Archiv: August 24, 2022

 Stromausfall auf Korfu oder: Wie man eine Apokalypse plant

Von Larissa Fußer | Mein Handyladung stand auf 10 Prozent. Das Nachrichtenlesen auf unser griechischen Sonnenterasse hatte mir meinen Akku leergesaugt – genervt suchte ich nach meinem Aufladekabel und steckte schließlich mein Handy an die weiße Vorrichtung. Nichts. Hatte sich Sand in meinem Ladezugang angesammelt? Konnte eigentlich nicht sein, wir haben hier ja Kiesstrand. Ideenlos pustete ich trotzdem auf die Unterseite meins Handys. Doch es fing immer noch nicht an zu laden. Jetzt war ich langsam genervt. Ein Wechsel der Steckdose, ein anderes Ladekabel, ein Neustart des Handys – nichts half. Als ich schließlich einigermaßen gereizt den Kühlschrank öffnete, um mir einen Saft zu holen, stockte ich. Im Kühlschrank war das Licht aus und er kühlte auch kaum noch. Ich lief zu verschiedenen Lichtschaltern im Apartment und versuchte, sie anzuschalten. Nada. Kein Strom. Nirgends. Da ging mir ein Licht auf beziehungsweise aus: Wir hatten einen Stromausfall.

Es war nicht der erste. Schon zwei mal hatten in den letzten Tagen die Cafébesitzer am Strand plötzlich nur noch Salate statt Buletten verkauft, weil ihnen für ein paar Stunden der Strom fehlte. Abends, wenn ich vom Strand zurück in den Ort lief, war aber immer wieder alles normal gewesen. Nun erlebte ich den Stromausfall zum ersten Mal abseits des Strands. Mürrisch putze ich mir in einem stockdüsteren Bad die Zähne und schloss mein Handy an die Powerbank an. Das funktionierte dann. 

Auf dem Weg zum Strand ging ich in einen kleinen Supermarkt, um mir Essen zu kaufen und sah die griechische Ladenbesitzerin schimpfend mit Verlängerungskabeln hantieren. Als sie schließlich zwei Kabel zusammensteckte ging das Licht im Laden und in den Kühlregalen wieder an. Offenbar hatten die Supermärkte Notstromaggregate. Anklagend hob die alte Griechin die Arme in die Höhe. Ich versuchte ihr auf Englisch zu sagen, dass bei uns auch der Strom ausgefallen war. Sie hob kurz den Kopf, um mich anzusehen, dann aber kam ein alter Grieche in den Laden, auf den sie sich sofort schimpfend stürzte.

Ich verließ den Supermarkt und ging ein paar Meter weiter in ein Reisebüro, das nur deshalb nicht komplett dunkel war, weil durch die große Glasfassade noch genug Licht fiel. „What’s going on?“, fragte ich den Herren am Schalter. Aufgebracht erzählte er mir, dass es diesen Sommer ständig Stromausfälle gebe. Die Ursachen seien nicht ganz klar. Man munkle, dass ein Brand im Nachbarort Schuld sei, er halte von dieser Theorie aber nichts. „Früher gab es hier sowas nie“, sagte er. „Ich kann nicht arbeiten, ich habe kein WLAN, selbst das mobile Internet funktioniert nicht mehr richtig.“ Wütend deutete er auf seinen schwarzen Computerbildschirm. „Meistens werden wir vorher angerufen, wenn sie den Strom cutten. Dann sagen sie, es muss was repariert werden, deswegen gibt es morgen zwischen 8:00 und 13:00 Uhr keinen Strom. Aber heute wurden wir überrascht.“ Er telefoniere schon den ganzen Tag herum, um zu erfahren, was los sei, aber niemand wisse was. Deswegen könne er mir leider überhaupt nicht helfen.

So langsam machte sich ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend breit. Als ich wieder auf die Straße ging und in Richtung Meer spazierte, sah ich über die ganze Strecke nur dunkle Läden. Überall schlugen Griechen die Hände über dem Kopf zusammen, schimpften und telefonierten. Der Strom war offenbar im ganzen Ort futsch. Meine Hand bewegte sich zum Handy in meiner Tasche, das immer noch an der Powerbank hing. Für ein bis zwei Handyladungen würde der Akku noch reichen, dann aber war Sense. Kurz flackerte die Angst in meinem Bauch auf. Erwartet uns so etwas demnächst auch in Deutschland? Hier in Griechenland ist es ja immerhin warm und die Supermärkte sind offenbar an Stromausfälle angepasst – doch was mach ich denn im Dezember in Berlin?

Ein paar Momente später saß ich mit meinen Freundinnen im Strandcafé. Bei einem griechischen Salat planten wir die Apokalypse. „Wir müssen einfach schnell sein“, sagte meine eine Freundin. „Am besten buchen wir sofort ein Flugticket – solange unsere Handyladung das noch mitmacht.“ „Aber funktionierten die Flughäfen überhaupt noch ohne Strom?“, fragte die andere. Kurz guckten wir uns starr an. „Dann fahren wir halt Auto, das Benzin reicht bis nach Polen – und da gibt’s wieder Strom“, sagte ich. „Die Idee werden auch andere haben“, merkte eine Freundin an. „Wir sollten dann unbedingt Schleichwege nehmen.“ Mir war zum Lachen und Weinen gleichzeitig zumute. 

„Wir werden dann Krisenberichterstatter“, sagte meine Apollo Kollegin Pauline später zu mir, als wir vom Strand in den Himmel blinkten. „Ja“, schmunzelte ich. „Aber von Malle aus. Wir können dann ja Drohnen nach Berlin schicken und uns die Lage per Video ansehen. Das wird schon.“ Nach fünf Stunden kam der Strom zurück. Die Apokalypse war vorerst aufgeschoben. 


Meine Reise durch Dunkeldeutschland

Von Leon Hendryk | Als verantwortlicher Bürger dieses Landes konsumiere ich ausschließlich unsere deutschen Qualitätsmedien. Qualitätsmedien sind die Medien, die dafür sorgen, dass der Zuschauer oder Leser immer die richtige Meinung hat und niemals die falsche. Falsche Meinungen sind nämlich gefährlich. Nur was von unserem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den anderen großen Mainstreammedien veröffentlicht wird, kann uneingeschränkt Glauben geschenkt werden. Alle anderen Medien sind hingegen gefüllt mit rechten Verschwörungstheorien und sonstigen dummdreisten Unwahrheiten. Woher ich das weiß, obwohl ich sie gar nicht lese? Na, aus unseren Qualitätsmedien natürlich!

Die Qualitätsmedien leisten einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Demokratie des besten Deutschlands aller Zeiten. Als Westdeutscher lebe ich in diesem besten Deutschland aller Zeiten und bin sehr froh, dass meine Demokratie geschützt wird. Denn leider gibt es auch noch ein anderes Deutschland: Dunkeldeutschland. Dunkeldeutschland, wie es unser ehemaliger Bundespräsident nannte, umfasst ganz Ostdeutschland, mit Ausnahme von Berlin, und ist ein erschreckender Ort. Bevölkert wird es von springerstiefeltragenden Nazihorden, die nicht nur dumm, sondern auch faul sind. Nachdem sie gegen elf Uhr morgens ihr Bett verlassen haben, gönnen sie sich ein paar Dosen Billigbier als Frühstück und fahren dann im Dieselauto zur nächsten Nazi-Demo, auf der sie lauthals „Ausländer raus!“ grölen. Warum sie dies tun ist mir nicht ganz klar. Schließlich soll es in Dunkeldeutschland ohnehin keine Ausländer geben, denn auf diese werden regelmäßige Hetzjagden veranstaltet, so wie etwa in Chemnitz. Woher ich all das weiß, obwohl ich dort noch nie war? Na, aus unseren Qualitätsmedien natürlich!

 

Trotz all dem hatte ich den Entschluss gefasst, dieses mir fremde Land einmal zu bereisen. Das 9-Euro Ticket bot mir daher die perfekte Gelegenheit den „braunen Sumpf“, wie Vice Dunkeldeutschland in einem Artikel nannte, zu besuchen. Vice nimmt es zwar mit der journalistischen Qualität eigentlich nicht so genau, ist aber sehr links und deshalb ohne Zweifel ein Qualitätsmedium, zu dem ich vollstes Vertrauen habe. Im gleichen Artikel wurde vor „Horden von Glatzköpfen, die durch ostdeutsche Kleinstädte marschieren“ gewarnt. Ein bisschen mulmig war es mir nach dieser Beschreibung schon, aber ich nahm all meinen Mut zusammen als ich an diesem Tag in die erste von vielen überfüllten Regionalbahnen stieg und mich in Richtung Osten aufmachte. Allzu schlimm würde es schon nicht werden. Vielleicht wäre es mir sogar möglich den ein oder anderen Dunkeldeutschen zu den Qualitätsmedien zu „bekehren“. Möglicherwiese könnte ich sie sogar davon überzeugen, die „Zeit“ zu abonnieren. Konnten Dunkeldeutsche eigentlich überhaupt lesen? Nun ja, ich würde es herausfinden.

