittlerweile Lichtjahre vom wissenschaftlichen Diskurs entfernt hat. Mit diesem Entwurf wurde die letzte Chance verpasst die Reißleine zu ziehen und das längst überfällige endgültige Maßnahmenende in die Wege zu leiten. Während ganz Europa öffnet und den Weg zurück zur Normalität beschreitet, hält man hierzulande mit freundlicher pseudoliberaler Unterstützung an Maßnahmen mit mehr als zweifelhaften Nutzen fest. Deutschland findet – so viel scheint festzustehen – unter gesundheitspolitischer Führung von Karl Lauterbach nicht mehr aus der pandemischen Dauerschleife heraus. Wenn nicht unter den gegebenen Umständen, wann sonst ist der Weg zurück in die Normalität gangbar? Welche Ziele sollen noch erreicht, welche Kriterien noch erfüllt werden? Welchem Zweck dienen die Maßnahmen gegenwärtig überhaupt noch?

Die permanente Nicht-Beantwortung dieser Fragen scheint eine bisher nur latente Befürchtung zu bestätigen: Die einmal ergriffenen Maßnahmen und erhaltenen staatlichen Kompetenzen, werden, einmal erteilt, nicht mehr allzu schnell aus staatlicher Hand gegeben werden. Stattdessen droht sich der pandemische Ausnahmezustand immer weiter zu verstetigen. Wenn in diesem, dann können auch im nächsten und jedem anderen Winter dieselben Maßnahmenpakete zum Einsatz kommen. Solange, bis dieser Zustand schließlich selbst zur Normalität oder der Widerspruch gegen diesen Irrsinn hoffentlich zu groß geworden sein wird.


Real oder schon Satire? – Katholischer Seelsorger schmuggelt Marihuana-Kebabs in den Knast

Von Simon Ben Schumann | Der Döner ist ein deutsches Nationalgericht – wir alle lieben ihn, ob mit Kräuter-Knoblauch oder scharfer Sauce, ob in der Mittagspause oder nachts um drei. Als die Preise unseres Lieblings-Fastfoods im April dank der Inflation von rund 3,50 auf 6,00 Euro anstiegen, wurde in Berlin deshalb beinah die Revolution ausgerufen. Hohe Mieten, horrende Gas- und Stromkosten? Alles egal, aber wehe es geht uns an den Döner! „Kebab für alle“ – dass dachte sich in meiner Heimat NRW wohl zuletzt auch ein katholischer Seelsorger in der JVA Heinsberg. Nur vertat er sich etwas bei seiner Bestellung.  

Der Sozialarbeiter von St. Haschisch

Als der katholischer Seelsorger am 19. Juli zu Besuch in die JVA kam, hatte er sage und schreibe 13 Döner Kebabs dabei. Er wollte sie als „Snack“ zu einer Gruppenveranstaltung mitbringen – frei nach dem Motto „Schaffet Recht dem Armen und der Waise und helft dem Elenden und Bedürftigen zum Recht“, zum Recht auf einen leckeren Döner-Kebab. Dummerweise hatte er sich der fromme Mann mit der Bestellung am Dönerstand vertan. Auf die Frage: „Einmal mit Alles?“ erwiderte er gedankenverloren: „Ne, nur mit Hanf.“ So musste die Eingangskontrolle der Jugendstrafanstalt schon in der ersten Dönertasche eine Vielzahl kleiner, gut gefüllter Tütchen entdecken. Ihr grünlicher Inhalt weckte Misstrauen. Die Polizei wurde eingeschaltet.

Es stellte sich heraus, dass gleich mehrere der 13 Döner falsch belegt waren. Und zwar nicht nur mit ganzen 153 Gramm Marihuana, sondern auch mit Handys und Ladegeräten. Ein schreckliches Bestell-Unglück – oder doch ein frommer Bekehrungsversuch? Immerhin ist die JVA Heinsberg, die in der Nähe von Köln liegt, bekannt für ihre moderne Ausstattung und den therapeutischen Ansatz. Jetzt denkt man vielleicht an Gesprächskreise, Ausbildungsprogramme und Persönlichkeitsentwicklung. Doch vielleicht ist der Ansatz des Seelsorgers noch viel innovativer: Eine entspannte Aromatherapie, mit dutzenden gut gebauten Joints.