 

Die ersten Tage meiner Reise verbrachte ich in Gotha, einer schmucken Kleinstadt im Westen Thüringens. Trotz ihrer relativ geringen Bevölkerungszahl hat Gotha eine große Geschichte als ehemalige Residenzstadt. Selbst das englische Königshaus hat Vorfahren aus Gotha und trug bis 1917 noch den Titel „von Sachsen-Coburg und Gotha“.
Was mich wunderte, als ich am frühen Abend vom Bahnhof kommend durch Gotha schlenderte war, dass ich nirgendwo braune Horden erblicken konnte, die samt Baseball-Schlägern und Hakenkreuzflaggen über das mittelalterliche Kopfsteinpflaster marschierten. Lediglich ein paar andere Touristen irrten wie ich in der fast leeren Innenstadt herum, während sich eine uralte Straßenbahn rumpelnd und quietschend die Hauptstraße entlang schob. „Nun ja, vielleicht sitzen die Nazis gerade in einer heruntergekommenen Kneipe am Stammtisch und versaufen ihr Arbeitslosengeld“, dachte ich mir. Stammtische, das hatte ich in den Qualitätsmedien gelernt, sind Orte in denen sich „das Pack“ (frei nach Sigmar Gabriel) abends versammelt und gegen Ausländer, Frauen und andere Minderheiten hetzt.

 

 

Die frühere Bedeutung der einstigen Residenzstadt lässt sich an der Architektur Gothas noch erahnen

Seltsamerweise konnte ich auch in den kommenden Tagen keine Nazis in Gotha entdecken. Ganz im Gegenteil, die Menschen in Gotha sahen eigentlich ganz normal aus und waren freundlich und zuvorkommend. Als ich eines Abends an einer großen Gruppe junger Afrikaner vorbeiging die sich, dem Geruch nach zu urteilen, gerade ein paar Joints widmeten während sie mich mit feindseligen Blicken musterten, fühlte ich mich sogar fast wie zuhause im Westen. Wie konnte es sein, dass diese Fachkräfte noch keiner Hetzjagd zum Opfer gefallen waren? Vielleicht war Gotha einfach die Ausnahme, sozusagen ein heller Fleck mitten in Dunkeldeutschland. Und das, obwohl in Gotha ein AfD Politiker als Direktkandidat in den Bundestag gewählt worden war. Verwundert und fast ein wenig enttäuscht machte ich mich einige Tage später auf den Weg nach Erfurt.

Ostdeutsches „Drei-Gänge-Menü“: Bockwurst, Brötchen, Senf – zum moderaten Preis

Erfurt ist nicht nur die Hauptstadt Thüringens und bekannt für seine malerische Altstadt, sondern auch Schauplatz des größten Tabubruchs der deutschen Geschichte seit 1945. Jeder, der regelmäßig unseren Qualitätsmedien folgt weiß jetzt natürlich wovon ich rede: Der Wahl von Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten. Dieser war zwar FDP Politiker, hatte aber alles Ernstes die Dreistigkeit besessen, sich von der AfD mitwählen zu lassen. Der „Skinhead Kemmerich“ (so die TAZ) hatte damit ganz klar rote Linien überschritten. Wo kämen wir denn hin, wenn Politiker einfach so Wahlen annehmen, ohne ihre Wähler davor einen Gesinnungstest zu unterziehen? Demokratie bedeutet schließlich Herrschaft des Volkes, nicht Herrschaft des rechten Pöbels.

Der „Anger“ im Zentrum von Erfurt.

Glücklicherweise ließ Angela Merkel, die beste Kanzlerin die das beste Deutschland aller Zeiten je hatte, die Wahl kurzerhand rückgängig machen und rettete so unsere Demokratie. Dadurch wurde wieder ein echter Menschenfreund zum Ministerpräsidenten, nämlich Bodo Ramelow. Der stammt aus einer absolut demokratischen Partei, genauer gesagt der Linken. Früher hieß die Linke mal PDS und davor „Sozialistische Einheitspartei Deutschlands“, kurz SED. Ramelows Partei hatte früher die Menschen in Ostdeutschland, noch bevor es Dunkeldeutschland hieß, durch einen antifaschistischen Schutzwall vor widerlichem Nazi-Gedankengut geschützt. Gut, dass so jemand nun wieder an der Spitze des Staates Thüringen steht!

Juri-Gagarin-Denkmal in Erfurt: Die sozialistische Vergangenheit der Stadt ist an vielen Ecken noch sichtbar

Vermutlich war es Bodo Ramelow und seinen edlen Regierungsgenossen aus SPD und Grünen auch zu verdanken, dass ich in Erfurt nicht einen einzigen grölenden Neonazi zu Gesicht bekam. Selbst als ich mich für einen Tagestrip aus der Stadt wagte, um das südlich von Erfurt gelegene Freilichtmuseum Hohenfelden zu besuchen, konnte ich keine derartigen Umtriebe entdecken. In meiner lokalen Tageszeitung, einem echten Qualitätsmedium, hatte ich allerdings gelesen, dass der Osten „abgehängt und verunsichert“ sei und die Menschen dort oft arbeits- und perspektivlos. Wo, wenn nicht in der thüringischen Provinz würde ich dies nun endlich beobachten können? Leider wurden meine Hoffnungen, in Ruinen hausende und nach Bier stinkende Hartz-4-Ossis zu Gesicht zu bekommen, bitterlich enttäuscht. Stattdessen, schaukelte sich der Linienbus, der mich durch das ländliche Dunkeldeutschland beförderte, durch schöne Dörfer voller gepflegter Einfamilienhäuser.

Historie statt Hetzjagden, Idylle statt „IB“: Das Freilichtmuseum Hohenfelden

Ich muss schon sagen, dass mich diese Reise bis jetzt ein wenig irritiert hatte. Nichts von alldem was ich über Dunkeldeutschland gelernt hatte schien zu stimmen. Konnte es etwa sein, dass die Qualitätsmedien mich belogen hatten? „Nein!“ sagte ich mir schnell und erschrak, dass mir dieser Gedanke überhaupt in den Sinn gekommen war. Möglicherweise hatte Dunkeldeutschland schon auf mich abgefärbt? Medienkritik war bekanntlich rechts, und so gesehen war schon der Gedanke die Unfehlbarkeit unserer Qualitätsmedien in Frage zu stellen, ein erster Schritt auf dem Weg ins Vierte Reich.

 

Mir gruselte es davor, doch es blieb mir nur ein Weg um endlich die glatzköpfigen Nazi-Horden zu finden die mir in den Qualitätsmedien versprochen wurden. Ich musste in den dunkelsten Teil Dunkeldeutschlands, das „Herz der Finsternis“ um es in den Worten von Joseph Conrad zu sagen. Nach Sachsen. Und nicht irgendwo in Sachsen, sondern nach Bautzen. Bautzen ist als Stadt nicht nur für ihren Senf und ihr ehemaliges Stasi-Gefängnis bekannt, sondern wurde vom ARD Monitor kürzlich als „Hochburg der Verschwörungsmythen“ bezeichnet. Gemeint sind dabei natürlich die Verschwörungsmythen der Corona-Leugner, die ihrerseits moralisch so in etwa zwischen Klima- und Holocaust-Leugnern rangieren, wie ich aus anderen Sendungen unserer Qualitätsmedien wusste. Es musste sich also um eine durch und durch rechtsextreme und wahrscheinlich völlig verwahrloste Stadt handeln.

 

Der Leser kann sich also meine Enttäuschung vorstellen, als ich in Bautzen ankam. Nicht ein einziger Neonazi lief mir über den Weg, als ich mir meinen Weg durch die baumgesäumte Hauptstraße in Richtung Stadtzentrum bahnte. Versteckten sich die Nazis vor mir? Gab es möglicherweise zwei Bautzens in Deutschland und ich war mit meinem 9-Euro Ticket ausversehen ins falsche gefahren? Doch nein, ein kurzer Blick auf Google Maps bestätigte meine Befürchtungen. Ich war tatsächlich im sächsischen Bautzen, dem Herz der dunkeldeutschen Finsternis (die seltsamerweise gar nicht so finster war).

Von wegen postkommunistische Tristesse: Im Zentrum Bautzens mischen sich historische Bauten mit moderner Architektur

Was mir am nächsten Morgen auffiel war, wie sauber die Stadt war. Und dies, obwohl in Bautzen laut Wikipedia nur 3% der Einwohner keine deutschen Staatsbürger waren. Ich hatte in den Qualitätsmedien gelernt, dass großangelegte Migration für das Überleben Deutschlands absolut notwendig war. Schließlich brauchte man fleißige Ausländer, die die Jobs erledigen, die faule Deutsche nicht machen wollen, zum Beispiel Müllwerker. Wobei ich mich dabei fragte, wie es möglich war, dass in Deutschland vor dem Beginn der ersten Einwanderungswellen in den 1960er Jahren überhaupt irgendetwas funktioniert hatte? Oh nein, da waren sie wieder die Zweifel am System! Schnell öffnete ich die ZDF-Mediathek App, und schaute mir eine Folge der Heute-Show an. Dabei konnte ich förmlich fühlen wie mein IQ sank und das Vertrauen in die Qualitätsmedien wieder stieg. „So“, dachte ich mir, „irgendwo in dieser Stadt wird doch ein verdammter Nazi zu finden sein!“ und begann Bautzen systematisch zu durchkämmen.

 

Ich startete mit der Altstadt – schön war es ja, dieses Bautzen, aber eigentlich war ich auf der Suche nach Nazi-Mobs vor verfallenden Plattenbauten. Doch die Passanten die durch das idyllische Stadtzentrum Bautzen schlenderten sahen ganz und gar nicht nach arbeitslosen Wutbürgern aus. Trotzdem beschloss ich zwei von ihnen anzusprechen und zu fragen wann denn die nächste Hetzjagd stattfinden würde. „Hetzjagd?“ erwiderten sie mit fragendem Gesichtsausdruck. „Naja, auf Ausländer, so wie in Chemnitz“ führte ich weiter aus und sah wie sich der Gesichtsausdruck meines Gegenübers ins ungläubige veränderte. „Ich hoffe, dass sie das nicht ernst meinen…“ sagte der Herr mit dem ich sprach, während seine Frau neben ihm energisch nickte. Auch ich war nun verwirrt. Am leichten Sächseln in der Stimme der beiden hatte ich erkannt, dass es sich um Einheimische handeln musste. Warum taten sie so, als gäbe es nicht mindestens ab und zu mal eine Hetzjagd in Bautzen? Was ging hier eigentlich vor sich? Machte sich irgendjemand ein Spiel daraus, mich zu täuschen? War ich in eine Folge der Sendung „Verstehen Sie Spaß?“ geraten?

Innerstädtische Idylle: Die Altstadt Bautzens ist aufwendig restauriert

Ich war in der dunkelsten Stadt Dunkeldeutschlands, und alles schien ganz normal. Die Straßen waren sauber, die Menschen freundlich und gut gekleidet, in den Cafés tranken die Einheimischen tatsächlich Kaffee und kein Dosenbier. Nicht einmal eine einzige Hakenkreuzschmiererei war an den Gebäuden zu entdecken. Vielleicht hatte die Corona-Epidemie einfach allen Nazis und Verschwörungstheoretikern den Gar ausgemacht? Schließlich war in den Kommentarspalten der Qualitätsmedien schon lange unverhohlene Freude darüber geäußert worden, dass sich die ungeimpften „AfD-Wähler und Covidioten“ durch ihre Impfverweigerung nun allesamt selbst ausrotten würden. Aber auch das konnte kaum sein, denn noch vor wenigen Monaten hatte die AfD hier fast 34% der Stimmen bei der Bundestagswahl erzielt.

Nazipropaganda gefunden! Na gut, historisch eingeordnet im Museum.

Es war zum Verzweifeln. Ich war doch nicht nach Dunkeldeutschland gereist, um auf romantischen Marktplätzen Pizza zu essen und barocke Kirchen zu besichtigen. Ich war hier um mein Überlegenheitsgefühl gegenüber den Dunkeldeutschen zu bestätigen. Warum war hier alles so normal? Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich fast denken, dass Dunkeldeutschland eigentlich gar nicht so dunkel ist. Möglicherweise konnte ich als privilegierter weißer Mann aber einfach nicht erkennen, wie schlecht es wirklich um Dunkeldeutschland bestellt war. Ich nahm mir vor, sobald wie möglich ein paar Dokumentationen der Qualitätsmedien über „White Privilege“ zu schauen und schämte mich innerlich. Auf der anderen Seite – konnte meine Sicht auf die Realität überhaupt so verschoben sein? Am nächsten Tag beschloss ich frustriert, genug von Dunkeldeutschland gesehen zu haben und entschied mich meine Reise zu beenden. Es war schlimm genug, dass die Reise mein westdeutsches Überlegenheitsgefühl ins Wanken gebracht hatte. Jetzt auch noch mein Vertrauen in die Qualitätsmedien zu verlieren kam gar nicht in Frage. Es würde mein gesamtes Weltbild in Frage stellen, denn andere Informationsquellen hatte ich nie genutzt. Und, seien wir mal ehrlich – was war wahrscheinlicher: Dass sich 46.000 Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks irren, oder dass ich mich irrte?

Außerdem war da noch eine Sache. Sollte ich öffentlich das Narrativ des Naziverseuchten Hetzjagd-Ostens anzweifeln, würde das wohl Konsequenzen für mich haben. Wer die Qualitätsmedien anzweifelte, wurde selbst zum Feind. Siehe Hans-Georg Maaßen. Denn, so hatte ich es oft gehört: Wer Nazis verharmloste, der war im Zweifel selbst einer. Wobei ich ja gar nicht vorhatte sie zu verharmlosen, sondern nur keine gefunden hatte. Naja, egal. Im besten Deutschland aller Zeiten legt man sich besser nicht mit den Qualitätsmedien an.


Berliner Bäume – Opfer der Dürre oder des rbb?

Von Simon Ben Schumann | Das Thema Klimawandel ist immer für eine Schlagzeile gut und gibt Klicks. Denn mal ehrlich: Selbst der skeptischste Mensch wird panisch, wenn er befürchten muss, bald an der frischen Luft Feuer zu fangen. Laut dem RBB-Ableger „rbb24“ droht das gerade den Berlinern. Sie laufen Gefahr, mit schweren Verbrennungen nach Hause zu kommen – oder schlimmeres, schließlich bin ich weder Experte noch Klimaleugner.

Am 19.08. postete der Sender auf Instagram ein Bild von Bäumen in herbstlichen Farben vor dem Axel-Springer-Haus in Berlin. Diese haben auf dem Foto schon eine Menge Laub abgeworfen, die Straße ist mit Pfützen bedeckt und der Himmel grau. Bildunterschrift: „Herbst im August -Berliner Bäume sind gestresst von der Dürre der letzten Monate. Deswegen werfen sie verfrüht ihre Blätter ab.“ Weiter heißt es: „Der
Baum muss Ballast loswerden, es geht für ihn ums Überleben.“ Also wer da keine Panikattacke bekommt, hat doch den Schuss nicht gehört. Corona ist so gut wie vorbei und wir dachten, Putins Angriffskrieg ist jetzt das Problem.

Weit gefehlt: Denn nun wenden sich sogar die Jahreszeiten gegen uns. Die „Dürre“ der letzten Monate wird uns den sicheren Hungertod bescheren. Vielleicht dachtet Ihr bei „Dürre“ an die peruanischen Anden oder afrikanische Bauerndörfer in der Steppe. Doch in der Neuzeit wird Brandenburg zur neuen Sahara. Jedenfalls geht es für die Bäume vor dem Axel-Springer-Haus um alles oder nichts. Wenn sie Mitte August ihre Blätter als Ballast abwerfen müssen, sind auch Ernteausfälle nicht mehr weit.

Falls die Entscheidung, liebe Leser, in die Antarktis auszuwandern nun endgültig bestätigt schien: Ich kann Entwarnung geben. Glücklicherweise hat sich der goldene Herbst nicht überlegt, mal eben ein paar Monate zu früh vorbeizukommen. Nein, der rbb24 hat einfach ein Bild aus dem November 2020 gepostet. Das erklärt, warum der Himmel so bedeckt ist und die Autos voller Regentropfen. Und logischerweise auch den Laubfall. Der „Herbst im August“ ist also eigentlich der „Herbst im Herbst“ – wer’s glaubt, wird selig! Das dachte auch das Medienmagazin „Übermedien“ und twitterte, dass es das Bild zweimal in einer online-Bilddatenbank gäbe – einmal mit falschem Aufnahmedatum aus diesem Sommer. 

Ein Schelm, wer da Böses denkt! Natürlich bin ich mir nicht sicher, ob rbb24 hier absichtlich ein falsches Bild verwendete und irgendjemand sich mit einem neuen Foto in der Datenbank retten wollte. Zumindest muss man dem Magazin zugutehalten, dass es auf Instagram den entsprechen Post stehen ließ und eine Entschuldigung hinzufügte. Andererseits zeigt dieser Fall, wie wenig Vertrauen wir den Meldungen der Mainstream-Medien schenken können. Ein Bild, dass offensichtlich aus dem Herbst stammt, wird zum Beweis für eine katastrophale Dürre in Berlin.

Vielleicht sollten wir von Apollo mal ein Bild der SeaWorld in Abu Dhabi posten, zum Beweis dafür, dass die nächste Sintflut da ist. Die Missetaten des RBB kann Gott schließlich nicht ungesühnt lassen.


Von Gysi zu Hayek – Die Geschichte einer ungewöhnlichen politischen Jugend, Teil II

Von Marius Marx | Mein Abitur habe ich 2020 gemacht. Wir – die Abschlussklasse von 2020 – waren der erste von  bislang drei Corona-Jahrgängen. Und damit ein historischer: Als vermutlich erster Jahrgang in  Friedenszeiten überhaupt blieben uns Mottowoche und Abi-Ball und damit ein würdiger Abschied von der Schule gänzlich verwehrt. Nur eine abgespeckte Zeugnisverleihung in kleinem Rahmen, wohlgemerkt mit recht willkürlicher Personenobergrenze, Mitte Juni war gerade noch so für uns drin. Mein Jahrgang verbrachte seine letzten Schulwochen nicht in fröhlich-sentimentaler Vorfreude auf das baldige Ende der gemeinsamen Zeit auf der Schulbank, sondern am heimischen Laptop. Wir lernten nicht wie dutzende Generationen vor und hoffentlich auch wieder nach uns miteinander für unsere Prüfungen, sondern jeder mehr oder weniger für sich allein, zu Haus in seinem stillen Kämmerlein: Die letzten zwei Wochen meiner Schullaufbahn fielen dem ersten allgemeinen Lockdown Mitte März 2020 zum Opfer. 