Das wäre aufjedenfall eine teuere Interventionsmaßnahme: 153 Gramm Gras kosten beim lokalen Dealer ungefähr 1.800 €. Selbst in einer größeren Gruppe ist diese Menge nicht konsumierbar. Deshalb mein Verdacht: Der heilige Sozialarbeiter kam, um zu tun, wie die Schrift ihm geheißen hatte. Prediger 7, 16: „Sei nicht allzu gerecht und nicht allzu weise, dass du dich nicht verderbest!“

 

Das angeschlagene Kirchen-Image

Vielleicht war der – mittlerweile freigestellte – Pastoralreferent aus Aachen auch auf Geldbeschaffung für die Kirche aus. Immerhin gehts der momentan nicht besonders gut – neben Missbrauchsskandalen und Vulven-Malworkshops macht sie vor allem durch ihre sinkenden Mitgliederzahlen auf sich aufmerksam. Sollte neben dem Thema Kindesmissbrauch jetzt auch noch Drogenhandel und -schmuggel zum Repertoire mancher „Geistlicher“ dazukommen, ist das Zerrbild perfekt – dem Image der Kirche, wird das aber wahrscheinlich nicht so gut tun. 


Distanzeritis ist heilbar, Herr Merz!

Von Luca Tannek | Krankheiten plagen unsere Gesellschaft. Egal ob Krebs, Adipositas oder die saisonale Grippe, jährlich sind viele Menschen von diesen Leiden betroffen -die einen mehr, die einen weniger. Auf politischer Ebene grassiert seit geraumer Zeit ebenso eine Krankheit: Distanzeritis. Dieser Erreger löst bei Betroffenen das Bedürfnis aus, sich von Personen mit Meinungen außerhalb des links-grünen Mainstreams zu distanzieren. Schließlich könnte man Opfer eines Shitstorms werden und Linke wie auch Grüne würden jemanden der Kontaktschuld bezichtigen. Dieses Virus ist höchst ansteckend und vulnerable Gruppen befinden sich zunehmend in bürgerlichen Parteien wie der CDU. 

Bedauerlicherweise ist eine sehr bekannte Personalie der Christdemokraten diesem Erreger (erneut) zum Opfer gefallen. Der Parteichef Friedrich Merz wurde nämlich zu einem Forum des liberal- konservativen und CDU-nahen Meinungsblog „The Republic“ eingeladen und sagte seine Teilhabe aufgrund von vermeintlich AfD-nahen Gästen ab. Der republikanische US-Senator Lindsey Graham stand ebenso auf der Gästeliste. Die Veranstaltung war für Ende August geplant, ist aber nun gänzlich abgesagt worden.

Die erste Infektion

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die „konservative Hoffnung“ vieler Unionsmitglieder mit Distanzeritis infiziert hat. Man erinnere sich an das Jahr 2018. Damals sollte der Ludwig-Erhard- Preis für Wirtschaftspublizistik an Friedrich Merz gehen, der aber lehnte die Preisverleihung ab, er tue sich angeblich schwer damit, Preise anzunehmen. Interessant, dass der CDU-Politiker erst absagte, nachdem ihm bekannt wurde, dass der Journalist und Publizist Roland Tichy, damals Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung, die Laudatio halten würde. Laut Handelsblatt bestätigen interne Emails der Ludwig-Erhard-Jury, dass der CDU-Mann gegenüber Roland Tichy schlichtweg abgeneigt ist. Schließlich sei  dessen Meinungsmagazin „Tichys Einblick“  „umstritten“ und „rechtspopulistisch“. Gute Besserung, Herr Merz.