 

Durch die ungeheure Anzahl, Intensität und Frequenz der Ereignisse in den letzten zweieinhalb  Jahren mittlerweile überschattet und gleichsam vernebelt, erinnere ich mich nur noch vage an die letzten Unterrichtsstunden in meinem Leben. Die Meldung der beschlossenen Schulschließung erreichte uns jedenfalls an einem Freitagnachmittag. Es lief die letzte Unterrichtsstunde an diesem trist-trüben Märztag an der Stadtgrenze Berlins – wir hatten zum Leidwesen meiner Klasse Französisch -, da sickerte zu uns auf digitalem Wege die immer noch unglaubliche, aber gewissermaßen schon intuitiv erwartete Nachricht durch. 

In einer bereits damals – sogar in der Regierungslogik – eigentlich himmelschreienden Unsinnigkeit wurde der Schulbetrieb allerdings nicht sofort eingestellt, sondern sollte noch den  kommenden Montag und Dienstag fortdauern und erst ab Mittwoch ausgesetzt werden. Der noch unermesslichen viralen Gefahr trotzend, absolvierten wir also noch die letzten zwei Schultage in Präsenz und veranstalteten eine improvisierte zweitägige Mini-Mottowoche. Düster entsinne ich mich noch dem letzten Schul-Dienstag. Satirisches Motto des Tages war die Pandemie. So kamen wir dann mit Schutzanzügen, Hauben und Masken verkleidet in die Schule, amüsierten uns darüber und ahnten nicht, dass wir damit unserer Zeit nur wenige Wochen voraus waren. Nach der letzten Schulstunde  versammelte sich die halbe Klasse vor dem Klassenzimmer und nahm vorläufig voneinander  Abschied, dabei allerdings noch völlig gefangen in der gutmütigen wie naiven Annahme, unsere Welt und unser Leben würden nach zwei läppischen Wochen „flatten the curve“ wieder  normal in den altbekannten Bahnen weiterlaufen. 

 

Auch ich, damals noch gänzlich von einem Urvertrauen in die Autoritäten – Medien, Wissenschaft und Politik – eingenommen, war völlig überzeugt, dass es sich dabei nur um eine kurze, zwar bemerkenswerte, gleichwohl aber nicht weiter beachtenswerte Episode in unserem jugendlichen Dasein handeln würde. Und so verließen wir gutgläubig die Schule und bereiteten uns in der Quarantäne auf die anstehenden Prüfungen vor. Dort, bei uns zu Hause,  begann die Stimmung mit Blick auf die „Bilder von Bergamo“ und die Geschehnisse in New  York aber zunehmend nervöser zu werden. Diese Bilder im Hinterkopf, waren mein Bruder und ich Ende März noch unheimlich stolz und erleichtert, unsere Bundesregierung von einer Koryphäe wie Christian Drosten beraten zu wissen. Und so waren wir nicht nur froh, als Deutschland auf seinen Rat hin härteste Maßnahmen anordnete, sondern wünschten uns angesichts der Horrorbilder aus Italien und den USA insgeheim ein noch restriktiveres Vorgehen. Meiner Mutter, die im Krankenhaus arbeitet, befahlen wir, auf der Arbeit Maske zu tragen und sich dort im Umgang mit den Patienten so vorsichtig wie nur irgend möglich zu verhalten. Und in den Sozialen Medien lieferte ich mir in dieser Zeit die wildesten und  emotionalsten Diskussionen mit „Coronaverharmlosern“. Auch meinem Vater trichterten wir  unduldsam ein, auf Arbeit und beim Einkaufen aufzupassen, geisterten doch zu dieser Zeit die  wildesten Prognosen, Hochrechnungen und zweistellige Sterblichkeitsraten unter Erwachsenen durch die Medien. 

 

Einzige Beruhigung in dieser Zeit war mir ein geradezu patriotischer Glauben an die vermeintliche Überlegenheit der deutschen Wissenschaftler, allen voran Christian Drosten, die Deutschland – follow the science – schon besser als alle anderen Nationen durch diese verrückte Zeit bringen würden. Und wenn ich ehrlich sein soll, weiß ich wirklich nicht, ob ich eigenständig jemals das Vermögen und den Mut aufgebracht hätte, dieses Weltbild anzuzweifeln. Aber im Laufe des Aprils, als die erste Panik- und Horrorwelle langsam im Abflachen begriffen war, wollte mein Bruder, Physik-, Mathe- und Statistikass in Personalunion, nicht mehr glauben, nicht mehr den Autoritäten blind vertrauen, nicht mehr spekulieren und vermuten – nein, er wollte endlich selber wissen. 

 

Aufbauend auf den damals kursierenden Zahlen stellte er eigene Analysen, Modelle und Prognosen an. Das Problem: Keine davon ist in der Realität jemals eingetroffen. Als in New York  irgendwann die Testpositivenrate die 20%-Marke überstieg, hätten bei zweistelligen Sterblichkeitsraten eigentlich alleine in den folgenden Tagen zehn-, ja hunderttausende dahinraffen müssen. Schon prognostizierte auch er ein beispielloses Massensterben und verzweifelte beinahe an der Tatsache, dass noch immer Flüge von den USA nach Berlin gingen. Als dann aber überall die tatsächlichen Todeszahlen um mehrere Größenordnungen unter den vorher von ihm und allen anderen in der allgemeinen Panik erwarteten Horrorszenarien zurückblieben, bemerkte er,  dass irgendetwas Grobes nicht stimmen konnte. Damit konfrontierte er mich, der an diesen  Apriltagen 2020 noch an die Unfehlbarkeit der Experten glaubte, und ich versuchte diese unwiderlegbaren Tatsachen zu widerlegen, um mein Weltbild aufrechtzuerhalten. Nur: es gelang mir nicht. Seine Beweisführung, seine Argumente waren zu entblößend, zu  stichhaltig und offenkundig unwiderlegbar. Jeder Mensch, der sich diesen Tatsachen undogmatisch stellte, hätte das anerkennen müssen. Die einzig logische Schlussfolgerung, die man nämlich aus der enormen Diskrepanz von Prognosen und Wirklichkeit ziehen konnte, war die, dass sämtliche Horrorprognosen auf fundamental falschen Annahmen beruhten: Die offiziellen Zahlen mussten schlicht um Dimensionen falsch sein.

 

Bereits im April 2020 waren so  für meinen Bruder und mich die wesentlichen Standbeine des Pandemienarrativs völlig klar und unzweifelhaft in sich zusammengebrochen. Und damals glaubten wir naiver Weise, dass dieser für uns offensichtliche Irrtum, dieses unglückliche Missgeschick bald auch von Journalisten und Wissenschaftlern bemerkt werden und die Regierung ihren Kurs daraufhin  natürlich drastisch verändern würde. Aber zu unserer Verwunderung, ja zu unserem Entsetzen, geschah dann das exakte Gegenteil. Anstatt den Lockdown aufzuheben, diesen als Fehler einzugestehen und sich dafür zu entschuldigen, wurde er bis in den Mai verlängert. Und auch die Wissenschaftler und Journalisten setzten völlig unbeirrt ihren einmal eingeschlagenen Kurs fort. Wir konnten es nicht fassen und sahen uns wirklich täglich angesichts dessen, was  um uns herum geschah, ungläubiger an. Dutzende Male fragten wir uns, ob wir oder die Mehrheit der Gesellschaft den Verstand verloren hatten, mehrfach prüften wir selbstkritisch unsere Ansichten, rechneten nach, zweifelten an uns selbst und je mehr wir uns dadurch mit dem Thema beschäftigten, je mehr wir für uns begriffen und verstanden, desto weniger verstanden wir. 

 

Fortan führte ich wieder wilde und emotionale Debatten, nur stand ich dieses Mal selber auf  der völlig gegenüberliegenden Seite. In meinem Freundeskreis stand ich mit meiner Meinung ziemlich alleine da. Niemand konnte und wollte glauben, dass sich sowohl Wissenschaft und Medien so kollektiv irrten. Politisch war ich jedenfalls  innerhalb weniger Tage völlig heimatlos geworden: Die Linke war mit ihren Forderungen nach einem „solidarischen Lockdown“, der die sonst viel angeprangerte Schere zwischen arm und  reich noch drastisch vergrößerte und gerade ihrer eigenen Wählerschaft, den sozial Schwächsten, am stärksten schadete, vollkommen unwählbar geworden. Und die Grünen, die sich mit  Bündnis 90 zu einem nicht unwesentlichen Teil aus der einstigen DDR-Bürgerrechtsbewegung zusammensetzen, konnten gar nicht genug von Bürgerrechtseinschränkungen bekommen, vertraten am lautstärksten diskriminierende Maßnahmen wie 2 oder 3G und standen den irrwitzigen Zero- und No-Covid Konzepten politisch am nächsten.

 

Leidvoll musste ich erfahren, dass der freiheitlich-rechtsstaatliche Grundkonsens, den ich bis  dato in allen Parteien vermutet hatte, entweder nicht existierte oder innerhalb kürzester Zeit über Bord geworfen wurde. Immer ist es so, dass ein Mensch das Normale erst dann zu schätzen lernt und dass ihm seine  wichtigsten Werte und Ideale erst dann vollständig bewusst werden, wenn er diese als bedroht oder eingeschränkt wahrnimmt. Ebenso wie jemand, der Kopfschmerzen hat, erst unter Schmerzen den Normalzustand des physischen Wohlbefindens zu schätzen lernt, ist mir erst in diesen Wochen wirklich klar geworden, welchen hohen Stellenwert geistige Unabhängigkeit, persönliche Freiheit und Selbstbestimmung für mich haben. In Opposition zum Pandemiemanagement  stehend, schien mir so einzig der politische Liberalismus eine adäquate und befriedigende Antwort auf den vorherrschenden illiberalen Zeitgeist zu bieten.  

 

In der Absicht, nicht nur dagegen zu sein, sondern vielmehr auch für etwas zu kämpfen, erschloss ich mir dann Stück für Stück, die Welt freiheitlicher Ideen und Philosophien. Auch durch mein Politikstudium motiviert befasste ich mich mit liberalen Staatstheoretikern, mit Locke, Arendt und Rawls und bin dadurch mehr denn je davon überzeugt, dass eine aufrichtig und leidenschaftlich liberale Partei – im Gegensatz zur nur mehr dem Namen nach liberalen FDP – heute riesiges, bislang schlicht brachliegendes und ungenutztes Wählerpotenzial hätte. 

Las ich noch vor knapp zwei Jahren Gysi, Neubauer und Co, so habe ich mich in den vergangenen Monaten durch die liberalen Denker gearbeitet. Nach diesem bereits vielversprechenden Einstieg in freiheitliches Denken, habe ich mir nun die Klassiker vorgenommen: Popper, Mises und Hayek. Ich bin sehr gespannt!




US-Politiker John Fetterman: Mit Linkspopulismus in den Senat

Von Boris Cherny | John Fetterman ist unübersehbar. Mit seinen 2,06 Metern und 110 Kilogramm sticht er aus der Menge heraus. Seine Tattoos, sein kahler Kopf und sein legerer Kleidungsstil lassen ihn nicht gerade wie einen Kandidaten für eines der höchsten politischen Ämter des Landes aussehen. Tatsächlich ist John Fetterman aber der demokratische Kandidat für einen Senatssitz in Pennsylvania bei den kommenden Wahlen im November. Auch neben seinem Aussehen tritt Fetterman politisch nicht wie der reguläre Demokrat à la Joe Biden oder Nancy Pelosi auf. Er ist Mitglied des progressiven Flügels seiner Partei, der versucht das Establishment aufzuwirbeln. Auch wenn er nicht so radikal wie Alexandria Ocasio Cortez und ihre Kollegen vom „Squad“ ist, unterstützt er dennoch eine interventionistische Wirtschaftspolitik und eine „progressive“ Kulturpolitik.

 

Als ein linker Populist legt Fetterman bewusst Wert auf sein Auftreten. Authentizität ist im Rust Belt (ähnlich dem Ruhrgebiet) sowieso der Schlüssel zum Wahlsieg. Fetterman will den Eindruck erzeugen, er sei ein Politiker, der noch wie ein normaler Mensch lebt, der sich nicht von prüden Dresscodes einschüchtern lässt und nicht den Sprachstil eines Professors besitzt. Ähnlich wie Donald Trump möchte er sich als einfacher Mann des Volkes profilieren. Problematisch ist nur, dass John Fetterman im Gegensatz zu Trump niemals etwas außerhalb eines politischen Amtes geleistet hat.

 

Aufgewachsen ist Fetterman als Kind eines reichen Versicherungsunternehmers in einem relativ sicheren Vorort. Nach einem Abschluss in Harvard und einer Anstellung bei einer Versicherungsfirma zog er 2004 in die Kleinstadt Branndock, wo er als Sozialarbeiter angestellt war. Nach einem Jahr wurde er zum Bürgermeister der heruntergekommenen Stadt gewählt – offiziell ein Vollzeitjob mit einer Bezahlung von 150 Dollar im Monat. Seine Zeit als Bürgermeister kann als durchaus erfolgreich gewertet werden. Er verbesserte die Lebensqualität des Städtchens deutlich, was ihm nationale Anerkennung einbrachte. Allerdings gab es auch damals Skandale. Beispielsweise als erim Jahr 2013,  nachdem er Schüsse in seiner Umgebung gehört hatte, einen unschuldigen afroamerikanischen Jogger verfolgte und mutmaßlich bedrohte. Begründung: Er sei ihm verdächtig vorgekommen. Eigentlich ein politisches Todesurteil in der demokratischen Partei, deren Vorfeld Leute schon für weniger gecancelt hat: Doch der Skandal zog überraschenderweise keine ernsthaften Konsequenzen mit sich, und Fetterman wurde 2018 schließlich nach 13 Jahren als Bürgermeister Branndocks zum stellvertretender Governeur Pennsylvanias gewählt. Fettermans Karriere wirft jedoch eine Frage auf: Wie hat sich dieser Mann finanziell einen langjährigen Besuch in Harvard, und einen 150 Dollar Vollzeitjob leisten können, und jetzt bis zu 1.5 Millionen Dollar an Vermögen zu besitzen?

 

Die Antwort zu dieser Frage ist Familie. Bis in seine 40er hinein, war sein eigener Vater die mit Abstand größte Einnahmequelle, sowohl Studium als auch der jahrelange Job als Bürgermeister wurden von seinem Geld finanziert. 2013 kaufte Fetterman ein Haus für lediglich einen Dollar – allerdings von seiner eigenen Schwester, sie hatte es sechs Jahre zuvor für 70.000 Dollar gekauft. Die Tatsache der familiären Unterstützung wäre nicht weiter tragisch, doch wird sie problematisch, wenn sich Fetterman als der bodenständige Nachbar von nebenan präsentiert. Gleichzeitig attackiert er, ohne jemals langfristig gearbeitet zu haben, seinen kommenden Wahlgegner Mehmet Oz, Arzt und Fernsehpersönlichkeit, als abgehoben.

 

John Fetterman ist sicherlich kein schlechter Mensch und wahrscheinlich auch ein besserer Repräsentant des Volkes als eine AOC, doch ist er ein weiterer Vertreter in der Reihe der Demokraten, die außerhalb der Politik nicht wissen, wie Arbeit aussieht. Joe Biden, Bernie Sanders oder Nancy Pelosi haben fast ihr ganzes Arbeitsleben in der Politik verbracht. Das ist auf der republikanischen Seite zwar oft ähnlich, allerdings sind es die Demokraten, die wirtschaftliche Initiative mit Steuern bestrafen wollen und sich als bodenständige Partei der Arbeiter inszenieren. John Fetterman, der als Vorort-Kind und Elite-Student groß wurde, hat de facto auch wenig Authenzität. Dafür hat er aber gute Chancen,  seine nächste Wahl zu gewinnen. Das ist vor allem der Inkompetenz der Wahlkampagne seines Gegners geschuldet. Neben schlechten Werbespots laufen auch Oz’s Auftritte katastrophal ab, mehrmals musste er sich im Frühjahr auf Trump Rallyes auspfeifen lassen, da er als zu moderat gilt. Das spiegeln auch die Umfragen wider, in denen Oz meist mehr als 5 Prozentpunkte hinter Fetterman zurückliegt. Der Demokrat bestätigt eine alte Regel der Politik im Zwei-Parteien-Staat Amerika. Du musst nicht gut sein – nur besser als dein Gegner. 

 

 

Bild: By Governor Tom Wolf – https://www.flickr.com/photos/governortomwolf/51951626312/, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=116343692


Impfkritische Plakate in Frankreich: „Eine Bedrohung“

Von Anna Graalfs | “1 schwere Nebenwirkung bei 100 Impfungen – Und wenn es Ihr Kind wäre?” lautet einer der Plakatsprüche einer Organisation namens “Réinfocovid” in Frankreich. Seit Juli 2022 wurden in Toulouse und Umgebung ca. zehn große Plakate mit Ausrufen gegen die Covid-Impfung aufgehangen. Ein anderer Spruch lautet zum Beispiel: “1 Impfkomplikation bei 100 Injektionen – die Gesundheit unserer Kinder ist mehr wert als experimentelle Impfstoffe”. Die Zahlen auf diesen Plakaten scheinen ein bisschen aus dem nichts gegriffen zu sein. Und das sind sie auch: Ende 2021 zählt die ANSM (“Agence National de Sécurité du Medicament”) 110.000 Meldungen von Impfnebenwirkungen. Zu dem Zeitpunkt haben in Frankreich schon ca. 52 Millionen Menschen ihre Erstdosis erhalten. Wenn ich mit meinem Dreisatz aus der siebten Klasse richtigliege, sind das umgerechnet ca. 0,212 Fälle von Impfnebenwirkungen pro 100 Impfungen. Die Schwere der Impfnebenwirkungen ist hier natürlich nicht berücksichtigt, aber um es sicher besser vorstellen zu können: ungefähr 2 von 1000 Impfungen haben sicher Nebenwirkungen. Natürlich ist die Dunkelziffer größer: Wer weiß wie viele Fälle von Impfnebenwirkungen es noch gibt, die nicht gemeldet wurden, aus welchen Gründen auch immer?  Trotzdem liegt “Réinfocovid” mit seinen Zahlen weit daneben. Aber das ist nicht einmal das größte Problem…