Die zweite Infektion

Vier Jahre später hat sich Friedrich Merz erneut mit Distanzeritis angesteckt. Er lehnt die Einladung von The Republic aus ähnlichen Motiven ab, wie schon zuvor beim Ludwig Erhard-Preis. Vor allem übten linke und grüne Jakobiner wie Martina Renner oder Konstantin von Notz scharfe Kritik an dem Treffen. Denn bei dem Forum von The Republic sollten wohl Gäste erscheinen, die -ebenso wie Roland Tichy- für die Mainstream-Presse als „umstritten“ gelten. Einerseits ist Lindsey Graham ein Sympathisant des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Andererseits sind Henrik Broder (Mitherausgeber der „Achse des Guten“) und Joachim Steinhöfel (Rechtsanwalt) nämlich alles andere als konform, wenn es um politische und gesellschaftliche Mehrheitsmeinungen geht. Angeblich stehen die beiden Herren nämlich der AfD nahe, obwohl es dafür keinerlei Belege gibt. Steinhöfel hatte die AfD lediglich bei einem internen Rechtsstreit vertreten, sein Mandat für diesen Fall jedoch bereits niedergelegt. Ebenso stellt sich die Frage, was daran so schlimm wäre, wenn die AfD-Nähe der beiden Gäste stimmen würde. Wer bestimmt, was politisch korrekt ist, oder mit wem man sich treffen darf? Eigentlich niemand. Debatten leben schließlich von Meinungsverschiedenheit und Streit -zwei elementaren westlichen Werten. Wenn man sich bewusst wird, dass sich Friedrich Merz paar Tage zuvor in einem Interview gegen eine Zensurkultur, also „Cancel Culture“ aussprach. Kurz darauf zensiert er sich selbst, cancelt Broder und Steinhöfel. An Lächerlichkeit kaum zu überbieten: Merz ist ein Heuchler wie er im Buche steht. Es dauerte nicht lange, da kam bereits die erste Beschwerde Seitens US-Senator Graham bezüglich der Absage. „Konservative würden sich nicht canceln, bevor sie miteinander sprechen“, wetterte der US-Senator. Tja, Merz‘ zweite Distanzeritis-Infektion hat es in sich. Ein schwerer Verlauf.

Da ein hohes Risiko einer erneuten Ansteckung besteht, braucht der CDU-Chef sehr dringend ein Medikament. Mein Rat: Rückgrat und Offenheit. Distanzeritis ist heilbar, Herr Merz.


Angst treibt an – wie Politik und Medien kommende Gas-Proteste vorsorglich verleumden

Von Gesche Javelin |  Der Regierung steht die Angst ins Gesicht geschrieben. Im Gespräch mit internationalen Kollegen warnte Bundesaußenministerin Baerbock bereits vor „Volksaufständen“ wegen Gas-Mangels in Deutschland. Das Risiko von diversen Versorgungsengpässen im Winter ist real und akut- das weiß auch die Bundesregierung. Die Proteste werden daher schonmal vorsorglich in anrüchige Ecken gerückt.

Die Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnt, „dass diejenigen, die schon in der Coronazeit ihre Verachtung gegen die Demokratie herausgebrüllt haben und dabei oftmals Seite an Seite mit Rechtsextremisten unterwegs waren, die stark steigenden Preise als neues Mobilisierungsthema zu missbrauchen versuchen.“ Aber zum Glück sind sie wohl gut auf eine neues Protestgeschehen vorbereitet. Die Sicherheitsbehörden hätten die extremistischen Szenen sehr genau im Blick, betont Faeser im „Handelsblatt“. Außenministerin Annalena Baerbock zittert vor Sorge, dass Deutschland ohne Gas „keine Unterstützung für die Ukraine mehr leisten [kann], weil wir dann mit Volksaufständen beschäftigt sind“.


Auch die Gewerkschaft der Polizei wolle zwar „kein Schreckensszenario herbeireden“, bangt jedoch, dass „sich bereits einzelne Gruppierungen, etwa aus der Querdenkerszene, in den sozialen Medien stark gegen die Bundesregierung positionieren und zum Widerstand aufgerufen haben“. Die „Tagesschau“ vermutet derweil, ganz im Stile der Innenministerin, dass die „Extremisten nach Corona ein neues Thema gefunden“ haben.
Wie so gern bei politisch nicht gewollten Protesten, werden sie wieder in die rechte Ecke gedrängt und die Verschwörungstheoretiker-Keule herausgeholt. Die Szenarien der Politiker lassen immer wieder vor allem eines durchschimmern: Ihre Angst vor einem Volk, dass vielleicht doch nicht alles stumm mitmacht.

In zwei Jahren Corona-Restriktionen konnte man Protest, Kritik und Widerstand erfolgreich als „rechtsextrem“ Framen und schlussendlich auch weit in diese Ecke treiben. Die breite Mehrheit der deutschen behielt ihren Unmut für sich oder ließ ihn sich, politisch-medial befördert, auf „die Ungeimpften“ umlenken, die schuld an allem wären. Das Problem: Beim Gas funktioniert das nicht. Putin als der alleinige Schuldige? Das hält dem Blick ins europäische Ausland, welches dann ja ähnlich leiden müsste wie Deutschland, nicht stand. Die Wahrheit ist: Diese kommende Krise ist vor allem hausgemacht – von der CDU bis zu den Grünen haben alle „staatstragenden“ Parteien diese Krise mitzuverantworten. Rot-Grün mit der Energiewende, Union und FDP mit dem beschleunigten Atomausstieg und 10 Jahren ziemlicher Untätigkeit in der Energiefrage. 