Zehn Plakate bringen die Medien ins Schwitzen

Ich wiederhole es handelt sich hier um zehn Plakate: Und die französischen Medien gehen durch die Decke. Ob online, in Zeitungen, im Fernsehen – die “Impfgegner-Plakate” sind eine der Topstories von der Bretagne bis ins Elsass. Und anstatt Zahlen zu korrigieren, um das Volk eines Besseren zu belehren, wird dramatisiert, gecancelt und Impfnebenwirkungen werden als Ganzes geleugnet. Hart ausgedrückt: Propaganda wird mit Propaganda bekämpft. Dr. Jérôme Marty, ironischerweise Präsident der französischen Gewerkschaft für freie Medizin, erklärt “France Bleu Toulouse”, dass die Plakate in Toulouse ein Risiko darstellen, da sie möglicherweise Menschen zum Zögern bringen könnten, wenn es um die Impfkampagne geht. Egal was auf den Anti-Impfplakaten steht, wie kann einem bei solchen Worten nicht unwohl werden? Was wäre denn so schlimm, wenn man länger darüber nachdenkt, ob man sich wirklich eine Impfung spritzen will, für die noch keine Langzeitstudien vorliegen? “Le Point” schreibt die Plakate in Toulouse “propagieren anscheinende Nebenwirkungen der Impfung”. Die Reaktionen der französischen Massenmedien geben das knallharte Impfregime Frankreichs wieder und unterstreichen ganz nebenbei Präsident Macrons unvergessliche Worte: “Ich werde die Ungeimpften bis zum bitteren Ende nerven”.

Wie so oft gewinnt die Doppelmoral 

Genau wie in Deutschland gibt es in Frankreich aber auch viele Pro-Impfkampagnen, die meisten vom Staat selbst veranlasst sind. Als jemand der jedes Jahr in Frankreich ist, kann ich sagen, dass diese Kampagnen sogar noch verbreiteter und vielseitiger als in Deutschland sind. Es begrenzt sich nämlich nicht nur auf “Sich impfen, sich schützen”-Plakate in den Straßen (natürlich auch in mehreren Sprachen), nein, es gibt auch 1-minütige Werbeklips die auf einmal freitagabends vor deiner Lieblingssendung auf dem Fernseherbildschirm auftauchen. Da werden dann zum Beispiel dramatische Klips von einem Rugbyspieler und seiner Rugby-Freundesklique  gezeigt, um kurz danach die Kamera in ein Krankenzimmer zu schwenken, in dem der Rugbyspieler gerade geimpft wird. Das Wiedersehen mit seinen Freunden hat er nur geträumt. Danach kommt die eindringliche Nachricht der französischen Regierung: “Weil wir alle davon träumen uns wiederzutreffen, lassen wir uns impfen” 

Ich finde man sollte generell nicht Werbung für einen Impfstoff machen, als handelte es sich um eine Zahnbürste – ob Coronaimpfung oder irgendeine andere. Aber wenn man schon so viel Werbung für die Impfung macht, mit allen Mitteln versucht die Menschen dazu zu animieren sich zu impfen, kann man dann gleichzeitig, sozusagen, “Werbung gegen die Impfung” verbieten? Ich denke nicht, aber die altbekannte Doppelmoral hat sich auch hier mal wieder durchgesetzt. Denn, breaking news: Sonia Backes, Staatssekretärin für Staatsbürgerschaft, hat am 19.August bekanntgegeben, dass bald die “antivax”-Plakate in Toulouse ohne Kompromisse verboten werden sollen. Der französische Ärzterat habe sie darauf aufmerksam gemacht, dass eine derartige Plakatierung falsch und gefährlich sei. “Gefährlich”, weil es sich auf den Plakaten um Impfnebenwirkungen handelt, über die sich sonst niemand zu sprechen traut?

 

 

Beitragsbild: Screenprint via Twitter


Kate Bush: Der Weltstar hinter dem Nr. 1-Hit „Running Up That Hill“

Von Jonas Kürsch | Die jüngste Staffel der beliebten Netflix-Serie „Stranger Things“ löste bei vielen Zuschauern große Begeisterung aus. Beachtlich ist vor allem ihr Einfluss auf die internationalen Musikcharts, denn die Serie verhalf der Sängerin Kate Bush zu einem ungewöhnlichen Weltrekord: ihre surreale Synth-Pop-Song „Running Up That Hill“, der in der Serie mehrmals prominent in Szene gesetzt wurde, schaffte es knapp 37 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung in etlichen Ländern erstmals auf Platz 1 der nationalen Chartlisten. 

Kaum einem anderen Künstler ist jemals ein vergleichbarer Erfolg gelungen. Überraschend ist der Erfolg dieses einzigartigen Liedes für mich nicht. Mit ihrer expressiven Stimmgewalt und den traumartigen Instrumentalklängen ihrer Songs, sorgt Bush schon seit den späten 1970er Jahren wie keine andere für einen musikalischen Romantizismus. Als großer Fan der Sängerin freue ich mich ungemein über das neuaufkeimende Interesse an Kate Bush, doch ich denke, dass es zutiefst oberflächlich wäre, ihr vielschichtiges und bahnbrechendes Lebenswerk ausschließlich auf „Running Up That Hill“ zu beschränken (obwohl ich auch dieses Lied für brillant halte, bitte verstehen Sie mich nicht falsch!). Angesichts des im September bevorstehenden vierzigjährigen Jubiläums ihres wohl exzentrischsten Albums „The Dreaming“ möchte ich den Blick auf die einzig- und eigenartigsten Lieder im Werk der Art-Rock-Pionierin richten. 

Von Emily Brontë bis Bertolt Brecht 

Schon 1973, im zarten Alter von 15 Jahren, wurden erste Musikproduzenten und der Pink-Floyd-Gitarrist David Gilmour auf das Talent der jungen Britin aufmerksam. Bis dahin hatte sie schon etliche Songtexte samt Klaviernoten geschrieben und anschließend ihr erstes Demo aufgenommen. Es bestand kein Zweifel daran, dass Bush eine große Karriere bevorstehen würde, nur war sie noch zu jung und viel zu sensibel, um schon jetzt dem großen Druck des Showgeschäfts ausgeliefert zu werden. Man entschied sich, ihr die Möglichkeit zur Reife fernab des Rampenlichtes zu ermöglichen und wartete mit der ersten Plattenaufnahme bis zum Jahre 1978. 

Im Alter von 19 Jahren veröffentlichte sie dann ihr Debütalbum „The Kick Inside“, das in Großbritannien zu einem kommerziellen Riesenerfolg wurde. Vor allem die Single „Wuthering Heights“ (in Anlehnung an Emily Brontë’s Sturm-Und-Drang-Roman ‚Sturmhöhe‘) machte sie zur ersten englischen Sängerin, die mit einem selbstgeschriebenen Song den ersten Platz der UK Musikcharts erreichte. Mit schriller, fast schon sirenenartiger Stimme und einer bis dahin ungesehenen Mischung aus Ausdruckstanz und Pantomime, besingt Bush den tragischen Tod des literarischen Liebespaares Heathcliff und Cathy (‚Heathcliff, it’s me, Cathy, I’ve come home, I’m so cold, Let me in your window‘). Das Lied wurde zu einem europäischen Hit und selbst in Deutschland konnte man ihrer Darbietung nicht entfliehen, da der Moderator Alfred Biolek ihr in seiner Sendung Bio’s Bahnhof den allerersten Live-Fernsehauftritt ermöglichte. 

Noch im selben Jahr erschien ihr zweites Album, das von Fans und Journalisten gleichermaßen zerrissen wurde. Man empfand es als unausgereifte Kopie Ihres Debütalbums. Ich teile diese Einschätzung nicht und denke, dass sie sich mit ihrer sehnsuchtsvoll klingenden Stimme und einer Auswahl von wesentlich tragischeren Texten um einiges emotionaler und persönlicher zeigte. So singt sie in „Wow“ von der lähmenden Einsamkeit des Showgeschäfts und beschreibt in „Symphony of Blue“ das Gefühl existenzialistischer Depressionen. Unvergessen bleibt für mich vor allem aber ihr komisches Lied „Coffee Homeground“, das nach eigenen Angaben durch Bertolt Brechts episches Theater inspiriert wurde. Sie singt (mit deutschem Akzent!) über die Gefühlszustände eines paranoiden Cafébesuchers, der davon überzeugt ist, der Restaurantbesitzer wolle ihn mit Rattengift ermorden (‚You won’t get me with your Belladonna – in the coffee – and you won’t get me with your arsenic – in the pot of tea!‘). Besonders amüsant sind vor allem die letzten drei Verse des Liedes, die sie in einer Art deutschem Sprechgesang vorträgt: ‚Noch ein Glas, mein Liebchen? Es schmeckt so wunderbar! Und?‘ 

Ihr drittes Album „Never for Ever“ ist wesentlich politischer als die ersten beiden Alben. Besonders in der zweiten Hälfte singt Bush über die großen Krisen der frühen 1980er und bekennt sich als Kriegsgegnerin und Pazifistin. In ihrem Lied ‚Army Dreamers‘ trauert eine mittellose Mutter um ihren sinnlos während eines Kriegseinsatzes verstorbenen Sohnes (‚But he never even made it to his twenties – what a waste of Army Dreamers‘). Das provokative Lied schaffte es während des ersten Golfkrieges sogar auf die Zensurliste der BBC und wurde aufgrund seiner klaren Botschaft gegen staatliche Kriegsgewalt nicht länger im Radio gespielt.