Warum müssen Politiker wie Faeser und Journalisten wie die Autoren des „Tagesschau“-Beitrages Demonstranten vorsorglich mundtot machen, wenn sie keine Angst davor haben, dass die Demonstrationen eventuell Erfolg hätten – ihre Wut, das weiß die Politik auch, wird berechtigt sein. Es macht doch den Anschein, als könnten die Proteste der Politik einen ziemlichen Strich durch die Rechnung machen. Es wird ein ungemütlicher Winter. Denn auch, wenn die Heizungen nicht laufen – „die Straße“ könnte der Politik ordentlich einheizen.

 


Rundfunkbeitrag um jeden Preis – Student sollte von Studium „Abstand nehmen“

Von Jonas Aston | Der Öffentlich-rechtliche-Rundfunk war noch nie gezwungen produktiv zu wirtschaften. Völlig frei von Sachzwängen und konjunkturellen Schwankungen können ARD, ZDF & Co operieren. Anders als jedes noch so kleinständische Unternehmen kann man völlig unabhängig von den Konsumentenwünschen agieren. Die Rundfunkanstalten sind in der bequemen Situation fast nach Belieben über ihre Einnahmeseite verfügen zu können. Man muss der Politik nur einmal schöne Augen machen und schon wird dem ÖRR mehr Geld zugesprochen und dem Bürger höhere Beitragszahlungen aufgebrummt. Schließlich leisten ARD und ZDF qualitativ hochwertige Arbeit und sind für die Demokratie unerlässlich.

Dieses Spielchen läuft nun seit Jahrzehnten und inzwischen ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk der teuerste staatliche beziehungsweise öffentlich-rechtliche Rundfunk der Welt. Rund 8 Milliarden Euro pro Jahr lassen sich ARD, ZDF & Co ihre Dienste kosten. Das ermöglicht traumhafte Intendantengehälter von teilweise über 400.000 €. Erst letztes Jahr wurde der Beitrag von 17,50 € auf 18,36 € erhöht. Der Landtag in Sachsen-Anhalt stimmte zwar dagegen, doch das Bundesverfassungsgericht nickte die Erhöhung ab. Der Föderalismus, der laut Grundgesetz Ewigkeitsgarantie hat und demzufolge in seinem Wesensgehalt nicht verändert werden darf, sei in diesem Fall nicht so wichtig.

Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Frankreich. Dort hat kürzlich der Senat für eine Abschaffung der Rundfunkgebühren gestimmt. Die Debatte in Deutschland geht jedoch in die völlig andere Richtung. Zahlreiche Produzentenfirmen forderten angesichts der steigenden Energiekosten höhere Beitragszahlungen. Der ÖRR dürfte also auch künftig völlig losgelöst von der Erde bzw. der Realität operieren. Ein Sparkurs ist weit und breit nicht Sicht.

Zunehmend Sorgen macht sich der ÖRR jedoch um die Sparfähigkeit ihrer Beitragszahler. Unter bestimmten Umständen kann man sich von der Zahlung der Beiträge befreien lassen. Dies gilt für Empfänger staatlicher Sozialleistungen und somit auch für Bezieher vom Bafög. Überwiegend erhalten Studenten jedoch kein Bafög. Ein finanzschwacher Student klagte vor dem Bundesverwaltungsgericht als Härtefall anerkannt zu werden. Der Beitragsservice von ARD und ZDF kannte jedoch keine Gnade. Armen Studenten sei es zumutbar „sich selbst zu helfen oder von der Ausbildung ganz oder vorübergehend Abstand zu nehmen“.

Das Gericht lehnte die Argumentation zum Glück ab und gab dem Studenten recht. Trotzdem hat der ÖRR mal wieder gezeigt wo seine Prioritäten liegen – während sich ARD-Chefin Schlesinger Regierungsrabatte und auf Kosten des Zwangsbeitrags Massagesitze und einen Privat-Chauffeur gönnt, soll der Beitragszahler zur Not alles aufgeben um zahlungsfähig zu bleiben.