The Dreaming 

Nach dem großen kommerziellen Erfolg ihres dritten Studioalbum, erteilte Bush’s Plattenfirma der Sängerin die totale Kontrolle über ihr Folgeprojekt. Erstmals konnte sie ihrer Kreativität völlig freien Lauf lassen und ihre Musik so gestalten, wie sie es sich wünschte. Das Resultat dieser grenzenloses Freiheit war eine der innovativsten Platten, die jemals produziert wurde: „The Dreaming“. 

Das neue Album unterschied sich radikal von ihrem vorigen Werk: Anstatt auf klassische und romantische Element zu setzen, experimentierte sie im Rahmen von „The Dreaming“ mit neuen Instrumenten, Musikstilen und ungewöhnlichen Produktionstechniken. Unter anderem war es das erste Album der Künstlerin, in dem sie den Gebrauch eines digitalen Sampling Synthesizers in den Vordergrund ihrer Arbeit stellte. Das Gerät war in „Never for Ever“ bereits zum Einsatz gekommen, doch dieses Mal wollte sie es zum zentralen Element ihrer Musik machen. Ähnlich wie bei Public Image Limited und Peter Gabriel verhalfen ihr diese undefinierten Technoklänge zur radikalen Intensivierung der in ihren Liedern beschrieben Gefühlslagen. Hinzu kommen klug durchdachte, ungewöhnliche Textdichtungen, die „The Dreaming“ für mich zu einem der ergreifendsten und mitreißendsten Alben des 20. Jahrhunderts machen. 

Inhaltlich beschäftigt sich das Album vor allem mit unerfüllten Verlangen und den schwerrealisierbaren Wünschen im Leben. Im Eröffnungslied „Sat in Your Lap“ besingt Bush den mühsamen Weg der Erkenntnisgewinnung und behandelt dabei vor allem die Frustration des menschlichen (Un-)Wissens. In eine ähnliche Richtung geht das Lied „Suspended in Gaffa“, welches sich mit der charakterlichen Eigenschaft auseinandersetzt, die schönsten Erfahrungen im Leben machen zu wollen, ohne dafür hart zu arbeiten. 

Kate Bushs Einfluss ist auch heute noch spürbar 

„The Dreaming“ war definitiv das Album, welches den Stil der Künstlerin etablierte. Bis in die späten 2010er Jahre veröffentlichte Bush in unregelmäßigen Abständen neue Platten. Seit ihrer letzten Konzertreihe im Jahr 2014 ist es dann recht still um die Sängerin geworden. Jetzt, wo ‚Running Up That Hill‘ ihr zu einem neuen Hype verhalf, kann man nur hoffen, dass sie sich in Zukunft eventuell wieder neuen Projekten widmen wird. 

„Suddenly my feet are feet of mud, it all goes slow-mo, I don’t know why I’m crying, Am I suspended in Gaffa?“ – Kate Bush 

Bildquelle: Stephen Luff from West Sussex, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons 


Von Gysi zu Hayek – Die Geschichte einer ungewöhnlichen politischen Jugend Teil I

 

Von Marius Marx | Mein Interesse an Politik begann sich relativ spät, mit etwa 16 oder 17 – jedenfalls erst zu Beginn der Sekundarstufe II – auszubilden. In einem weitgehend apolitischen Elternhaus aufgewachsen, fiel dann wenig überraschend dem Freundeskreis und der Schule die Aufgabe meiner politischen Sozialisation in die Hände. Die „integrativ-kooperative“ Schule im nördlichen Berliner Speckgürtel, die ich besuchte – nach einer verstorbenen brandenburgischen SPD-Politikerin benannt -, war stolzer Träger des Labels „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, mit dem sie Lehrer und Schüler selbstverpflichtet, sich gegen jede Form von Diskriminierung einzusetzen.

Zentral über der Tafel schwebend war auf dem Smartboard-Beamer in unserem damaligen Klassenzimmer ein schwarzer Aufkleber angebracht, auf dem in weißen Großbuchstaben „FCK AFD“ zu lesen war; ähnliche Schmierereien oder Sticker, die auf Gängen und Fluren für Klimaproteste und Kundgebungen warben, erfreuten sich ebenso einiger Beliebtheit. Und im Jungsklo direkt neben meinem Klassenzimmer stand auf Kopfhöhe über dem Pissoir mit dickem, schwarzem Edding „refugees welcome“ geschrieben. Mein 17 jähriges Ich konnte in dieser Praxis überhaupt keine Widersprüchlichkeiten ausmachen und hatte mit all dem überhaupt kein Problem; ganz im Gegenteil. Schließlich wurden doch ganz im Sinne einer vielfältigen Gesellschaft die Richtigen und Guten willkommen geheißen und nur die Schlechten und Bösen verdammt. Und wer diese Bösen waren, schien für uns damals immer naturgesetzlich und geradezu unverrückbar in Stein gemeißelt: die Ausländerfeinde, die Faschos, die Populisten, die Klimaleugner: eben „die Rechten“. Und wer als solcher zu gelten hatte, bestimmten bequemerweise wir.

Unser Klassensprecher – ein gleichermaßen charismatischer wie begabter Rhetoriker, der in dieser Zeit nicht nur auf mich ungeheuren Einfluss ausgeübt hat, war bekennendes Mitglied der lokalen „Linksjugend [solid]“. In für mich bis heute nicht gänzlich nachvollziehbarer Weise gelang es ihm – dem wahrlich Antikonservativsten unter allen meinen Klassenkameraden – einmal sogar sich bei einer Wahl auf Gemeindeebene von der CDU aufstellen zu lassen und immerhin einige wenige hundert Stimmen auf sich zu vereinigen.  In Geschichte hielt er enthusiastische Referate über Marx, in Deutsch über Stuckrad-Barre; bei Fußballturnieren und Konzerten gegen „rechts“ spielte er als Frontsänger mit seiner Band vornehmlich Songs von den „Toten Hosen“ und am ersten Mai lief er im schwarzen Block durch Berlin. Wüsste ich es nicht besser oder würde mir eine solche Figur in einem Roman oder Film begegnen, würde ich sie als zu klischeehaft, zu übertrieben stereotypisch und kitschig abtun. Aber so war er eben, unser Klassensprecher. Und sein Einfluss auf die politische Debatte in unserer Klasse kann nicht hoch genug geschätzt werden. 

Vor nicht allzu langer Zeit hat mir so bspw. einer meiner besten Freunde – ein heute im besten Sinne liberal-konservativer Geist – erzählt, er habe unter dem Einfluss des wesentlich von ihm dominierten politischen Klimas unserer Klasse, ja eigentlich das unserer gesamten Stufe, bei seiner ersten Wahl „die Linken“ gewählt.  Der Rest meiner Abi-Klasse konnte – unerhebliche Ausnahmen und politisch Desinteressierte ausgenommen – ohne weiteres ebenfalls dem links-grünen Spektrum zugeordnet werden.

So auch ich selbst. Der Zeitpunkt, da ich begann, mich ernsthaft mit dem politischen Zeiteschehen auseinanderzusetzen, fiel in etwa mit dem zusammen, da ich mit besagtem Klassensprecher zusammen in die 11. Klasse kam.

Und so hielt auch ich in Deutsch „gesellschaftskritische“ Vorträge; und so zierte mit 18 Jahren schließlich ein Aufkleber der Linksjugend meinen ersten eigenen Laptop. Den Sticker hatte ich auf der ersten Demo meines Lebens zugesteckt bekommen, als anlässlich eines Treffens der AfD-Granden um Andreas Kalbitz und Alexander Gauland im Nachbarort eine Gegenkundgebung unter dem Motto „Birkenwerder bleibt bunt“ initiiert wurde. Dort fuhr ich nach dem abendlichen Fußballtraining mit einigen Freunden vorbei, hielt Plakate und Banner hoch, rief „Nazis raus“ als Kalbitz‘ Wagen sich näherte und grinste dümmlich in die Kameras der Lokalreporter. 

Auch die Berufswünsche, die ich damals hegte, sprechen eine eindeutige Sprache: Mein Berufsleben wollte ich ganz in den Dienst des Planeten, der Ökologie und Nachhaltigkeit stellen. Ein Studium im Bereich der Umweltwissenschaften, Energie- und Klimatechnik oder im weiten Feld des Naturschutzes schwebte mir vor. Etwa zur gleichen Zeit begann ich dann auch erstmals politische Literatur zu konsumieren: Die ersten beiden Bücher die ich las waren von Gregor Gysi; zuerst nahm ich mir seine Autobiographie und anschließend ein verschriftliches Gespräch über seine Erlebnisse aus über zwei Jahrzehnten bundesdeutscher Politik vor.

Und ich muss offen gestehen: ich war begeistert von ihm, seinen Ansichten, seiner Art zu schreiben und natürlich von seiner Rhetorik. In kürzester Zeit habe ich dann in der freien Zeit nach der Schule sämtliche im Netz abrufbare Bundestagsreden und Best-ofs von ihm geradezu in mich aufgesogen. Und als wir dann für unsere individuelle Seite im Abi-Buch während unseres letzten Schuljahres gefragt wurden, wer uns persönlich in den vergangenen drei Jahren jeweils am stärksten geprägt hat, musste ich nicht lange überlegen: ganz klar – Gregor Gysi!