Europäischer Gerichtshof entscheidet über Familiennachzug – Künftig wohl noch großzügigere Regeln 

Von Leon Hendryk | Am gestrigen Montag veröffentlichte der Europäische Gerichtshof eine rechtlich bindende Vorabentscheidung bezüglich des Familiennachzugs von Flüchtlingen. Die Entscheidung selbst dreht sich nur um eine Detailfrage. Sehr viel interessanter ist hingegen die Argumentationsweise des Gerichts. Sie hat das Potenzial, dass die Frage des Familiennachzugs im europäischen Asylrecht zukünftig noch großzügiger gehandhabt wird.

Aber zuerst die Fakten: Der Vorabentscheid wurde 2020 durch das Bundeverwaltungsgericht angefragt. Es dreht sich um die Frage, ob eine volljährige und in der Türkei wohnhafte Syrerin das Recht auf ein Visum zur Familienzusammenführung in Deutschland hat, da ihr ebenfalls syrischer Vater hier als anerkannter Flüchtling lebt. Da sie zum Zeitpunkt der Antragsstellung schon volljährig war, hatte sie nach deutschem Recht kein Anrecht auf ein solches Visum, welches für minderjährige Kinder anerkannter Flüchtlinge vorgesehen ist. Allerdings war die Syrerin noch minderjährig, als ihr Vater 2016 seinen Antrag auf Asyl stellte. Laut den geltenden Regeln war der Visumantrag der Tochter aber erst nach dem Abschluss des Asylverfahrens ihres Vaters möglich.

Der Europäische Gerichtshof entschied deshalb, dass das Alter der Syrerin, zum Zeitpunkt zu dem ihr Vater den Antrag auf Asyl stellte, entscheidend sei.  Somit gilt die mittlerweile 23-Jährige rechtlich als „minderjähriges Kind“ – und Deutschland ist dementsprechend verpflichtet, ihr im Rahmen der Familienzusammenführung ein entsprechendes Visum auszustellen.

Wichtiger als diese Entscheidung an sich ist die Begründung der Richter – die hat es in sich. Ihre Argumentation stützt sich in großen Teilen auf die sogenannte EU-Grundrechtecharta und die EU-Familienzusammenführungsrichtlinie (Dir 2003/86). Beide werden vom Gerichtshof genutzt, um eine weitreichende Interpretation der Familienzusammenführungsgesetze, sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene, zu rechtfertigen. Die Familienzusammenführungsrichtlinie führt beispielsweise aus: „Familienzusammenführung ist eine notwendige Voraussetzung dafür, dass ein Familienleben möglich ist. Sie trägt zur Schaffung soziokultureller Stabilität bei, die die Integration Drittstaatsangehöriger in dem Mitgliedstaat erleichtert; dadurch wird auch der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt gefördert […]“.
Solche und andere Passagen werden in der Entscheidung des Gerichtshofs mehrmals zitiert, um zu begründen, dass die Regeln in Fragen dieser Art möglichst liberal ausgelegt werden sollten. Der Standpunkt des Gerichts scheint einfach zu sein: Familienzusammenführung ist gut, und sollte deshalb soweit wie möglich gefördert und vereinfacht werden. Argumente, die gegen eine zu starke Vereinfachung des Familiennachzugs sprechen, werden in den Ausführungen des Gerichts hingegen kaum berücksichtigt. 

Der Europäische Gerichtshof fährt hier also eine sehr großzügige Linie, wenn es um das Recht auf Familienzusammenführung geht. Dies wird sich auch auf die Entscheidungen nationaler Gerichte und weitere Europäische Gerichtsverfahren zu diesem Thema auswirken. Es ist also zu erwarten, dass die Migration in die Europäische Union durch Familiennachzug, bzw. Familienzusammenführung, zukünftig weiter zunehmen wird. Es ist außerdem wahrscheinlich, dass sich der rechtliche Rahmen für diese Art der Migration weiter lockern wird. 

Da viele rechtlich anerkannte Flüchtlinge aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, dem Irak und Eritrea kommen, werden aus diesen Ländern nun auch vermehrt Familienangehörige nach Deutschland und in andere europäische Staaten nachziehen – auch längst erwachsene. Ein Asyl-Antragsteller aus 2015 könnte so per Nachzug für „Minderjährige“ seinen mittlerweile 24-Jährigen Sohn nachholen. Das ist nicht nur absurd: In Anbetracht der offensichtlichen Probleme, welche die Massenmigration aus diesen Ländern in den vergangenen Jahren geschaffen hat, ist der aktuelle Kurs des Europäischen Gerichtshof in dieser Frage auch  besorgniserregend.