So ist also ausgerechnet auf meiner persönlichen Seite der Name Gregor Gysi unauslöschlich verewigt und durch mich sein Name dauerhaft in das Abi-Buch der Abschlussklasse 2020 der Regine-Hildebrandt-Schule eingeschrieben.

Aber um mich nun endgültig zu desavouieren und das Who-is-Who der links-grünen Szene zu komplettieren, sei an dieser Stelle ein weiterer entscheidender Name in meiner jugendlichen politischen Biographie genannt: Luisa Neubauer. Als im Sommer 2019 die Fridays-for-Future Bewegung in Deutschland ihren bisherigen Höhepunkt erreichte und es einige Klassenkameraden und Schüler niedrigerer Stufen auf die Freitagsdemos in Berlin trieb, blieb ich nur aus Faulheit, den verpassten Stoff nachholen zu müssen, in der Schule. Allerdings habe ich mir umgehend nach dem Erscheinen Neubauers erstes Buch „Vom Ende der Klimakrise“ besorgt und – nach dem Lesen in meinen Ansichten bestärkt – natürlich versucht, im privaten und familiären Umfeld das mir Mögliche für die „gute Sache“ beizusteuern.

So habe ich in einer jugendlichen Unbedarftheit und moralischen Selbstsicherheit, die im völligen Gegensatz zu meiner politischen Bildung stand, kräftig die Werbetrommel gerührt, um meinem Umfeld bei der zur „Klimawahl“ erklärten Europawahl 2019 zum richtigen, nämlich grünen Kreuz, zu verhelfen. Als mir dann kurz nach der Wahl zwei meiner besten Freunde und eine gute Freundin offenbarten, sie hätten es doch tatsächlich gewagt die FDP zu wählen, bin ich tatsächlich beinahe vom Glauben abgefallen. Ich konnte wirklich nicht fassen, wie man in einer solch prekären Situation und unter dem Eindruck des zurückliegenden Hitzesommers, eine solche „Klimasünder-Partei“ wählen konnte. Meine Entgeisterung konnte dann nur noch dadurch gesteigert werden, dass in weiteren privaten politischen Auseinandersetzungen auch noch die Regierungspolitik Donald Trumps verteidigt wurde. 

Damals war ich – das muss im Rückblick unumwunden eingestanden werden – ganz im Sinne Rezos davon überzeugt, es gebe in Anbetracht des Klimawandels nur eine einzige legitime politische Meinung. Und das war – wie praktisch – meine eigene. Ich bin als Teenager, ohne mich auch nur ansatzweise mit ihm vergleichen zu wollen, wie schon einst der große Karl Popper in seinen Jugendjahren, wohlklingenden sozialistischen Ideen, oder wie Ralf Dahrendorf es einst so treffend formulierte, den „Versuchungen der Unfreiheit“ anheimgefallen . Um den Weg zum politischen Liberalismus zu finden und den Wert der Freiheit schätzen zu lernen, bedurfte es erst einer globalen Gesundheitskrise, die nicht unwesentlich auch eine der Freiheit war.

Der zweite Teil des Artikels erscheint morgen…

Bildquelle Gysi: Bundesarchiv, Bild 183-1990-1202-011 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 DE, via Wikimedia Commons




Anti-Kopftuch-Bewegung im Iran: Deutsche Journalistin wirft Aktivistinnen Verbreitung „westlicher Ideologien“ vor

Von Laura Werz | Masih Alinejad ist mit 7 Millionen Followern in den Sozialen Medien eine der prominentesten Kritikerinnen des iranischen Mullah-Regimes. Sie engagiert sich insbesondere im Kampf gegen den Kopftuchzwang für Frauen in ihrem Heimatland. Besonders viel Aufmerksamkeit erlangte die von ihr unterstütze Bewegung, in der iranische Frauen auf Videos aus Protest gegen patriarchale Gesetze das Kopftuch ablegen. Die jungen Aktivistinnen riskieren in ihrem Heimatland Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren, wenn sie Alinejad solche Videos zusenden. Inzwischen lebt die Journalistin in den USA, wo sie seit drei Jahren auch Staatsbürgerin ist. Doch selbst dort lebt sie nicht ungefährlich. Laut dem FBI wird sie vom iranischen Geheimdienst überwacht und ausspioniert.

Masih Alinejad erfährt nicht nur Zuspruch für ihren Einsatz. Im Gegenteil: Sie muss viel Kritik von westlichen Feministinnen in Kauf nehmen. Vor nicht einmal zwei Wochen hat die taz-Korrespondentin Julia Neumann in einem Kommentar moniert, dass nicht das Kopftuch das Problem sei, das es zu bekämpfen gelte. Laut Neumann bediene Alinejad „die Erzählung, dass Frauen vom Kopftuch und damit vom Islam befreit werden müssten“. In Wahrheit seien das aber „westliche Ideologien“. Ihr Argument: In Deutschland komme ja auch niemand auf die Idee, Nonnen zu ermuntern, ihr Kopftuch abzulegen und so gegen das Patriarchat der Kirche zu kämpfen. Echt jetzt? Was ist das für ein Vergleich? Nonnen können den Orden stets verlassen und es gibt nicht einmal eine strenge Kopftuchpflicht. In Deutschland leben knapp 18.000 Nonnen, von denen manche freiwillig ein Kopftuch tragen. Im Iran hingegen leben über 83 Millionen Menschen, etwa die Hälfte davon Frauen, welche zum Kopftuchtragen verpflichtet sind. Halten sie sich nicht daran, müssen sie die Sittenpolizei und hohe Strafen fürchten.

Weitere Top-Argumente von Neumann: Männer im Iran würden ja auch einem Kleidungszwang unterliegen. Außerdem sei es ein furchtbarer kolonialistischer Gedanke, dass weiße Männer Frauen im Iran schützen wollen. Ja, genau! Die armen iranischen Männer müssen ja auch Knie und Schultern verdecken! Und wenn sie es einmal wagen, im Tanktop aus dem Haus zu gehen, stürzen sich plötzlich prügelnde Frauenhorden auf sie. Ist doch so! Wir im Westen sollten uns da nicht einmischen. Vielleicht sind die iranischen Männer, die öffentlich auf Frauen eindreschen, die kein Kopftuch tragen, ja eigentlich ganz sensible und nette Gesellen. Das können wir aus der Ferne doch gar nicht beurteilen.

Bei solchen Aussagen zieht sich bei mir alles zusammen. Bis zu einem gewissen Punkt schätze ich ja persönlich ebenfalls politische Zurückhaltung, wenn es zu fremden Kulturen und Bräuchen kommt, die man selbst nicht aus der eigenen Realitätserfahrung kennt. Der wesentliche Unterschied ist hier aber: Masih Alinejad ist Iranerin, daran ändert auch ihr amerikanischer Pass nichts. Sie weiß, wovon sie spricht. Schließlich hat sie es selbst erlebt.

Julia Neumann versucht in ihrem Kommentar, den Aktivismus von Masih Alinejad mit unhaltbaren Vergleichen und antiwestlichen Schimpftiraden zu delegitimieren. Dabei lässt sie die eigenen Lebenserfahrungen von Masih Alinejad vollkommen unerwähnt. Selbst wenn einem das Vorgehen von Masih Alinejad nicht in dem Kram passt, man muss doch anerkennen, dass Frauen im Iran auch mit Hilfe der Reichweite von Alinejad für mehr Rechte kämpfen. In Julia Neumanns Kommentar bekommt man jedoch den Eindruck, dass die iranischen Frauen heulende Mimosen seien, die mal lieber mehr Verständnis für die islamische Kultur zeigen sollten, anstatt sich für ihre egoistischen Nischen-Interessen einzusetzen.

Neumann schreibt: „Wer wirklich etwas für Frauen tun möchte, muss das Patriarchat bekämpfen – und steht damit vor einem Konstrukt aus globaler Politik, Kapital, Macht und Institutionen.“ Ja genau, Julia, an der Unterdrückung iranischer Frauen ist eigentlich die kapitalistische Weltverschwörung schuld – nicht das iranische Scharia-Regime.  

Das Kopftuch wird im Islam als Zeichen der Unterdrückung genutzt und hat mehr als einen reinen Symbolcharakter. Die Abkehr von einem derartigen Unterdrückungssymbol kann sehr wohl ein erster Schritt zu mehr Gleichberechtigung darstellen. Um diese Gleichberechtigung herzustellen, braucht es die Öffentlichkeit. Es braucht die Kritik westlicher Länder an den frauenfeindlichen Gesetzen des Mullah-Regimes. Nur mit Druck auf die iranische Regierung kann vielleicht erreicht werden, dass diese eines Tages den Kopftuchzwang abschafft, um sich weiter politisch halten zu können.

Es ist absurd, dass westliche Feministinnen jeden Tag die vermeintliche Unterdrückung der Frau in ihrem Heimatland anklagen, aber sich beim Kopftuch-Thema auf die Seite der Unterdrücker stellen. Zum Glück gibt es Frauen wie Masih Alinejad, die bei diesem Irrsinn nicht mitmachen.